DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

27-06-2021 09:01
SXEU31 DWAV 270800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Sonntag, den 27.06.2021 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Noch BM (Brücke Mitteleuropa), später Übergang zu HNz (Hoch Nordmeer
zyklonal)

Heute nur vereinzelte, ab Montag vermehrt und auch organisiert (MCS im
Südwesten) Gewitter mit zunehmender Unwettergefahr (als hätt´s nicht schon genug
gehabt im Juni).


Synoptische Entwicklung bis Dienstag 24 UTC
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Sonntag... ist die großräumige Potenzialverteilung dabei, so etwas wie das Omega
des kleinen Mannes zu produzieren. Als wesentlicher Impulsgeber fungiert ein
veritables Höhentief über der Biskaya, das sich im Tagesverlauf der Bretagne
nähert. Vorderseitig sorgt schwache WLA für den die Kräftigung eines derzeit
noch etwas schwächlich daherkommenden Rückens, der sich nun aber am heutigen
Sonntag genau über dem Vorhersageraum beginnt aufzuwölben. Komplettieren tut das
Muster ein gradientschwacher, dafür aber recht großräumiger Trog, der von
Nordeuropa über das Schwarze Meer hinweg bis zur Türkei reicht.

Tja, und da es sich "nur" um ein Omega des kleinen Mannes handelt, fallen auch
die Strukturen im Bodendruckfeld nicht gerade potent aus. Der eher schwammigen
Tiefdruckzone XERO über Westeuropa steht bei uns das eher bröckelige Hoch AFRA
gegenüber (unter 1020 hPa), das quasi die Verlängerung eines langgestreckten
Hochs über dem mittleren Nordatlantik darstellt. Schwammig hin, bröckelig her,
gemeinsam schaffen es die beiden Protagonisten, uns mit warmer bis sehr warmer
(T850 heute Abend zwischen 11°C im Nordosten und bis zu 17°C im Süden => 26 bis
31°C, nur zur Küste hin weniger), allerdings auch zunehmend feuchter Luft zu
versorgen, so dass - mal wieder möchte man sagen - das Thema Gewitter heute noch
mit dicken Bremsklötzen, ab morgen dann aber "frei Hand" in die Schlagzeilen
rückt.

Zunächst mal startet der heutige Sonntag aber ziemlich beschaulich, auch wenn es
schon in den frühen Morgenstunden ein kleines Gewitter geschafft hat, unweit von
Darmstadt sich einiger Weckrufe zu entlocken. Ansonsten zeigt der Blick auf die
Remote-Sensing-Produkte, dass von Frankreich her mehr oder weniger dichte,
überwiegend hohe und mittelhohe Bewölkung in Teile des Landes gelangt, die beim
Überlaufen des sich aufbauenden Höhenrückens aber zusehends auseinanderbröselt.
Unter dem Strich bedeutet das heute für Viele von uns einen sonnigen bis
heiteren, mitunter auch mal wolkigen, aber meist trockenen Sonntag. In den
Norden, wo schwacher Wind aus nördlichen Richtungen präsent ist, sind in der
Nacht ein paar tiefe stratiforme Wolken aufgezogen, die sich im weiteren Verlauf
in Quellungen umwandeln. Hinzu kommt eine leicht erhöhte Feuchte, was sich nicht
nur an den Taupunkten (um 15°C), sondern auch in einem erhöhtem PPW zwischen 25
und 30 mm sowie einer spezifischen Grenzsschichtfeuchte von knapp unter 10 g/kg
widerspiegelt. Da die Luftmasse leidlich labil geschichtet ist, wird etwas CAPE
generiert (unter 500 J/kg), das von einem kurzwelligen, den Rücken überlaufenden
Troganteil freigesetzt und zu einzelnen Schauern verarbeitet wird. Es ist nicht
ganz auszuschließen, dass dabei auch mal zu einer elektrischen Ladung kommt.

Etwas wahrscheinlicher sind vereinzelte Gewitter aber Westen und Südwesten, wo
die Luftmasse z.T. noch etwas mehr hergibt als im Norden. So ist zumindest
gebietsweise nicht nur etwas mehr Wasserdampf und Labilität vorhanden, es liegt
auch etwas Scherung vor (DLS um 15 m/s). Was nicht so passt - und darum wird es
heute auch noch nicht zum ganz großen Feuerwerk reichen - sind zum einen die
Bewölkung, die eine größere CAPE-Bildung dämpft. Zum anderen hat der überlagerte
Rücken wenig bis kein Interesse, sich an der Produktion konvektiver Umlagerungen
in irgendeiner Weise konstruktiv zu beteiligen. Bleiben als Zündkerzen also die
Orografie sowie erste konvergente Windstrukturen, die von Frankreich und Belgien
her als Outflow Boundaries in den äußersten Westen und Südwesten vorstoßen. Am
ehesten reicht es aus den linksrheinischen Mittelgebirgen sowie aus dem
Schwarzwald heraus für einzelne Überentwicklungen. Möglich ist aber auch ein von
Frankreich herüberdriftendes, in die Wolkendecke eingelagertes "embedded TS".
Bei den Alpen dürfte wohl eher der inneralpine Raum von Konvektion betroffen
sein. Die Gewitter sind in der Basis markant (Starkregen bis 25 l/qm innert
kurzer Zeit, kleinerer Hagel und Böen 7-8 Bft), können in wenigen Einzelfällen
aber das WU-Kriterium für Starkregen (> 25 l/qm/h) durchaus erreichen.

In der Nacht zum Montag zieht das kleine Trögelchen über dem Norden in Richtung
Polen ab, während der Rücken bei uns noch etwas an Substanz zulegt. Im Verbund
mit dem Tagesgang reicht das, um der abendlichen und ohnehin nicht verbreitet
auftretenden Konvektion das Wasser abzugraben, zumindest zu großen Teilen. Bis
in die ersten Nachthälfte hinein kann es aber im Westen und Südwesten punktuell
noch blitzen und donnern oder auch einfach nur regnen, und selbst nach
Mitternacht ist (siehe heute früh Darmstadt) ein vereinzeltes Gewitter aufgrund
von Labilisierungsprozessen an der Wolkenobergrenze nicht gänzlich
auszuschließen. Nach Westen hin wird es zudem so langsam auch wieder schwieriger
mit dem Lüften. Nicht ausgeschlossen, dass es in der einen oder anderen
Metropole schon nicht mehr unter 20°C abkühlt (=> Tropennacht).


Montag... setzt das Drehzentrum des westeuropäischen Höhentiefs seinen Ostkurs
fort, es zieht von der Bretagne in die Normandie. Warum auch nicht, ist ja
gerade Tour de France. Für unseren Rücken bedeutet das ebenfalls eine leichte
Progression, wobei er sich aber noch ein wenig aufwölben kann. Zum Tagesende
reicht seine Achse in 500 hPa etwa von Jütland über das Erzgebirge hinweg
südostwärts. Westlich davon gelangt der Vorhersageraum immer mehr auf die
Vorderseite des Höhentiefs unter eine recht steile, zunehmend zyklonal
konturierte südliche Höhenströmung.

Aber nicht nur in der Höhe wird das Setup zyklonaler, auch im Bodendruckfeld tut
sich diesbezüglich was. Die ohnehin nicht vor Kraft strotzende AFRA muss dem
leichten Druckfall Tribut zollen und Substanz abgeben, wodurch sich von Benelux
her ein flaches, zonal ausgerichtetes Tief (als Teil der weiterhin über
Westeuropa anwesenden "schwammigen" Tiefdruckzone) bis nach Nordwestdeutschland
mogeln kann. Damit wird nicht nur ein konfluentes Windfeld geschaffen, mit den
auf der Südflanke auftretenden südlichen Winden wird hinter einer nordwärts
ziehenden Warmfront zudem feuchte (PPW teils über 35 mm) und labile Warmluft
herangeführt. Dabei muss ab dem Nachmittag vom zentralen Mittelgebirgsraum (um
Thüringen herum) über das südliche Niedersachsen und Ostwestfalen bis ins
Emsland mit zunächst einzelnen, zum Abend hin dann vermehrten Überentwicklungen
gerechnet werden. Bei geringer Scherung dürfte es sich um pulsierende Einzel-
oder Multizellen handeln, die zum Abend hin vielleicht sogar das Zeug zu einer
durchbrochenen Linie haben. Meist dürften die Gewitter markanten Kriterien
genügen, wobei gerade beim Starkregen aber schnell die Schwelle zum Unwetter
zumindest lokal gerissen wird.

Weitaus heftiger jedenfalls könnte es im Laufe des Nachmittags im Südwesten im
und um den Schwarzwald herum werden, wenn ein flaches Tief aus dem Schweizer
Mittelland heraus in Alpenvorland zieht und auf seiner Rückseite eine knackige
Druckwelle erzeugt. Die deutliche Richtungskonvergenz (Ost vs. West) an der
Druckwelle in Zusammenarbeit mit der Orografie sowie der zunehmend zyklonalen
Höhenströmung lösen Gewitter aus, die sich bei sehr soliden Scherungsbedingungen
(LLS teils um 10 m/s, DLS gebietsweise zwischen 15 und 20 m/s) rasch zu einem
größeren System organisieren. Bei PPWs, die punktuell in Richtung 40 mm gehen
und CAPE-Werten von z.T. rund 2000 J/kg sind Unwetter vorprogrammiert. Dabei ist
Starkregen von 25 bi 40 l/qm innert kurzer Zeit ebenso auf der Agenda wie
größerer Hagel bzw.- ansammlungen und (schwere) Sturmböen, vielleicht sogar
orkanartige Böen (inverse V-Struktur fördert Downburstgefahr). In wie weit im
Vorfeld dieses Gewittersystems auch schon aus den Alpen heraus einzelne Zellen
ins Vorland ziehen, wird derzeit noch uneinheitlich simuliert.

Damit sich hier nicht alles nur um Gewitter dreht, sei an dieser Stelle noch
vermerkt, dass es im größten Teil der Republik auch morgen trocken bleibt und
dass dabei verbreitet die Sonne scheint. Bei weiterer niedertroposphärischer
Erwärmung - T850 steigt bis zum Abend auf rund 13C im Nordwesten und bis zu 20°C
in Schwaben und Oberbayern - wird auch in 2 m draufgesattelt auf landesweite
Höchstwerte zwischen 27 und 33°C. Lediglich unmittelbar an der See, wo sich eine
auflandige Windkomponente einstellt, wird es nicht ganz so warm respektive heiß.


In der Nacht zum Dienstag verlagert sich das wahrscheinlich als MCS durchgehende
Gewittersystem mit der leicht diffluenten Süd-Südwestströmung langsam
nord-nordostwärts in Richtung Mitte. Der Lebenszyklus des Systems wird durch
kurzwellige Troganteile zusätzlich noch etwas verlängert, wobei durch zunehmende
Abkopplung von der Grundschicht Hagel und Sturm eher abnehmende Tendenz
aufweisen und dafür das (extreme) Starkregenkriterium immer stärker in den Fokus
rückt, auch mehrstündig. Wo genau die Schwerpunkte liegen werden, lässt sich
heute Morgen noch nicht belastbar abschätzen. Es herrscht aber insofern Konsens,
als dass ein von BW über Unterfranken bis nach Hessen und partiell auch noch
Thüringen beim Buchmacher ganz weit oben auf der Favoritenliste stehen.
Unabhängig davon können sowohl im Südwesten als auch im Westen vom eigentlichen
Cluster abgesetzte Gewitter auftreten.

Im Norden und Nordwesten hingegen schwächt sich die Konvektion vom Tage mehr und
mehr ab respektive zieht auf die Nordsee und nach Dänemark (Glückwunsch zum
Einzug ins Viertelfinale) ab. Und im gesamten Osten und Nordosten bleibt es
unter der Ägide des Höhenrückens ohne hin trocken - noch. In einigen Metropolen
dürfte es für eine Tropennacht mit 20°C oder etwas darüber reichen.

Dienstag... kommen wir weiterhin nicht zur Ruhe, im Gegenteil, das konvektive
Geschehen breitet sich flächenmäßig noch etwas aus. Zwar kommt das Drehzentrum
des westeuropäischen Höhentiefs nicht nennenswert nach Osten voran, allerding
scheint es seine bis dato nahezu kreis-konzentrisch angeordneten Isohypsen auf
Kosten einer eher elliptischen Anordnung aufzugeben. Oder anders ausgedrückt,
obwohl die Vertikalachse nahezu stationär bleibt, weitet das Tief seinen
Wirkungsradius nach Osten aus. Da gleichzeitig der o.e. Höhentrog östlich von
uns etwas Platz macht, wird der dazwischenliegende Rücken immer weiter aus
Deutschland herausgedrückt und durch eine landesweite diffluente und leicht
zyklonal konturierte Süd-Südwestströmung ersetzt.

Das Bodendruckfeld bleibt nach wie vor schwachgradientig, tendenziell aber
zyklonal aufgestellt. Lediglich im Süden macht sich leichter Druckanstieg in
Form eines schwachen Keils bemerkbar, der aber keinesfalls über die
Möglichkeiten verfügt, die nötig wären, um weitere konvektive Prozesse gänzlich
auf null zu stellen. Hier ist ganz klar das Höhentief tonangebend und so wird es
im Laufe des Dienstags im Südwesten möglicherweise nochmals von Frankreich her
zu stärkerer, ja sogar organisierter Konvektion kommen, die in den Abendstunden
nach Bayern ziehen soll. Propagiert wird das vor allem von SuperHD, SwissHD und
GFS. Andere Modelle wie ICON oder IFS agieren zurückhaltender, aber längst nicht
gewitterfrei (insbesondere an den Alpen und im Vorland werden mehr
Überentwicklungen gerechnet), weswegen die Geschichte an dieser Stelle auch noch
nicht ad infinitum ausdiskutiert wird. Immerhin zeichnet sich mit Winddrehung
auf westliche Richtungen eine gewisse Abkühlung (T850 am Abend im äußersten
Westen und Südwesten nur noch bei 10°C), Stabilisierung und auch Abtrocknung ab
(PPWs trotzdem noch zwischen 25 und 30 mm, örtlich auch darüber).

In der Mitte und im Westen gilt es erst einmal die veritablen Reste aus der
Nacht zu verarbeiten. Dabei sind sowohl Gewitter als auch (ungewittrige)
Starkregenfälle möglich, die im Tagesverlauf in den Norden und Nordwesten ziehen
und dabei möglicherweise noch mal ein Refreshing bekommen (potenzielle Unwetter
vor allem wegen Starkregen). Allerdings wird es auch diesbezüglich mit den
Details immer schwieriger, was ein flüchtiger Blick auf verschiedene
Modelllösungen eindrucksvoll belegt. Diese behandeln auch den Osten und
Nordosten derzeit (noch) unterschiedlich. Während ICON und IFS offensichtlich
dem scheidenden Rücken noch ausreichend Abwehrkräfte zugestehen, zeigen die
GFS-angetriebenen Modelle eine stärkere Anfälligkeit für Schauer und Gewitter.
Fakt ist, dass im Osten und Nordosten eine deutliche Windkonverzenz durchgehen
soll, an der gerade auf der "kalten" Seite nach vorheriger Einstrahlung was
gehen könnte (ausreichend Feuchte und CAPE bei gleichzeitig sinkender
Wolkenbasis).

Noch ein Satz zur Temperatur, die im Osten und Nordosten die 30°C-Marke
überschreitet (bis 33°C), während im Westen und Südwesten häufig keine 25°C mehr
erwartet werden.

In der Nacht zum Mittwoch kommt es vorderseitig des Höhentiefs zu weiteren
Gewittern und Regenfällen, teils unwetterartig durch Starkregen. Wie wo wie
viel, dazu in den Folgeübersichten mehr.

Modellvergleich und -einschätzung
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Obwohl die Basisfelder der etablierten Modelle bis Dienstag sehr kongruent
aussehen, wird die Vorhersage vor allem am letzten Tag deutlich unsicherer.
Konvektiv geprägte Niederschläge gehören halt immer noch zu den großen Rätseln
der Atmosphäre, die von Mensch und Maschine trotz unstrittig großer Fortschritte
in den vergangenen Jahren im Vorfeld noch immer nicht befriedigend geknackt
werden können. Kein Vorwurf, nur eine Feststellung!

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann