DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

04-07-2020 17:01
SXEU31 DWAV 041800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Samstag, den 04.07.2020 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
WENDY und WINFRIED auf Westkurs. Kein Sommer für die Boulevardmedien, eher
typisch mitteleuropäisch und das zur Siebenschläferzeit. Mal sehen, was die
Regel dieses Jahr wert ist.

Synoptische Entwicklung bis Dienstag 12 UTC
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Aktuell ... befindet sich Deutschland am Südrand der für diese Jahreszeit sehr
gut ausgeprägten und zunächst noch relativ glatten Frontalzone, die vom
mittleren Nordatlantik kommend über Südskandinavien bis nach Nordwestrussland
reicht. Über dem nahen Ostatlantik findet - ausgehend von einem hochreichenden
Zentraltief süd-südwestlich von Island (VERENA I) - eine allmähliche Austrogung
statt, an deren Südflanke sich ein veritabler Jetstreak mit über 150 Kt im Kern
(300 hPa) etabliert. Am linken Ausgang des Streaks wird ordentlich
Höhendivergenz generiert, was wiederum einer flachen Welle zugutekommt, die von
Westen an einer langgestreckten Kaltfront auf UK/Irland zuläuft, um dort
ordentlich ausgepumpt zu werden. Am Ende, also morgen früh, steht über der
nördlichen Nordsee (Forties) ein zünftiges kleines Sturmtief namens WENDY auf
der Matte (Kerndruck nahe 990 hPa), das in hohem Maße für unser Sonntagswetter
sowie den Wochenanfang verantwortlich zeichnet.
Bis es soweit ist, gilt es erstmal eine vergleichsweise ruhige Nacht
abzuarbeiten. In der von der Biscaya einfließenden feuchten, aber relativ warmen
Luftmasse breitet sich die mehrschichtige Bewölkung aus dem Norden und
Nordwesten noch etwas südostwärts aus. Ganz im Süden und Südosten bleibt es im
Bereich eines Azorenhochkeils (mit Namen WINFRIED) aber gering bewölkt oder
klar, wenn sich die flache Quellbewölkung vom Tage aufgelöst hat. Regen fällt
auch noch ein wenig, vor allem im Norden und Westen unter der leicht zyklonal
konturierten Höhenströmung, aber auch in der Mitte reicht es hier und da für ein
paar "guude Tröpsche".
Bedingt durch die Abkopplung der Grenzschicht sowie eine kurzzeitige und auch
nur geringe Gradientaufweichung schwächt sich der südwestliche Wind im
Binnenland, vorübergehend aber auch an der See etwas ab. Trotzdem reicht es an
der Küste noch für die eine oder andere Böe 7 Bft, bevor der SW-Wind in den
frühen Morgenstunden insbesondere über und an der Deutschen Bucht, etwas
gebremster auch an der westlichen Ostsee, schon wieder merklich anzieht
(verbreitet 7-8 Bft). In exponierten Kamm- und Kuppenlagen der Mittelgebirge
stehen Böen 8-9 Bft, auf dem Brocken gar 10 Bft auf der Karte.

Sonntag ... kommt der o.e. Höhentrog unter kontinuierlicher Amplifizierung
sukzessive nach Osten voran. Wir verbringen den Sonntag aber noch auf seiner
Vorderseite unter einer sich aufsteilenden, leicht diffluenten südwestlichen
Höhenströmung. Der äußerste Süden und Südosten profitieren allerdings noch von
einem Höhenrücken, der sich von Südwesteuropa ost-nordostwärts über die Alpen
erstreckt und dabei weiterhin den Keil des berühmten Azorenhochs am Leben hält.
Entsprechend scheint insbesondere in den südlichen Landesteilen von Bayern und
BW für längere Zeit die Sonne bei Tageshöchstwerten hoch in den Zwanzigern,
lokal sogar 30°C (T850 um 14°C).
Ansonsten gibt WENDY den Ton an, die sich noch etwas auf rund 985 hPa vertieft
und dabei das südnorwegische Festland ansteuert. Die zugehörige Kaltfront kommt
von Nordwesten her langsam südostwärts bis in die mittleren Landesteile voran,
wo sie in den Abendstunden aufschlägt. Rückseitig gelangt ein Schwall subpolarer
Meeresluft in den Nordwesten, in der die 850-hPa-Temperatur auf 9 bis 6°C (18
UTC) zurückgeht. An der Front bildet sich ein schwaches Regenband aus, schwach
deswegen, weil die Hebungsantriebe weitgehend aus dem eigenen Saft (frontal)
generiert werden müssen. PVA ist wenig vorhanden, WLA gar nicht, stattdessen
greift zunehmend KLA über, die gemeinhin als Spaßbremse in der Omegagleichung
bekannt ist. Und was ist mit Konvektion? Nun, Labilität liegt sowohl vor als
auch hinter der Front lediglich in der Grundschicht vor, die maximal bis 700 hPa
und damit so gerade (postfrontal) knapp über die 0°C-Grenze reicht. Ab da
erfolgt eine deutliche Stabilisierung mit einhergehender Abtrocknung, sprich,
der "Deckel" sitzt fest und konvektive Umlagerungen bekommen, abgesehen von ein
paar dünnen postfrontalen Schauern im Norden, keine Entfaltungsmöglichkeiten.
Dafür kann sich morgen der Wind nachhaltig in Szene setzen. Ausgehend von der
Küste breitet sich ein Starkwindfeld über die gesamte Norddeutsche Tiefebene bis
in den zentralen Mittelgebirgsraum aus, ja sogar die nördlichen Landesteile von
Bayern und BW werden angerissen. Dabei kommt es verbreitet zu Böen der Stärke 7
Bft, in freien Lagen, in Leelagen sowie im Bergland 8 Bft, in exponierten Kamm-
und Kuppenlagen 9 Bft, auf dem Blocksberg im Oberharz gar 10 bis 11 Bft (schwere
Sturmböen respektive orkanartige Böen). An der Küste sowie im küstennahen
Binnenland wird es durchweg stürmisch mit Böen 8 Bft, teils 9 Bft, wobei die
Wahrscheinlichkeit für "reine" Sturmböen an der nordfriesischen Küste sowie im
Bereich der westlichen Ostsee am größten ist. Der Wind kommt zunächst aus
Südwesten, dreht im Tagesverlauf dann aber mehr und mehr aus westliche
Richtungen.
Noch ein Sätzchen zur Temperatur, die im Norden und Westen meist unter der
magischen "Sommergrenze" von 25°C bleibt, an der Nordsee meist sogar unter 20°C.
Ansonsten stehen 25 bis 28°C, im Süden wie schon erwähnt lokal bis zu 30°C auf
dem Zettel.

In der Nacht zum Montag gelangen der Norden und Westen voll unter den
vorderseitigen Jetstreak des sich weiter annähernden Höhentroges. 500-hPa-Wind
bis rund 90 Kt und 300-hPa-Wind bis knapp 150 Kt sind für Anfang Juli eine mehr
als ordentliche Hausnummer. Nutzen tut es nichts, zumindest, wenn man auf die
Entwicklung des Windes auf erdnahem Niveau schaut. Tagesgang sowie das
allmähliche Abziehen von Sturmtief WENDY in Richtung Mittelnorwegen lassen dem
z.T. wieder auf Südwest rückdrehenden Wind merklich abflauen. Einzig an der See,
im unmittelbar angrenzenden Binnenland sowie in exponierten Hochlagen bleibt er
prominent unterwegs mit Spitzen der Stärke 7-8 Bft, nordfriesische Küste sowie
auf einigen Kuppen 9 Bft, Brocken 10 Bft.
Derweil schummelt sich die Kaltfront mit dem zughörigen Regenband allmählich bis
in die südlichen Landesteile vor, erreicht die Alpen aber noch nicht.
Postfrontal strömt nun auf direkterem Wege (sub)polare Meeresluft in den
Vorhersageraum, die mit Annäherung des Höhentroges bis zur Nordsee im Nordwesten
auch immer labiler wird. So geht die 850-hPa-Temperatur zwischen Emsland und
Kieler Bucht bis zum Morgen auf 4°C zurück, während es in 500 hPa auf rund -23°C
abkühlt. Das reicht, um vor allem über der Deutschen Bucht, aber auch über dem
nordseenahen Binnenland sowie an der westlichen Ostsee ein paar knackige Schauer
und wohl auch erste Kaltluftgewitter (Böen 8-9 Bft, vielleicht lokaler
Starkregen) zu initiieren.

Montag ... kommt der Höhentrog bis nach Mitteleuropa respektive Deutschland
voran, wobei die überlagerte kräftige KLA eine weitere Amplifizierung bedingt.
Am Rande des in Richtung Mittelschweden, später gen Bottenbusen ziehenden und
sich langsam auffüllenden Tiefs WENDY gelangt mit auf West bis Nordwest
drehender Strömung ein ordentlicher Schwall maritimer und labil geschichteter
Polarluft in den Norden und die Mitte der Republik (T850 3-6°C, T500 - 20 bis
-24°C). Im Süden findet mit der bis zu den Alpen vordringenden Kaltfront zwar
ebenfalls ein Luftmassenwechsel statt, insgesamt bleibt es dort aber wärmer
(T850 bei 8/9°C), trockener (PPW postfrontal runter auf unter 15 mm, spezifische
Feuchte z.T. auf unter 5 g/kg) und stabiler (Lapse-Rates um -0,5 K/100 m).
Mit der Kaltfront erreicht auch der zugehörige Regen die Alpen, wo es mit Hilfe
von Staueffekten zu einer leichten Intensivierung des Niederschlags kommt.
Akkumuliert über den Tag können direkt am Alpenrand 5-10 l/qm, lokal vielleicht
15 l/qm zusammenkommen, wobei nach Osten hin mehr fällt als Richtung Allgäu. Das
im Hochsommer übliche präfrontale konvektive Aufbegehren (also Gewitter) findet
Stand heute wohl erst über dem Alpenhauptkamm sowie südlich davon statt.
Schauer und Gewitter sind dagegen im Trogbereich anzutreffen, sprich, vor allem
über Norddeutschland, wo die Labilität an ausgeprägtesten ist, aber auch bis in
die Mitte ausgreifend. Als Begleiterscheinung kommen vornehmlich stürmische Böen
8 Bft, in wenigen Einzelfällen vielleicht sogar Sturmböen 9 Bft in Frage, auch
wenn die Oberwinde (925, 850 hPa) das nicht gerade hergeben (meist unter 40 Kt).
An der Nordsee besteht durch Mehrfachtreffer eine gewisse, wenn auch nicht
überbordende Wahrscheinlichkeit für Starkregen (mehrstündig). Unabhängig von
konvektiven Aktivitäten frischt der West-Nordwestwind vornehmlich in der
Nordhälfte auch gradientbedingt auf mit Böen 7 Bft, im Bergland sowie an der See
8 Bft, vereinzelt 9 Bft. Im Süden frischt der Wind - abgesehen von höheren Lagen
- am ehesten mit Kaltfrontpassage sowie einer nachfolgenden, allerdings nur
mäßig ausgeprägten Druckanstiegswelle (die den Azorenhochkeil wiederaufleben
lässt) vorübergehend auf. Ob das am Ende für eine "kleine" Warnung reicht, muss
abgewartet werden.
Weitgehend trocken mit einigen sonnigen Abschnitten bleibt es zwischen den
Schauern im Norden und dem frontalen Regen im Süden in einem Streifen mit
kompensatorischem Absinken (Inversion zwischen 700 und 750 hPa), der etwa vom
Oberrheingraben bis hinüber nach Sachsen bzw. zum südlichen Brandenburg reicht.
Temperaturmäßig stellt sich ein klassisches Südost-Nordwest-Gefälle ein: Während
in Ober- und Niederbayern punktuell noch mal 25°C oder gar 26°C erreicht werden
(hängt letztlich vom genauen Timing der Kaltfront ab), erfordert der
Strandkorbaufenthalt an der Nordsee angesichts gerade mal 16 oder 17°C und dem
ruppigen Westwind ein gewisses Maß an Selbstkasteiung - obwohl, wer so richtiger
Nordseeurlauber ist, den haut nix um.

In der Nacht zum Dienstag schwenkt der Höhentrog allmählich nach Osten durch.
Potential und Temperatur steigen von Westen her an, was eine Stabilisierung zur
Folge hat. Der Azorenhochkeil kräftigt sich und weitet sich nach Norden aus, was
in Verbindung mit dem Tagesgang der Schauer- und Gewitteraktivität alles andere
als gut bekommt. Bevorzugt über Nord- und Ostsee sowie über dem küstennahen
Binnenland reicht es mit Hilfe diabatischer Impulse vom Seewasser her aber noch
für einzelne Schauer. Diese werden von einem lebhaften, in Böen steif bis
stürmisch wehenden West-Nordwestwind begleitet, der bis zum Morgen von Westen
her aber allmählich an Stärke einbüßt.
Einbußen hinnehmen muss auch der Regen an den Alpen, der bis zum Morgen -
bedingt durch den überlagerten Druckanstieg - weitgehend zum Erliegen kommt.
Ansonsten klart es teilweise für längere Zeit auf, was bei gleichzeitig
einschlafendem Wind einen nicht zu unterschätzenden Temperaturrückgang bewirkt.
In der Eifel sowie im zentralen Mittelgebirgsraum sinkt die Lufttemperatur
vereinzelt auf 5°C oder sogar etwas darunter.

Dienstag ... bekommt der Azorenhochkeil hinter dem nach Osten abgezogenen Trog
seine Chance, die er trotz mangelnden Supports aus der Höhe - schließlich gelten
auch hier die Abstandsregeln - leidlich nutzt. So weitet es sich bis zum
östlichen Mitteleuropa aus, wobei er mitten über Deutschland verläuft. Am
nachhaltigsten kann er sich im Südwesten, etwa vom Allgäu über BW bis hoch zur
Pfalz bzw. zum Hunsrück in Szene setzen, wo für längere Zeit die Sonne scheint.
Ansonsten steht eine Mischung aus mehr oder weniger dichten Wolken und sonnigen
Abschnitten bzw. Auflockerungen auf dem Programm. Vor allem im Randbereich des
Keils, sprich im Norden und Nordwesten fällt mitunter etwas Regen. Dort frischt
auch der westliche Wind zeitweise etwas stärker auf, was an der See Böen 7 Bft,
vereinzelt 8 Bft nach sich zieht. Die Tageshöchsttemperaturen verkörpern den
klassisch mitteleuropäischen, durch den Atlantik geprägten Sommer mit
Spitzenwerten zwischen 17/18°C an der See und bis zu 24°C im Rhein-Neckar-Raum -
herrlich und übrigens auch vollkommen "normal", wie der Verfasser findet, auch
wenn einige jetzt mächtig aufmotzen.


Modellvergleich und -einschätzung
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Nachdem es gestern noch ein paar größere Unschärfen bezüglich des Wellentiefs
WENDY gab, ziehen die Modelle jetzt an einem Strang. Die geschilderte
Entwicklung kann somit als sicher eingestuft werden.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann