DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

11-03-2021 08:30
SXEU31 DWAV 110800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 11.03.2021 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Wz
Heute ausgewachsene Sturmlage mit Gefahr von Böen Bft 10 bis 11 an der Nordsee
bzw. in Schauer- und Gewitternähe auch im nordwestdeutschen Binnenland
(Vorabinfo Unwetter). Auch an den Folgetagen weiterhin windig bis stürmisch, vor
allem am Samstag. Dazu häufig Niederschläge - teils skalig, teils konvektiv -
aber meist nicht warnrelevant.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 24 UTC
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Donnerstag... befindet sich Deutschland an der Südostflanke eines umfangreichen
Langwellentroges mit Drehzentrum bei Island unterhalb einer kräftigen und
diffluent konturierten südwestlichen Höhenströmung. An dessen Südflanke reicht
die kräftig ausgeprägte und kaum mäandrierende Frontalzone quasi über den
gesamten Nordatlantik bis nach Westeuropa und weitet sich im Tagesverlauf bis
ins östliche Mitteleuropa aus. Ein kurzwelliger Randtrog verlagert sich dabei im
Tagesverlauf mit seinem Drehzentrum vom Seegebiet nördlich Schottlands
allmählich nordwärts und übernimmt zusammen mit dem korrespondierenden Sturmtief
im Bodenfeld ("KLAUS"), das mit einem Kerndruck von ca. 957 hPa am Vormittag den
Höhepunkt seiner Entwicklung erreicht und sich im Seegebiet zwischen Färöer und
Shetlands allmählich nordwärts verlagert, im Laufe des Nachmittags eine
zentralsteuernde Position. Dabei entwickelt sich entlang des Frontensystems bis
zum Abend im Lee des Norwegischen Gebirges in etwa über dem Oslo-Fjord ein
Teiltief.
Der mit einer negativ geneigten Achse ausgestattete, weit nach Südsüdost
reichende Trog hat inzwischen die Nordsee erreicht, erweist sich als sehr
progressiv und kommt rasch nach Osten voran. Er greift im Laufe des Vormittags
auf den Nordwesten des Vorhersagegebietes über und erreicht am späten Nachmittag
bereits Polen. Dabei kann aufgrund markanter DPVA auf dessen Vorderseite vor
allem über der Nordhälfte Deutschlands kräftige dynamische Hebung generiert
werden, die nur zögernd durch KLA teilkompensiert wird.
Die Warmfront des Tiefs überquert aktuell das deutsch-polnische Grenzgebiet mit
Regenfällen mäßiger Intensität, nach Südosten zu fällt kaum mehr Regen,
allerdings kann es vor allem im Erzgebirge, in den ostbayerischen Mittelgebirgen
und am östlichen Alpenrand am Vormittag noch stellenweise Glatteis durch
gefrierenden Regen geben. Die Kaltfront hat bereits auf den Nordwesten
übergegriffen, kommt mit schauerartigen, aber wohl nicht warnrelevanten
Regenfällen rasch nach Südosten voran und erreicht am Nachmittag/Abend die
Alpen.
Im Fokus der Warntätigkeit steht aber zunächst eindeutig der Wind. Mit
Annäherung des Frontensystems hat sich der Gradient bereits deutlich verschärft
und vor allem mit Passage der Kaltfront bzw. auf deren Rückseite gibt es - mit
Ausnahme des Südostens - verbreitet stürmische Böen (Bft 8), vor allem im
Norden, im Westen und in der Mitte auch Sturmböen (Bft 9) aus Südwest, in den
Kamm- und Gipfellagen der Mittelgebirge und später auch der Alpen ist - je nach
Lage - mit Sturm- bis Orkanböen (Bft 9 bis 12, letztere vor allem auf dem
Brocken) zu rechnen.
Interessanter gestaltet sich dann aber die Entwicklung im unmittelbaren Vorfeld
der Trogachse bzw. des korrespondierenden Bodentroges. Das Einsickern
höhenkälterer Luftmassen führt unterhalb von etwa 600 hPa zu einer deutlichen
Labilisierung der Luftmasse, ICON-D2 simuliert im Nordwesten, später in den
westlichen und mittleren Landesteilen etwa 100 bis über 300 J/kg MUCAPE. Dazu
gesellen sich um 40 m/s DLS und 15 bis 20 m/s LLS sowie ein vor allem im ICON-D2
leicht "gekurvte" Hodografen. Zusammen mit dem kräftigen dynamischen
Hebungsantrieb und Oberwinden von 70 kn in 850 hPa bzw. bis zu 60 kn in 925 hPa
ergibt sich somit eine recht brisante Mischung und entsprechend simulieren vor
allem die hochauflösenden Modelle durchaus teilweise linienförmig organisierte
Konvektion, die im Tagesverlauf vom Nordwesten des Landes auf die mittleren
Landesteile übergreifen soll und gegen Abend wohl auch den Main südwärts
überschreitet. Kurze Gewitter mit Graupel sind denkbar, dazu legt der Wind
insgesamt noch etwas zu. Vor allem vom Westmünsterland bzw. Emsland bis ins
mittlere Niedersachsen deuten einige Modelle (ICON-EU, IFS noch flächiger) ein
erhöhtes Potenzial für orkanartige Böen an, die wohl in Verbindung mit
Konvektion stehen (kleinräumige Bow-Echos bzw. LEWP), auch ICON-EU-EPS hat vom
späten Vormittag an bis zum Nachmittag erhöhte Wahrscheinlichkeiten dafür auf
der Agenda. Mit Durchschwenken des Bodentroges dürfte es auch im Nordseeumfeld
und in Schleswig-Holstein rein aus dem Gradienten heraus in gut durchmischter
Luftmasse für verbreitete Böen Bft 10, vereinzelt auch Bft 11 reichen.
Entsprechend wurde für diese Regionen eine Vorabinformation Unwetter ausgegeben.
Mit Übergreifen der Schauer und Gewitter auf die mittleren und östlichen
Landesteile zum späteren Nachmittag hin nimmt wohl das Potenzial für Böen Bft 10
bis 11 allmählich ab, ausgeschlossen sind sie aber auch dort nicht. Die leicht
gekurvten Hodographen könnten auch auf ein geringes Potenzial für kurzlebige
Tornados hindeuten, dagegen spricht aber die nicht allzu niedrige Wolkenbasis
eventueller Gewitter.
Vor allem dem Trog folgt auch niedertroposphärisch eine etwas kältere Luftmasse,
innerhalb der erwärmten maritimen Polarluftmasse sinkt die Temperatur in 850 hPa
im Norden und in der Mitte auf 0 bis -3 Grad. Im Vorfeld der Kaltfront wird es
dagegen im Süden nochmals sehr mild. Die Höchsttemperaturen erreichen innerhalb
der gut durchmischten Luftmasse Werte zwischen 8 Grad an den Küsten sowie in den
östlichen Mittelgebirgen und 16 Grad im Alpenvorland.

In der Nacht zum Freitag kommt der Höhentrog rasch nach Osteuropa voran,
rückseitig stellt sich eine relativ glatt konturierte westliche Höhenströmung
ein, innerhalb derer ein weiterer kurzwelliger Troganteil rasch über das
Vorhersagegebiet hinweg ostwärts geführt werden.
Im Bodenfeld überqueren Kaltfront und nachfolgende Schauer- bzw. Gewitterstaffel
rasch die Alpen südwärts. Vor allem in den Weststaulagen von Schwarzwald und
Oberallgäu kann es auch längere Zeit regnen, wobei die Schneefallgrenze bei
Zustrom maritimer Polarluft und zurückgehenden Temperaturen in 850 hPa (-2 bis
-4 Grad) auf etwa 1000 bis 600 m, an den Alpen eher auf etwa 1200 m sinkt. Dabei
können gebietsweise die Warnschwellen für Starkregen (über 20 mm/6 h) gerissen
werden.
Im übrigen Land stellt sich klassisches Rückseitenwetter ein mit Regen- und
Graupelschauern und auch noch dem ein oder anderen kurzen Gewitter, vor allem im
Bereich des kurzwelligen Troganteils. Oberhalb von etwa 600 bis 800 m fallen die
Schauer meist als Schnee. An den Küsten gibt es anfangs noch schwere Sturmböen,
ansonsten nimmt der Wind von Westen her aber im Laufe der Nacht mit Auffächerung
des Gradienten deutlich ab und es reicht meist nur - wenn überhaupt - für steife
Böen aus West bis Südwest, lediglich in Schauer- und Gewitternähe kann es
weiterhin stürmische Böen geben. Auf den Bergen bleibt es stürmisch mit Böen Bft
8 bis 10, auf den Alpengipfeln vorübergehend auch Bft 10 bis 12.

Freitag... ändert sich an der Position des zentralsteuernden Tiefs im Seegebiet
zwischen Island und Färöer kaum etwas, wobei sich das Bodentief nur zögernd
auffüllt. An dessen Südflanke beginnt die Frontalzone ein wenig zu Mäandrieren.
Dabei greift ein weiterer kurzwelliger Troganteil zum Abend hin auf den
Nordwesten Deutschlands über, ein weiterer, deutlich markanter ausgeprägter
Kurzwellentrog erreicht dann das Seegebiet knapp westlich von Irland.
Vorderseitig des kurzwelligen Anteils wölbt sich die Höhenströmung über dem
Vorhersagegebiet durch WLA vorübergehend etwas auf, was zu einer gewissen
Wetterberuhigung führt. Die Schauer klingen aus der Nacht heraus rasch ab, auch
an den Alpen und im Schwarzwald kommt die Niederschlagstätigkeit zum Erliegen.
Vor allem im Süden und Osten lockern die Wolken stärker auf und es kann sich die
Sonne durchsetzen. Mit Annäherung des Kurzwellentroges werden die Wolken im
Westen und Norden allerdings bald wieder dichter und am Nachmittag setzen dort
schauerartige Niederschläge ein. Vor allem im Westen kann auch das ein oder
andere kurze Gewitter nicht ausgeschlossen werden.
Der Wind dreht wieder zurück auf Südwest und frischt mit der besseren
turbulenten Durchmischung im Tagesgang wieder auf, vor allem im Norden und
Westen gibt es wieder häufiger stürmische Böen. Im Osten und Süden fächert der
Gradient im Laufe des Tages aber auf und der Wind nimmt dort am Nachmittag
deutlich ab, während er im Westen und Nordwesten dann bereits wieder auffrischt
und gegen Abend dort auch die ein oder andere Sturmböe nicht ausgeschlossen ist.
In den kamm- und Gipfellagen der meisten Mittelgebirge bleibt es bei Sturm-,
exponiert auch schweren Sturmböen, lediglich in den südlichen und östlichen
Mittelgebirgen sowie auf den Alpengipfeln nimmt der Wind deutlich ab.
Nach wie vor gelangt erwärmte Polarluft ins Vorhersagegebiet (T850 hPa zwischen
-4 und 0 Grad, die höheren Werte an den Alpen). Innerhalb der gut durchmischten
Luftmasse sind somit Höchstwerte zwischen 7 und 12 Grad zu erwarten.

In der Nacht zum Samstag schwenkt der kurzwellige Troganteil mit Schauern,
eventuell auch mal einem kurzen Gewitter rasch über das Vorhersagegebiet hinweg
ostwärts, im Süden kommt von den Niederschlägen allerdings kaum mehr was an. Im
Bergland, oberhalb von etwa 500 bis 900 m, fallen die Schauer auch als Schnee,
für nennenswerte Neuschneemengen ist die Intensität aber meist zu schwach.
Trogrückseitig kommt es zu einer raschen Beruhigung und die Wolken lockern auf.
Der Wind frischt mit Durchschwenken der Trogachse auch in der Mitte und im Osten
vorübergehend etwas auf (Bft 7 bis 8, Berge 8 bis 10), lässt dann aber rasch
wieder nach. Trotz aufgelockerter Bewölkung reicht es für leichten Frost wohl
lediglich in den Mittelgebirgen, ansonsten liegen die Tiefstwerte meist zwischen
5 und 1 Grad.
Dann gilt es aber wieder, den Blick gen Westen zu richten. Der markante
Kurzwellentrog westlich von Irland überquert bis Samstagfrüh die Britischen
Inseln ostwärts, wobei er sich durch kräftige rückseitige KLA noch etwas
verschärft. Erneut kann auf dessen Vorderseite aufgrund von kräftiger PVA
markante dynamische Hebung generiert werden. Ein korrespondierendes Bodentief
zieht unter Intensivierung im Laufe der Nacht über Schottland hinweg zur
nordwestlichen Nordsee. Kräftige WLA führt schon weit im Vorfeld des Tiefs zu
Niederschlägen, die ausgangs der Nacht bereits auf den Westen des
Vorhersagegebietes übergreifen. Dort dreht der Wind im Laufe der zweiten
Nachthälfte auf Süd zurück und frischt in den Frühstunden bereits wieder mit
Böen Bft 7, am Nordrand der westlichen Mittelgebirge auch Bft 8 wieder auf.

Samstag... überquert der nach wie vor markant ausgeprägte Kurzwellentrog rasch
die Nordsee und greift am Nachmittag auf Norddeutschland über. Das
korrespondierende Bodentief zieht bis zum Abend mit einem Kerndruck von knapp
unter 980 hPa über die mittlere Nordsee nach Dänemark, das teilokkludierte
Frontensystem erreicht dann bereits das deutsch-polnische Grenzgebiet bzw.
Süddeutschland. Somit verschärft sich an der Südflanke des Tiefs bereits aus der
Nacht heraus der Gradient deutlich und der Wind frischt morgens bzw. am
Vormittag von West nach Südost rasch auf. Verbreitet gibt es stürmische Böen und
Sturmböen, etwas ausgenommen davon sind nur der äußerste Osten (Ostsachsen bis
Brandenburg oft nur Bft 7) und der Südosten Bayerns. Der Schwerpunkt der
Windentwicklung liegt aufgrund der südlichen Zugbahn des Tiefs zunächst recht
weit im Süden, nämlich im Südwesten und in der westlichen Mitte, wo in
Verbindung mit Schauern auch ein erhöhtes Potenzial für schwere Sturmböen nicht
von der Hand zu weisen ist. In den Kamm- und Gipfellagen der Mittelgebirge gibt
es schwere Sturm- bis Orkanböen, auf den Alpengipfeln reicht es meist nur für
Sturmböen.
Die schauerartigen Regenfälle weiten sich rasch nach Osten und Südosten aus,
lediglich im östlichen Alpenvorland bleibt es bis zum Abend wohl noch trocken.
Rückseitig gelangt mit dem Trog höhenkalte Meeresluft vor allem in den Norden
und die Mitte des Landes, die Temperatur in 500 hPa sinkt dort auf -32 bis -35
Grad, in 850 hPa auf etwa -4 Grad. Somit entwickeln sich postfrontal weitere
Regen- und Graupelschauer (oberhalb von etwa 500 bis 1000 m, von Nord nach Süd
ansteigend, auch Schneeschauer), die auch von kurzen Gewittern begleitet werden
können. Vor allem unmittelbar trogvorderseitig erlauben markante Scherung und
etwas Cape auch wieder kräftige konvektive Entwicklung, am ehesten im
Nordwesten, später aber auch weiter östlich und in den mittleren Landesteilen.
Auffällig sind die teilweise stark gekurften Hodographen im ICON-EU-Modell vor
allem am Vormittag und um die Mittagszeit im Nordwesten, die auf ein gewisses
Tornadopotenzial schließen lassen. Auf jeden Fall muss aber in Verbindung mit
Konvektion mit schweren Sturmböen, eventuell auch mit mehr, gerechnet werden, am
ehesten erneut im Nordwesten, Norden und in der Mitte.
Im Südosten kann sich präfrontal noch einmal gebietsweise die Sonne durchsetzen,
vor allem an den Alpen. Zudem gelangt vorübergehend auch mildere Luft dorthin
mit (West)föhn steigt die Temperatur in 850 hPa auf 1 bis 4 Grad. Somit werden
im Alpenvorland mit dem starkem Westwind Höchstwerte zwischen 11 und 15 Grad
erreicht, ansonsten liegen sie zwischen 5 und 10 Grad.

In der Nacht zum Sonntag zieht das Bodentief bei wenig Intensitätsänderung über
die südwestliche Ostsee und Südschweden Richtung Öland. Dahinter drehen Höhen-
und Bodenströmung mehr auf Nordwest, wobei auch niedertroposphärisch kältere
Luft polaren Ursprungs ins Vorhersagegebiet advehiert wird. Die Temperatur in
85ß0 hPa sinkt auf -4 bis -6 Grad. Im Trogbereich stellt sich erneut typisches
Rückseitenwetter mit Regen-, Schneeregen- und Graupelschauern, vereinzelt auch
mit kurzen Gewittern ein, wobei Niederschlagsschwerpunkte an der Südwestflanke
des Tiefs im Nordosten Deutschlands, im Westen sowie im Schwarzwald und an den
Alpen auszumachen sind. Die Schneefallgrenze sinkt allmählich auf etwa 200 bis
500 m, also auch bis ins südliche Alpenvorland. Im Hochschwarzwald und im Stau
des Oberallgäus fallen gebietsweise mehr als 10 cm Neuschnee, sonst sind es in
den Mittelgebirgen meist nur wenige Zentimeter.
Der anfangs noch lebhafte Südwest- bis Westwind nimmt von Südwesten her zögernd
ab, vor allem an der Südflanke des Tiefkerns kann es an den Küsten von West nach
Ost vorübergehend noch einmal Sturm- und schwere Sturmböen geben. Ansonsten
reicht es meist nur noch für steife, in Schauernähe stürmische Böen, im Westen
und Süden werden später auch kaum mehr die Bft 7 erreicht. Frost gibt es
innerhalb der gut durchmischten Luftmasse wohl nur in höheren
Mittelgebirgslagen.


Modellvergleich und -einschätzung
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Anhand der synoptischen Basisfelder lassen sich keine signifikanten
Modellunterschiede ausmachen. Die Böenproblematik im Westen/Nordwesten heute
wurde im Text angesprochen, von einer flächendeckenden Unwetterwarnung wird -
abgesehen von der Nordseeküste - erst einmal abgesehen, zumal nach Lesart der
konvektiven Modelle entsprechende Böen, wenn überhaupt, nur in Verbindung mit
Konvektion simuliert werden.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Winninghoff