DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

24-08-2020 08:01
SXEU31 DWAV 240800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Montag, den 24.08.2020 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Wz (West zyklonal)

Heute im Norden einzelne Gewitter, am Dienstag Ruhe vor dem Sturm, am Mittwoch
der große Auftritt von KIRSTEN.

Synoptische Entwicklung bis Mittwoch 24 UTC
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Montag... startet mit einer sommerlichen zyklonalen Westlage, die durch eine
leicht mäandrierende und nicht überbordend ausgeprägte Frontalzone
gekennzeichnet ist. Diese dringt vom mittleren Nordatlantik kommend relativ weit
auf den europäischen Kontinent vor, wobei heute ein breit angelegter, dafür nur
wenig Amplitude aufweisender Trog den Vorhersageraum langsam ostwärts überquert.

Im Bodendruckfeld finden wir das typische Bild einer Westlage mit diversen Tiefs
auf der kalten Seite, in diesem Fall vor allem über Nordeuropa und dem
Nordostatlantik. Als Pendant auf der warmen Seite fungiert der
berühmt-berüchtigte Azorenhochkeil, der sich von Frankreich und der Biskaya her
bis nach Süddeutschland und sogar noch etwa darüber hinaus ausgeweitet hat und
den eher seltenen Namen GUNDMAR trägt. Vervollständigt wird das Ganze durch eine
von Südwesten einfließende maritime Luftmasse, die weder richtig kalt noch
richtig warm ist (T850 6 bis 10°C) - Endsommerstimmung halt. Fakt ist, dass mit
dem Trog mehr oder weniger dichte Wolken von West nach Ost durchgeschleust
werden, die sich unterschiedlich auswirken. So bleibt es in der Mitte und im
Süden weitgehend trocken, auch wenn hier und da ein paar Tropfen nicht
ausgeschlossen werden können. Inneralpin werden modellübergreifend sogar
vermehrt konvektive Umlagerungen simuliert, die auch den deutschen Alpenrand
tangieren können. Allerdings hält sich die Wahrscheinlichkeit sehr in Grenzen,
dass Blitz und Donner über deutschem Hoheitsgebiet registriert werden.
Ganz anders die Situation in Norddeutschland, wo bereits heute früh "Bambule"
ist. So hat sich trogvorderseitig eine mesoskaliges Regenband generiert, das von
der Nordsee kommend mit schauerartigen Einlagen und einzelnen Gewittern den
äußersten Norden ostwärts überquert. Wasserdampf ist bedingt durch die
vergleichsweise warme Nordsee ausreichend gegeben (PPWs um oder sogar über 25
mm, spez. Grundschichtfeuchte bis zu 10 g/kg), so dass bei Gewittern, aber auch
in kräftigen Schauern neben Böen 7-8 Bft auch Starkregen von 15 bis 20 l/qm
innert kurzer Zeit auftreten kann (in SH besteht Starkregengefahr auch durch
Mehrfachtreffer von der Deutschen Bucht her gegeben). Ist anfangs vor allem die
Küstenregion von den Niederschlägen betroffen, so weiten sich Schauer und
einzelne Gewitter im Tagesverlauf noch etwas weiter südwärts in die Norddeutsche
Tiefebene aus, bevor zum Abend hin ein Abebben der konvektiven Aktivität zu
erwarten ist. Zwar frischt der Südwestwind gradient- und tagesgangbedingt etwas
auf, Böen der Stärke 7 Bft (oder in ganz wenigen Einzelfällen auch 8 Bft) werden
aber außerhalb von Schauern/Gewittern kaum anzutreffen sein.
Die Temperatur pendelt sich heute zwischen 18/19°C an der Nordsee und - mit
Hilfe von etwas nachmittäglicher Sonne - bis zu 24°C im Süden ein.

In der Nacht zum Dienstag verlässt uns der Höhentrog unter Verkürzung seiner
Wellenlänge in Richtung Osten. Ihm folgt ein flacher Rücken, der das Resultat
kräftiger WLA über dem nahen Ostatlantik ist. Dort kommt es zu einer äußerst
fruchtbaren Symbiose zwischen einem von Westen einlaufenden KW-Trog und einem
anfangs noch etwas bieder daherkommenden Bodentief namens KIRSTEN, das uns aber
am Mittwoch noch stark beschäftigen wird. Bis es soweit ist, setzt sich zunächst
erst einmal Zwischenhocheinfluss durch. So kann sich der Azorenhochkeil im Laufe
der Nacht etwas nach Norden ausweiten, was in Zusammenarbeit mit dem Tagesgang
dem konvektiven Geschehen die Lust am Wirken nimmt.
Zwei Ausnahmen gilt es allerdings zu erwähnen. So dauert es bedingt durch die
diabatische Komponente (Stichwort warmes Oberflächenwasser) an und insbesondere
über dem Meer etwas länger, bis Schauer und Gewitter ihren Geist aufgeben (an
der Nordsee eher als an der Ostsee). Außerdem simuliert IFS von gestern 12 UTC
in der Mitte ein kleines, von West nach Ost ziehendes Schauergebiet, das
offensichtlich an einen vor allem in der unteren Troposphäre erkennbaren
Sekundärtrog gekoppelt ist. EURO4 stützt diese Variante, während der große Rest
der Modellwelt weitgehend in konvektives Schweigen verfällt.
Ansonsten gilt es nur noch zu erwähnen, dass sich vornehmlich im Nordwesten bei
einschlafendendem Wind in der angefeuchteten Grundschicht einige Nebelfelder
bilden können. Außerdem greift in der zweiten Nachthälfte von Westen her
schwache WLA über, die den westlichen Landesteilen mehrschichtige Bewölkung und
gegen Morgen vielleicht auch schon erste Tropfen bringt. Die Temperatur sinkt
vor allem im Süden sowie in den Mittelgebirgen, stellenweise aber auch im
schleswig-holsteinischen Binnenland unter die 10°C-Marke.

Dienstag... wird das Tief KIRSTEN über UK/Irland ordentlich ausgepumpt, was es
letztlich zu einem veritablen Sommersturmtief macht. Es wird um 12 UTC über der
Irischen See gerechnet, wobei ICON mit etwa 987 hPa Kerndruck eher konservativ
agiert, während externe Modelle wie GFS und IFS in Richtung 980 hPa tendieren.
Tatsache ist, dass KIRSTEN mit ihrem warmen Kern, ihrer Exposition zur
Höhenströmung (linker Jetein-, rechter Jetausgang) sowie ihrer nur rudimentär
bis in den Kernbereich reichenden Kaltfront (gut erkennbar an der pseudopot.
Temperatur in 850 hPa bei GFS) die Züge einer Shapiro-Keyser-Zyklone aufweist.
Wie auch immer, bei uns wandert zunächst der flache Höhenrücken durch, wobei
sich gleichzeitig die WLA von Westen her intensiviert und nach Osten ausbreitet.
Mit der auf südliche Richtungen rückdrehenden Grundströmung wird insbesondere in
den Süden niedertroposphärisch wärmere Luft gesteuert (Anstieg T850 auf 10 bis
14°C), die tagsüber noch unter Hochdruckeinfluss (Keil GUNDMAR) verbleibt.
Entsprechend setzt sich im Süden zeitweise, im südlichen Bayern und BW auch für
längere Zeit die Sonne durch, wobei die Temperatur zumindest teilweise die
25°C-Marke knapp überschreitet, so dass noch mal ein Sommertag abgegriffen wird.

Anders die Situation im Westen und Norden, wo eine dem Tief vorgelagerte
Warmfront nordostwärts schwenkt und für zeitweiligen, meist leichten Regen
sorgt. Akkumuliert über 12 h liegen die Mengen meist unter 5 l/qm, lediglich an
der Nordsee sowie im Grenzbereich zu den Niederlanden können es auch ein paar
Liter mehr sein. Zum Abend hin signalisiert COSMO-D2 mit Annäherung der o.e.
Kaltfront im Nordwesten eine etwas erhöhte Gewitterbereitschaft, steht damit im
internationalen Modellvergleich weitgehend alleine da. Ursache könnte der
präfrontale Einschub feuchter Subtropikluft sein, allerdings mangelt es doch
erheblich an Labilität, wie nicht nur die Prognosesoundings, sondern auch die
Stabilitätsparameter wie z.B. die Lapse-Rates zeigen. Auf alle Fälle frischt der
südliche Wind im Westen und Nordwesten im Tagesverlauf auf, allerdings bleiben
nicht zuletzt wegen der stabilen Schichtung warnwürdige Böen der Stärke 7 Bft
der Deutschen Bucht sowie einigen Hoch- bzw. Leelagen der westlich gelegenen
Mittelgebirge (incl. Harz) vorbehalten. In exponierten Kamm-, Kuppen- und
Gipfellagen sind auch schon erste 8er-Böen, auf dem Brocken sogar ´ne glatte "9"
möglich.
Dass im Süden 25°C oder auch etwas mehr erreicht werden können, wurde bereits
erwähnt. 25°C sind stellenweise aber auch in der östlichen Mitte drin, während
sonst das Temperaturniveau zwischen 18 und 24°C anzusetzen ist.

In der Nacht zum Mittwoch rückt Sturmtief KIRSTEN bis zur mittleren Nordsee vor,
wobei sie ihren Höhepunkt bereits überschritten hat. Man erkennt das daran, dass
der korrespondierende KW-Trog genau über dem Kernbereich liegt, was auf eine
quasi-senkrechte Achse hindeutet. So verwundert es denn auch nicht, dass für 06
UTC modellübergreifend ein Kerndruck von rund 990 hPa simuliert wird.
Während also das Tief selbst bereits die zweite Halbzeit seiner Karriere
erreicht hat, steht uns windmäßig das Gröbste noch bevor. Zunächst mal überquert
die teilokkludierte Kaltfront von KIRSTEN weite Teile des Vorhersageraums zügig
ost-südostwärts. Dahinter wird ein Schwall erwärmter, relativ trockener und
stabil geschichteter Meeresluft herangeführt, in der die 850-hPa-Temperatur auf
rund 7°C zurückgeht. Die stärkste Wetterwirksamkeit wird dabei im Norden
entfacht, während in der Mitte nur einzelne Schauer auftreten und im Süden gar
nichts passieren soll. In Norddeutschland kommt es hingegen zu teils kräftigen
schauerartigen Regenfällen, deren Intensität im nördlichen und westlichen SH,
also dort, wo sie unmittelbar von der warmen Nordsee aufschlagen, am stärksten
ist. Nicht ausgeschlossen, dass dort mal das mehrstündige Starkregenkriterium
gerissen wird. Ob allerdings auch Gewitter am Start sein werden, ist derzeit
noch offen. Mit Annäherung des KW-Troges wird die Luftmasse zwar etwas labiler
und es wird auch etwas MU-CAPE generiert, ob das allerdings reicht, wird von den
verschiedenen Modellen unterschiedlich beantwortet.
Unstrittig ist die Windzunahme im Westen und Nordwesten sowie allgemein an der
Küste und auf den Bergen. Dabei muss in tiefen Lagen mit Böen 7-8 Bft, an der
Nordsee 9 Bft, in exponierten Hochlagen bis zu 11 Bft (Brocken) gerechnet
werden.

Mittwoch... zieht das Sturmtief zügig über Jütland hinweg zur Ostsee, wo es am
Ende des Tages bereits die baltische Westküste erreicht. Um 12 UTC wird KIRSTEN
unisono mit einem Kerndruck von 993 hPa unweit der deutsch-dänischen Grenze
gesehen, womit es sich weiter auf Auffüllkurs befindet. Das sollte uns aber
nicht darüber hinwegtäuschen, dass in Deutschland jetzt die Post erst so richtig
abgeht. Zwar sind noch längst nicht alle Details geklärt, vor allem auch im
Hinblick auf das Überraschungspotenzial, das eine SKZ immer in sich birgt
(Stichwort Cold-Conveyor-Jet, Sting-Jet, Trockeneinschub von oben etc.).
Trotzdem lässt sich heute schon mit Fug und Recht von einer spätsommerlichen
oder frühherbstlichen - je nach dem, wie man will - Sturmlage sprechen, bei dem
der Impactfaktor aufgrund des noch weitgehend vorhandenen vollen
Vegetationsstandes nicht unterschätzt werden darf.
Auf alle Fälle breitet sich das Stark- respektive Sturmfeld ziemlich zügig auf
weite Landesteile aus. In Zahlen ausgedrückt bedeutet das verbreitet Böen der
Stärke 8-9 Bft, in höheren Lagen je nach Exposition 10 bis 12 Bft. Etwa
gemäßigter geht es anfangs im Nordosten und ganz im Norden unweit des Tiefkerns
sowie im äußersten Süden bei aufgefächerterem Gradienten zu. Grundsätzlich gilt
es zu konstatieren, dass IFS etwa eine halbe bis ganze Windstärke über der
Lösung von ICON liegt.
Wettertechnisch bleibt weiterhin der Norden im Fokus, wo die Luftmasse am
feuchtesten und Hebungsimpulse aufgrund der Trog- bzw. Tiefpassage am
präsentesten sind. Schauerartiger Regen und wohl auch einzelne Gewitter stehen
auf der Agenda, auch wenn die Labilität nach wie vor nicht besonders ausgeprägt
ist. Insbesondere im Nordseeumfeld besteht auch tagsüber lokale
Starkregengefahr.
Während im Norden und Nordwesten bei weitgehend geschlossener Wolkendecke so
gerade die 20°C-Marke angekratzt oder auch knapp nicht erreicht wird, erwärmt
sich die Luft im nicht selten sonnigen oder nur locker bewölkten Süden auf 24
bis 28°C.

In der Nacht zum Donnerstag schwächt sich der Wind mit Abzug des Tiefs und
nachfolgendem Druckanstieg mehr und mehr ab, bleibt zumindest im Osten und
Nordosten aber noch längere Zeit flott und in Böen auch stürmisch unterwegs.
Auch die Schauer und möglichen Gewitter im Norden verlagern ihren Schwerpunkt
zunehmend in den Nordosten.

Modellvergleich und -einschätzung

Im Großen und Ganzen stimmen die Modelle hinsichtlich der beschriebenen
Entwicklung überein. Kleinere Unterschiede wurden im Text bereits angerissen.
Der aktuelle 00-UTC-Lauf von IFS hat die Schauer für die kommende Nacht in der
Mitte übrigens herausgerechnet und sich damit auf die Seite der meisten anderen
Modelle geschlagen.
Hinsichtlich der Sturmlage am Mittwoch sollte die Prosa in den heute schon
veröffentlichten Berichten aufgrund es o.e. Impactgedankens sehr offensiv
ausfallen. Auch sollten die Warnungen im Laufe des Dienstags unter
Berücksichtigung der aktuellsten EPS-Prognosen frühzeitig herausgegeben werden.



Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann