DWD Synoptische Übersicht Mittelfrist

21-07-2020 11:01

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T M I T T E L F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 21.07.2020 um 10.30 UTC



Fortdauer des weitgehend zonal geprägten und wechselhaften Sommers der Marke
Wz/Wa (West zyklonal/antizyklonal) bis BM (Brücke Mitteleuropa)
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Synoptische Entwicklung bis zum Dienstag, den 28.07.2020


Bereits ein noch nicht mal besonders geübter Blick auf die heute Morgen
taufrisch auf den Schreibtisch geflatterten 16er-Blätter des IFS (ECMF) von 00
UTC - ja, ja, auch in (vermeintlich) modernen Zeiten erfreuen sich einige wenige
Meteorologen tatsächlich noch an der Papierphase - genügt um festzustellen, dass
sich das bisher weitgehend zonal bestimmte Sommerwetter auch mittelfristig
fortsetzt. Für hitzebeständige "Wüstenfüchse" sowie Freunde überregionaler
Schwergewitterlagen eine schlechte, für Anhänger wechselhafter Wetterabläufe und
moderater (zumindest im Großen und Ganzen) Temperaturen eine gute Nachricht, für
Landwirte, (Hobby)Gärtner etc. gut oder schlecht, je nach Region.

Steigen wir ein in die Materie am kommenden Freitag, dem offiziellen Beginn der
Mittelfrist. Auf den Wetterkarten erkennt man eine von Nordamerika über den
mittleren Nordatlantik und Mitteleuropa bis weit auf den europäischen Kontinent
eindringende Frontalzone, die abschnittsweise ziemlich glattgebügelt daherkommt,
auf der anderen Seite aber auch mit ostwärts ablaufenden, recht flachen
Trog-Keil-Mustern versehen ist. Wie sich das für eine solche Konstellation
gehört, befinden sich nördliche der Frontalzone diverse, in der Regel nicht
besonders kräftige Tiefdruckgebiete, während weiter südlich, vor allem aber über
dem Atlantik das Azorenhoch die Szenerie beherrscht. Davon ausgehend oszilliert
ein mal mehr, mal weniger breiter Keil (der berühmte Azorenhochkeil) bis nach
Mitteleuropa respektive Deutschland, manchmal auch noch etwas darüber hinaus.
Am Freitag schwenkt ein flacher Höhentrog über den Vorhersageraum hinweg, dem
eine schwache Kaltfront vorgeschaltet ist. Diese kommt nur etwa bis zur Mitte
voran, weil trogrückseitig die Höhenströmung rasch wieder zonalisiert, was der
Progression der Front wenig förderlich ist. Immerhin ist sie gewillt, dem Norden
und Westen einige Liter schauerartigen Regen zu bescheren und rückseitig eine
Portion modifizierter und somit deutlich erwärmter Meeresluft polaren Ursprungs
zu kredenzen (T850 7 bis 10°C). Der Süden bleibt davon unbeleckt, muss aber eine
leichte Stauchung des Azorenhochkeils sowie ein paar Schauer und Gewitter
zwischen Südschwarzwald und Bayerischem Wald sowie südlich davon hinnehmen.

Zum Sonntag hin greift nach einer nur kurzen Pause (die mit einem
vorübergehenden Rückdrehen der Höhenströmung auf West-Südwest verbunden ist) der
nächste Trog auf den Vorhersageraum über. Ausgestattet mit einer negativen Achse
(also nordwest-südost-orientiert) weist der Trog eine etwas größere, vor allem
aber schärfere Amplitude als sein Vorgänger auf, wodurch er nicht nur
entsprechend weiter nach Süden ausholen, sondern auch mehr Wetterwirksamkeit
entfachen kann. Mithelfen tut abermals eine Kaltfront, die vor dem Trog herläuft
und dieses Mal wahrscheinlich auch den Durchbruch bis in die Südstaaten des
Landes schafft. Auf alle Fälle wird die 10°C-Isotherme in 850 hPa bis zu den
Alpen gedrückt und es werden ziemlich verbreitet schauerartige, örtlich kräftige
Regenfälle sowie einige Gewitter simuliert.

Zu Beginn der neuen Woche stellt sich rückseitig des Troges eine recht glatte,
zum Dienstag sogar leicht antizyklonal konturierte West-Nordwestströmung in der
mittleren und oberen Troposphäre ein. Davon profitiert der Azorenhochkeil, der
am Wochenende erkennbare Probleme hatte, sich dem troginduzierten Druckfall zu
widersetzen. Nun blüht er wieder auf, heißt, er wird nicht nur kräftiger,
sondern breitet sich auch weiter nach Norden aus. Dabei kann sich die am Sonntag
frisch eingeflossene subpolare Meeresluft erwärmen, am Dienstagabend reicht die
Spanne der 850-hPa-Temperatur von rund 10°C im äußersten Norden und bis zu 17°C
südlich der Donau sowie an der Grenze zur Schweiz. Trotz des Druckanstiegs
bleiben die nördlichen Landesteile störungsanfällig für dichtere Wolken und
mitunter auch etwas Regen.

Abschließend noch ein Blick in die erweiterte Mittelfrist bis Freitag. Dabei
simuliert IFS über Westeuropa bzw. dem nahen Ostatlantik eine Austrogung, die
Deutschland vorübergehend auf die Vorderseite unter eine südwestliche
Höhenströmung bringt. Insbesondere nach Süddeutschland gelangt dadurch eine
Ladung heißer Subtropikluft (T850 um 20°C), während im Norden ein aus dem
Haupttrog über die Nordsee rauslaufender KW-Trog eine Abkühlung bringt. Mit
andern Worten, der thermische Gegensatz zwischen Nord und Süd nimmt deutlich zu
(=> frontogenetisch), der bereits zum Freitag aber mit einer Kaltfrontpassage
schon wieder getilgt werden könnte. Wenn es so kommt, dann könnte es tatsächlich
mal für eine überregionale Schwergewitterlage nebst vorherigem Hitzepeak im
Süden reichen, wenn...
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Bewertung der Konsistenz des operationellen Laufs


Im Großen und Ganzen folgt der aktuelle IFS-Modelllauf von heute 00 UTC dem Kurs
seiner jüngsten Vorgänger. Konkret bedeutet das die Fortdauer des überwiegend
zonal geprägten Sommerwetters mit abwechselnd Hoch- und Tiefdruckeinfluss. Dass
dabei die Phasen der wetterbestimmenden Druck- und Geopotenzialgebilde von Lauf
zu Lauf nicht zu 100% übereinstimmen, liegt in der üblichen Toleranz
mittelfristiger Wettervorhersagen.
Es ändert nichts an der Aussage, dass weiterhin keine nachhaltige Hitzewelle ins
Haus steht, es auf der anderen Seite aber auch nicht über die Maße kühl wird
(wenn man mal von einigen Phasen im Norden sowie - von vielen gewünschter -
Abkühlung in der Nacht absieht). Bezogen auf den Niederschlag steht zu
befürchten, dass die bisher im Juli z.T. deutlich unterdurchschnittlich
versorgten Regionen von Südwestdeutschland über die Mitte und Franken bis
hinüber nach Sachsen sowie zur Lausitz bis Mitte kommender Woche weiterhin
keinen substanziellen Regenzuwachs bekommen werden.

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Vergleich mit anderen globalen Modellen


Bis einschließlich Samstag sind die Modelle weitgehend an einer einvernehmlichen
Lösung interessiert. Danach nehmen die Meinungsverschiedenheiten zu, was
zunächst den am Sonntag übergreifenden Trog betrifft. Zuerst schert ICON aus,
das den Trog langsamer und auch nicht mit einer wie bei IFS ausgeprägten
negativen Achse simuliert. Zum Dienstag hin verweigert dann auch GFS die bis
dato weitgehend eingehaltene Treue. Statt wie IFS bei der Höhenströmung auf
zonal mit antizyklonalem Touch zu setzen, wird von Westen her ein weiterer, sich
über Mitteleuropa intensivierender Trog ins Spiel gebracht, der deutlich
unbeständigeres und kühleres Wetter zur Folge hätte. Unterstützung bekommt
US-Modell von den "Kanadiern" (GEM), die ähnlich simulieren.
Im erweiterten Mittelfristzeitraum lässt GFS den Trog durchschwenken, um danach
wieder auf "wechselhaft West" mit Azorenhochkeil im Süden zu schalten. GEM
hingegen hat die Nase voll vom zonal geprägten Strömungsszenario und lässt über
Westeuropa einen mordsmäßigen Höhenrücken mit korrespondierendem Bodenhoch
aufwölben, die sich langsam ostwärts verlagern. Nach der Siebenschläferregel
wäre dieses Szenario noch etwas zu früh, aber immerhin zeigt ein Modell - wenn
auch im kontrollierten Glaskugelbereich - mal wieder eine deutliche Neigung zur
Meridionalisierung.
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Bewertung der Ensemblevorhersagen


Die IFS-EPS-Rauchfahnen verschiedener deutscher Städte weisen bis incl. Samstag
einen relativ homogenen Verlauf ohne große Streuung auf. Ab Sonntag, vor allem
aber im Laufe der nächsten Woche nimmt der Spread deutlich sichtbar zu. Dabei
fällt auf, dass Haupt- und Kontrolllauf am Sonntag am schnellsten bei der Hand
sind mit Temperatur- und Potenzialrückgang. Gerade im Süden und Osten gibt es
nicht wenige Lösungen, die Temperatur und Geopotenzial kurzzeitig sogar noch
etwas ansteigen lassen. Offensichtlich meinen es die deterministischen Läufe
besonders gut mit der Progression des Troges respektive der vorgeschalteten
Kaltfront. Ab Montag nimmt die Streuung wie bereits erwähnt deutlich zu,
mehrheitlich tendieren die Ensembles aber nach oben bei gleichzeitig verhaltener
Niederschlagsneigung.
Von der Fahne zum Cluster, die - etwas überraschend - am Freitag (T+72...96h)
gleich mal mit fünf Schubladen einsteigen. So wirklich große Unterschiede sind
zumindest für unseren Raum nicht auszumachen. Ab Sonntag (T+120...168h) verringert
sich die Anzahl der Cluster auf drei (21 Fälle + KL, 19 + HL, 11), denen am
Anfang allen die Trogpassage (wenn auch zeitlich leicht unterschiedlich) gemein
ist. Bei CL 1 ist der nachfolgende Hochdruckeinfluss am signifikantesten,
weshalb wohl auch ein Switch von "NAO positiv" hin zu "Blocking" erfolgt. Die
anderen beiden Cluster sind weiterhin auf zonal geeicht mit einer brückenartigen
Hochdruckzone am Boden - kennt man. Für den Zeitraum T+192...240h (Mittwoch bis
Freitag) werden ebenfalls drei Cluster angeboten, die alle eine leicht
mäandrierende westliche Höhenströmung offerieren. CL 2 wird trotzdem dem
Klimaregime "Blocking" zugeordnet, was wahrscheinlich der kräftigen und
hochreichenden Antizyklone über Nordeuropa geschuldet ist.

FAZIT: Dass mittelfristig der gemeinhin als klassisch mitteleuropäisch
titulierte Sommer weiter andauert, ist unstrittig. Sowohl deterministisch als
auch probabilistisch gibt es aber noch Unterschiede im Timing der Phasen, was
natürlich auch Auswirkungen auf das erwartete Niederschlagsverhalten hat. Ob
sich ab Mitte nächster Woche eine Blockierung einstellt, wie von einigen
Lösungen gerechnet, muss abgewartet werden.
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Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen


Obwohl dieser Sommer zirkulationsmäßig anders abläuft als die Sommer der letzten
Jahre, ändert das nichts daran, dass es in vielen Regionen viel zu trocken ist.
Wie bereits weiter oben erwähnt, trifft das im Juli insbesondere auf den
Südwesten sowie große Teile der Mitte zu. Es steht zu befürchten, dass sich das
mittelfristig auch nicht nachhaltig ändert, auch wenn die Niederschlagsprognosen
noch mit Unsicherheiten behaftet sind. So, das musste erst mal gesagt werden,
bevor über potenzielle Gewitter schwadroniert wird, was - um möglichen
Missverständnissen, der Verfasser wolle evtl. konvektive Umlagerungen
kleinreden, vorzubeugen - natürlich auch von immenser Bedeutung ist.
Aus der Synoptik heraus ist anfangs, vor allem am Freitag der Süden
prädestiniert für das eine oder andere kräftige Gewitter, wobei das Bergland
(Südschwarzwald bis Bayerischer Wald sowie Alpen plus Vorland) einmal mehr den
Haupttrigger geben dürfte. Lokale Unwetter sind möglich, vornehmlich durch
Starkregen und/oder Hagel.
Nach einer Beruhigung am Samstag kommt am Sonntag wieder mehr Leben in die Bude,
weil dann möglicherweise auch die Dynamik in Form eines durchschwenkenden Troges
mitspielt. Dessen Fahrplan und genaue Konfiguration sind aber noch unscharf, was
eine belastbare Einschätzung des konvektiven Geschehens Stand heute schwermacht.
Wie viel geht trogvorderseitig (Thema Labilisierung durch vorherige
Einstrahlung), was geht im Trog, wie sieht der mögliche Organisationsgrad der
Gewitter aus? Nur ein Auszug verschiedener Fragestellungen, für deren Antworten
es noch etwas zu früh ist.
Am Montag deutet sich dann wieder eine Wetterberuhigung an.
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Basis für Mittelfristvorhersage
IFS-EPS mit IFS-Mix bei leicht verzögerter Trogpassage am Sonntag.
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VBZ Offenbach / Dipl. Met. Jens Hoffmann