DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

24-12-2020 18:30
SXEU31 DWAV 241800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 24.12.2020 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
*************** Allen Leserinnen und Lesern ein frohes und besinnliches
Weihnachtsfest! ******

Luftmassenwechsel weitgehend abgeschlossen, im Süden in Schnee übergehende
Niederschläge. Am 1. Weihnachtstag relative Ruhe, am 2. Weihnachtstag zunächst
auch noch. Zum 3. Weihnachtstag kommt HERMINE, ein echtes Knallertief mit
reichlich Gaben für Vollwetterfans.

Synoptische Entwicklung bis Sonntag 12 UTC
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Aktuell ... ist die seit Tagen apostrophierte Wetterumstellung in vollem Gange.
Die in den vergangenen Tagen eingeflossenen milden bis sehr milden Luftmassen
vom Atlantik sind Geschichte, lediglich im äußersten Süden finden sich noch ein
paar Reste. Ansonsten hat maritime Polarluft arktischen Ursprungs die Herrschaft
übernommen (T850 -4 bis -7°C), die zwischen dem Hoch ZVEN über dem nahen
Ostatlantik (etwas über 1040 hPa im Zentrum) und dem ins Baltikum abgezogenen
Tief GRETA straight ahead über das Nordmeer und die Nordsee in den
Vorhersageraum strömt. Die Kaltfront, die für gewöhnlich den Luftmassenwechsel
einleitet, erreicht in den nächsten Stunden die Alpen, so dass bis zum frühen
Morgen des ersten Weihnachtsfeiertags das ganze Land mit Polarluft geflutet ist.

Die frontalen Niederschläge verlagern sich mehr und mehr in den Süden des
Landes, wo sie sich an den Alpen stauen. Darüber hinaus leistet auch der
Höhentrog (genauer seine Vorderseite), der mit positiv geneigter Achse der
Kaltfront folgt, einen gewissen Hebungsantrieb, so dass sich die Niederschläge
im Süden vorübergehend verstärken.
Die Schneefallgrenze sinkt dabei bis in tiefe Lagen. Im Süden BWs fallen bis
Freitagvormittag oberhalb etwa 400 m 1 bis 7 cm, im Schwarzwald oberhalb rund
800 m bis 10 cm, im Hochschwarzwald lokal um 15 cm Neuschnee. Neuschnee gibt es
auch in Teilen Bayerns, wo im gleichen Zeitraum in Teilen des Alpenvorlands (im
Westen mehr nach Norden ausgreifend als weiter östlich) sowie in Bayerisch
Schwaben ebenfalls 1 bis 7 cm, unmittelbar am Alpenrand 5 bis 10 cm, nach Westen
hin bis zu 15 cm und in höheren Staulagen des Oberallgäus vielleicht sogar bis
zu 20 cm zusammenkommen - es könnte schlechter laufen in der Heiligen Nacht.
Etwas weiter nördlich, also in den mittleren Landesteilen, kommt es mit Passage
der Trogachse sowie knapp davor zu leichten, meist schauerartigen
Niederschlägen, die bis in tiefe Lagen mit Schnee vermischt sein können oder als
Graupel fallen. Mit etwas Glück ist vielleicht auch mal ein Schauer der etwas
fetteren Sorte am Start, der dann Schnee bis ganz runter und die berühmte "weiße
Überraschung" bringen würde. Man beachte aber den Konjunktiv, der an dieser
Stelle bewusst gewählt wurde. Der meiste Schnee abseits vom Süden dürfte im Stau
des Erzgebirges fallen, wo oberhalb etwa 400 m um 5 cm Neuschnee zusammenkommen.
In allen anderen Mittelgebirgen liegen die Neuschneemengen darunter und können
meist mit einer profanen Glättewarnung vor geringem Schneefall und/oder
gefrierender Nässe abgearbeitet werden.
Die Temperatur geht nicht nur in mittleren und höheren Lagen des Berglands in
den leichten Frostbereich zurück, auch in Nord- und Nordwestdeutschland, wo es
gebietsweise aufklart, sinkt die Temperatur bis in Gefrierpunktnähe oder etwas
darunter ab. Dabei bleibt es weitgehend trocken, einzig von der See her können
sich vereinzelte Schnee- oder Regenschauer in die küstennahen Regionen verirren.

Der landesweit auf Nordwest bis Nord drehende Wind legt sich in den nächsten
Stunden soweit zur Ruhe, dass Warnungen kaum mehr nötig sein werden. Das
schließt nicht aus, dass nicht auf einer einsamen Bergkuppe mal ´ne Böe 7-8 Bft,
anfangs vereinzelt 9 Bft auf den Plan tritt, aber wer feiert da oben schon
Weihnachten...

Freitag ... schwenkt die Höhentrogachse mit gemütlicher
Weihnachtsverlagerungsgeschwindigkeit ost-südostwärts über Deutschland hinweg.
Dahinter und noch vor dem sich vom Ostatlantik bis zum Nordmeer aufwölbenden
Höhenrücken stellt sich eine nördliche und recht glatt konturierte nördliche
Höhenströmung ein. Sie reicht bis zu den Alpen und lässt keine nennenswerten
Hebungsimpulse erkennen. Der Chronistenpflicht halber sei erwähnt, dass es
bereits in den frühen Morgenstunden westlich der Schweiz zu einem Cut-Off kommt.
Das resultierende Höhentief zieht Richtung Oberitalien, wo schon vorher
Druckfall eingesetzt hat und ein Tief namens INGE entstanden ist. Dieses Tief
wird seine Kreise weitgehend südlich des Alpenhauptkamms ziehen und uns hier in
Deutschland nicht oder nur homöopathisch-peripher behelligen.
Stattdessen steigt der Luftdruck etwas an, weil uns der gute ZVEN mit einem
Hochkeil beehrt, der zunächst aber noch relativ flach ist. Er kann auch nicht
verhindern, dass es in der weiterhin einströmenden Polarluft ganz im Süden
leicht, an den Alpen staubedingt mäßig weiter schneit. Dort kommen über den Tag
noch mal 1 bis 5 cm, an den Alpen 5-10 cm, in exponierten Staulagen bis zu 15 cm
drauf, was dann doch schon ein bisschen was mit Winter sowie der immer wieder
gewünschten, aber selten erfüllten Weihnachtsstimmung zu tun hat.
Je weiter sich der Blick gen Norden richtet, desto geringer die
Niederschlagswahrscheinlichkeit. Okay, in der Mitte sowie zwischen Main und
Donau reicht es noch für ein paar Schnee- oder Graupelschauer bis ganz unten,
den großen Neuschneezuwachs sollte man aber nicht erwarten. Am ehesten kommt das
für diese Anströmrichtung prädestinierte Erzgebirge noch in den Genuss einiger
Zentimeter Neuschnee, ansonsten reicht es wohl nur - wenn überhaupt - für etwas
"Zuckerguss".
Ganz im Norden bleibt es vielerorts trocken, auch wenn im Nordwesten bedingt
durch die feuchte Anströmung von der Nordsee her einzelne Schnee- oder
Regenschauer möglich sind. Dagegen scheint von SH bis hinunter ins Bremer Land
sowie das mittlere Niedersachsen für längere Zeit die Sonne, was dem Skandenföhn
und der damit einhergehenden Austrocknung der polaren Luftmasse geschuldet ist.
Bei mäßigem, mitunter leicht böig auflebendem Nordwest- bis Nordwind wird es
nicht wärmer als 1 bis 6°C mit den höchsten Werten im Westen. Im Bergland werden
je nach Höhe um 0°C erreicht, in höheren Lagen stell sich leichter Dauerfrost
ein.

In der Nacht zum Samstag weitet sich der Hochkeil deutlich nach Osten aus, wobei
sich die Divergenzachse von der Mitte in den Süden Deutschlands verlagert.
Gestützt wird der Keil vom o.e. Rücken, der von der Nordsee und Südskandinavien
her langsam südostwärts "kippt". Genau genommen wird der Rücken abgedrängt von
einem sich von Grönland gewaltig nach Süden und Südosten ausweitenden Höhentrog,
der zudem auch noch eine satte Sturmzyklogenese aufs Parkett zaubert. HERMINE
heißt das Geschütz, das in der Nacht mit einem Doppelkern von rund 970 bzw. 965
hPa über der Irminger See und der Dänemarkstraße Weihnachten feiert. Das
zugehörige okkludierende Frontensystem steuert die Nordsee an, für nennenswerte
Niederschläge dürfte es im Nordwesten trotz weit vorauseilender WLA aber (noch)
nicht reichen. Auch im großen Rest des Landes hält sich die Wahrscheinlichkeit
für Schnee- oder Schneeregenschauer in Grenzen. Einzig an den Alpen schneit es
zunächst noch etwas stärker, bevor bis zum Morgen auch dort
Abschwächungstendenzen unverkennbar sind.
Mit Verlagerung des Keils nach Süddeutschland dreht der Wind im größten Teil des
Landes auf Südwest zurück, wobei er gegen Morgen über der Nordsee erstmalig
etwas stärker aufmuckt. Wichtiger als das ist allerdings die Tatsache, dass die
Temperatur von wenigen Ausnahmen abgesehen (unmittelbarer Küstenstreifen,
gebietsweise west- und nordwestdeutsches Binnenland) in den leichten, vor allem
im Bergland auch in den mäßigen Frostbereich absinkt. Hier und da kann es glatt
werden, sei es durch geringen Schneefall, sei es durch gefrierende Nässe.

Samstag ... wandert der Höhenrücken unter tendenzieller Abflachung
ost-südostwärts über den Vorhersageraum hinweg. Derweil verlagert sich das
Drehzentrum des weiter expandierenden Höhentrogs über Island hinweg ins
Seegebiet südlich davon. Den gleichen Weg schlägt - welch Wunder - auch das
korrespondierende Bodentief ein, wobei das genau genommen nur für den westlichen
Kern gilt. Dieser vertieft sich weiter auf unter 960 hPa am Abend, so zumindest
die Lesart von ICON (externe Modelle pumpen das Tief mit rund 965 hPa nicht ganz
so straff aus).
Auch wenn das Tief noch weit weg von uns ist, sorgt es doch für stetigen
Druckfall und eine weitere Stauchung des Hochkeils, der zudem zunehmend an die
Alpen herangequetscht wird. Ganz unterkriegen lässt er sich aber noch nicht, so
dass sich die südlichen Regionen Bayerns und BWs über einige Auflockerungen oder
gar sonnige Abschnitte freuen können. Gleiches gilt anfänglich auch noch für die
östlichen Landesteile, bevor die den Höhenrücken überlaufende WLA wie zuvor
schon im Norden und Westen reichlich und weitgehend geschlossenes Gewölk
heranpumpt. Das Frontensystem greift im Tagesverlauf von der Deutschen Bucht her
auf und bringt Nordwestdeutschland etwas Regen (unter 5 l/qm innert 12 h). Ob
und wie weit der Niederschlag in den Osten und die Mitte vorankommt, und ob und
wo der Regen ggf. in Schnee übergeht, ist derzeit noch unsicher. Im
Modellvergleich rechnet ICON ein eher progressives Szenario, was es erst noch zu
bestätigen gilt.
Relevanter als der Niederschlag dürfte die Windentwicklung werden. Im Norden
fällt der Druck schneller und stärker als im Süden, was eine kontinuierliche
Gradientverschärfung bedingt. So legt der noch etwas weiter auf Südwest bis Süd
drehende Wind insbesondere im Norden und Westen sowie in den meisten Hochlagen
immer weiter zu. Am späten Nachmittag, spätestens zum Abend hin muss im
Binnenland sowie an der Küste vermehrt mit Böen 7 Bft, auf und an der Nordsee
sowie in exponierten Hochlagen 8 bis 9 Bft, auf dem Brocken 10 Bft gerechnet
werden.
Mit der Winddrehung wird auch wieder etwas mildere Meeresluft herangeführt, im
Norden und Westen steigt T850 bis zum Abend auf Werte um 0°C. Trotzdem wird es
im Nordwesten kaum wärmer als 6 oder 7°C, während sonst weiterhin 0 bis 5°C und
im höheren Bergland häufig leichter Dauerfrost angesagt sind.

In der Nacht zum Sonntag wird es spannend, wenn nämlich Sturmtief HERMINE seinen
Süd-Südostkurs beibehält und sich dabei noch etwas vertieft. Damit verschärft
sich der Gradient bei uns weiter und vor allem in der Nordwesthälfte kommt es zu
einer merklichen Windzunahme. Zwar ist das letzte Wort noch nicht gesprochen -
die Modelle simulieren zwar alle die Annäherung des Sturmtiefs, offenbaren aber
Unterschiede bei der Böenparametrisierung respektive dem genauen Gradienten -,
man sollte aber davon ausgehen, dass die Wahrscheinlichkeit für Böen 8-9 Bft aus
Süd bis Südwest im west- und nordwestdeutschen Binnenland deutlich zunimmt. Auf
der Nordsee droht ein schwerer Südweststurm mit Böen 10 Bft vornehmlich auf
Helgoland sowie an der Nordfriesischen Küste, und selbst orkanartige Böen 11 Bft
können zumindest auf offener See aus heutiger Sicht nicht ausgeschlossen werden.
Zugig wird es auch in den Hochlagen der westlichen, zentralen und östlichen
Mittelgebirge, wo je nach Exposition Böen 9 bis 11 Bft, auf dem Brocken sogar
die volle 12 Bft anstehen. Nach Süden und Südosten hin fällt die Windzunahme
schwächer aus respektive kommt überhaupt nicht in Gang. Allenfalls in einigen
Hochlagen wird es windiger und vielleicht kommt in Ostsachsen sowie im
Erzgebirge etwas Böhmischer Wind "light version" in Schwung.
Darüber hinaus gilt es zu konstatieren, dass nicht nur der Wind in der
Nordwesthälfte zunimmt, auch die synoptisch-skaligen Hebungsprozesse erleben
dank harmonischer Überlappung von WLA und PVA auf diffluent konturierter
Trogvorderseite einen substanziellen Aufschwung. Folgerichtig intensivieren sich
auch die Regenfälle im Nordwesten, die es darüber hinaus aber schwer haben, sich
ost- und südwärts auszudehnen. Sollten sie es doch tun, müsste man in der Mitte
sowie im Osten über die Schneephase nachdenken.
Während es im Norden und Westen verbreitet frostfrei bleibt, stehen sonst
leichter, im Süden mäßiger, an den Alpen lokal sogar strenger Nachtfrost auf der
Karte.

Sonntag ... knattert es ordentlich weiter beim Wetter. HERMINE zieht mit ihrem
Kern von etwas unter 960 hPa weiter gen Schottland (12 UTC) und danach unter
leichter Abschwächung zur Irischen See. Imposanter als der Kerndruck ist aber
die Ausdehnung und Konfiguration des Tiefs, das wegen der stark konzentrischen
und dichten Isobarenführung an eine 33iger Venylschallplatte erinnert. Ihr
Radius reicht im Osten bis zum östlichen Mitteleuropa, im Süden bis fast an die
nordwestafrikanische Küste, im Norden fast bis Spitzbergen und im Westen hat
HERMINE den tapferen ZVEN ordentlich zurückgedrängt.
Wie auch immer, bei uns greift das okkludierte Frontensystem von Nordwesten her
über, wodurch sich die Niederschläge etwas (aber nicht zu progressiv) nach Osten
und Südosten ausbreiten und zumindest gebietsweise noch etwas intensivieren. So
werden für den Westen teilweise 10 bis 15 l/qm, lokal um 20 l/qm binnen 12 h
offeriert, während es im Süden und in weiten Teilen Ostdeutschlands bei häufig
aufgelockerter Bewölkung wahrscheinlich trocken bleibt. An den Alpen wird es
föhnig und im Süden wird präfrontal eine Portion Warmluft durchgeschleust, in
der die 850-hPa-Temperatur am Nachmittag und Abend auf bis zu +8°C steigt.
Ansonsten wird erwärmte Meereskaltluft advehiert (T850 0 bis -3°C), die
ursprünglich zwar aus polaren Breiten stammt, von dort aber einen weiten Bogen
um das Tief schlagen muss. So fallen die Niederschläge im Tiefland meist als
Regen (nach Osten hin könnte es anfangs mal vorübergehend schneien), oberhalb
rund 600 m als Schnee, wobei in den Hochlagen der getroffenen Mittelgebirge
(Westen, Mitte) durchaus Einiges zusammenkommen kann.
Weiter im Fokus stehet der Wind respektive Sturm, der aus südlichen Richtungen
kommend wahrscheinlich noch etwas zulegt und sich etwas nach Osten ausdehnt.
Einzig der Süden und Südosten werden verschont, ansonsten stehen verbreitet Böen
7 bis 8 Bft, vereinzelt 9 Bft auf der Karte. Im Bergland geht´s je nach
Exposition hoch auf bis zu 12 Bft und auf Nord- und Ostsee stehen Böen 10 bis 11
Bft auf dem Programm. Aufgrund der überwiegend ablandigen Komponente trifft der
Sturm die Küste wohl nicht mit voller Härte, dafür wird ordentlich Wasser aus
einigen Buchten und küstennahen Gewässern rausgedrückt.
Die Temperatur erreicht im Süden und Osten Höchstwerte von 1 bis 6°C, sonst
werden 5 bis 8°C, im Südwesten bis zu 10°C erreicht.


Modellvergleich und -einschätzung
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Im Großen und Ganzen simulieren die Modelle sehr ähnlich. Unschärfen bzw.
kleinere Unterschiede wurden im Text angerissen. ICON ist nach wie vor das
Modell, das die Sturmlage am Sonntag am kräftigsten abbildet.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann