DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

23-12-2020 18:30
SXEU31 DWAV 231800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Mittwoch, den 23.12.2020 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
Pünktlich zum Weihnachtsfest Wetterumstellung - kälter, aber kein wirklicher
Wintereinbruch. Bedauerlich, wo doch sowieso alle zuhause sein sollen/müssen.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 12 UTC
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Aktuell ... weist die großräumige Potenzialverteilung ein stark meridional
geprägtes Muster auf, in dem ein breiter und kräftiger Rücken über dem
Ostatlantik und ein vom Nordpolarmeer bis knapp vor die Iberische Halbinsel
reichender Trog den Ton angeben. Die Progression dieser Welle ist zwar nur
gering, aber durchaus ausreichend, um pünktlich zu den bevorstehenden Feiertagen
eine nachhaltige Änderung der Großwetterlage zu bewerkstelligen. Derzeit
befinden wir uns noch auf der diffluenten Vorderseite des Troges unter einer
südwestlichen Höhenströmung. Dieser korrespondiert übrigens mit dem Bodentief
GRETA I, das heute Mittag mit etwas unter 1000 hPa am Westeingang des
Ärmelkanals analysiert wurde. Von dort aus wird sich GRETA weder wesentlich mehr
fortbewegen noch weiterentwickeln. Stattdessen gelangt sie ganz allmählich auf
die gradientschwache Rückseite des Höhentroges, wo ihr einsetzender Druckanstieg
zu schaffen macht und schlussendlich ein Auffüllen des Tiefs bewirkt.
Nun gelten Frauen mit dem Namen GRETA ja bekanntermaßen als schlau und
weitsichtig, so dass es wenig verwundert, dass auch in diesem - zugegeben eher
abstrakten und nicht wirklich personengebundenen Fall - die Nachfolge
rechtzeitig geregelt wurde. Konkret, ausgehend vom Bodentief hat sich
mittlerweile eine veritable Tiefdruckrinne etabliert, die heute Abend über den
Kanal und die südwestliche Nordsee hinweg bis in den deutschen Küstenraum
reicht. Darin eingelagert ist eine Luftmassengrenze, die als Warmfront, nach
Westen hin aber zunehmend als Okklusion die in weite Teile des Vorhersageraums
(noch) einströmende sehr milde und feuchte Biskayaluft (T850 4 bis 9°C, PPW
teils deutlich über 20 mm) von merklich kälterer Polarluft (T850 meist unter dem
Gefrierpunkt, dazu deutlich trockener) weiter nördlich trennt. Wenn man so will
(und auch wenn man´s nicht will) ist die gesamte Luftdruckverteilung in unserer
Umgebung hochgradig frontogenetisch, auch wenn nicht die in Büchern gelehrte
klassische Viererdruckfeldkonstellation gegeben ist: Östlich und südöstliche von
Tief GRETA wird Warmluft nach Norden respektive Nordosten geschaufelt, westlich
einer von Südskandinavien bis zur Grönlandsee reichenden Tiefdruckrinne wird
straight ahead maritime Polarluft via Nordmeer bzw. Norwegische See nach Süden
bzw. Südwesten gesteuert. Treffpunkt (oder besser Treffzone) der
unterschiedlichen Luftmassen ist u.a. eben das deutsche Küstengebiet bzw. das
nördliche norddeutsche Binnenland, wo heute Abend die bereits erwähnte Rinne zu
finden ist.
So weit, so schön, und wie geht´s jetzt in den nächsten Stunden weiter? Nun,
während GRETA I heute Abend den Auffüllprozess beginnt, bildet sich am
Okklusionspunkt über oder im Grenzbereich zu den Niederlanden ein kleines
Teiltief (GRETA II), das in der Nacht zum Donnerstag unter Vertiefung über
Norddeutschland hinweg Richtung Rügen/Oderhaff zieht. Dort soll es in den
Frühstunden mit einem Kerndruck zwischen 1000 und 995 hPa anlanden, wobei unter
den Modellen noch keine hundertprozentige Kongruenz besteht. Tatsache aber ist,
dass zunächst mal die eigentliche Kaltfront des zu GRETA I gehörenden
Frontensystems große Teile des Vorhersageraums von Frankreich und Benelux her
ost-südostwärts überquert. Zwar ist damit eine leichte nieder- und
mitteltroposphärische Abkühlung verbunden (T850 geht rund 0°C zurück), in
Bodennähe fällt der Luftmassenwechsel hingegen vergleichsweise zahm aus. Auf
alle Fälle kommt es zu weiteren Regenfällen, die sich im Laufe der Nacht mit der
Kaltfront aber mehr und mehr in den Süden des Landes zurückziehen. Dort können
um die Donau herum sowie etwas südlich durch aus rund 10 l/qm Regen innert 12 h
zusammenkommen.
Da die Wetterlage - die meisten werden es gemerkt haben - nun aber alles andere
als trivial und eindimensional ist, kommen wir mit einem Regengebiet nicht aus.
Das zweite bildet sich im Norden im Bereich der Rinne. Genau genommen auf der
kalten Seite der Rinne, wo sich eine schöne Gegenstromlage ausbildet
(Ost-Nordost unten vs. West-Südwest oben, Kipppunkt etwa zwischen 800 und 700
hPa) und zudem ein KW-Trog durchschwenkt, der einen zusätzlichen Hebungsimpuls
liefert (und nebenbei auch noch das kleine Teiltief auspumpt). Betroffen von den
Regenfällen ist ein Korridor, der von der Deutschen Bucht und dem westlichen
Niedersachsen über den Hamburger Raum sowie weite Teile SHs hinweg bis nach MV
bzw. ins nördliche BB reicht. Gebietsweise können in diesem Streifen durchaus 10
bis 15 l/qm, mit Hilfe konvektiver Einlagerungen punktuell auch um oder etwas
über 20 l/qm Niederschlag zusammenkommen (ein Großteil davon in wenigen Stunden
=> regionale Starkregenwarnung). Dabei ist im Zuge einer leichten Labilisierung
am warmen Rand des Regengebietes sogar ein eingelagertes kurzes Gewitter nicht
ganz ausgeschlossen, auch wenn die Wahrscheinlichkeit dafür nicht überbordend
hoch ist. Fraglich ist auch, ob sich im Laufe der Nacht unter fortwährendem
Ansaugen der kälteren Luftmasse und ausreichend Hebung lokal mal ein paar nasse
Flocken unter den Regen mischen, was aber rein von akademischen Interesse ist.
So, und damit die Komplexität der Ereignisse noch etwas auf die Spitze getrieben
wird, sei hier noch erwähnt, dass es am frühen Morgen auch in den westlichen
Landesteilen wieder anfängt zu regnen. Ursache dafür ist das allmähliche
Übergreifen des Höhentrogs bzw. das beginnende leichte "Kippen" der Rinne gegen
den Uhrzeigersinn.
Bliebe abschließend noch der Wind zu erwähnen, der südlich der Rinne respektive
des Teiltiefs aus Südwesten kommend mitunter auffrischt und vornehmlich in den
Mittelgebirgen (freie Lagen, Lee, Kämme und Kuppen) die untere Warnschwelle von
7 Bft reißt. In exponierten Kamm- und Gipfellagen (gilt auch für die Alpen) muss
mit Böen 8-9 Bft, teils sogar 10-11 Bft gerechnet werden. Im Norden frischt der
Wind vor allem an der Küste (erst an der Nordsee, am frühen Morgen dann auch
zunehmend an der Ostsee) böig auf mit Spitzen der Stärke 7 Bft. Windrichtung
Nordost, später auf Nord drehend.

Donnerstag ... kommt es sprichwörtlich zur Bescherung, was im hier behandelten
Genre nichts anderes bedeutet, als dass die nun schon seit Tagen apostrophierte
Wetteränderung inkrafttritt. Tief GRETA II zieht die polnische Küste entlang in
den Raum Kaliningrad und später ins Baltikum, wobei es sich noch etwas vertieft.
Gleichzeitig schwenkt die zugehörige Kaltfront (die "echte" Kaltfront, die in
der o.e. Tiefdruckrinne generiert wurde und als Okklusion gestartet ist)
südostwärts über Deutschland hinweg, während die erste, schwächere Kaltfront die
Alpen im Laufe des Vormittags bereits überquert hat.
Im Schlepptau der Kaltfront befindet sich der weiterhin stark positiv geneigte
Potenzialtrog, dem wiederum der leicht phasenversetzte thermische Trog auf den
Fersen ist. Oder anders ausgedrückt, während das Potenzial schon tagsüber stetig
fällt, folgt die höhenkälteste Luft erst ab den Abendstunden von Nordwesten her
nach. In den unteren Luftschichten erfolgt der Luftmassenaustausch von maritimer
Subtropik- hin zu maritimer Polarluft arktischen Urprungs freilich unmittelbar
nach Passage der Kaltfront und damit einhergehender Winddrehung von West-Südwest
auf Nordwest bis Nord. Mit Ausnahme des äußersten Südens, wo die Kaltfront im
wahrsten Sinne des Wortes erst am Heiligen Abend aufschlägt, sinkt die
850-hPa-Temperatur auf Werte um -5°C.
Wettertechnisch bedeutet das Ganze, dass mit Abzug der ersten Kaltfront der
Regen im Süden vorübergehend nachlässt. Allerdings ist die Pause nur kurz, weil
mit der zweiten Front bzw. dem Höhentrog Nachschub von Nordwesten garantiert
ist. Oder mit anderen Worten, die nächtlichen Regenfälle aus dem Norden und
Westen verlagern sich über die Mitte hinweg gen Süden, wobei sie sich allmählich
abschwächen. Von daher können auch die teils bis Mittag, teils bis zum Abend
(Schwarzwald) gültigen Dauerregenwarnungen auslaufen. In der neuen Luftmasse
sinkt die Schneefallgrenze von Nordwesten her ab bis in die mittleren Lagen der
Mittelgebirge, an den Alpen und im Bayerischen Wald in den Abendstunden auf 1000
bis 800 m. Allzu viel Schnee fällt aber nicht, weil mit Eintreffen der Kaltluft
auch die Niederschläge nachlassen, auch wenn es postfrontal noch für ein paar
wenige Schauer reicht bzw. der orografische Stau ein paar Hydrometeore
"ausquetscht". So reicht es tagsüber meist nur für etwas Schneematsch in den
Hochlagen einiger Mittelgebirge, am ehesten kann sich noch im Hochschwarzwald
eine dünne Neuschneedecke ausbilden.
Neben dem Niederschlag spielt auch der Wind am Tag des Heiligen Abends eine
prominente Rolle, insbesondere in der ersten Tageshälfte. Vor allem in der Mitte
und im Süden frischt er präfrontal sowie mit Durchgang der Kaltfront böig auf,
wobei im Süden und dort vornehmlich im Alpenvorland zusätzlich zum reinen
Gradientimpuls noch der Leitplankeneffekt zum Tragen kommt. In Böen erreicht der
Wind Stärke 7-8 Bft, in exponierten Kamm- und Gipfellagen 9-10 Bft, im
Hochschwarzwald anfangs gar 11 Bft. Ab dem Nachmittag kommt es im Zuge
postfrontalen Druckanstiegs zu einer Gradientaufweichung respektive
Windabschwächung. Lediglich in einigen Hochlagen bleibt noch etwas "Restwind"
übrig und auch an der Küste kommt es in der mäßigen bis frischen Nordströmung zu
Böen 7 Bft, vereinzelt 8 Bft.
Die Temperatur macht morgen keine großen Sprünge mehr nach oben, tendenziell
nimmt sie von Norden her mit dem Luftmassenwechsel sogar sukzessive ab. Für
Norddeutschland bedeutet das Tageshöchstwerte von 4 bis 8°C (was übrigens fast
identisch mit der heutigen Preisklasse ist), sonst stehen 6 bis 12°C auf der
Karte.

In der Nacht zum Freitag stellt sich zwischen dem über das Baltikum abziehende
Tief GRETA II und dem bisher noch gar nicht erwähnten Monumentalhoch ZVEN über
dem Ostatlantik (im Zentrum über 1040 hPa) im ganzen Land eine nordwestliche bis
nördliche Grundströmung ein. Damit wird der gesamte Vorhersageraum mit maritimer
Polarluft arktischen Ursprungs geflutet, T850 sinkt auf -5 bis -8°C. Der
Höhentrog überquert mit seinem Nordteil Norddeutschland, während er nach Süden
weiterhin zurückhängt und sich über Ostfrankreich gar eine Abtropfung andeutet.

An den Alpen kommt es staubedingt zu andauernden Niederschlägen, wobei die
Schneefallgrenze bis ganz unten sinkt. Im höheren Alpenvorland kann sich eine
bis zu 5 cm dünne Schneedecke bilden, in den Alpen sind bis zu 10 cm, im Allgäu
auch noch etwas mehr Neuschnee drin - es könnte schlechter laufen in der
Heiligen Nacht. Ansonsten können vor allem die mittleren und höheren Lagen des
Schwarzwalds und die Schwäbische Alb mit einer rund 5 cm dünnen/dicken
Neuschneeauflage (in höheren Lagen etwas mehr) rechnen, und auch das Erzgebirge
bekommt staubedingt einige Zentimeter Neuschnee ab. Zwar fallen auch sonst in
der Mitte und im Süden sowie unmittelbar an der See noch ein paar Schauer,
allerdings lässt die Intensität meist zu wünschen übrig. Außerdem bleibt trotz
Windabnahme ausreichend Durchmischung übrig, so dass kaum irgendwo
substanzieller Schnee ganz unten ankommt - Schade!
Glatt werden kann es trotzdem, insbesondere im Bergland durch leichten
Schneefall oder aber auch gefrierende Nässe. Aber auch im norddeutschen
Binnenland, wo es z.T. für längere Zeit aufklart und die Temperatur gebietsweise
in den leichten Frostbereich zurückgeht, ist Glätte möglich, vor allem, wenn
noch etwas Restnässe vom Tag übrig ist.

Freitag ... Der erste Weihnachtsfeiertag steht im Zeichen einer eher
unspektakulären hochreichenden Nord-Nordwestströmung, die vom o.e. Hoch ZVEN
über dem nahen Ostatlantik und dem inzwischen in Westrussland angekommenen Tief
GRETA II generiert wird. Mit leichtem Seitenblick schielt der Fachmann aber
schon mal in Richtung Irminger See respektive Dänemarkstraße, wo eine
mordsmäßige Zyklogenese losgetreten wird (HERMINE is born), die in den
Folgetagen auch für uns Bedeutung erlangen wird.
Bevor es soweit ist, gilt es erst mal einen vergleichsweise unterkühlten, aber
nicht wirklich kalten ersten Weihnachtsfeiertag zu verbringen. Die einströmende
Polarluft wird niedertroposphärisch noch etwas kälter (T850 um -7°C), was auf 2
m projiziert Höchstwerte von 1 bis 6°C, im Bergland um 0°C oder leichten
Dauerfrost bedeutet. Richtig sonnig wird es dabei in einem von Dänemark über SH
bis nach Niedersachsen reichenden Streifen, in dem der Skandinavienföhn
zuschlägt und für eine spürbare Abtrocknung der einströmenden Luftmasse sorgt.
Ansonsten stellt sich vielerorts wechselnde Bewölkung ein, aus der der eine oder
andere Schnee-, Schneeregen oder Regenschauer meist geringer Intensität fällt.
Etwas mehr Schneeschauer können vornehmlich am Nordrand der Mittelgebirge
fallen, insbesondere im und am Erzgebirge, das für diese Anströmrichtung
prädestiniert ist. In weiten Teilen Süddeutschlands bleibt die Wolkendecke
weitgehend geschlossen und es kommt zeitweise zu leichten, an den Alpen mitunter
auch mäßigen Schneefällen. Dort können weitere 5 bis 10 cm Neuschnee, in
Staulagen lokal auch um 15 cm zusammenkommen. Abgesehen von einigen exponierten
Hochlagen bleibt der Wind unterhalb der Warnschwellen.

In der Nacht zum Samstag beginnt die Strömung rückzudrehen. Das Hoch über dem
Atlantik zieht sich zwar etwas zurück, hält bei uns aber Keil am Leben, der sich
über Süddeutschland etabliert, wo die Schneefälle entsprechend abebben. Nördlich
davon dreht der Wind auf Südwest, wodurch peu a peu wieder mildere Luftmassen
herangeführt werden. Im Nordwesten sinkt die 850-hPa-Temperatur bis zum Morgen
auf rund -4°C. Gleichzeitig setzen dort WLA-bedingte leichte Niederschläge ein,
die teils als Regen, teils als Schnee fallen.
Während es im Westen und Nordwesten sowie unmittelbar an den Küsten gebietsweise
frostfrei bleibt, kühlt es in den übrigen Regionen auf 0 bis
-5°C, in den Mittelgebirgen sowie an den Alpen auf -5 bis -10°C ab. Hier und da
wird es glatt durch gefrierende Nässe.

Samstag ... zieht das Sturmtief HERMINE ins Seegebiet knapp südlich Islands, wo
es zur Mittagszeit unter 965 hPa auf die Waage bringt. Derweil verharrt der
Hochkeil über Süddeutschland, wo er nicht nur trockene Verhältnisse, sondern
auch ein paar Auflockerungen bringt. Diese gibt es wahrscheinlich auch im Osten
zu bestaunen, während sich sonst die Bewölkung von Nordwesten her verdichtet und
es im Norden und Westen zu leichtem Regen oder Nieselregen kommt (im Bergland
geringfügiger Schneefall).
Der Süd-Südwestwind frischt an der Küste und im nordwestdeutschen Binnenland
auf, an und auf der Nordsee wird´s stürmisch ebenso wie in einigen Hochlagen
(Norden/Mitte).


Modellvergleich und -einschätzung
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Die Modelle simulieren die Umstellung der Wetterlage summa summarum sehr
ähnlich.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann