DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

28-06-2021 17:01
SXEU31 DWAV 281800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Montag, den 28.06.2021 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
Heute und am Dienstag großräumige Schwergewitterlage. Heute zunächst im Westen,
inzwischen auch von Südwesten her schwere Gewitter mit dem vollen Programm,
Unwetter durch größeren Hagel, heftigen Starkregen und (schwere) Sturmböen, Böen
bis Orkanstärke im Süden nicht ausgeschlossen. In der Nacht von Südwesten her in
gewittrigen Starkregen mit Regenmengen von 40 bis 80 mm innerhalb 6 Stunden
(extremes Unwetter) übergehend und auf die Mitte Deutschlands übergreifend. Im
Nordosten heute und in der Nacht zum Dienstag noch keine Gewitter.
Am Dienstag Gewittertätigkeit bis hin zum Unwetter (vor allem durch (extremen)
Starkregen und auch größeren Hagel auch auf diese Gebiete übergreifend. Nur im
Südwesten und ganz im Westen leichte Entspannung, Unwetter dort nicht mehr so
wahrscheinlich wie heute.
Am Mittwoch dann im Westen und Süden kühles Schauerwetter mit kurzen Gewittern.
Im Nordosten weiterhin Gewitter bis in den Unwetterbereich hinein. Dort nach wie
vor Gefahr von heftigem Starkregen. Am Donnerstag wahrscheinlich keine markant
zu bewarnenden Wetterereignisse mehr.

Synoptische Entwicklung bis Donnerstag 12 UTC
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Aktuell ... liegt Deutschland an der Vorderseite eines über der Bretagne nahezu
stationären Höhentiefs. Durch einen von diesem Tief ausgehenden und zur
Iberischen Halbinsel reichenden Trog wird westlich an den Alpen vorbei
feuchtwarme und labil geschichtete Mittelmeerluft nach Mitteleuropa geführt.
Dieses Höhentief wird von einem Höhenkeil flankiert, der sich zunächst von den
Ostalpen zur Nordsee erstreckt und bis Dienstagfrüh jedoch die Oder erreicht. Im
Bereich dieses Keils, d.h. im Norden und Nordosten, wird hochreichende
Konvektion wirkungsvoll unterdrückt.
Die Luftmasse, die an der Vorderseite des Höhentiefs nach Deutschland gelangt,
hat es in sich. CAPE (MU, KKN) erreicht mehr als 2000 J/kg, der Gehalt an
niederschlagbarem Wasser 30 bis 40 mm. Dabei sind zwei Regionen auszumachen, in
denen Gewitter bis hin zum Unwetter am wahrscheinlichsten sind. In beiden
"zündet" hochreichende Konvektion durch nach Nord-Nordost ablaufende
Kurzwellentröge. Einer dieser Tröge ist bereits im Westen aktiv und löst dort
unwetterträchtige Gewitter auf. Scherung (vor allem niedertroposphärisch) ist
dort Indiz für organisiertere, möglicherweise sogar rotierende Strukturen (wobei
sogar Tornados nicht ganz auszuschließen sind) und zumindest für Superzellen.
Als weiterer Schwerpunkt kristallisiert sich der Südwesten Deutschlands heraus.
Diese wird erneut durch einen nach Nord-Nordost ablaufenden Kurzwellentrog
ausgelöst. Da aus einer nahezu südlichen Richtung die Alpen überströmt werden,
entsteht unter Beteiligung von diabatischen Prozessen ein flaches Tief, das sich
nach Oberschwaben und Oberbayern in Bewegung setzt. Im Bereich dieses Tief,
ausgelöst durch Feuchtekonvergenz und trogvorderseitige Hebung, wird etwa ab dem
Abend hochreichende Konvektion ausgelöst. In diesen Gebieten kommt hochreichende
Scherung hinzu; extreme Labilität (CAPE über 2000 J/kg) ist als Indiz für
größeren Hagel zu sehen. Die Konvektion geht sehr organisiert vonstatten;
vorstellbar ist die Bildung einer Böenfront, die in Verbindung mit einem
mesoskaligen konvektiven Komplex (MCS), ausgehend am Abend vom Breisgau und vom
Mittelland, bis Mitternacht mit Verlagerung des flachen Tiefs nach Niederbayern
auf nahezu ganz Baden-Württemberg und möglicherweise bis nach Südhessen und
Mainfranken ausgreift. Neben größerem Hagel (vor allem in der Anfangsphase) sind
(schwere) Sturmböen zu erwarten; auch Böen bis Orkanstärke können nicht ganz
ausgeschlossen werden.
Bereits in der ersten Nachthälfte dürfte diese Struktur zusehends verclustern
und zu mehrstündigen Starkniederschlägen bis weit in den extremen
Unwetterbereich hinein führen; konsistent werden Niederschlagssummen bis über 80
mm innerhalb von 6 Stunden simuliert. Bis Dienstagfrüh sind dann Reste dieses
MCS über der Mitte Deutschlands zu finden, etwa in einer Region irgendwo
zwischen Thüringen und Ostwestfalen. In diesen Gebieten sind nach wie vor teils
gewittrige Starkniederschläge zu erwarten, wobei dann zwar noch
unwetterträchtige Niederschlagssummen bis etwa 50 mm innerhalb von 6 Stunden,
aber wahrscheinlich keine extremen Regenmengen mehr zustande kommen sollten.
Nach wie vor bleibt der Nordosten von hochreichender Konvektion verschont, aber
auch im Westen zeichnet sich dann Entspannung ab.

Dienstag ... verlagert sich das o.g. Höhentief ein wenig ostwärts bis etwa in
den Raum Paris. Der flankierende Keil erreicht dann mit seiner Achse
Mittelpolen. Folglich verschiebt sich die gesamte Luftmassenstruktur nach
Nordosten. Die labilste Luftmasse (mit CAPE bis ca. 2000 J/kg und einem
Flüssigwassergehalt zwischen 35 und 45 mm ist dann nordöstlich der Elbe und im
östlichen Bayern zu finden. Zudem kommt ganz im Nordosten durch Aufheizung
erneut eine flache Tiefdruckrinne zustande, in welcher durch bodennahe
Konvergenz konvektive Umlagerungen ausgelöst werden. Relativ schwach ist dort
die Scherung ausgeprägt, so dass der Organisationsgrad geringer ist; dennoch
sollte es für heftigen Starkregen bis weit in den Unwetterbereich hinein
(aufgrund der langsamen Verlagerung der Konvektionszellen ist extrem heftiger
Starkregen nicht ausgeschlossen) reichen. Auch größere Hagelansammlungen und
Sturmböen sind vorstellbar; für Großhagel ist die hochreichende Scherung zu
gering.
Aber auch im Süden und im Westen ist die Lage noch nicht ausgestanden. Dort
tritt das sich nähernde Höhentief in Aktion und generiert Hebung. Zwar liegt in
diesen Gebieten der Flüssigwassergehalt "nur noch" bei 25 bis 30 mm und CAPE
erreicht wenige hundert J/kg, aber für Unwetter, wenngleich nicht unbedingt
extrem, reicht das allemal. Und der Norden muss noch die Reste des
Gewitterclusters von der Nacht zuvor "verdauen". Während die Ereignisse im
Westen und Süden sehr konsistent mit Starkregen bis weit in den Unwetterbereich
hinein simuliert werden, bestehen hinsichtlich der Entwicklung im Nordosten
weniger in Bezug auf die zu erwartenden Niederschlagsmengen, sondern vielmehr
die Regionalisierung betreffend, noch Unsicherheiten.
Größere Auflockerungen sind noch im Nordosten und ganz im Osten zu erwarten. In
diesen Gebieten steigt die Temperatur nochmals auf 27 bis 31 Grad, wogegen sonst
21 bis 26 Grad zu erwarten sind.

In der Nacht zum Mittwoch nähert sich das Höhentief mit seinem Zentrum dem
Saarland. Kaltluftadvektion und der hieraus resultierende Druckanstieg lässt
einen Bodenhochkeil entstehen, der sich von der Schweiz in den Süden
Deutschlands ausweitet. Durch diesen Keil wird die feuchtlabile Luft im Süden
nach Osten abgedrängt.
Im Nordosten hält noch der über Polen liegende Hochkeil dagegen. Somit verlagert
sich die flache Tiefdruckrinne vom Nordosten Deutschlands nur allmählich nach
Westpolen. Zwischen dieser Tiefdruckrinne und dem sich von Westen in den Süden
hereinschiebenden Keil kommt eine nordwestliche bodennahe Strömung zustande. Das
Maximum der Niederschläge zeichnet sich über dem östlichen Mittelgebirgsraum ab.
Da dort die Stabilisierung auf sich warten lässt, können mit orografischer
Unterstützung nach wie vor mehrstündig unwetterartige Mengen zustande kommen. Da
in diesen Prozess die im Nordosten Deutschlands noch vorhandene sehr feuchte
Luft (mit einem Flüssigwassergehalt zwischen 30 und 40 mm) einbezogen wird,
können auch extreme Niederschlagssummen nicht ausgeschlossen werden.
Probabilistische Verfahren wie COSMO-LEPS zeigen derartige Signale.
In den anderen Gebieten sollte sich mit der sich durchsetzenden gemäßigteren
Luftmasse eine Entspannung bemerkbar machen.

Mittwoch ... verlagert sich das Höhentief mit seinem Kern nach Südhessen.
Gestützt durch Kaltluftadvektion kann sich der mit seiner Achse über den Alpen
liegende Bodenhochkeil noch etwa kräftigen und nach Osten ausweiten. Ein von dem
über Deutschland liegenden Höhentief ausgehender, nach Polen gerichteter und vor
allem in unteren Troposphärenschichten ausgeprägter Trog schwenkt nordwärts und
aktiviert die über Westpolen liegende flache Tiefdruckrinne erneut. An deren
Rand hält sich die feuchtlabile Luft über dem Nordosten Deutschlands. Allerdings
ist diese Luftmasse dann einer beginnenden Transformation unterworden. Während
sich der Gehalt an niederschlagbarem Wasser kaum verringert, erreicht CAPE nur
noch wenige hundert J/kg. Unwetter (aufgrund der langsamen Verlagerung der
Konvektionszellen vor allem durch heftigen Starkregen) sind zwar weniger
wahrscheinlich als an den Tagen zuvor, können jedoch nicht ganz ausgeschlossen
werden.
In den anderen Gebieten setzt sich eine gemäßigtere Luftmasse durch. Diese ist
zwar noch einigermaßen labil, so dass schauerartige und mit Gewittern
durchsetzte Niederschläge zu erwarten sind. Diese Gewitter sollten jedoch die
für eine markante Warnung festgelegten Schwellenwerte nicht mehr überschreiten.
Die Temperaturen gehen landesweit zurück. Während im Nordosten Höchstwerte
zwischen 22 und 26 Grad zu erwarten sind, werden ansonsten 17 bis 21 Grad
erreicht.

In der Nacht zum Donnerstag liegt das Höhentief stationär über der Mitte
Deutschlands. In dessen Bereich und vor allem an der Südflanke dieses Tiefs, wo
sich etwas Hebung bemerkbar macht, sind weitere schauerartige und zumindest
anfangs noch gewittrige Niederschläge zu erwarten, die dann wahrscheinlich
hinsichtlich ihrer Menge nicht mehr warnrelevant sind.
Die im Norden noch vorhandene, sehr feuchte Luftmasse wird durch
Entrainmentprozesse weiter entschärft. Zudem setzt auch dort, wie bereits in den
anderen Gebieten zuvor, Stabilisierung ein. In der ersten Nachthälfte besteht im
Bereich der nicht allzu weit von der Küste entfernt liegenden flachen
Tiefdruckrinne noch eine geringe Wahrscheinlichkeit für teils gewittrige
Starkniederschläge, danach sollte die Stabilisierung dort der Konvektion den
Garaus machen.
Bei längerem Aufklaren sind vor allem über dem Bergland einstellige
Temperaturminima zu erwarten. Aber auch sonst stellen sich, abgesehen vielleicht
vom Nordosten, meist Tiefsttemperaturen unter 15 Grad ein.

Donnerstag ... bezieht das über Deutschland liegende Höhentief ein weiteres
Höhentief in seine Zirkulation ein, das aus einem früheren Austropfprozess aus
der weit über Nordeuropa hinweg ostwärts verlaufenden Frontalzone resultiert.
Somit ergibt sich über Mitteleuropa ein dipolartiger Höhentiefkomplex, dessen
Drehpunkt sich über der Mitte Deutschlands befindet. Nennenswerte dynamische
Antriebe sind im Kernbereich dieses Gebildes nicht zu finden. Etwas Hebung, die
vor allem durch positive Vorticityadvektion ausgelöst wird, erfolgt im Südwesten
und im Süden Deutschlands. In diesen Gebieten sind auch am ehesten Niederschläge
zu erwarten, die wahrscheinlich nicht warnrelevant sind. Gewitter sollten jedoch
kaum noch auftreten; hierfür ist die Labilität wahrscheinlich nicht mehr
hinreichend. Im Norden lässt sich nach wie vor eine "Schleppe" feuchterer Luft
finden, die noch einen Flüssigwassergehalt zwischen 25 und 30 mm aufweist und
von Nordwesten her bis in die mittleren Landesteile gedrückt wird. Zwar wird
etwas CAPE generiert, aber auch im Bereich dieser Schleppe ist die
Wahrscheinlichkeit für Gewitter gering. Aber selbst, wenn sich ein Gewitter
entwickeln sollte, werden allenfalls noch markante Warnschwellen erreicht.
Ein paar Auflockerungen sind im Osten und Süden am wahrscheinlichsten. Ansonsten
hält sich meist mehrschichtige Bewölkung. Die Tageshöchstwerte erreichen 17 bis
22, im Nordosten bis 24 Grad.


Modellvergleich und -einschätzung
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Die vorliegenden Modelle stützen weitgehend die oben beschriebene Entwicklung.
Prognoserelevante Unterschiede lassen sich nicht finden. Auch hinsichtlich der
Verteilung der Luftmassen ergeben sich im Vergleich zu den anderen Modellen
Parallelen.
Beeindruckend sind die unwetterartigen Starkniederschläge, die ab dem Abend und
in der kommenden Nacht von Südwesten auf die Mitte übergreifend von ICON-D2 und
dessen EPS, aber auch von anderen hochauflösenden Modellen, konsistent simuliert
werden.
Deutlichere Unterschiede ergeben sich jedoch bei der Simulation der Böen heute
Abend und in der ersten Nachthälfte. Während ICON-D2 die Böen zurückgefahren
hat, zeigen die hochauflösenden Modelle des französischen und britischen
Wetterdienstes im Südwesten Deutschlands nach wie vor Signale für Böen bis über
100 km/h.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Thomas Schumann