DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

27-12-2020 09:30
SXEU31 DWAV 270800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Sonntag, den 27.12.2020 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: TrW (Trog Westeuropa), im Laufe der Woche Übergang zu TrM (Trog
Mitteleuropa)

Sturmtief HERMINE lässt grüßen - heute verbreitet windig bis stürmisch sowie von
Nordwesten her Niederschläge, im Bergland teils kräftiger Schneefall. Am Montag
weniger Wind, aber weiterer Niederschlag, teils Regen, teils Schnee.

Synoptische Entwicklung bis Dienstag 24 UTC
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Sonntag... steht eindeutig im Zeichen des Orkantiefs HERMINE, das heute früh mit
einem Kerndruck von etwas unter 955 hPa dicht bei den Färöers analysiert werden
konnte. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Tief mit quasisenkrechter Achse schon
weit in die mittlere respektive obere Troposphäre gebohrt, ein Zeichen für den
hohen Entwicklungsstand. Gleichwohl dürfte es wohl bis zur kommenden Nacht
dauern, bis sich HERMINE beginnt nachhaltig aufzufüllen. Bis dahin zieht es in
Richtung Irische See, nicht ohne zuvor ein flaches Teiltief zu bilden, das dicht
entlang der norwegischen Westküste nordwärts zieht.
Deutschland erlebt den heutigen Sonntag auf der Südostflanke des sehr
ausladenden Tiefs - weite Teile West-, Nord- und Mitteleuropas werden durch die
eng geführten, nahezu konzentrischen Isobaren abgedeckt -, wobei sich der
Wetterablauf alles andere als langweilig entpuppt. Bereits heute Morgen hat der
südliche Wind insbesondere in der Nordwesthälfte ordentlich Fahrt aufgenommen
mit Böen 7-8 Bft, lokal 9 Bft, an der Nordsee 10 Bft, auf dem Brocken 12 Bft. Im
Laufe des Vormittags wird sich mit Übergreifen der Okklusion der Starkwind
weiter nach Osten und Süden ausweiten und auch noch etwas intensivieren, wobei
der Schwerpunkt aber im Westen und Norden verbleibt. An der Nordsee sind dann
orkanartige Böen 11 Bft möglich (vor allem Helgoland, Nordfriesland), in
exponierten Tieflagen des Binnenlands (z.B. im Lee der Eifel) schwere Sturmböen
10 Bft möglich. Die gleiche Größenordnung (10 bis 12 Bft) wird für exponierte
Hochlagen angepeilt, während sonst in tiefen Lagen verbreitet 8-9 Bft, an der
See (Nordsee, westliche Ostsee) 10 Bft auf der Karte stehen. Im Laufe des
Nachmittags beginnt der Gradient allgemein aufzufächern und der Wind
nachzulassen, ohne freilich abrupt einzuschlafen. Im Süden hingegen legt er
sogar leicht zu, was aber häufig unterhalb der unteren Warnschwelle passiert. Im
Oberrheintal pfeift es allerdings mit Böen 7 Bft durch, und im Hochschwarzwald
drohen Böen 11 Bft. Ach ja, nicht zu vergessen der Föhn, der in den Alpen in
Gang kommt und angesichts eines prognostizierten Südüberdrucks bis zu 10 hPa
(Bozen-Innsbruck) durchaus von Format sein kann (Gipfel zunächst bis zu 10 Bft,
in der Nacht bis 12 Bft, exponierte Täler 7-8 Bft, wobei hier die kalte
Grundschicht den Durchbruch des Föhns erschweren dürfte).
Die zweite große Baustelle neben dem Wind ist der Niederschlag, der mit der o.e.
Okklusion bereits auf den Nordwesten übergegriffen hat und auf der diffluenten
Vorderseite des über dem nahen Ostatlantik positionierten Höhentrogs verstärkt
wird. Das Niederschlagsgebiet wird in den nächsten Stunden langsam ostwärts
vorankommen, wobei die Betonung aufgrund der noch etwas rückdrehenden
Höhenströmung sowie der vergleichsweise strömungsparallelen Exposition der Front
auf "langsam" liegt. So dürfte es in weiten Teilen Süddeutschlands sowie
zwischen Ostthüringen/Sachsen und Vorpommern bis zum Abend noch trocken bleiben.
Und nicht nur das, es wird sogar für längere Zeit die Sonne scheinen und dabei
die heute Morgen noch frostige Luft auf ein paar Grad über "null" erwärmen
(Ausnahme einiger Teile Ostbayerns, wo es dauerfrostig bleibt).
Ansonsten gilt es zu konstatieren, dass die Niederschläge im Westen und
Nordwesten mit 5 bis 10 l/qm innert 12 h, lokal auch noch etwas mehr, recht
üppig ausfallen. Insbesondere im Südstau der westlichen Mittelgebirge sind sogar
noch höhere Mengen möglich (um 20 l/qm), wobei die Niederschläge in der
einfließenden erwärmten Meereskaltluft (T850 vorübergehend mal bei 0°C, sonst
aber um -2°C) oberhalb 400 bis 600 m als Schnee fallen. Bis Montag früh kommen 3
in den zentralen und nördlichen Mittelgebirge 3 bis 10 cm, in den westlichen
Mittelgebirgen 8 bis 15 cm, in exponierten Staulagen z. B. im Hunsrück durch aus
um oder über 20 cm Neuschnee zusammen. Da der Schnee überwiegend feucht ist,
dürften Schneeverwehungen auf die allerhöchsten Lagen konzentriert bleiben.
Dafür bedeutet die Formel "Nass-/Feuchtschnee + Wind/Sturm" die Gefahr von
Leiterseilschwingungen. Insbesondere heute Vormittag bzw. allgemein am
Vorderrand des Niederschlagsgebietes kann es auch mal weiter runter schneien und
zumindest regionsweise und vorübergehend für etwas Schneematsch mit
entsprechender Glätte führen.

In der Nacht zum Montag fächert der Gradient noch deutlicher auf als am
Nachmittag, der südliche Wind büßt weiter an Substanz ein. Auf den Bergen bliebt
es allerdings stürmisch mit Böen 8-9 Bft, exponiert darüber. Auch an und auf der
Ostsee dauert der frische bis starke Südostwind (Böen 7-8 Bft) noch bis in die
zweite Nachthälfte an, was ebenfalls für den Böhmischen Wind in Teilen Sachsens
gilt. Der Südföhn in den Alpen wurde weiter oben bereits erwähnt.
Das Niederschlagsgebiet arbeitet sich in den Nachtstunden noch etwas nach Osten
bzw. Südosten voran, wobei die Progression aufgrund der stark meridional
ausgeprägten Strömung (am Boden ist mit Südost sogar eine leicht oppositionelle
Komponente gegeben) limitiert bleibt. Immerhin reicht es vom Schwarzwald und der
Schwäbischen Alb bis hoch zum Odenwald oberhalb von 400 bis 600 m für 1 bis 5
cm, teils bis 10 cm, im höheren Stau des Südschwarzwalds bis zu 20 cm Neuschnee.
Schneien tut es auch noch in den zentralen und westlichen Mittelgebirgen (vor
allem in Hessen, teils auch Unterfranken), wobei durchaus noch mal um 5 cm,
teils 10 cm, in exponierten Staulagen bis 15 cm fallen können. Tendenziell
lassen die Niederschläge im Westen und Nordwesten im Laufe der Nacht aber
allmählich nach.
Schwer einzuschätzen ist die Phase am Vorderrand des Niederschlagsgebietes, wo
neben Regen und Schnee (bis ganz runter) auch gefrierender Regen nicht
ausgeschlossen ist (vor allem von Franken hoch bis nach MV). U.a. ausgelöst
durch den Föhn wird ein Schwall niedertroposphärischer Warmluft mit
850-hPa-Temperaturen bis zu 5°C über den Süden und Osten gesteuert, die sich
nicht mit der kalten Grundschicht mischt (=> warme Nase). Die Frage wird sein,
wie viel Niederschlag tatsächlich fällt respektive unten ankommt, ist doch die
Luft durch den Südosteinschlag im unteren Bereich noch relativ trocken. Außerdem
spielt sowohl die horizontale als auch vertikale Temperaturverteilung eine
entscheidende Rolle, die von den Modellen offensichtlich unterschiedlich
aufgelöst wird. Kurz zusammengefasst, Glatteis ist in der kommenden Nacht lokal
durchaus möglich, kann aber nur in situ angewarnt werden.
Bleibe nur noch zu erwähnen, dass die Temperatur vornehmlich im Süden und
Südosten, gebietsweise aber auch in den östlichen Landesteilen in den leichten,
im Bayerischen Wald sowie an den Alpen punktuell in den mäßigen Frostbereich
zurückgeht.

Montag... splittet sich HERMINE in ein Doppeltief, bei dem der eine Kern bis zum
Abend Nordfrankreich ansteuert, während es den zweiten zur Doggerbank zieht. Mit
etwas unter 975 hPa ist HERMINE zwar immer noch prominent aufgestellt, hat aber
an Substanz eingebüßt. Das merkt man freilich auch bei uns, wo der Wind in den
Gebieten, wo er noch einigermaßen mobil aus der Nacht kommt, sukzessive
nachlässt. Ansonsten fällt bei uns das Geopotenzial mit leichter bis mäßiger
Intensität, was den Höhentrog bzw. das Höhentief dichter an den Vorhersageraum
heranbringt. Vor allem im Süden und in der Mitte kommt es dabei zu zeitweiligen
Niederschlägen, die etwa oberhalb 400 bis 600 m als Schnee fallen. Die
Neuschneeraten betragen aber nur wenige Zentimeter, wobei die Modelle die
Schwerpunkte jeweils etwas anders situieren. Nicht ausgeschlossen, dass es hier
und da auch mal etwas weiter runter schneit, viel liegenbleiben dürfte davon
tagsüber - wenn überhaupt - aber nicht. Die Temperatur steigt auf 1 bis 7°C mit
den höchsten Werten im Westen sowie im Lee der zentralen Mittelgebirge. In
Teilen Bayerns dagegen gebietsweise leichter Dauerfrost.

In der Nacht zum Dienstag verlagert sich das Bodentief nach Norddeutschland,
wobei das Druckminimum genetisch betrachtet wohl eine Neubildung darstellt,
während der ursprüngliche Kern von Frankreich her als Bodentrog in den Südwesten
schwenkt. Besonders in BW, teils aber auch in Franken sowie im Vogtland und im
Thüringer Wald frischt der Südwest- bis Südwind auf mit Böen 7-8 Bft
insbesondere im Bergland, im Hochschwarzwald geht´s gar hoch bis auf Windstärke
10 Bft. Stürmische Böen oder Sturmböen 8-9 Bft sind nach einer vorherigen
Abschwächung dann auch wieder in den Hochlagen der Alpen zu erwarten.
In der nun etwas direkter einfließenden und dadurch geringfügig kälteren polaren
Meeresluft (T850 am Morgen zwischen 0°C in Südostbayern und -5°C im Westen)
kommt es zu weiteren, meist leichten Niederschlägen, die nun auch den Norden
erfassen. Dabei fällt im Bergland oberhalb etwa 300-400 m durchweg Schnee,
darunter teils Regen, Schneeregen oder nasser Schnee. Leider divergieren die
Modelle hinsichtlich der genauen räumlichen Verteilung der Niederschläge so
stark, dass an dieser Stelle nur Allgemeinplätze feilgeboten werden können.
Schwierig auch die Temperaturprognose respektive die Frage Frost ja/nein. In
großen Teilen Süddeutschlands, der östlichen Mitte sowie allgemein in den
Mittelgebirgen reicht es für ziemlich sicher für leichten Frost, ansonsten hängt
alles von der Bewölkung ab. Sollte es irgendwo mal etwas länger aufreißen, ist
der Gefrierpunkt rasch erreicht bzw. unterschritten.

Dienstag... weitet sich der Höhentrog quasi über ganz Mitteleuropa und somit
auch über Deutschland aus. Das kleine Tief zieht derweil langsam nach Jütland,
von wo aus es mit südwestlicher Grundströmung weiterhin erwärmte Meereskaltluft
(T850 -2 bis -6°C) in den Vorhersageraum steuert. Während die Wolkendecke im
Osten und Süden mitunter auflockert und der Sonne ein paar
Entfaltungsmöglichkeiten bietet, muss sonst zeitweise mit Regen, Schneeregen
oder Schnee gerechnet werden. Das Taxieren der Schneefallgrenze ist einmal mehr
schwierig zu bewerkstelligen, sie sollte etwa bei 300 bis 500 m angesetzt werden
mit dem Wissen, dass es bei entsprechender Intensität auch mal weiter runter
schneien kann.
Der Süd-Südwestwind lebt vor allem im Bergland zeitweise böig auf mit Böen 7-8
Bft, exponierte Hochlagen bis 9 Bft. Ab dem Nachmittag könnten dann auch an der
See ein paar steife Böen 7 Bft am Start sein. Die Temperaturen erreichen
Höchstwerte von 1 bis 7°C, im höheren Bergland um 0°C.

Modellvergleich und -einschätzung
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Zwar simulieren die Modelle die Großwetterlage sehr ähnlich, gerade bei der
Niederschlagsentwicklung offenbaren sich aber Diskrepanzen, was das
Warnmanagement nicht einfacher macht. Gerade das inspirationslose Troggeeiere
der nächsten Tage bereitet der Numerik offensichtlich Schwierigkeiten, Regen und
Schnee richtig zu platzieren. Aber auch die Phasenbestimmung der Niederschläge
in der kommenden Nacht ist offensichtlich ein Problem, das nicht im Konsens zu
lösen ist.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann