DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

29-08-2020 18:01
SXEU31 DWAV 291800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Samstag, den 29.08.2020 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
Im Süden weitere Regenfälle (gebietsweise Unwetter), sonst etwas, aber nicht
viel Konvektion.

Synoptische Entwicklung bis Dienstag 12 UTC
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Aktuell ... ist der Großwetterlage eine gewisse Komplexität nicht abzusprechen.
Naja, wenn schon keine Bundesliga läuft, dann kann man sich ja wenigstens mit
dem Wetter beschäftigen. Starten wir mit der Potenzialverteilung, die
Deutschland weiterhin auf der Vorderseite eines langgestreckten, mit positiver
Achsneigung ausgestatteten Höhentrogs zeigt, der von einem Rücken über dem nahen
Ostatlantik und einem weiteren Rücken über Südost- bzw. dem nahen Osteuropa
flankiert wird. Heute Abend verläuft die Hauptachse des aus mehreren Anteilen
bestehenden Troges (verschiedene Kurzwellenanteile respektive eigenständige
Drehzentren) etwa von Norwegen über die Nordsee und Westfrankreich und die
Pyrenäen bis hinunter in den Osten Spaniens. Insgesamt legt der Trog eine
gewisse Progression an die Nacht, wobei der Südteil etwas flotter nach Osten
vorankommt als der Nordteil. Folgerichtig steil die vorderseitige Höhenströmung
noch etwas weiter auf bis auf nahezu glatt Süd.
Korrespondierend zum Trog erstreckt sich eine über tausende von Kilometern
verlaufende Tiefdruckzone vom Nordpolarmeer über Mitteleuropa und den westlichen
Mittelmeerraum bis nach Nordafrika, in die mehrere Drehzentren eingelagert sind.
Eines davon liegt vor der schwedischen Ostküste unweit von Gotland, was uns hier
aber weniger interessiert. Relevanter ist da schon Lady LYNN, ein kleines Tief
vor der westfriesischen Küste, das heute Nacht bei unseren westlichen Nachbarn
"Landfall" macht. Auch das flache Tiefkonstrukt namens MARLIES, südlich der
Alpen gelegen mit föhnausgepumptem Ableger über dem Ostalpenraum ist nicht ganz
ohne Bedeutung.
Zunächst in die Peripherie von LYNN, also in den Nordwesten unseres Landes, wo
heute tagsüber über der Deutschen Bucht Konvektion am Start war und auch noch
ist. Konvektive Umlagerungen werden sich im Tiefbereich auch in der kommenden
Nacht nicht unterdrücken lassen (warmes Wasser, etwas Höhenkaltluft), wobei
Schauer oder Gewitter auf deutscher Seite am ehesten die nordfriesische
Küstenregion bzw. Dithmarschen treffen. Die wenigen Schauer und vereinzelten
Gewitter, die am Abend im Landesinnern noch zu beobachten sind (Streifen vom
Saarland/RP bis hoch nach MV), dürften schon bald dem Tagesgang zum Opfer
fallen.
Im Süden hingegen macht sich der Tagesgang weniger bis gar nicht bemerkbar.
Bedingt durch den Druckfall im Ostalpenraum (o.e. Ableger von MARLIES) dreht der
Bodenwind noch etwas stärker auf Nord bei gleichzeitig auf nahe Süd
rückdrehender Höhenströmung. Dementsprechend verstärkt sich nicht nur die auf
der kalten Seite einer über dem Alpenraum liegenden Luftmassengrenze auftretende
Gegenstromsituation, auch die Luftmassengrenze steilt etwas auf. In Folge dessen
intensivieren sich die Regenfälle, wenn auch nur geringfügig, und breiten sich
nord-nordwestwärts, so dass Teile Badens, Frankens und Sachsens, vielleicht
sogar noch die Niederlausitz davon erfasst werden. Der Schwerpunkt liegt nach
wie vor im Bereich Bodenseeraum/Oberschwaben/bayerisch Schwaben, wo nach ICON
von 12 UTC etwa 10 bis 25, lokal bis zu 35 l/qm fallen sollen.
In einem von Westdeutschland bis in den Nordosten reichenden, relativ breiten
Korridor klart es teilweise für längere Zeit auf, wobei sich ein paar
Nebelfelder bilden können. Außerdem geht dort die Temperatur in der
abgetrockneten Meeresluft vielfach in den einstelligen Bereich zurück, in den
westlichen Mittelgebirgen lokal auf Werte um 5°C. Keine Frage, es geht auf
Herbst zu.

Sonntag ... zeigt sich das gesamte Strömungsmuster weiterhin leicht progressiv,
wobei Deutschland mit Ausnahme des Ostens und Südostens mehr und mehr unter den
weiterhin leicht positiv geneigten Höhentrog gelangt. Eingelagert ist ein
eigenständiges, ja man ist geneigt zu sagen eigensinniges Drehzentrum/Höhentief,
dessen Vita man im Futur schlecht lesen kann, welches morgen aber irgendwo über
Deutschland aufschlagen könnte.
Wie auch immer, Fakt ist, dass das ehemalige Tief LYNN (fälschlicherweise wird
LYNN in der Prognosekarte der FU Berlin für Sonntagmittag einem flachen Tief
über Karelien zugeordnet) über den Niederlanden zu einem Bodentrog mutiert, der
an der Ostabdachung eines meridional aufgestellten Hochs über dem nahen
Ostatlantik (Gott zum Gruße HARALD) südwärts gesteuert wird. Um das zu schaffen,
muss die Grundströmung auf nördliche Richtungen drehen, was sie östlich des
Hochs auch tatsächlich großräumig tut. Damit breitet sich bis Tagesende im
ganzen Land etwas kühlere Meeresluft polaren Ursprungs aus, in der die
850-hPa-Temperatur auf 8 (Teile Oberbayerns) bis 4°C (an der Nordsee)
zurückgeht.
Während also im Westen der Bodentrog auf Südkurs wandelt, zieht es MARLIES,
genau genommen den Ostalpenableger von MARLIES, via Tschechien in Richtung
Polen. Die weiterhin im Wesentlichen durch Gegenstrom - abgesetzt von der Front
- induzierten Regenfälle breiten sich nicht nur nord-nordostwärts bis hoch nach
BB und Sachsen-Anhalt aus, sie machen zudem einen Abstecher nach Westen, so dass
Teile Hessens, vielleicht sogar das südliche Niedersachsen und die Vorderpfalz
was abbekommen. Ob in Sachsen, im südlichen BB, in Ostthüringen oder gar in
Unterfranken stellenweise mal das mehrstündige Starkregenkriterium gerissen
wird, wie von ICON und COSOMO-D2 angedeutet, ist noch unsicher.
Weniger unsicher ist, dass das südöstliche Bayern regentechnisch weitgehend in
die Röhre guckt. Allerdings könnten sich - so zumindest die Lesart einiger
konvektionserlaubender Modelle wie SuperHD oder AROME (der von COSMO-D2
feilgebotene Gewitterteppich sprengt jeglichen Rahmen) - einzelne Gewitter
entwickeln, auch wenn die Labilität der zu hebenden Luftmasse nicht gerade
atemberaubend ausfällt. Außerdem wirken die durch Überströmung der Alpen
induzierte Abtrocknung der Luftmasse sowie eine dadurch zwischen 800 und 700 hPa
aufgebaute Inversion alles andere als konvektionsfördernd. Wenn was geht, dann
wohl nur "elevated", wofür aber wiederum der Antrieb fehlt. Kurzum, schwierige
Kiste mit der Konvektion morgen, die dadurch noch eine Steigerung erfährt, indem
EURO4 - ein bei der Niederschlagsprognose abgesehen von der Quantität sehr
seriöses und zuverlässiges Modell - einzelne Gewitter auf der kalten, also der
westlichen Seite des Regengebietes simuliert (etwa in einem vom Oberrhein bis in
südliche und östliche Niedersachen reichenden Streifen). Immerhin bietet ICON im
gleichen Streifen ein gewisses Quantum an ML-CAPE an (bis etwa 300 J/kg), was in
diesem - wahrscheinlich mangels ausreichend Hebung - aber nicht in konvektive
Umlagerungen, zumindest nicht in Gewitter umgesetzt wird. Zieht man jetzt noch
ins Kalkül, dass auch noch weiter im Westen, also dort, wo der Bodentrog
passiert, von einigen Modellen einzelne Gewitter simuliert werden, ist das
Rätselheft endgültig voll. Zusammenfassend lässt sich an dieser Stelle
festhalten, dass am morgigen Sonntag in der Nordwesthälfte sowie im Südosten
einzelne Überentwicklungen durchaus möglich sind, sich ihre Anzahl aber in
Grenzen hält. Aufgrund der quasi nicht vorhandenen Dynamik steht dabei
Starkregen von rund 15 l/qm oder etwas mehr innert kurzer Zeit auf Platz eins
potenzieller Begleiterscheinungen.
Ansonsten gilt es nur noch festzuhalten, dass morgen im äußersten Norden der
meiste Sonnenschein zu erhaschen ist, während auf diesem Sektor im Süden sowie
in weiten Teilen der Mitte der Laden komplett geschlossen bleibt. Das macht sich
auch an den Temperaturen bemerkbar, die im Norden relativ problemlos und von nur
wenigen Ausnahmen abgesehen (auflandiger Wind an der Küste) die 20°C-Marke
überschreiten, wohingegen in Gebieten mit Dauerregen das Erreichen der 15°C
Schwelle ein ernstes Problem wird. Keine Frage, es geht auf Herbst zu. Der Wind
spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Am meisten davon gibt es auf den
Alpengipfeln, wo exponiert in Böen Sturmstärke 8 bis 9 Bft erreicht werden kann.
Ansonsten zeichnet sich am Abend ein kleines Windmaximum an der Nordsee ab (max.
7 Bft um Nord) sowie eine kleine Druckwelle ("post MARLIES") im südöstlichen
Bayern gegen Mittag/früher Nachmittag (ebenfalls max. 7 Bft um West).

In der Nacht zum Montag deutet sich über Südostfrankreich unweit der Schweiz ein
Abtropfen des Höhentroges an. Gleichzeitig schwenkt das nördliche Residuum über
den Vorhersageraum langsam ostwärts. Derweil zieht Tief MARLIES weiter in
Richtung Baltikum, während der in Südwestdeutschland angekommene Bodentrog
(ehemals LYNN) wegerodiert wird. Während es im Osten sowie in der östlichen
Mitte weiter regnet (gebietsweise 10 bis 20 l/qm innert 12 h, laut GFS auch
mehr), hören die Niederschläge im Süden auf, womit auch die bis Mitternacht
terminierten Warnungen auslaufen können. Auflockerungen stellen sich vornehmlich
im Südwesten und im Norden ein, wobei sich örtlich Nebel bildet.

Montag ... verlagert sich der westeuropäische Höhenrücken bis zur Nordsee,
wodurch der Luftdruck im ganzen Land von Westen her allmählich steigt. Da der
Schwerpunkt des Hochs aber westlich von uns verbleibt, wird mit schwacher
nordwestlicher Grundströmung weiterhin erwärmte Meeresluft polaren Ursprungs
advehiert (T850 4 bis 8°C). Zwar setzt vorderseitig des Rückens leichtes
Absinken ein, von dem zunächst wahrscheinlich aber nur Teile des Nordens sowie
der Nordwesten profitieren werden. Dort bildet sich bei etwa 800 hPa eine
Absinkinversion, unter der es in der labil geschichteten Grundschicht quillt,
nennenswerte und für Konvektion ausreichend vertikale Quellungen jedoch nicht zu
erwarten sind. Vor allem an der Küste, im küstennahen Binnenland sowie in SH
scheint sogar für längere Zeit die Sonne.
Anders sieht es mit den übrigen Landesteilen aus, die noch von den Resten des
abgetropften Höhentrogs überdeckt werden. Dort fehlt die Sperrschicht und bei
leidlicher Labilität, in der etwas ML-CAPE generiert werden kann (bis etwa 300
J/kg), entwickeln sich unorganisiert Schauer und einzelne Gewitter, die bei PPW
von 20 bis 25 mm (im Osten hier und da noch etwas mehr, im Süden eher weniger)
und geringer Mobilität mit Starkregen (max. markant) einhergehen können.
Die Temperatur erreicht am letzten Augusttag, der gleichzeitig letzter Tag des
meteorologischen Sommers ist, 17 bis 22°C. Keine Frage, es wird Herbst.

In der Nacht zum Dienstag verstärkt sich der Hochdruckeinfluss, allerdings nur
im Westen und Norden. Dort klar es vielerorts auf. Nach Süden und Südosten hin
muss bei weiterhin zyklonal konturiertem Potenzialfeld mit schauerartigen
Regenfällen gerechnet werden. Noch dicker könnte es im Süden und Südosten
Bayerns kommen, wo sich wahrscheinlich länger andauernder Regen einstellt, der
auch am Dienstag noch auftritt und möglicherweise eine neuerliche
Dauerregenwarnung nötig macht. Ursache ist das o.e. über SO-Frankreich
abgetropfte Höhentief, das südlich der Alpen nach Osten zieht und die nördliche
Adria ansteuert. Die zugehörigen Hebungsprozesse greifen über den Alpenhauptkamm
bis auf deutsches Territorium über, wobei direkt an den Alpen noch Stau
dazukommt (Schneefallgrenze um 2200 m). Wie viel letztlich runterkommt, steht
heute noch nicht fest.

Dienstag ... begrüßen wir zunächst mal offiziell den meteorologischen Herbst
2020. Und tatsächlich gibt sich die Atmosphäre Mühe, diesen zumindest in Teilen
des Landes standesgemäß, oder sagen wir einigermaßen standesgemäß zu beginnen.
Der Norden und Westen gehören allerdings nicht wirklich dazu. Zwar wird der
Höhenrücken über der Nordsee einigermaßen auf Distanz gehalten, in dem über
Mitteleuropa "Doppeltes Lottchen" gespielt wird. Konkret, es etabliert sich über
dem Vorhersageraum und Nachbarschaft ein dipolartiges Höhentief, das aus dem
o.e., von der nördlichen Adria nach Tschechien ziehenden Cut-Off-Tief und einem
weiteren Höhenei, das sich von der Ostsee nach Westdeutschland verlagert,
besteht. Am Boden hingegen etabliert sich leichter KLA folgend eine
Hochdruckbrücke, die das Azorenhoch mit dem seinen Schwerpunkt nach Skandinavien
verlagernden Hoch HARALD verbindet. Kurzum, im Nordwesten und in Küstennähe
scheint zeitweise die Sonne bei geringer Regenneigung.
Anders die Situation mit jedem Kilometer weiter südöstlich, wo nicht nur die
Wolkendecke immer undurchdringlicher (für direkte Sonnenstrahlung) wird, sondern
auch die Regenwahrscheinlichkeit deutlich erhöht ist. Ursache ist nicht nur das
erwähnte Höhentief, sondern auch ein korrespondierendes Bodentief, das vom
nördlichen Balkan langsam nach Norden zieht. Teils fällt der Regen schauerartig
aus, teils dauert er länger an, wobei noch nicht sicher ist, ob Warnkarten
gezogen werden müssen. Möglich sind zudem einzelne Gewitter. Die Temperatur
erreicht Höchstwerte zwischen 15 und 21 Grad, bei Dauerregen etwas darunter.



Modellvergleich und -einschätzung
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Wenn die Modelle in den Basisfeldern auch ähnlich simulieren, ergeben sich
insbesondere in Bezug auf Konvektion doch gewisse Diskrepanzen. Bezogen auf den
Sonntag betrifft das die allgemeine Gewitterei sowie den möglichen Starkregen in
der Mitte. Letzterer wird vor allem von COSMO-D2-(EPS) propagiert, wobei aber
mehr als fraglich ist, ob dieses Modell nicht die Gewitter (teils als
Warmlufteinschub) deutlich übertreibt. Interessant auch der von EURO4 simulierte
konvektive Streifen auf der kalten Seite des Regengebiets, der aber - etwas
abgesetzt vom Regen - im Prinzip heute schon existent war und auch noch ist
(gemeint ist der im Text angesprochene, vom Saarland/RP bis nach MV reichende
Streifen). Von daher ist diese Variante durchaus glaubhaft. Gleichwohl bleiben
noch ein paar Fragezeichen, die wohl nur in situ beantwortet werden können.



Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann