DWD Synoptische Übersicht Mittelfrist

09-10-2020 10:30

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T M I T T E L F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 09.10.2020 um 10.30 UTC



Kühles und wechselhaftes Herbstwetter, zur Wochenmitte im Osten und Südosten
Dauerregen möglich, in den Alpen Schnee.
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Synoptische Entwicklung bis zum Freitag, den 16.10.2020


Mit Start der neuen Woche, dem Beginn des heutigen Mittefristzeitraums, haben
wir es mit einem äußerst langgestreckten Trog zu tun, der ausgehend vom
Höhentiefkomplex über Skandinavien über Ostdeutschland, Norditalien bis nach
Tunesien reicht. Warmluftadvektion über Benelux sorgt für Potentialanstieg und
schnürt diesen über Mitteleuropa ab, so dass er effektiv beginnt über dem
zentralen Mittelmeerraum abzutropfen. In der Höhenkaltluft mit Temperaturen
unter -25 Grad in 500 hPa können trotz schwachem Bodenhochkeils einzelne Schauer
nicht komplett unterdrückt werden. Gewitter sind aber aufgrund der
ausgetrockneten mittleren Troposphäre ziemlich unwahrscheinlich. In der
eingeflossenen Meeresluft polaren Ursprungs sind bei 850 hPa Temperaturen um den
Gefrierpunkt keine 15 Grad am Boden zu erwarten. Die Schneefallgrenze liegt nur
wenig oberhalb von 1000 Metern. In der Nacht zum Dienstag greift auf den
äußersten Westen ein okkludiertes Frontensystem über. Klart es im Süden und
Osten einmal länger auf, muss verbreitet mit Bodenfrost, stellenweise auch
leichtem Luftfrost gerechnet werden.

Am Dienstag bleibt die Höhenströmung im kollektiven tiefem Geopotential sehr
komplex. Während das Zentrum des Höhentiefs über Skandinavien stationär bleibt,
kreiseln an dessen Südflanke zwei Randtröge zyklonal vor sich hin. Ersterer ist
der o.e. Cut-Off, der nach Abtropfen rasch nordostwärts über die Adria zum
Balkan gesteuert wird und dort auch am Boden eine kräftige Zyklogenese anfacht.
Ein weiteres, für unser Wetter zunächst bedeutenderes, Drehzentrum hat sich von
den Hebriden bis zum Mittag in den Großraum Paris vorgearbeitet. Die bereits
angesprochene Okklusion dreht sich immer weiter ins Tief ein und kommt dadurch
effektiv kaum ostwärts voran. So muss insbesondere entlang und westlich des
Rheins mit länger anhaltenden Regenfällen gerechnet werden, wobei die Mengen
allerdings 5 l/qm binnen 6 Stunden kaum überschreiten. Das liegt primär daran,
dass Advektionen (Temperatur und Vorticity) kaum eine Rolle spielen. In der
Osthälfte kann sich fernab des Niederschlagsbandes zeitweise die Sonne
durchsetzen. Bei allgemein nur schwacher Luftbewegung hält sich gebietsweise
aber auch länger Nebel oder Hochnebel.

Am Mittwoch wird das Höhentief über Skandinavien langsam von Südosten
"zugeschüttet". Daran lässt sich bereits erahnen, dass das Balkantief Boden nach
Norden gutmacht und im Tagesverlauf Polen erreicht. Auf seiner Vorderseite
schaufelt es "spätsommerliche" Subtropikluft aus dem östlichen Mittelmeerraum
über das Schwarze Meer mit Temperaturen teils über 10 Grad in 850 hPa bis zum
südlichen Baltikum. Die Aufgleitniederschläge, die mit dieser rumgeholten
Warmluft verbunden sind, arbeiten sich über die Oder und Neiße bis nach
Ostdeutschland voran. Dabei sollten lokal gut und gerne mehr als 10 l/qm binnen
12 Stunden möglich sein, entspräche doch ein solches Szenario in der
Hochsommerzeit mit maximalem Flüssigwassergehalt in der Luftmasse einer
potentiellen Hochwasserlage (Oder, Elbe). Zudem nimmt der Gradient an der
Westflanke des Tiefs stark zu, so dass an der vorpommerschen Küste zeitweise
Sturmböen aus Nord bis Nordost durchaus wahrscheinlich sind - zumindest
kurzzeitig. Im Gegensatz dazu übernimmt das hochreichende Tief über Frankreich
nun steuernden Charakter, wobei das frontale Geschehen sich immer mehr
verflüchtigt. Übrig bleiben noch geringe Regenfälle im Südwesten Deutschlands.
Dazwischen kann sich dank kompensierenden Absinkens in einem Streifen von der
Nordsee über das Sauerland bis zu den Alpen auch mal länger die Sonne zeigen.

Am Donnerstag setzt sich das zyklonal geprägte, wechselhafte und kühle
Herbstwetter fort. Das Höhentief über Frankreich entwickelt dabei einen
markanten Randtrog, der in den Golf von Genua ausgreift und somit Druckfall über
Norditalien induziert. Unterdessen wird nach dem Brummkreiselprinzip das Tief
über Polen westwärts nach Norddeutschland geführt, wobei diesbezüglich noch
größere Unsicherheiten existieren. Bei der daraus resultierenden südöstlichen
Höhenströmung und eher nördlichen Winden am Boden ist es nicht verwunderlich,
dass Aufgleitprozesse (Warmluft in der Höhe gleitet auf bodennahe Kaltluft auf)
weiterhin eine wichtige Rolle beim mittelfristigen Wettergeschehen einnehmen.
Während sich die Niederschläge im Norden etwas abschwächen, bildet sich ein
neuer Schwerpunkt über Bayern aus. Bei einer Schneefallgrenze, die zwischen 1000
und 1500 Metern je nach Region und Tageszeit schwankt, ist in den Alpen (vor
allem auf österreichischer Seite) mit einer gehörigen Portion Neuschnee zu
rechnen.

Zum Ende der Mittelfrist und zum Übergang zur erweiterten Mittelfrist am
kommenden Wochenende deutet sich eine Vb-Lage an, bei der es insbesondere im
Osten und Süden des Landes zu länger anhaltenden Regenfällen käme. Aber auch
sonst überwiegen die Wolken und es bleibt mit Temperaturen um die 10 Grad oder
nur wenige darüber relativ kühl. Bei Dauerregen bliebe es teils deutlich im
einstelligen Temperaturbereich. Alles in allem zumindest eine wohltuende
Aussicht hinsichtlich des regional doch erheblichen Niederschlagsdefizits der
letzten Monate.
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Bewertung der Konsistenz des operationellen Laufs


So große Unstimmigkeiten wie noch in den gestrigen Läufen sind heute 24 Stunden
später nicht mehr auszumachen. Zunächst hat das Drehzentrum über Skandinavien,
in der Folge über Frankreich ein konsistentes Übergewicht. Auch die Lage und
Intensität des Randtiefs über Polen ist zumindest bis einschließlich Mittwoch
erstaunlich konsistent gerechnet in den vergangenen 3 Läufen. Darauf basiert
auch die Aussage, dass sowohl die aufkommenden Niederschläge im Osten als auch
die Sturmböen an der vorpommerschen Ostseeküste als wahrscheinlich anzunehmen
sind. Wo sich das Tief im Anschluss aber genau hinbewegt und auflöst (zumindest
das ist gesichert), muss man aber noch abwarten. Der aktuelle 0z Lauf betont
sehr stark das nahende Vb-Szenario ab Freitag (tiefstes Geopotential genau über
den Ostalpen, Tiefdrucksumpf unter 1010 hPa von Norditalien über Slowenien und
Österreich bis nach Tschechien, Sachsen und Südpolen).
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Vergleich mit anderen globalen Modellen


Bereits am Dienstag gibt es größere Unterschiede, bezüglich der Fragestellung,
wie weit die Okklusion ostwärts vorankommt. ICON lässt schon erste
Aufgleitniederschläge auf Niederbayern übergreifen (trotz Tiefkerns maximal über
Ungarn) und will die Okklusion im Westen sogar noch gänzlich außen vor lassen.
Das erscheint doch recht unrealistisch. GFS fährt die Gegenvariante und lässt
die Regenfälle von Westen bis zur Elbe vorankommen. Hier scheint EZ (wie im Text
beschrieben) am wahrscheinlichsten. GFS lässt außerdem das Tief am Mittwoch von
Polen noch gar nicht auf Ostdeutschland übergreifen und sieht nach kurzem
Vb-Intermezzo am Donnerstag zum Freitag Zwischenhocheinfluss.

Dennoch muss man auch nach Durchsicht weiterer Globalmodelle festhalten (GEM,
ARPEGE, UKMO): Das grundsätzliche Setup der Basisfelder ist recht einheitlich,
aber durch die Komplexität der Rotation der Tiefkerne umeinander treten
naturgemäß größere Unterschiede auf. So blöd es klingt, aber letztlich lehrt die
Erfahrung, dass Details bezüglich zeitlicher und räumlicher Abfolge der
Niederschläge erst im Kurzfristbereich (im Extremfall sogar erst im Nowcasting)
final zu klären sind.
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Bewertung der Ensemblevorhersagen


Die Rauchfahnen der Temperatur in 850 hPa verbleiben landesweit recht
einheitlich und gut gebündelt bis Mittwoch im Bereich der 0 Grad-Marke.
Anschließend nimmt der Spread vor allem im Osten zur warmen Seite hin zu, was
der rumgeholten Warmluft des Tiefs über Polen geschuldet ist. Dabei steht jedoch
nahezu sicher fest, dass bei bodennah nördlichen Winden von dieser eventuell
übergebliebenen Wärmeblase in der Höhe am Boden nicht viel ankommen wird, zumal
auch kaum Auflockerungen zu erwarten sind.

Bei den Niederschlägen springen vermehrt Member von Dresden bis nach Greifswald
auf 10 bis 20 l/qm binnen 6 Stunden, was Haupt- und Kontrolllauf in der Fläche
so noch nicht bestätigen können (nur über Vorpommern).

Die 4 gebildeten Cluster im Zeitraum von +120-168h (Mi-Fr) zeigen allesamt ein
mehrkerniges, komplexes Höhentief über Mitteleuropa, dessen Trogachse sich bis
in den westlichen und zentralen Mittelmeerraum hinein erstreckt. Eine Vb-Lage
scheint dabei (egal in welcher exakten Konstellation) unausweichlich. Auch in
allen Clustern der erweiterten Mittelfrist setzt sich das Trogmuster - mehr oder
minder stark ausgeprägt - nahtlos fort. Ein Übergang zu goldenem Oktoberwetter
ist somit bis zu Beginn der dritten Oktoberdekade nicht mal ansatzweise zu
sehen.
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Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen


DAUERREGEN:
Das 90%-Perzentil von COSMO-LEPS und EZ-EPS lässt am Mittwoch von Vorpommern bis
zum Erzgebirge Regenmengen nahe der Warnschwelle von 30 l/qm binnen 24 Stunden
vermuten. Die Wahrscheinlichkeiten hierfür liegen aber aktuell noch im unteren
zweistelligen Bereich. Das Potential wäre aber allemal vorhanden.
Die EFI-Signale liegen diesbezüglich knapp östlich von uns auf österreichischer,
tschechischer und polnischer Seite. Dementsprechend gibt es bis dato auch noch
keine Indizien für markante Schneefälle auf der inländischen Alpennordseite.

STURMBÖEN:
Die Deterministik bietet modellübergreifend am Mittwoch an der Ostsee
mehrheitlich Mittelwinde von 6 bis 7 Bft an, was trotz stabiler Schichtung für
Sturmböen ausreichend ist. COSMO-LEPS simuliert 50-70% für Sturmböen und sogar
10% für orkanartige Böen (Bft 11) im Nordosten Rügens und auf Usedom. EZ-EPS
geht damit in weiten Teilen konform. Zumindest an der vorpommerschen Küste ist
somit ein markantes Sturmereignis wahrscheinlich, im Worst Case sogar mit Böen
über 100 km/h. Richtung Schleswig-Holstein nehmen die Wahrscheinlichkeiten rasch
ab.

Interessanter Nebenaspekt: Herbsturlauber in Tunesien und Süditalien werden sich
zum Wochenstart umgucken, wenn es ihnen bei kaum 20 Grad am Strand etwas
fröstelig wird. Die Temperaturen liegen kurzzeitig 5 bis 10 Kelvin unter dem
langjährigen Mittel, was auch beeindruckend im EFI-Signal zu sehen ist.
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Basis für Mittelfristvorhersage
EZ, EZ-EPS, Mos-Mix
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VBZ Offenbach / Dipl. Met. Robert Hausen