DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

22-07-2021 08:01
SXEU31 DWAV 220800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 22.07.2021 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: HNa (Hoch Nordmeer antizyklonal), ab dem Wochenende eher TrW (Trog
Westeuropa)

Heute und morgen noch Hochdruckeinfluss mit leichter Gewitterneigung über den
südwestdeutschen Mittelgebirgen sowie an den Alpen (heute). Am Samstag von
Westen und Südwesten her Übergang zu unbeständigem Wetter mit Regenfällen und
teils kräftigen Gewittern.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 24 UTC
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Donnerstag... liegen weite Teile Mittel- und Westeuropas weiterhin unter einem
breiten, quasistationären Höhenrücken, dessen Hauptachse sich heute Mittag von
Nordostspanien bis hoch zur Grönlandsee erstreckt. Die korrespondierende
Bodenhochdruckzone DANA reicht etwa von Island bis hinunter zum Balkan, wobei
die nicht besonders scharf ausgeprägte Divergenzachse durch Deutschland
verläuft. "Gestört" wird das antizyklonale Setup von einem kleinen Höhentief
Marke Kaltlufttropfen (KLT), der noch im Laufe des Vormittags von Belgien her
auf Westdeutschland übertritt, um von dort langsam weiter in Richtung Donau zu
ziehen. Zum Datumswechsel dürfte er (Referenz 300 hPa) irgendwo im magischen
Dreieck Günzburg-Regensburg-Nürnberg anlanden. Während der KLT vorgestern in
Ostengland noch kräftige Gewitter induziert hat, entpuppt er sich auf dem
europäischen Festland bisher als zahnloser Tiger. Nun kann so ein "Höhenei"
natürlich immer nur so gut sein wie es die Luftmasse ist, mit der es gefüttert
wird, und die ist alles andere tauglich. Auch wenn vom KLT natürlich eine
gewisse Labilisierung ausgeht, ist doch die aktuelle kontinentale Luftmasse zu
stabil und vor allem zu trocken, als dass hier die ganz großen Akzente gesetzt
werden könnten.

Tja und so kommt es heute einmal mehr zu einer Zweiteilung des Wetters mit einem
eher wolkigen, aber nicht durchweg bedeckten Norden und einem ziemlich sonnigen
Süden. Nördlich der Divergenzachse gelangt mit schwacher nordwestlicher Strömung
recht feuchte und nur mäßig warme Nordseeluft (T850 8-11°C) nach
Norddeutschland. Unterhalb einer Absinkinversion (am Nachmittag im Nordwesten
auf 900 hPa, nach Osten hin zwischen 750 und 700 hPa) breiten sich mal mehr, mal
weniger SC-Wolken aus, die aber durchaus Lücken aufweisen, so dass man auch mal
die Sonne zu Gesicht bekommt. Am meisten wird das wohl Richtung Vorpommern der
Fall sein, wo die MOS-Statistik die meisten Sonnenstunden berechnet. Dagegen ist
knapp nördlich des Mittelgebirgsnordrands eine schmale Schliere mit erhöhtem
Wasserdampfgehalt erkennbar (Feuchteflusskonvergenz), was einige Modelle -
darunter aus ICON-D2 - mit schwachen Schauer- respektive Regensignalen würdigen.
ICON_6 und ICON_13 hingegen wollen davon nichts wissen und lassen es gänzlich
trocken. So oder so, viel kommt nicht von oben runter, so dass die Gärten auch
heute gewässert werden müssen.

Im Süden scheint wie gesagt überwiegend die Sonne, trotz Annäherung des KLTs.
Dabei wird ganz im Süden etwas ML-CAPE aufgebaut (max. bis 500 J/kg), die aber
hauptsächlich auf die Labilisierung, weniger auf Feuchteakkumulation zurückgeht.
Oder mit anderen Worten, die Warmluft (T850 9 bis 15°C) bleibt ziemlich trocken
(PPW meist unter 25 mm), außerdem liegt ein schwacher Deckel vor. Von daher ist
es fraglich, ob es trotz vorderseitiger PVA durch den KLT zur Auslöse
konvektiver Umlagerungen in Form von nur Schauern oder gar Gewittern kommt. Am
ehesten ist das noch über den südwestdeutschen Mittelgebirgen (Schwarzwald, Alb)
sowie etwas später über und an den westlichen Alpen vorstellbar. Das sehen u.a.
auch SuperHD, EURO4 und Arome so, während die deutsche Modellkette sehr
zurückhaltend agiert. Wenn es krachen sollte, dann ist aufgrund flauer
Strömungsbedingungen Starkregen ganz oben auf der Agenda, gefolgt von kleinem
Hagel und Böen 7-8 Bft (worst case 9 Bft).

Während es im Norden nicht wärmer als 19 bis 24°C wird, stehen in den übrigen
Landesteilen sommerliche 24 bis 29°C mit den höchsten Werten im Südwesten auf
der Karte.

In der Nacht zum Freitag zieht der KLT langsam weiter ost-südostwärts, um in den
Frühstunden die Grenze zu Oberösterreich zu erreichen. Dabei sind anfangs in
Alpennähe sowie im angrenzenden Vorland noch einzelne Schauer oder Gewitter
möglich, bevor mit zunehmender Nachtlänge die Schotten dichtgemacht werden.
Ansonsten ändert sich nicht viel an der antizyklonal geprägten Großwetterlage,
sieht man mal davon ab, dass sich an der Nordostabdachung des Höhenrückens ein
kurzwelliger Trog von der Nordsee her dicht an Norddeutschland heranrückt.
Begleitet wird er von einem kleinen Bodentief, das in den Frühstunden vor der
Nordwestküste der Kimbrischen Halbinsel gesichtet wird. Gemeinsam schaufeln die
beiden eine frische Portion weitgehend geschlossener SC-/ST-Bewölkung ins
nordwestdeutsche Binnenland, wobei die Inversion dort wieder etwas angehoben
wird. Da und dort fallen aus der Wolkendecke sogar ein paar Tropfen Regen oder
Nieselregen.

Im größten Teil des Landes verläuft die Nacht aber gering bewölkt oder klar und
trocken mit Tiefstwerten, die je nach Bewölkung und orografischer Exposition
zwischen 16°C und 8°C (einige Mittelgebirgstäler) liegen.

Freitag... verlagert sich der Höhenrücken etwas weiter nach Osten, wobei er
gleich an mehreren Stellen zyklonal attackiert wird. Von der Biskaya her drückt
ein ausgeprägtes Höhentief dagegen, was in Frankreich Druckfall und die Bildung
einer zonal exponierten Tiefdruckrinne (DIRK) zur Folge hat. Und an der
Nordostabdachung "nervt" weiterhin der o.e. KW-Trog, der allerdings nicht weiter
nach Süden und auch nicht wesentlich nach Osten vorankommt. Zwar erleidet der
Rücken dadurch einen gewissen Substanzverlust, der sich vor allem in der
Verkürzung seiner Wellenlänge widerspiegelt, am Ende entpuppt er sich aber immer
noch als ausreichend robust, um uns morgen in weiten Teilen des Landes einen
ungestörten Sommertag zu bescheren. Daran ändert auch die Tatsache nichts, dass
das Bodenhoch ebenfalls anfängt zu schwächeln, ohne aber von der Wetterkarte zu
verschwinden. Vor allem aber verlagert sich die Divergenzachse Stück für Stück
immer weiter nach Norden, so dass dort der Wind im Tagesverlauf von Nordwest auf
Nord bis Ost dreht.

Das hat freilich Auswirkungen auf die Wolkendecke im Norden, die mit zunehmender
Tageslänge immer mehr Lücken bekommt bzw. sich sogar ganz auflöst. Am
widerstandfähigsten dürfte der Stratocumulus noch in SH, HH, HB und im
nördlichen NDS sein, wo es gerade am Vormittag auch noch ein paar vereinzelte
Tropfen geben kann. Im größten Teil des Vorhersageraums scheint morgen trotz
einiger lockerer Wolkenfelder die Sonne. Zwar gelangt vorderseitig der Rinne
über Frankreich zunehmend heiße und potenziell instabile Luft
südwesteuropäischen Ursprungs in den Südwesten (Anstieg T850 bis auf 17/18,
vereinzelt 19°C), der Wasserdampfgehalt bleibt aber relativ niedrig (PPW unter
25 mm, spez. Grundschichtfeuchte meist unter 9 g/kg). So wird lediglich über den
südwestdeutschen Mittelgebirgen und in Alpennähe ML-CAPE generiert, die aber
sehr stark gedeckelt ist. Kurzum, die Gefahr konvektiver Überentwicklungen ist
tagsüber selbst über dem Bergland sehr gering.

Während die Höchstwerte im äußersten Norden weiterhin nicht über 19 bis 24°C
hinauskommen, stehen sonst 24 bis 29°C, im Südwesten gar bis zu 31/32°C
(Hoch-/Oberrhein) auf dem Zettel.

In der Nacht zum Samstag wandert der Höhenrücken unter weiterer Verkürzung
seiner Wellenlänge ganz langsam über Deutschland hinweg ostwärts. Damit gelangt
der äußerste Südwesten ganz zaghaft auf die diffluente Vorderseite des den
Ärmelkanal ansteuernden Höhentiefs. Die Haupthebungsimpulse, ausgelöst durch
nordostwärts ablaufende kurzwellige Troganteile, verbleiben sehr wahrscheinlich
aber noch auf französischer Seite. Da hieße, dass im Südwesten trotz
fortlaufender Labilisierung und Anfeuchtung der Luftmasse (Anstieg PPW auf rund
30 mm) sowie Ausweitung der Tiefdruckrinne nach Osten in der Nacht konvektiv
noch nicht viel respektive gar nichts geht, was derzeit auch die gängige Meinung
der Numerik ist. Das letzte Wort ist freilich noch nicht gesprochen, aber
aktuell sieht es so aus, dass außer hoher und mittelhoher Wolken und vielleicht
einiger unbedeutender Konvektionsreste aus Frankreich nicht viel zu erwarten ist
außer vielleicht einer warmen Nacht mit Tiefstwerten von 18, 19 oder gar 20°C.

Der größte Teil des Vorhersageraums bekommt eine gering bewölkte oder klare
Nacht geboten, wobei sich die Luft auf 16 bis 10°C abkühlt.

Samstag... ist es dann vorbei mit der Ruhe, auch wenn - was vor dem Hintergrund
des Geschehenen und der insbesondere im Westen immer noch angespannten Lage
unbefriedigend ist - die Details noch viele Fragen offenlassen. Sicher ist, dass
das Höhentief die Passage des Ärmelkanals in nordöstlicher Richtung anpeilt, das
allerdings mit einer solchen Pomadigkeit, dass am Tagesende die Höhe
Calais-Dover bei Weitem noch nicht erreicht ist. Ein Mitgrund für die
schleppende Verlagerung liegt in dem Widerstand respektive der blockierenden
Wirkung des zwar weiterhin leicht progressiven, vor allem nach Nordwesten aber
stark zurückhängenden Höhenrückens. Dieser sorgt auch dafür, dass weite Teile
der Osthälfte und des Nordens bis auf hohe und teils mittelhohe Wolken, die sich
langsam von Südwesten vorarbeiten, zumindest tagsüber von der Umstellung der
Großwetterlage noch nicht allzu viel mitbekommen. Im Gegenteil, vielerorts gibt
es einen sonnenscheinreichen und sehr warmen bis heißen Sommertag, an dem die
Temperatur verbreitet auf 26 bis 32°C steigt.

Ansonsten gilt es festzuhalten, dass die westlichen und südwestlichen
Landesteile mehr und mehr unter die höhentiefvorderseitige diffluente
südwestliche Höhenströmung gelangen, in der synoptisch-skalige Hebungsprozesse
deutlich wahrscheinlicher werden als noch in der Vornacht. Hinzu kommt eine
merkliche Feuchteanreicherung der potenziell instabilen Luftmasse (Anstieg PPW
bis zu 40 mm), was je nach Einstrahlung ML-CAPE von gebietsweise 500 bis 1000
J/kg, lokal auch mehr zur Folge hat. Damit sind die wesentlichen Basiszutaten
für starke Konvektion gegeben und die Frage ist jetzt "nur noch", wie das Ganze
zeit-räumlich mit welcher Intensität organisiert oder nicht organisiert ablaufen
wird.

Hier beginnen die Schwierigkeiten, so dass aus heutiger Sicht, wo es noch an
ausreichend Prognosen von konvektionserlaubenden Modellen inkl. ihrer
probabilistischen Anschlussverfahren mangelt, zunächst nur ein ungefährer
Verlauf auf Basis konzeptioneller Überlegungen skizziert werden kann. Di
folgende Beschreibung nutzt zwar den Indikativ, ist aber im konjunktiven Kontext
zu verstehen (nach dem Motto "so könnte es etwa ablaufen"). Demnach ziehen am
Vormittag erst einmal die konvektiven Reste aus Frankreich, Luxemburg und
Belgien über den äußersten Westen (vor allem Teile vom Saarland, RP, NRW,
weniger wahrscheinlich Hessen und das westliche BW) nord-nordostwärts. Das
geschieht häufig ungewittrig (Stichwort "vormittägliche Depression"), wobei
einzelne Gewitter mit Starkregen (lokal) aber nicht ausgeschlossen werden
können. Die derzeit vorliegenden 6h-Niederschlagsprognosen weisen in der ohnehin
kleinen Fläche nur geringe Mengen meist unter 5 l/m² auf.

Im weiteren Tagesverlauf aktiviert sich die Szenerie dann deutlich, wobei sich
zwei Schwerpunkte herauskristallisieren. Der erste liegt im Westen und
Nordwesten (Teile NRWs und Niedersachsens), der stark an die nach Norden
schwenkende, immer noch zonal ausgerichtete Rinne sowie deren konfluente
Windstruktur gekoppelt ist. Die CAPE-Werte sind wahrscheinlich aufgrund der
zuvor durchgezogenen Bewölkung nicht besonders hoch (unter 500 J/kg) und auch
die Scherung ist nicht überbordend. Trotzdem könnte sich neben Einzel- und
Multizellen auch eine (durchbrochene) Gewitterlinie bilden. Trotz Verlagerung
steht der Starkregen bis in den Unwetterbereich ganz oben auf der Agenda,
mehrstündiger Starkregen durch Verclusterung oder Rückanbau ist aber eher
unwahrscheinlich. Kleinerer Hagel (vielleicht bis 2 cm) und Böen 7-8 (9) Bft
sind ebenfalls mit von der Partie.

Der zweite, aus heutiger Sicht brisantere Schwerpunkt kristallisiert sich am
Nachmittag und Abend im Südwesten (BW, Saarland, RP, Südhessen) heraus, wenn von
Frankreich her nicht nur eine meridional exponierte und recht scharf
geschnittene Konvergenz übergreift, sondern zudem noch ein KW-Trog in der Höhe
nord-nordostwärts schwenkt. Die CAPE-Werte sind höher als im Nordwesten,
Gleiches gilt für die Scherung (LLS bis zu 15 m/s, DLS 15 bis 20 m/s). Hier
deuten sich linienhaft organisierte Schwergewitter an, die sich ostwärts
verlagern. Als Begleitparameter kommen neben Starkregen auch größerer Hagel und
(schwere) Sturmböen (inverses V), evtl. sogar orkanartige Böen in Frage. Es soll
nicht unerwähnt bleiben, dass bereits vor dieser potenziellen Linie aus der
Schweiz und den Alpen heraus ebenfalls schwere Gewitter ins Alpenvorland ziehen
können.

In der Nacht zum Sonntag verlagern sich Gewitter und (Stark)Regenfälle mehr und
mehr nach Osten, wobei die Regionen zwischen Erzgebirge und Vorpommern
wahrscheinlich noch außen vor bleiben. Weitere Details erspart sich der
Verfasser aufgrund der schon sehr ausgeweiteten Textlänge bzw. der weiter
zunehmenden Unsicherheiten und verweist auf die nächsten Übersichten.


Modellvergleich und -einschätzung
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Die bevorstehende Umstellung der Großwetterlage ist unstrittig. Die Details
bewegen sich derzeit aber noch im Konjunktiv und können von der oben
geschilderten konzeptionellen Entwicklung abweichen (siehe z.B. IFS, das am
Samstag die höchsten Regenmengen zwischen Saarland und Nordeifel sieht).

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann