DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

22-12-2020 10:01
SXEU31 DWAV 220800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 22.12.2020 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: SWz (Südwest zyklonal)

Weihnachtstauwetter ohne Tauen - sehr milde Südwestlage mit wiederholten und
teils kräftigen Regenfällen, vor allem in einigen Mittelgebirgen. Ab Donnerstag
merklich kälter.


Synoptische Entwicklung bis Donnerstag 24 UTC
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Dienstag... Seit gestern befinden wir uns offiziell im kalendarischen Winter
2020/21, doch von winterlichem Feeling sind wir fast schon galaktisch weit
entfernt. Startete die vergangene Nacht gestern Abend noch verbreitet
einstelligen Temperaturen - positiv versteht sich -, wurden am heutigen frühen
Morgen verbreitet zweistellige oder hohe einstellige Werte gemessen. Lediglich
im äußersten Osten, zwischen Vorpommern und Südostbayern wurden "nur" rund 5°C
oder etwas weniger gemeldet, während es "kurz nach sechs" vom Mittelrhein über
die Kölner Bucht bis in den Ruhrpott nicht selten 14 oder gar 15°C waren -
herzlich Willkommen im vorweihnachtlichen Frühling.
Ursache für das milde bis sehr milde Vorweihnachtswetter - gerne würde man an
dieser Stelle den berühmt-berüchtigten Witterungsregelfall (Singularität) des
Weihnachtstauwetters heranziehen, nur gibt es nüschts zum Tauen - ist eine
zyklonale Südwestlage, bei der vom Atlantik, genauer von der Biskaya und noch
weiter südlich gelegenen Seegebieten her sehr feuchte und eben hoch temperierte
Luftmassen nach Mitteleuropa gesteuert werden. Dass das daraus resultierende
nass-milde Wetter den meisten Leuten wohl eher auf den Senkel geht und Anhänger
winterlicher Witterung die Tränen der Trauer in die Augen spült, ist eine Sache.
Dass es aber immer wieder und gebietsweise sogar recht üppig zu Regenfällen
kommt, dürfte von der in vielen Regionen durch Trockenheit gebeutelten Natur mit
Wohlwollen aufgenommen werden, quasi als kleines natürliches Weihnachtsgeschenk.

Schaut am sich die aktuelle Potenzialverteilung an, befinden sich weite Teile
Mitteleuropas und damit auch Deutschland unter einer westlichen, leicht
antizyklonal konturierten Höhenströmung, während sich über dem nahen Ostatlantik
ein positiv geneigter, quasistationärer Höhentrog anzutreffen ist. Das
Drehzentrum des Troges korrespondiert mit dem Bodentief GRETA I, das westlich
der Biskaya liegt und dort nur wenig Progression an den Tag legt. Das
synoptische Konstrukt, das von der guten GRETA ausgeht, ist nicht ganz trivial.
Zum einen hält sie über ein Frontensystem Kontakt zu GRETA II, die bis heute
Nachmittag den Skagerrak passiert, um danach über Südschweden die Ostsee
anzusteuern. Zum anderen laufen auf der Süd- bzw. Südostflanke wiederholt flache
Wellen ab, die mit der südwestlichen Grundströmung via Frankreich auch den
Vorhersageraum traktieren.
Während die Warmfront des genannten Frontensystems im Laufe der nächsten Stunden
mit dem zugehörigen stratiformen, teils aber auch schauerartig durchsetzten
Regengebiet ost-nordostwärts abzieht, dringt die nachfolgende Kaltfront von der
Nordsee her etwas ins norddeutsche Binnenland ein. Die postfrontal einfließende
subpolare Meeresluft ist zumindest niedertroposphärisch etwas kälter (T850
0-2°C) als die weiter südlich herangeführte Subtropikluft (T850 um oder etwas
über 5°C), vor allem aber ist sie trockener. So gehen nicht nur die Taupunkte
auf unter 10°C zurück, auch das niederschlagbare Wasser PPW nimmt z.T. deutlich
ab auf unter 20 mm (an der Nordsee am Nachmittag gar unter 10 mm). Entsprechend
werden Schauer immer seltener und von der Deutschen Bucht sowie von Dänemark her
lockert die Wolkendecke später sporadisch sogar etwas auf.
Aufhellungen oder gar Auflockerungen stehen mit Hilfe orografischer Effekte auch
im äußersten Süden, vornehmlich am Alpenrand auf der Karte, während sonst, also
im größten Teil des Landes, die Schotten weitgehend dicht bleiben. Dabei fällt
im Warmsektor immer mal wieder mit Unterbrechungen und ziemlich unorganisiert
etwas Regen, den die meisten Modelle mit bis zu 5 l/qm, in einigen Staulagen
auch etwas mehr innert 12 h ansetzen. Die von der deutschen Modellkette
simulierten Peaks von 10 bis 20 l/qm im Norden BWs sowie im Bayerischen Wald
werden am ehesten von EURO4 gestützt, wohingegen andere Externe defensiver
aufgestellt sind.
Erwähnenswert neben dem Niederschlag ist auf alle Fälle der Wind, der aus
Südwesten kommend (an der Nordsee später auf West-Nordwest drehend) insbesondere
im west- und nordwestdeutschen Binnenland nebst Nordseeküste sowie allgemein im
Bergland sowie den zugehörigen Leelagen vorübergehend spürbar auffrischt. Dabei
treten Böen der Stärke 7 Bft, im Bergland je nach Exposition 8 bis 9 Bft,
Fichtelberg und Brocken bis 10 oder 11 Bft auf. Zum Nachmittag hin kommt es von
Westen her zu einer Gradientaufweichung, die vor allem im Westen und Nordwesten
eine merkliche Windabnahme zur Folge hat.
Bliebe abschließend also nur noch zu klären, welche Temperaturen wir an diesem
ersten vollen kalendarischen Wintertag erwarten dürfen. Nun, angesichts
andauernden Warmluftzufuhr (auch die subpolare Meeresluft im Norden ist ja alles
andere als kalt) sowie des dazukommenden Tagesgangs dürfte es nur wenige Orte
geben, die sich auf einstelligem Niveau halten können. An der Ostsee und der
deutsch-dänischen Grenze reicht es hier und da knapp nicht für 10°C und auch die
Hochlagen der Mittelgebirge sowie einige "Kaltluftbastionen" im Südosten
widersetzen sich tapfer der Milderung. Ansonsten aber liegt die Höchsttemperatur
zwischen 10 und 16°C mit den höchsten Werten den Rhein entlang, aber z.B. auch
im Thüringer Becken.

In der Nacht zum Mittwoch nähert sich von Frankreich her eine der o.e. flachen
Wellen, deren Scheitel voraussichtlich über die Mitte unseres Landes nach Osten
zieht. Dabei kommt es - beginnend in Westdeutschland - in den mittleren
Landesteilen sowie in Teilen Süddeutschlands zu einer Intensivierung der
Regenfälle, was modellübergreifend so gesehen wird. Allerdings offenbaren sich
noch gewisse Unschärfen hinsichtlich der genauen regionalen Schwerpunkte sowie
deren Quantifizierung. Unter dem Strich und mit etwas Toleranz läuft das Maximum
auf einen Korridor hinaus, der etwa vom südlichen NRW und RP (evtl. auch noch
das Saarland) über Hessen und Unterfranken bis zum Thüringer Wald bzw.
Oberfranken verläuft. Z.T. kommen in diesem Streifen mit Hilfe von Staueffekten
10 bis 15 l/qm, punktuell um 20 l/qm Niederschlag binnen 12 h zusammen, die in
den laufenden Dauerregenwarnungen eingepreist sind. Weitgehend oder sogar ganz
trocken bleibt es im äußersten Süden sowie in weiten Teilen der Norddeutschen
Tiefebene. Teilweise lockert die Wolkendecke auf, gebietsweise präsentiert sich
die Nacht sogar dauerhaft klar. Das birgt im Norden, wo ja die etwas weniger
milde Luftmasse lagert und der Wind komplett ins Land der Träume abdriftet, die
Gefahr von lokalem Bodenfrost. Für großartige Glätte dürfte es aufgrund der
vorherigen Abtrocknung aber nicht reichen, es sei denn, dass örtlich durchaus
wahrscheinliche Nebelfelder auf Bodentemperaturen um den Gefrierpunkt treffen
(=> gefrierende Nässe).
Apropos Wind, südlich der Welle, also grob in der Südhälfte, bleibt er aus
Südwesten kommend leidlich unterwegs, ohne dabei aber Bäume auszureißen.
Warnwürdige Böen 7-8 Bft, exponiert 9 Bft dürften sich im Wesentlichen auf das
höhere Bergland fokussieren.

Mittwoch... rückt der weiterhin stark positiv geneigte Höhentrog über den nahen
Ostatlantik etwas dichter an den Europäischen Kontinent heran. Damit verlagert
sich auch das korrespondierende Bodentief GRETA die Erste etwas weiter gen
Osten, wo sie morgen Mittag mit etwas unter 1000 hPa Kerndruck den Westeingang
des Ärmelkanals erreicht. Von dort aus bildet sich zusehends eine Rinne aus, die
in Richtung deutsches Küstengebiet gerichtet ist und die quasi als Schranke
zwischen der südlich weiterhin einfließenden sehr milden und sehr feuchten
Subtropikluft und der nördlich lauernden, merklich kälteren maritimen Polarluft
fungiert.
Deutschland verbleibt zunächst noch im Zustrom der Subtropikluft, die in
Norddeutschland, wo die o.e. Kaltfront zu einer Warmfront konvertiert, etwas an
Boden nach Norden gewinnt. In den äußersten Norden wird die Warmluft aber nicht
kommen, da dort der Wind mit Ausbildung der Rinne mehr und mehr auf Ost bis
Nordost dreht. Ost-Nordost vs. Süd-Südwest weiter südlich, Frontogenese, was
willst du mehr? Und tatsächlich verschärft sich innerhalb der Rinne der
Temperaturgegensatz: Während es am Abend im Hamburger Raum etwa 2-3°C plus in
850 hPa sind, sind es zwischen Sylt und Flensburg -2 bis -3°C. Zum Vergleich,
zur gleichen Zeit liegt die 850-hPa-Temperatur an den Alpen sowie im südlichen
Vorland bei 8 oder 9°C.
Wettertechnisch gestaltet sich der morgige Mittwoch nass und grau, wobei es
verbreitet zu teils andauernden Regenfällen kommt, die sich zunehmend auch in
den am Vormittag über weite Strecken noch trockenen Nordosten ausbreiten. Einzig
der Alpenrand und das südliche Vorland sowie die Regionen südlich der
Schwäbischen Alb können einen (weitgehend) trockenen Tag mit einigen
Aufhellungen/-lockerungen erwarten. Dagegen fallen im Westen und in der Mitte
gebietsweise 10 bis 15, lokal um 20 l/qm Regen innert 12 h, wobei die Modelle
bei der genauen regionalen Verteilung der Schwerpunkte weiterhin Defizite
aufweisen. Der Schwarzwald scheint dabei der Numerik das größte Kopfzerbrechen
zu bereiten. So simuliert die Deutsche Modellkette fast schon penetrant konstant
einen 20-30-l/qm-Hotspot im Nordschwarzwald, den IFS und GFS aber links
liegenlassen. Da aber auch die Probabilistik alles andere als aufdringlich
agiert, wird auf eine Warnung für den Schwarzwald bis auf Weiteres verzichtet.
Ansonsten gilt es noch zu konstatieren, dass in den Nordwesten ein Schwall etwas
labilerer Luft eingesteuert wird, was in der Wetterinterpretation von ICON und
COSMO-D2 mit einzelnen Gewittern quittiert wird. Ob diese aber tatsächlich
auftreten, ist angesichts nicht wirklich überzeugender Rahmenbedingungen
fraglich. Weniger fraglich ist der Süd-Südwestwind südlich der Rinne, der nur im
höheren Bergland etwas nachhaltiger auflebt mit Böen 7-8 Bft, in exponierten
Kamm-, Gipfel- und Kuppenlagen bis zu 9 Bft.
Während im Norden "nur" 6 bis 10°C ausgelotet werden, steigt die Temperatur in
den übrigen Regionen auf 10 bis 16°C, im südlichen Oberrheingraben vielleicht
sogar auf 17°C.

In der Nacht zum Donnerstag verschärft sich die Rinne über Norddeutschland
weiter, während sich gleichzeitig das ursprüngliche Tief GRETA I auffüllt und
schlussendlich nur noch als Resttrog im Druckfeld erkennbar ist. Aufgrund der
stark frontogenetischen Situation wurde in die Vorhersagekarte eine
Luftmassengrenze gelegt, die aus Gründen der Genese als Okklusion erscheint,
faktisch aber eine Kaltfront darstellt. Derweil überquert eine vorlaufende,
quasi erste Kaltfront - sie trennt sehr milde von etwas weniger milder
Atlantikluft (Rückgang T850 auf 4 bis 0°C) - von Frankreich kommend den
Vorhersageraum südostwärts. Sie bringt weitere Regenfälle mit Schwerpunkt im
Süden (Teile Bayerns und BWs), wobei nach wie vor Unschärfen hinsichtlich
Intensität und detail-räumlicher Verteilung im Modellvergleich gegeben sind. Es
ist aber davon auszugehen, dass gebietsweise 10 bis 15, lokal um 20 l/qm
Niederschlag binnen 12 h zusammenkommen. Ob dabei ein Nachjustierung der
laufenden Dauerregenwarnungen vonnöten sein wird, ist abzuwarten.
Fakt ist, dass im Norden im Bereich der Rinne ein zweiter
Niederschlagsschwerpunkt mit bis zu 15, lokal vielleicht 20 l/qm erwartet wird.
Ein Teil der hohen Mengen ist konvektiven Einlagerungen geschuldet, ICON werden
auf der warmen Seite auch weiterhin Gewitter angeboten. Diese sind aber ebenso
unsicher wie möglicher Schneeregen oder Nassschnee am frühen Morgen auf der
kalten Seite des Niederschlagsstreifens.
Der Südwestwind frischt südlich der Rinne wieder etwas stärker auf und erreicht
vor allem im Bergland Böen der Stärke 7-9 Bft. Derweil vollzieht der Wind im
äußersten Norden und Nordwesten eine mehr als 90°-Drehung hin auf glatt Nord
(Nordsee erste steife Böen 7 Bft), womit der Weg frei wird für die nördlich von
uns lagernde maritime Polarluft (T850 um -5°C).

Donnerstag... löst sich aus der Rinne ein eigenständiges Tief, da sich bereits
in der Nacht etabliert hat, über MV hinweg in Richtung Polnische Küste. Da
rückseitig keine weitere Welle mehr zu erwarten ist und sich zudem über dem
Ostatlantik ein gewaltiges Hoch gebildet hat (> 1040 hPa im Zentrum), dreht der
Wind von Nordwesten her auf Nordwest bis Nord und drückt die zweite Kaltfront
(die erste hat inzwischen die Alpen überquert) in Richtung Süddeutschland. Sie
leitet einen substanziellen Luftmassenwechsel ein, der den Namen wirklich
verdient hat: Milde Atlantikluft wird durch merklich kältere Polarluft (T850 um
-5°C) ersetzt.
Mit dem Luftmassenwechsel verlagern sich die Niederschläge mehr und mehr in den
Süden, allerdings regnet es im Nordosten aufgrund der langsamen Tiefverlagerung
sowie dem zögerlichen Nachstoßen des Höhentrogs noch längere Zeit. Ansonsten
trocknet es von Nordwesten her aber zusehends ab und trotz Zufuhr höhenkalter
Luft hält sich die Schaueraktivität im Nordwesten zumindest tagsüber vornehm
zurück. Derweil sinkt die Schneefallgrenze in den Mittelgebirgen von Norden her
bis in mittlere Lagen, allerdings ist es wohl auch dieses Mal so wie so oft bei
ähnlichen Lagen: Mit dem Ankommen der Kaltluft hören die Niederschläge alsbald
auf, so dass ein seichtes, vor allem an diesem besonderen Abend vielfach
erwünschtes Übergehen von Regen in Dauerschneefall nicht zu erwarten ist.
Lediglich an den Alpen sowie im südlichen Alpenvorland kommt es in der Nacht zum
Freitag zu andauernden Schneefällen bis ganz runter. Auch am Nordrand des
Erzgebirges könnte es in der Nacht mit etwas Neuschnee klappen, während sonst -
vornehmlich am Nordrand der Mittelgebirge - wohl nur sporadische Schneeschauer
unterwegs sind.
Der Wind frischt zeitweise böig auf und dreht von Südwest bis West auf Nordwest
bis Nord. Mit Kaltfrontpassage sind einzelne Böen 7 Bft bis in tiefe Lagen drin,
präfrontal trifft das auch für den Süden zu, wo durch den Leitplankeneffekt auch
Böen 8 Bft drin sind. Auf den Bergen sind Böen bis zu 10 Bft, im Hochschwarzwald
gar bis zu 11 Bft möglich. An der Nordsee stehen 7er- bis 8er-Böen auf der
Karte.
Die Temperatur geht von Norden her tagsüber zurück, so dass im Norden selbst nur
noch 4 bis 7°C erreicht werden. Ansonsten reicht es zuvor noch mal für 7 bis
11°C, im Südwesten gar bis zu 13°C.

Modellvergleich und -einschätzung
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Die Basisfelder werden modellübergreifend weitgehend kongruent gerechnet,
weswegen an der zu den Weihnachtsfeiertagen bevorstehenden Änderung der
Großwetterlage keine Zweifel bestehen. Unschärfen liegen nach wie vor in Bezug
auf die Regenfälle bis Donnerstag vor, was im Text auch angerissen wurde. Es
gilt die Lage weiter zu monitoren und ggf. ein paar kleine Stellschrauben zu
drehen. Die Tatsache, dass die Numerik in der Niederschlagsakkumulation bis
Donnerstag ein paar "rote Hotspots" rechnet, sollte uns nicht beunruhigen.
Lokale "Unwetterwerte" (per definitionem) in wenigen Staulagen sollte man
aussitzen. Außerdem ist die Aufnahmefähigkeit der Flüsse mehr als ausreichend,
so dass größere Überschwemmungen oder gar eine nennenswerte Hochwasserlage nicht
zu erwarten ist.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann