DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

01-10-2020 08:01
SXEU31 DWAV 010800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 01.10.2020 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
Übergang von HFz (Hoch Fennoskandien zyklonal) zu TB (Tennis Borussia, ach nee,
Tief Britische Inseln)

Heute tendenziell ruhiges Erstoktoberwetter. Ab Freitag in und an den Alpen
Südföhn, der am Samstag mit Kaltfrontpassage (vorübergehend) wieder
zusammenbricht.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 24 UTC
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Donnerstag... zeigt die großräumige Potenzialverteilung einen langgestreckten,
leicht negativ geneigten Langwellentrog, der von Grönland bis hinunter zu den
Pyrenäen reicht. Eingelagert sind zwei Drehzentren, von denen das eine heute
Morgen unweit von Island, das andere knapp nordwestlich von Irland postiert ist.
Während sich der nördliche Kern bis Datumswechsel weitgehend auffüllt (durch WLA
zugeschüttet), steuert der südliche die Keltische See an. Wichtiger als die
Drehzentren sind allerdings zwei Randtröge: ein recht spitzer, der sich aus dem
Südteil des LW-Troges löst und im Tagesverlauf via Frankreich gen Benelux
respektive Westdeutschland schwenkt sowie ein aktuell sehr flacher, weitgehend
unscheinbarer, der auf der Rückseite unter merklicher Intensivierung (deutliche
Zunahme an Krümmungsvorticity) auf die Biskaya zuläuft. Dieser Randtrog ist
insofern von Bedeutung, als dass er mit einer derzeit noch flachen
Warmfrontwelle korrespondiert (um 06 UTC westlich Irlands), die zunächst mit der
nordwestlichen Strömung "mitschwimmt", in den Abendstunden bzw. der ersten
Nachthälfte dann aber regelrecht explodiert und sich zu einem veritablen
Sturm-/Orkantief mausert - BRIGITTE is born. Die günstige Exposition zum Jet
("left exit" => markante Höhendivergenz) sowie diabatische Prozesse "von unten"
(man bedenke das noch relativ warme Oberflächenwasser der Biskaya) sind
wesentliche Punkte, die für die Entwicklung des Hybridtiefs (warmer Kern)
verantwortlich zeichnen. Um Mitternacht dürfte das Zentrum mit einem Kerndruck
von knapp 980 hPa unweit von Brest seine Zelte aufschlagen.
So interessant die geschilderte Entwicklung auch ist, für uns hat sie -
zumindest was den heutigen Tag angeht - nur mittelbare Bedeutung. Im Grunde
genommen liegen wir hier in Deutschland zwischen den Stühlen. Auf der einen
Seite der geschilderte Trog mit der anwachsenden BRIGITTE sowie einer
gestandenen ANDREA (mehrkernige Bodentief zwischen UK/Irland und Island), auf
der anderen Seite ein von Rumänien gen Südostpolen ziehendes Höhentief (übrigens
ein alter Bekannter, der am vergangenen Wochenende bzw. -anfang die Alpen
umkreiselt hat) das mit dem gegen den Exitus kämpfenden Bodentief ZORA
(ebenfalls eine alte Bekannte) korreliert. Getrennt werden die zyklonalen
Systeme durch eine schmale Potenzialbrücke, die aktuell noch über die Osthälfte
des Vorhersageraums verläuft und einen fetten Rücken über Fennoskandien mit
einem flachen Höhenkeil über Norditalien und den Alpen verbindet. Die Brücke
stützt das schwache Zwischenhoch NEPOMUK, das aber ebenso auf der Abschussliste
steht wie die Brücke selbst. Beide werden heute unter Abschwächung nach Osten
abgedrängt, bis sie irgendwann ganz von der Bildfläche verschwinden und das
östliche Höhentief in das Zirkulationsmuster des atlantischen Systems
aufgenommen wird.
Klingt alles fürchterlich kompliziert, ist es auch, trotzdem gestaltet sich der
Wetterablauf bei uns vergleichsweise überschaubar. Im Westen überwiegt vor einer
nur zögerlich nach Osten vorankommenden teilokkludierten Kaltfront (eine weitere
Teiltiefbildung über der westlichen Nordsee wirkt progressionshemmend)
weitgehend geschlossene Bewölkung. Aus der es schauerartig regnet. Wolken und
Schauer arbeiten sich langsam ostwärts voran, bis zum Abend erreichen die
Regenfälle etwa die Weser, Osthessen und die Landesgrenze zwischen BW und
Bayern. Die Schauer werden heute Nachmittag durch den o.e. Randtrog etwas
intensiviert, andererseits sorgt vorderseitige KLA auch für eine dämpfende
Komponente. Die von Süden einströmende milde Meeresluft (Meeresluft von Süden? -
ja, von der Biskaya via Frankreich in den Westen Deutschlands und dort Umlenkung
Richtung Nordsee) ist bis ca. 650 hPa leicht labil geschichtet, was angesichts
von Wolkenoberflächentemperaturen > -10°C kaum für Gewitter reichen dürfte.
Östlich der starken Bewölkung schließt sich ein Streifen an, der noch vom
scheidenden Zwischenhoch profitiert. Nach z.T. etwas holpriger Nebelauflösung
scheint von SH über Sachsen-Anhalt bis hinunter nach Ostbayern die Sonne. Noch
weiter östliche - etwa von der Oberlausitz bis nach Vorpommern - machen sich die
"Rote ZORA" und ihr Höhentief mit mehr oder weniger dichten Wolkenfeldern
bemerkbar, aus denen es hier und da auch mal etwas regnen kann.
Der südöstliche Wind lebt im Westen und Nordwesten vorübergehend auf,
warnwürdige Böen beschränken sich aber auf die Nordsee (7 Bft, offene See auch
mal 8 Bft) sowie ab dem Nachmittag auf den Hochschwarzwald (8 Bft). Ob es in
einigen Leelagen der westlichen Mittelgebirge mit Winddrehung auf Süd bis
Südwest auch mal für einzelne 7er-Böen reicht, ist grenzwertig.
Noch ein Satz zur Temperatur, die bei T850 zwischen 6 und 12°C Höchstwerte von
14 bis 21°C zulässt.

In der Nacht zum Freitag wird BRIGITTE (also das Sturmtief) weiter ausgepumpt
auf rund 970 hPa am Morgen. Dabei verändert es seine Position kaum. Derweil
steuert das o.e. Teiltief von der westlichen Nordsee zu den Orkneys, wobei es
sich etwas vertieft. Die teilokkludierte Kaltfront kommt langsam
ost-nordostwärts voran, hat aber nach wie vor schwer mit der Blockierung eines
Hochs über Russland zu kämpfen. Entsprechend schwächen sich auch die zugehörigen
schauerartigen Regenfälle ab. Abgesetzt von den frontalen Niederschlägen und
induziert vom Höhentief über SO-Polen kommt es in einem schmalen, von MV bis zur
Oberlausitz reichenden Streifen zu zeitweiligem Regen.
Ansonsten gilt es zu konstatieren, dass die Nebelneigung aufgrund von Bewölkung,
z.T. aber auch von etwas Wind deutlich geringer ist als in der Vornacht. Apropos
Wind, der schwächt sich wegen des postfrontal auffächernden Gradienten und des
Tagesgangs allgemein ab, erst zum Morgen hin sind auf den Alpengipfeln erste
Böen 8 Bft aus südlichen Richtungen möglich.

Freitag... bohrt sich Sturmtief BRIGITTE immer weiter in die obere Troposphäre,
was einer weiteren Entwicklung freilich hinderlich ist. Bei quasisenkrechter
Achse beginnt der (langsame) Auffüllprozess bei gleichzeitiger Verlagerung des
Tiefs nach Süden. Um 24 UTC soll es mit etwa 980 hPa off- oder onshore bei La
Rochelle liegen. Gleichzeitig vertieft sich das von den Orkneys zu den Hebriden
ziehende Teiltief auf etwas unter 995 hPa. Zwischen den Tiefs und dem weiterhin
prominenten Hoch über Fennoskandien bzw. Russland wird bei uns eine mäßige
Ostströmung generiert, die zunächst mal den Resten der inzwischen bis in den
Nordosten vorangekommenen Okklusion den Garaus macht. Dort kommt es bis in den
Vormittag hinein noch zu ein paar schlappen Schauern, bevor es im weiteren
Verlauf trocken bleibt.
Trocken bei unterschiedlicher Bewölkung (Sonne vornehmlich im Lee der
Mittelgebirge, teils föhnbedingt) auch in Südostbayern) bleibt es auch im großen
Rest des Landes, einzig der Südwesten wird von zeitweiligen Regenfällen
traktiert. Gründe dafür sind zum einen WLA auf der Vorderseite des Höhentiefs
über Westfrankreich sowie die Annäherung des zu BRIGITTE gehörenden
Frontensystems, das aber durch ein bei den Pyrenäen entstehendes flaches
Wellentief ausgebremst wird. Die von COSMO-D2 im Alpenvorland simulierten
Regenfälle (Dimmerföhn) sind unrealistisch, da die Grundschicht aber etwa 700
hPa abwärts viel zu trocken ist und möglicher, in der Höhe auf die Reise
geschickter Niederschlag unten nie und nimmer ankommt.
Thema Wind, dort steht vor allem der sich in den Alpen aufbauende Südföhn im
Blickpunkt, der zunächst die Gipfellagen betrifft mit Böen bis 10 Bft (schwerer
Sturm), später bis zu 12 Bft (Orkan). Ab den Abendstunden muss dann auch mit
Durchbruch bis in exponierte Täler sowie bis an den Ostrand des Bodensees
gerechnet werden (8-9 Bft), wenn nämlich im Lee der westlichen Alpen ein
orografisches Tief entsteht, das den Gradienten auf seiner Vorderseite merklich
verschärft. Sowohl Bozen-Innsbruck als auch Lugano-Zürich kommen auf eine
Druckdifferenz von rund 10 hPa, was eine ordentliche Hausnummer darstellt. So
gesehen ist der (erste) Höhepunkt der Föhnlage in der Nacht von Freitag zu
Samstag zu erwarten. Abseits des Föhns greift der östliche Wind vor allem in den
Mittelgebirgen spürbar an, insbesondere in exponierten Kamm-, Kuppen- und
Gipfellagen. Dort stehen Böen bis Stärke 9 Bft auf der Karte, allerdings kann es
auch einige Ost-West-geschnittene Täler mit der einen oder anderen steifen Böe 7
Bft treffen. Inwiefern das warntechnisch abgebildet wird, muss morgen früh
entscheiden werden. Bliebe noch die Küste, wo der Ostwind im Tagesverlauf soweit
an Fahrt aufnimmt, dass zumindest die schleswig-holsteinische Ostseeküste ein
paar 7er-Böen abbekommt, bevor in der Nacht zum Samstag der gesamte Küstenraum
eine Windverschärfung verordnet bekommt (7-8 Bft).
Noch ein Wort zur Temperatur, die in 850 hPa einen monumentalen Anstieg
verzeichnet, der teils advektiv, teils föhnbedingt begründet ist. So geht es bis
zum Abend im Alpenvorland rauf auf bis zu 18°C, während sich die Norddeutschen
zwischen Oderhaff und Sylt mit 6°C begnügen müssen. Satte 14 Grad Unterschied,
die sich aber angesichts der im unteren Bereich der Luftmasse vorhandenen
stabilen Schichtung nicht auf die 2m-Temperatur projizieren lassen. Dort werden
Tageshöchstwerte von 14 bis 22°C erwartet, allerdings könnte in der Nacht zum
Samstag mit Föhndurchbruch an der einen oder anderen Stelle eine "warme
Überraschung" aufwarten (statt nächtlicher Abkühlung ein Wärmeeinbruch). Sollte
also im Süden am Samstagmorgen irgendwo eine "20" (oder sogar mehr) auf dem
häuslichen Thermometer aufblitzen, so ist das weniger post-träumerischer
Phantasievorstellungen oder nicht abgebautem Restalkohol als vielmehr einfach
nur dem FÖHN geschuldet.

Samstag... verlagert sich das Höhentief über Westfrankreich schon ab der Nacht
beginnend nach Norden. Es ist asymmetrisch konfiguriert und verfügt über mehrere
Sekundärtröge, die für die weitere Entwicklung am Boden nicht unerheblich sind.
Zunächst mal gilt es festzuhalten, dass Sturmtief BRIGITTE auf die Rückseite
eines zum westlichen Mittelmeer schwenkenden Sekundärtrogs gelangt, was das
rasche Aus bedeutet. Spätestens Samstagmittag ist das Tief von den Wetterkarten
verschwunden oder allenfalls noch als flauer Resttrog über den Westalpen
erkennbar. Ein zweiter, nach Norden in Richtung Ärmelkanal gerichteter
Sekundärtrog induziert - auch bereits in der Nacht zum Samstag beginnend - im
Bereich des Ärmelkanals/Nordfrankreich eine neuerliche Zyklogenese, deren
Endprodukt ein neues, kleines und knackiges Sturmtief ist, das zur Mittagszeit
mit einem Kerndruck zwischen 985 und 980 hPa über der Bretagne (IFS, GFS) oder
zwischen Dover und Calais (ICON) liegt. Hier gibt es noch Modellunsicherheiten.
Bei uns wird das föhninduzierte Tief mit der süd-südöstlichen Höhenströmung
nord-nordwestwärts gesteuert, was mit einer markanten Kaltfrontpassage
einhergeht. Die Kaltfront passiert den Vorhersageraum von Südwest nach Nordost,
wobei es zu eher schwach ausgeprägten schauerartigen Regenfällen kommt. Viel
Wasserdampf ist nicht vorhanden, wie auch, wird doch auf der Alpensüdseite
ordentlich abgeladen. Im Osten und Nordosten kommt dann auch gar nichts mehr an
vom Regen, dafür scheint dort zumindest zeitweise die Sonne.
Imposant sind die Temperaturunterschiede in 850 hPa: Während um 12 UTC in
Sachsen rund 20°C!! aufleuchten, sind es zur gleichen Zeit im Saarland und RP
nur noch rund 4°C. Da verwundert es nicht, dass im Osten punktuell 24 oder gar
25°C anvisiert werden können, während im Südwesten zumindest teilweise gerade
mal 15°C auf dem Zettel stehen.
Mit der Kaltfrontpassage bricht der Föhn von West nach Ost zusammen. Allerdings
frischt der auf Südwest bis West drehende Wind mit Durchgang der Kaltfront
respektive einer damit in Verbindung stehenden Druckwelle vorübergehend auf, was
auch in tiefen Lagen einige 7er-Böen, im Bergland sowie im Alpenvorland
stürmische Böen oder Sturmböen 8 bis 9 Bft, exponiert 10 Bft zur Folge hat.
Zwischen dem Tief über West- und dem weiterhin prominenten Hoch über
Nordosteuropa bleibt der Gradient im äußersten Norden noch längere Zeit stark
gestaucht, was insbesondere im Küstenraum einen ruppigen und stürmischen Ostwind
zur Folge hat (meist 8-9 Bft). Erst zum Abend hin nimmt dort der Wind mehr und
mehr ab, dafür frischt er im Westen und Südwesten vorderseitig des neuen
Sturmtiefs wieder merklich auf.

Modellvergleich und -einschätzung
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Summa summarum wird die Entwicklung modellübergreifend ähnlich simuliert.
Hinsichtlich des "zweiten" Sturmtiefs am Samstag gibt es noch gewisse
Diskrepanzen, die für unseren Raum aber nur bedingt von Bedeutung sind. Die
bevorstehende Föhnlage ist ebenso unstrittig wie die Tatsache, dass Westeuropa
(vor allem Teile Frankreichs und Englands) den Löwenanteil am Sturm und die
Alpensüdseite die fettesten Niederschläge abbekommen.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann