DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

20-06-2021 08:01
SXEU31 DWAV 200800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Sonntag, den 20.06.2021 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Süd zyklonal (Sz)

Heiß mit hoher Unwettergefahr. In den kommenden Tagen zögernd weniger heiß,
Unwetter vor allem noch durch Starkregen.

Synoptische Entwicklung bis Dienstag 24 UTC
--------------------------------------------------------------
Am heutigen Sonntag... liegt unser Land auf der Vorderseite eines
Langwellentroges mit eingebettetem Höhentief im Bereich der westlichen Biskaya.
Ein Höhenrücken ist dagegen von Süden her ins östliche Mitteleuropa gerichtet.
In der südsüdwestlichen Strömung, in der Deutschland derzeit liegt, werden schon
seit Tagen (allerdings zunächst westlich unseres Landes) immer wieder
kurzwellige Troganteile mit zugehörigen Gewitterkomplexen nordwärts gesteuert.
Derzeit läuft eine Kurzwelle über die Niederlande hinweg zu Nordsee, das
zugehörige Gewittergebiet überquert derzeit (06:30 Uhr MESZ) den Nordwesten
Deutschlands. Auf seiner Rückseite fließt vorübergehend etwas weniger heiße und
labile Luft in den Westen Deutschlands, was sich an den Frühtemperaturen in 2 m
heute früh kaum ablesen lässt, da Bewölkung und Wind die Ausbildung einer
nächtlichen stabilen Grenzschicht verhindert haben, was wohl einigen Orten heute
einen neuen Rekord der nächtlichen Minimumtemperatur (in der noch recht kurzen
Zeitreihe im Offenbacher Wetterpark wurde gestern schon einer aufgestellt)
zumindest für Juni bescheren dürfte. Hinzu kommt, dass in der Strömung heute
tagsüber ein Rücken nordwärts gesteuert wird, so dass zu dem üblichen
tagesgangbedingten Minimum der Konvektion auch noch dynamisch bedingt etwas
Stabilisierung eintritt. Der bodennahe Wind soll in den meisten Teilen
Deutschlands an der Südflanke des Tiefs Ulfert auf West drehen. Allerdings soll
sich im Tagesverlauf nördlich der Alpen ein Leetief bilden, so dass der Wind im
Süden teils sogar bis Nordost rückdreht. Unter dem Rücken verstärkt sich wieder
die Warmluftadvektion, so dass die labile und heiße Luftmasse wieder etwas nach
Norden und Westen vorankommt. Zwar scheint heute bei Weitem nicht den ganzen Tag
die Sonne, die Einstrahlung (im Osten etwas mehr als im Westen) erlaubt aber bei
850-hPa-Temperaturen (heute Mittag) von 11°C im Nordwesten und 20°C im Südosten
heute wieder Höchstwerte zwischen 27 und 33°C, im Nordwesten etwas weniger, in
Oder- und Neißenähe etwas mehr. Damit bauen sich vom Süden über die Mitte bis
zum Osten vielfach CAPE-Werte zwischen 1000 und 2000 J/kg auf, teilweise wird
sogar noch mehr simuliert. Das ausfällbare Wasser liegt vielfach zwischen 35 und
40 mm. Hier und da, vor allem über dem Bergland, kann es am Nachmittag schon
einzelne Gewitter geben, die durchaus auch stark ausfallen können, denn Scherung
ist auch genug da. Wirklich interessant wird es aber ab dem Spätnachmittag:

In die oben erwähnte Luftmasse läuft heute Abend nämlich von Südwesten her ein
Kurzwellentrog, an dessen Vorderseite sich ein neuer Gewitterkomplex bilden
soll. Die hochreichende Scherung (0 bis 6 km) liegt über weiten Teilen
Deutschlands in etwa zwischen 12 und 22 m/s, was ausreichend ist für gute
Organisation der Zellen und auch einzelne Superzellen. Zudem kommt es durch die
Drehung des Windes auf Ost bis Nordost in Süddeutschland zu erheblicher
Richtungsscherung in den unteren Schichten, zumindest kleinräumig werden über 10
m/s auf dem untersten Kilometer angeboten, dazu erhebliche SRH-Werte von teils
über 200 m²/s². Damit sind alle Zutaten für eine Schwergewitterlage vorhanden
und wir dürfen neben heftigem Starkregen (vereinzelt extrem) auch mit großem
Hagel (Superzellen!) und orkanartigen Böen, eventuell sogar Orkanböen rechnen.
Insbesondere nach Osten hin ist die Grenzschicht noch etwas trockener, so dass
Potential für sehr starke Fallböen erhöht ist, nach Westen hin, vor allem vom
Bodensee bis nach Franken, wo schon mehr Feuchte vorhanden ist und die
Wolkenbasen niedriger sind, besteht Tornadopotential. Richtung Nordwesten und
ganz im Südosten ist das Gefahrenpotential durch die Gewitter geringer. In der
Nacht wird der Kurzwellentrog und mit ihm der Gewitterkomplex über die Mitte
Deutschlands hinweg nach Norden gesteuert. Dabei dürfte sich die Gefahr von
Sturm und Hagel langsam verringern, zumal die Konvektion in der zweiten
Nachthälfte dann oft auch abgehoben sein kann. Dies zeigt auch ICON-D2-EPS, das
Böenpotential (immerhin vereinzelt Bft 12 simuliert) über Mitteldeutschland
stark zurückgehen lässt. Starkregen ist dagegen auch weiter nach Norden hin noch
ein Thema. Dementsprechend wurden zwei Gebiete mit Vorabinformationen definiert.


Rückseitig der Gewitter stabilisiert sich die Lage und die Wolken lockern
teilweise auf. Nach dem MOS werden Tiefstwerte zwischen 21 Grad im Osten und 13
Grad im Nordwesten erwartet. Tatsächlich dürfte aber in den nicht unmittelbar
von Gewittern betroffenen Gebieten, in denen aber der Wind auffrischt und
Bewölkung über den Himmel zieht, teilweise auch noch mit höheren Tiefstwerten zu
rechnen sein.

Am Montag... ändert sich die großräumige Lage nur wenig. Der Langwellentrog
kommt etwas nach Osten voran, so dass wir zunehmend in den Trogbereich geraten.
Dies spiegelt sich auch im Temperaturniveau wieder, denn südlich des nach Norden
abziehenden Gewitterkomplexes kommt etwas weniger heiße Luft bis in den Osten
Deutschlands voran. Lediglich ganz im Osten soll sich noch die Heißluft halten.
Dort werden in 850 hPa ganz im Osten noch einmal über 16°C angepeilt, sonst sind
es meist 9 bis 14°C mit den tiefsten Werten im Nordwesten. Die Druckverteilung
ist relativ flach, nach dem ICON-Modell soll sich in der Mitte ein Druckminimum
ausbilden, das allmählich nach Osten wandert, so dass im Norden der Wind auf
nördliche Richtungen dreht, im Süden kommt er aus West. Zudem schiebt sich in
den Bereich der Nordsee - über die Trogachse hinweg ostwärts - der Keil des
Azorenhochs. In der ersten Tageshälfte müssen erst einmal -wie heute- noch die
Gewitter nach Norden abziehen, die dann bezüglich Hagel und Sturm nicht mehr
unwetterartig ausfallen sollten, beim Starkregen (teils kurzeitig, vor allem
aber mehrstündig) muss man aber bei großen Gewitterkomplexen durchaus aufpassen.
Rückseitig der Gewitter schwenkt von Süden erneut ein kurzwelliger Rücken sein,
der zusammen mit dem Tagesgang und der dann teilweise verbrauchten Labilität für
etwas Beruhigung sorgt. Zeitweise kommt wieder die Sonne heraus, nur ganz im
Nordwesten soll viel Bewölkung herrschen und in Nordseenähe soll es auch immer
wieder schauerartig regnen. Dort werden dann auch Höchstwerte unter 20°C
erwartet, in den meisten Regionen werden es aber wieder 25 bis 30°C, ganz im
Osten sogar wieder etwas mehr. Vom Modell werden durchaus wieder hohe CAPE-Werte
angeboten (abgesehen vom Nordwesten), zudem zeigt sich von Westen her vor allem
in 300 hPa in der zweiten Tageshälfte zunehmende Zyklonalisierung. Im Laufe des
Tages sollen dann wieder Gewitter ausgelöst werden, die allerdings weniger
heftig werden als am Vortag. Zum einen ist die Luftmasse dann schon wieder etwas
weniger labil (außer ganz im Süden und Osten), zum anderen wird auch etwas
weniger Scherung simuliert. Cosmo-D2 simuliert das größte Potential für
Starkregen und Sturm dann auch im Süden und Osten, sowie ein weiteres
Starkregenmaximum im Bereich des Tiefs / der Konvergenz im Bereich der
nördlichen Mitte. Sicherlich besteht vor allem bezüglich des Starkregens dann
auch wieder Unwetterpotential, ganz im Süden und Osten vielleicht auch wegen des
Hagels, insgesamt geht die Gefahr im Vergleich zum Vortag deutlich zurück.
Genaueres kann man sowieso erst kurzfristig sagen, da der heute zu erwartende
Gewitterkomplex die synoptische Lage und damit auch die Prognose noch erheblich
modifizieren kann.

In der Nacht zum Dienstag ändert sich die synoptische Lage kaum. Es soll zu
weiteren Gewittern kommen, wobei die Modelle größere Gewitterkomplexe (oder
gewittrigen Starkregen) simulieren, die dann vor allem wegen Starkregens
gefährlich werden können, teils auch wieder bis in den Unwetterbereich. ICON
lässt solche Komplexe zum Beispiel in den Südwesten und Osten ziehen, GFS und
Euro4 vom Süden bis in die Mitte. In der insgesamt weniger heißen Luftmasse
kühlt es sich wieder etwas besser ab: Angepeilt werden zwischen 18°C im Osten
und 9°C in der Eifel.


Am Dienstag... verbleiben wir auf der Trogvorderseite unter einer zyklonal
konturierten, relativ schwachen südwestlichen Höhenströmung. Der nach
Norddeutschland gerichtete Azorenhochkeil verstärkt sich weiter. Aus dem Hoch
strömt mit nordwestlichem bis nördlichem Wind eine nur noch mäßig bis leicht
kühl temperierte Meeresluft in den Norden (T850 meist 6 bis 10°C), in der es bei
unterschiedlicher Bewölkung (am meisten Sonne im Nordosten) nicht mehr wärmer
als 20 bis 25°C wird (direkt an der Nordsee noch etwas kühler).

Anders die Situation im Süden und bedingt in der Mitte, wo die mit leidlich
labil geschichteter und ausreichend feuchter (ppw 25 bis 35 mm) Luft gefüllte
Rinne eine rege Schauer- und Gewitteraktivität garantiert. Dabei steht
Starkregen vor Hagel und dann erst kommt der Wind. Obwohl die Luftmasse nicht
mehr so energiereich ist wie die
Tage zuvor, besteht lokale Unwettergefahr durch heftigen Starkregen. Die höchste
Tagestemperatur wird im Osten und Südosten mit 24 bis 28°C erreicht.

In der Nacht zum Mittwoch soll sich die Gewittertätigkeit mit weiterhin
Unwetterpotential Richtung östliche Landesteile verlagern. Im Nordwesten steht
dagegen eine weitgehend ruhige, allerdings bewölkte Nacht an.

Modellvergleich und -einschätzung
--------------------------------------------------------------
Heute gibt es leichte Unsicherheiten bezüglich der Zugbahn und Stärke der
Gewitter. Schon die Analyse ist modellübergreifend falsch. Morgen und in der
Nacht zum Dienstag werden Gewitterschwerpunkte schon deutlich unterschiedlich
gerechnet. Bei der aktuellen Wetterlage muss man eher auf Sicht fahren. Die
Gefährlichkeit der heutigen Lage ist allerdings unstrittig.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl.-Met. Peter Hartmann