DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

28-06-2021 08:30
SXEU31 DWAV 280800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Montag, den 28.06.2021 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Übergang von BM (Brücke Mitteleuropa) hin zu TrM oder TM (Trog/Tief
Mitteleuropa)

Frei nach dem Motto Analyse schwierig, Diagnose noch schwieriger, Vorhersage
unmöglich - drei Tage mit Schwergewittern, tendenziell von West-Südwest nach
Ost-Nordost ausbreitend. Hauptverursacher: ein von Frankreich sich allmählich
näherndes Höhentief imposanter Ausprägung. Na dann...

Synoptische Entwicklung bis Mittwoch 24 UTC
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Montag... droht es in einigen Regionen Deutschlands - mal wieder und nach einer
nur kurzen Pause - ganz dicke zu kommen. Als Hauptübeltäter entpuppt sich dabei
ein für Sommer extrem zähes und gut ausgeprägtes, aber auch sehr unbewegliches
Höhentief, das heute früh mit seinem Zentrum knapp vor der bretonischen Küste
seine Kreise dreht, im Tagesverlauf aber vorhat, das französische Festland zu
"betreten". Sonderlich weit nach Osten kommt das Tief bis Tagesende allerdings
nicht voran. Auf alle Fälle induziert es auf seiner Vorderseite eine diffluente
und damit hebungswirksame süd-südwestliche Höhenströmung, von der heute auch der
Westen und Südwesten des Vorhersageraums betroffen sind. Weiter östlich hingegen
sorgt ein mit leicht negativ geneigter Achse (heute Abend von Jütland bis zum
Erzgebirge verlaufend) versehender, quasistationärer Rücken für antizyklonale
Rahmenbedingungen, die sich im Bodendruckfeld allerdings nur schwer wiederfinden
lassen. Dort wird die Szenerie von einer schwammigen, amorph anmutenden
Tiefdruckzone über Westeuropa geprägt, die nun auch immer stärker bis zu uns
auswuchert. Mit diabatischer Unterstützung (Tagesgang) sowie teilweise auch
durch die Orografie initiiert fällt der Luftdruck in den nächsten Stunden noch
etwas, wobei sich zwei kleine, für die Entwicklung bei uns aber entscheidende
flache Tiefs bilden. Während das eine via Benelux bis zum Abend in den
deutsch-niederländischen Grenzbereich zieht, wird sich das andere am
Spätnachmittag vom Schweizer Mittelland ins deutsche Alpenvorland verlagern.
Beide sorgen - einmal im Westen, einmal im Süden - für solide bis gute
Scherungsbedingungen, die bei 0 bis 1 km bis zu 10 m/s, bei 0 - 6 km bis zu 20
m/s (je nach Modell lokal noch etwas mehr betragen). Damit ist die Würze in der
konvektiven Zutatenrezeptur schon mal gewährleistet, womit wird bei der
Luftmasse wären.

Mit der südlichen Anströmung hat sich am Wochenende bereits warme bis sehr warme
und potenziell instabile Subtropikluft durchgesetzt. Heute wird noch etwas
draufgepackt, so dass T850 heute Abend zwischen 13°C im äußersten NO und bis zu
20°C in Nieder- und Oberbayern liegt (=> Tmax 27 bis 33°C). Hinzu kommt vor
allem im Südwesten und Westen eine permanente Feuchteakkumulation, die sich am
Tag noch fortsetzt. Heute früh wurden Taupunkte von z.T. 18°C gemessen und im
Laufe des Tages nehmen das PPW auf 30 bis 40 mm (vereinzelt noch mehr), die
spez. Grundschichtfeuchte auf bis zu 13 g/kg zu. Na wenn das nichts ist. Dass
angesichts solcher Voraussetzungen ML-CAPE von weit über 1000 J/kg, im Südwesten
gar um 2000 J/kg generiert wird, verwundert nur bedingt. Damit sind die
notwendigen Voraussetzungen für Schwergewitter respektive Superzellen gegeben,
stellt sich also noch die Frage, wo genau die Knallerei auftritt und welche
Begleiterscheinungen dabei auftreten.

Nach jetzigem Stand der Dinge, wir sprechen von 07 MESZ, kristallisieren sich
heute zwei Schwerpunkte heraus. Fangen wir mit dem nördlichen der beiden an,
weil er auf der Zeitachse wahrscheinlich etwas früher dran ist als der südliche
Part. Ab dem frühen Nachmittag muss vor allem in NRW - teils an einer
Windkonvergenz, teils an der Orografie - mit der Auslöse einzelner kräftiger
Gewitter gerechnet werden, die sich im weiteren Verlauf rasch vermehren und
zusammenwachsen, um dann in den Abendstunden möglicherweise als gebogene
Linienstruktur auf Niedersachsen überzugreifen. Unwettergefahr ist hoch,
insbesondere durch Starkregen (hohe Wahrscheinlichkeiten ICON-DE-EPS) und
größeren Hagel bis 3 cm. Dazu kommen Böen bis Stärke 9 Bft, im Falle sehr guter
Organisation evtl. sogar 10 Bft. Und im Bereich Niederrhein, wo die
Richtungsscherung in der unteren Troposphäre durch die Nähe zum o.e. Tief sehr
gut ausgeprägt ist und das HKN recht weit nach unten sinkt, besteht sogar ein
gewisses Tornadopotenzial. Bis

Kommen wir zum zweiten Schwerpunkt, der sich wahrscheinlich erst am späteren
Nachmittag bzw. den frühen Abendstunden im Südwesten (BW) etabliert. Dort
entwickeln sich im Schwarzwald und über der Alb erste Zellen, die aber
zusätzliche Unterstützung durch "konvektive Importware" aus der Schweiz und von
den Vogesen erfahren. So kommt es am Abend zu einer raschen Vermehrung von
superzellentauglichen Gewittern, die schlussendlich (wann genau ist unklar) in
ein MCS münden, das sich in der Nacht via Franken bis in die mittleren
Landesteile vorarbeitet. Labilität, Feuchte und Scherung sind im Südwesten noch
etwas besser ausgeprägt als im Westen, hinzu kommt noch eine Druckanstiegswelle
hinter dem sich von Schweiz ins Alpenvorland verlagernden Tiefs. Neben
Starkregen um 30 l/qm innert kurzer Zeit kommen großer Hagel bis oder sogar um 5
cm als begleitende Parameter in Frage sowie (schwere) Sturmböen 9-10 Bft. Gerade
in den Abendstunden sind in Verbindung mit der Druckanstiegswelle sowie bei gut
organisierter Zellstruktur sogar orkanartige Böen 11 Bft oder Orkanböen 12 Bft
drin.

Was z. Zt. immer noch unsicher ist, ob und wie viele Gewitter östlich des
südwestlichen Tamtams aus den Alpen heraus nach Südbayern ziehen. Dort scheint
die Luftmasse leidlich gedeckelt und die Auslöse durch den überlagerten Rücken
erschwert. Wenn, dann sind auch diese Zellen kräftig bis unwetterartig. Darüber
hinaus kann es natürlich auch zwischen den beiden genannten Schwerpunkten im
Westen und in der westlichen Mitte gewittern, wenn auch - offensichtlich wirkt
sich kompensatorisches Absinken konvektionshemmend aus - mit geringerer
Wahrscheinlichkeit. Auch die Unwettergefahr ist in diesen Regionen vermindert.


Bei all dem freilich notwendigen Getöse um die Gewitterei soll natürlich nicht
vergessen werden, dass es im großen Rest des Landes bei viel Einstrahlung
weitgehend trocken bleibt bei Temperauren bis zu 33°C. Vielleicht mal ein
Schauer im östlichen Mittelgebirge oder im Bereich einer durchaus ausgeprägten
Seekonvergenz im Norden (selbst ein vereinzeltes Gewitter ist dort nicht
gänzlich ausgeschlossen), das war´s dann aber auch.

In der Nacht zum Dienstag ziehen die Gewitter aus dem Westen und Nordwesten
unter allmählicher Abschwächung nach Norden ab. Dagegen droht im Südwesten,
namentlich in Teilen BWs, extremer Starkregen, wenn sich nämlich die Gewitter zu
einem größeren Komplex vereinigt haben (MCS), der sich nur langsam
nord-nordostwärts ausweitet. Anfangs sind natürlich auch noch größerer Hagel und
Sturm/Orkan am Start, allerdings treten diese Parameter mit zunehmender
Nachtlänge und beginnender Entkopplung von der Grundschicht in den Hintergrund.
Dafür sollte es nicht überraschen, wenn binnen weniger Stunden gebietsweise 40
bis 60 l/qm, stellenweise sogar um 80 l/qm Regen binnen weniger Stunden fallen.
Die Prognosen von ICON-D2-EPS sind nicht nur konsistent, sie sind auch überaus
bemerkenswert. Wann sieht man schon mal Wahrscheinlichkeiten bis 100% (also alle
Member) für Mengen > 35 l/qm in 6 h und bis zu 80% für Mengen > 60 l/qm in 6 h
sowie ein Median von 40-50 l/qm in der Spitze!

Nach Abzug des Gewitterclusters sind in BW noch weitere Regenfälle oder gar
Gewitter möglich, allerdings nicht mehr do heftig wie zuvor. Trocken bleibt es
im Osten und Nordosten und auch Südostbayern dürfte wohl nicht viel abbekommen.
Die Tiefstwerte liegen zwischen 20 und 14°C.

Dienstag... rückt das Höhentief bis in den Großraum Paris vor, wodurch der
Höhenrücken sukzessive nach Polen abgeschoben wird. Damit gelangt quasi der
gesamte Vorhersageraum auf die diffluente Vorderseite des Tiefs, wobei die
stärksten synoptisch-skaligen Hebungsimpulse im Südwesten diagnostiziert werden.
Die Bodendruckverteilung bleibt extrem flau, wobei der schwache Wind in weiten
Teilen auf westliche Richtungen dreht. Lediglich im äußersten Osten und
Nordosten hält sich noch längere Zeit eine Konvergenz und auch an den Alpen
deutet sich im Zuge alpinen Druckfalls eine Drehung auf nördliche Richtungen an.


Schaut man auf die Luftmassenqualität, fällt eine gewisse Abnahme der Labilität
ins Auge, die uns aber nicht die Augen verwischen soll. Auch die Tatsache, dass
die Luft im Westen und Süden geringfügig abtrocknet und das Feuchtemaximum (PPW
um 40 mm, s.F. bis 13 g/kg) in den Norden und Osten verschoben wird, sollte uns
ebenso nicht zu falschen Schlüssen verleiten wie die Tatsache, dass die Luft von
Westen her beginnt abzukühlen (T850 am Abend im Westen nur noch um 10°C). Der
Treibstoff reicht immer noch aus, um in Verbindung mit der diffluenten
Süd-Südwestströmung in der Höhe ordentlich Bambule auszulösen, wobei es
zusehends schwieriger wird, die zeit-räumlichen Abläufe vernünftig in den Griff
zu bekommen.

Versuchen wir es trotzdem und starten mit den Regen- und Gewitterresten aus der
Nacht, die sich von der Mitte allmählich in den Norden und Osten verlagern.
Dabei besteht in den Morgen- und Vormittagsstunden Starkregengefahr, teils auch
ungewittrig. Schwerpunkt dürfte der Raum Ostniedersachsen/Sachsen-Anhalt sein.
Im weiteren Verlauf könnten diese Gewitter und Regenfälle durch den Tagesgang
wieder aufgefrischt werden (CAPE meist zwischen 500 und 1000 J/kg), so dass von
einigen kräftigen Entwicklungen auszugehen ist. Aufgrund sich verschlechternder
Scherung dürften die Gewitter im Wesentlichen als langsam ziehende Einzel- oder
Multizellen in die Bütt treten, wobei Unwetter durch Starkregen oder größere
Hagelansammlungen wahrscheinlich sind. Ansonsten sind lokal auch etwas größere
Hagel und Sturmböen möglich, sollten aber gegenüber dem Starkregen in den
Hintergrund treten.

Ansonsten gilt es im Tagesverlauf zum wiederholten Male dieser Tage seinen Blick
in Richtung Ostfrankreich respektive Südwestdeutschland zu schärfen und auch die
Alpen nebst Vorland sollte man auf dem Radar haben. Dort kommt es am Nachmittag,
teils durch Bildung vor Ort, teils durch Advektion vermehrt zu kräftigen, teils
superzellulären Gewittern die Scherung bleibt sehr passabel mit bis zu 20 m/s
DLS), die zum Abend hin mehr und mehr zu einem größeren System verclustern.
Dieses System/MCS soll dann in der Nacht zum Mittwoch ost-nordostwärts über
Bayern gen Tschechien (saubere Performance vs. Oranje) bzw. Sachsen und
Thüringen ziehen. Die Unwettergefahr ist weiterhin enorm hoch, wobei ähnliche
Abläufe wie heute gelten: erst größerer Hagel und Sturm- oder gar Orkanböen mit
dem obligatorischen Starkregen (Hinweise für extremen SR in BW da, aber geringer
als heute), im Laufe der Nacht dann zunehmende Starkregenlastigkeit, teils sogar
ungewittrig.

Ansonsten lässt sich noch konstatieren, dass im äußersten Osten und Nordosten
sowie in Südostbayern noch für einige Zeit die Sonne scheint mit Höchstwerten
von bis zu 32°C an Oder und Neiße. Im gesamten Westen und Südwesten hingegen
werden 25°C kaum oder nicht mehr erreicht.

Die Nacht zum Mittwoch rückt das Höhentief bis zur deutsch-französischen Grenze
vor, was nichts Gutes bedeutet. Trotz konvektionsunfreundlicher Tageszeit sind
weitere, teils starke oder auch unwetterträchtige Gewitter garantiert, sei es
durch das o.e. System, sei es durch Neuentwicklungen oder Fortsetzungen vom
Tage. Ohne hier schon ins Detail zu gehen zeichnen sich die (westliche) Mitte
sowie der Nordosten als die Areale mit der höchsten Aktivität ab.

Mittwoch... greift das Höhentief auf deutsches Territorium über, während die
Tiefdruckzone am Boden leicht phasenverschoben allmählich nach Osten abgedrängt
wird. Mit westlichen Winden setzt sich landesweit nicht mehr so warme Meeresluft
durch (T850 am Abend zwischen 12°C in Vorpommern und 6°C in der Eifel), die auch
nicht mehr über so viel Energie verfügt wie die Warmluft zuvor. Trotzdem, von
wirklicher Wetterberuhigung kann mitnichten die Rede sein, gebietsweise stehen
auch am Mittwoch wieder kräftige vertikale Umlagerungen auf der Karte. Vor allem
im Nordosten, wo die Luftmasse mit Abstand noch am wasserdampfhaltigsten ist
(PPW um 40 mm), muss mit Unwettern durch Starkregen gerechnet werden. Aber auch
sonst sind noch ganz ordentliche Knaller am Start (markant, lokal WU durch
Starkregen), wobei sich der Verfasser heute noch nicht zur zeit-räumlichen
Verteilung äußern möchte. Zum einen steht die genaue Position des Höhentiefs
noch nicht fest, zum anderen gilt es erst mal die Entwicklung der
Vortage/-nächte zu durchleben, die sicherlich noch größere Verrückungen in den
numerischen Prognosen nach sich zieht.

Die Temperatur wird runtergestutzt auf 18 bis 24°C, nur im Osten reicht es
gebietsweise noch für einen Sommertag.

Modellvergleich und -einschätzung
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Wie so oft bei vergleichbaren Lagen offenbaren die verschiedenen Modelle bei den
Basisfeldern eine trügerische Einigkeit, die dann bei der daraus abgeleiteten
Wetterentwicklung ganz schnell ins Heterogene abgleitet. Immerhin hat man sich
mittlerweile auf die Schwerpunkte der Konvektion einigen können, zumindest was
den heutigen und den morgigen Tag angeht. Entsprechend wurden nach der
morgendlichen TelKo Vorabinformationen herausgegeben und auch am Dienstag ist
für den Südwesten eine weitere zu erwarten.
Was heute noch auffällt, dass zwischen den beiden Gewitterschwerpunkten (z.B. in
Hessen) trotz sehr guter Bedingungen (Konvektionsfavorit) nur wenige Gewitter
simuliert werden. Offensichtlich mangelt es an Auslösemechanismen (Stichwort
kompensatorisches Absinken), zumindest aus Modellsicht. Mal sehen, ob sich die
Natur an diese Vorgaben hält.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann