DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

27-06-2020 07:30
SXEU31 DWAV 270800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Samstag, den 27.06.2020 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: TrW
Heute in mehreren Staffeln von Südwest nach Nordost teils kräftige Gewitter mit
Unwetterpotenzial, erst abends den Nordosten erreichend. Im Südwesten kaum
Unwettergefahr. Am Sonntag im Südosten erneut Gewitter mit Unwettergefahr, in
der Nacht zum Montag dort übergehend in Stark- oder Dauerregen.

Synoptische Entwicklung bis Montag 24 UTC
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Samstag... gewinnt ein vom nahen Ostatlantik auf die Britischen Inseln
übergreifender kräftiger Höhentrog zunehmend Einfluss auf das Wettergeschehen im
Vorhersagegebiet. Eine erste, negativ geneigte Trogachse verlagert sich dabei im
Tagesverlauf über Benelux und Nordwestdeutschland hinweg zur Nordsee, so dass
die Höhenströmung von Westen her auf Südwest dreht und sich verschärft. Ein
aktuell über Zentralpolen liegender Kaltlufttropfen verlagert sich bis zur Nacht
zum Sonntag ins Baltikum und verliert somit für uns an Bedeutung. Zwischen den
beiden Gebilden wölbt sich von Süden her ein flacher Höhenrücken bis in die
Mitte des Vorhersagegebietes auf und verlagert sich bis zum Abend in die
Nordosthälfte.
Mit Annäherung und "Vorbeischwenken" der Trogachse wird vor allem über dem
Westen und Nordwesten - bis in die mittleren Landesteile ausgreifend - aufgrund
von PVA dynamische Hebung generiert. Zugleich gelangt von Südwesten her eine
potenziell instabile Luftmasse ins Vorhersagegebiet, die hochreichend (bis etwa
200 hPa) labil geschichtet ist und PPW-Werte zwischen 30 und 40 mm aufweist.
Bereits aktuell greift von Ostfrankreich und Belgien her ein sich im
"vormittäglichen Konvektionsminimum" abschwächendes ehemaliges MCS mit
Regenfällen auf den Westen Deutschlands über. Auch im äußersten Süden des Landes
(Hochrhein, Bodensee) kann es in Kürze erste Schauer/Gewitter geben.
Nach Lesart der aktuell vorliegenden konvektiven Modelle dürfte die
Hauptgewitteraktivität zunächst direkt in Verbindung mit dem Ex-MCS stehen und
sich im Tagesverlauf von Westen her nordostwärts bzw. ostwärts ausweiten. Das
geschieht voraussichtlich entlang einer oder mehrerer Outflow Boundaries, die
aus diesem System hinauslaufen. Im Bereich des vorlaufenden Höhenrückens bzw.
auf dessen Vorderseite ist es aktuell - außer im Nordosten, wohin aus dem
Kaltlufttropfen über Polen noch Wolkenfelder geführt werden, die sich im
Tagesverlauf aber mehr und mehr auflösen - vielerorts gering bewölkt. Mit der
Einstrahlung können innerhalb der instabilen Luftmasse 500 bis über 1000 J/kg
ML-Cape generiert werden. Somit dürfte es entlang der OB in nur wenig
gedeckelter Luftmasse vor allem ab der Mittagszeit vom Nordwesten bis in die
mittleren Landesteile und später eventuell auch noch bis ins nördliche und
östliche Baden-Württemberg erneut rasch "zünden". Diese Gewitter kommen am
Nachmittag rasch ost- bzw. nordostwärts voran und erreichen am späteren Abend
dann auch den Nordosten. Ob auf "breiter Front" und auch nach Süddeutschland
(Bayern) ausgreifend (SuperHD bzw. AROME) oder aufgesplittet in Einzelzellen
bzw. kleinere Multizellencluster mit größeren Lücken dazwischen (C-D2), ist
aktuell noch unklar und hängt auch ein wenig von der Organisation und
Langlebigkeit der OB ab. Mit Dutchzug der OB kann es auch außerhalb von
Gewittern starke bis stürmische Böen aus West geben.
Diese Gewitter dürften aufgrund der hohen PPW-Werte durchaus Unwetterpotenzial
aufweisen, in erster Linie allerdings aufgrund des Starkregens (trotz einer
gewissen Zuggeschwindigkeit sind in Multizellenclustern die 25 bis 30 mm rasch
erreicht und auch die 40 mm (extrem) nicht ausgeschlossen) und aufgrund von
größeren Hagelansammlungen. Größerer Hagel (um 3 cm) ist - je nach Cape - auch
möglich und bei im Vorfeld trockener Grundschicht muss vor allem an
Multizellenclustern, innerhalb derer sich dann ein veritabler Cold Pool
entwickeln kann, punktuell auch mit schweren Sturmböen gerechnet werden.
Mit organisierten, langlebigen oder gar mit persistent rotierenden Aufwinden
versehenen Systemen ist dagegen mangels Scherung nicht zu rechnen.
Scherung kommt dagegen im Tagesverlauf im Westen und Nordwesten mit
Durchschwenken der Trogachse ins Spiel (10 bis 15 m/s LLS, 20 bis 30 m/s DLS).
Allerdings stellt sich dort nach Abzug der Gewitter die Frage, ob die Luftmasse
noch einmal durch erneute Einstrahlung "regeneriert" werden kann. Bereits
aktuell lockern die Wolken hinter dem MCS über Frankreich und Belgien rasch
wieder auf und entsprechend simulieren die Konvektion erlaubenden Modelle dort
am späteren Nachmittag auch gebietsweise mehr als 500 J/kg ML-Cape. Getriggert
durch die oben erwähnte dynamische Hebung im Trogachsenbereich bzw. vorderseitig
eines von Westen nachfolgenden kurzwelligen Troganteils dürfte das erneut zur
Auslöse reichen. Dann sind im Falle des Falles durchaus organisierte Systeme
denkbar, eventuell auch mit rotierenden Aufwinden, wobei dann alle markanten
Begleiterscheinungen (Hagel, Starkregen, Sturmböen) auftreten können. Bzgl.
Hagel kann erneut das Unwetterkriterium gerissen werden, auch Böen über 100 km/h
sind nicht ausgeschlossen, wenn auch nur sehr lokal eng begrenzt auftretend.
Vor allem im Nordosten, Osten und Südosten wird es heute noch einmal mit
Höchstwerten zwischen 27 und 32 Grad sehr warm bis heiß, während es sonst 23 bis
28 Grad nicht mehr ganz so warm wie am gestrigen Freitag wird.

In der Nacht zum Sonntag schwenkt der flache Höhenrücken weiter nach Polen. Der
Höhentrog "nistet" sich über den Britischen Inseln ein (Drehzentrum über
Schottland), die Haupttrogachse greift auf den Westen Frankreichs über. Somit
stellt sich über dem Vorhersagegebiet eine recht glatte südwestliche
Höhenströmung ein, flache kurzwellige Troganteile bieten nur wenig dynamischen
Hebungsantrieb.
Im Bodenfeld greift die Kaltfront des mit dem Trog korrespondierenden
Tiefdruckgebiet in den Frühstunden auf den äußersten Westen/Nordwesten
Deutschlands über. Somit ziehen die Gewitter im Laufe der ersten Nachthälfte
zunächst einmal relativ rasch (im Nordosten kann es vielleicht etwas länger
dauern) ostwärts ab, anfangs besteht noch Unwetterpotenzial. Dahinter lockern
die Wolken vielerorts auf, örtlich bildet sich Nebel, vor allem dort, wo es
Gewitter gegeben hat. Später gibt es in der Westhälfte im Vorfeld der Kaltfront
erneut einzelne Schauer, eventuell auch Gewitter, die morgens bereits auf die
mittleren Landesteile ausgreifen. Mit Tiefstwerten zwischen 18 und 13 Grad
verläuft die Nacht mild.

Sonntag... läuft aus dem inzwischen zentralsteuernden und hochreichenden
Tiefdruckgebiet mit Drehzentrum über dem Norden Schottlands ein Kurzwellentrog
über Benelux hinweg ostwärts und überquert bis zum Abend auch den Nordwesten und
die Mitte des Vorhersagegebietes. Die Kaltfront nimmt dabei vorübergehend etwas
an Fahrt auf, gerät aber mit Abzug des Troges erneut ins Schleifen und erreicht
bis zum Abend etwa eine Linie Uckermark - Thüringer Wald - Schwarzwald. Mit ihr
geht ein deutlicher Luftmassenwechsel einher, im Einflussbereich subpolarer
Meeresluft sinkt die 850 hPa-Temperatur in der Nordwesthälfte auf 10 bis 6 Grad.
Mit Annäherung des Troges und damit einhergehender Advektion höhenkalter
Luftmassen (bis -20 Grad in 500 hPa) labilisiert die Luftmasse im Nordwesten am
Nachmittag und Abend wieder, so dass sich dort einzelne Schauer und auch
Gewitter entwickeln können, die aber warntechnisch bei 100 bis 300 J/kg ML-Cape
und PPW-Werten um 20 mm grade so markanten Kriterien genügen, in erster Linie
aufgrund der stürmischen Böen.
In den Südosten gelangt dagegen im Vorfeld der Kaltfront erneut eine potenziell
instabile Luftmasse. Dabei können in der Lausitz, vor allem aber in Bayern und
vielleicht auch noch im Osten Baden-Württembergs bei gegebener Einstrahlung noch
einmal 500 bis gebietsweise über 1000 J/kg Cape generiert werden. Die PPW-Werte
steigen wieder auf über 35 mm und mit Annäherung der Kaltfront kommt auch etwas
Scherung ins Spiel. Ausgehend von den Mittelgebirgen bzw. lokalen
Bodenkonvergenzen dürften sich dort somit im Tagesverlauf erneut kräftige
Gewitter entwickeln, die rasch Unwetterpotenzial erreichen, vor allem aufgrund
von Starkregen und größeren Hagelansammlungen. Aus den Alpen heraus ist dann zum
Abend hin auch ein größeres MCS denkbar, welches den Süden und Südosten Bayerns
überquert, wobei dann großräumiger Starkregen auftreten kann, durchaus auch im
Unwetterbereich.
Im Großteil des Landes verläuft der Tag dagegen nach Durchschenken der Kaltfront
- abgesehen von den Trogschauern im Nordwesten - wettertechnisch ruhig und
vielerorts trocken. Im Nordseeumfeld sowie mit Durchschwenken der Kaltfront kann
es auch außerhalb der Schauer einzelne steife Böen (Bft 7) aus Südwest geben.
Während es im Südosten und Osten mit 25 bis 30 Grad nochmals sehr warm wird,
liegen die Höchstwerte sonst zwischen 19 und 24 Grad.

In der Nacht zum Montag greift ein weiterer Kurzwellentrog auf Frankreich über,
auf dessen Vorderseite steilt die Höhenströmung über dem Vorhersagegebiet
vorübergehend etwas auf. Die Kaltfront kommt dadurch erst einmal kaum weiter
nach Südosten voran und gerät etwa entlang der Donau ins Schleifen. Im Vorfeld
wird aufgrund von PVA mit Unterstützung durch die Alpen markante Hebung
generiert, so dass es vor allem im Alpenvorland längere Zeit regnen kann,
anfangs auch noch konvektiv durchsetzt. Dabei können durchaus die Warnschwellen
für Stark- bzw. Dauerregen gerissen werden. Da sich das Ganze auch noch bis in
den Montagmittag bzw. -nachmittag zieht, ist wohl zunehmend von Dauerregen
auszugehen und die Probabilistik, in erster Linie COSMO-Leps und ICON-EU-EPS,
deuten gebietsweise mit allerdings nur recht geringen Wahrscheinlichkeiten auch
ein Überschreiten der Warnschwellen für Unwetter an.
Ansonsten verläuft die Nacht ruhig. Hier und da kann sich Nebel bilden. Die
Schauer im Nordwesten klingen vorübergehend ab, später lebt die Schauertätigkeit
im Westen mit Annäherung des Kurzwellentroges wieder auf, auch kurze Gewitter
sind dann nicht ausgeschlossen. Mit Tiefstwerten zwischen 14 und 8 Grad fällt
die Nacht deutlich frischer aus als die Vornächte, lediglich im Südosten bleibt
es noch milder.

Montag... verlagert das hochreichende Zentraltief sein Drehzentrum vor die
Nordseeküste Schottlands, der Haupttrog greift abends auf die Deutsche Bucht
über. Der Kurzwellentrog überquert von Frankreich her das Vorhersagegebiet
nordostwärts, auf dessen Vorderseite wird aufgrund von PVA markante Hebung
generiert. Die Kaltfront überquert bis zum Nachmittag nun endgültig die Alpen
südostwärts, so dass die Regenfälle dort dann rasch nachlassen, nachmittags
bleibt es in weiten Teilen der Südhälfte trocken.
Ansonsten breiten sich von Westen her im Vorfeld des Troges Schauer und Gewitter
über die mittleren Landesteile ost- bzw. nordostwärts aus. Bei recht markanter
Scherung sind auch linienförmig organisierte Strukturen denkbar, so dass als
Begleiterscheinung vor allem der Wind eine Rolle spielt (Böen Bft 8 bis 9 sind
denkbar), wobei kleinkörniger Hagel lokal eng begrenzt ebenfalls auftreten kann
(ML-Cape bis 500 J/kg) und auch Starkregen (PPW-Werte 20 bis 25 mm) nicht
ausgeschlossen ist. Nach Abzug des Troges klingen die Schauer dann rasch wieder
ab. Lediglich im Nordseeumfeld kann es auch am Nachmittag noch einzelne Schauer
geben, zum Abend hin nehmen die schauerartigen Niederschläge dort in der Nähe
zum Haupttrog sogar noch etwas zu.
Mit Annäherung des Zentraltiefs verschärft sich der Gradient vor allem im Westen
und Nordwesten des Landes, so dass der Wind dort im Tagesverlauf auch außerhalb
der Schauer aus West bis Südwest auffrischt. Vom Westmünsterland bis zur Nordsee
gibt es einzelne steife Böen (Bft 7), im Nordseeumfeld sind abends auch
stürmische Böen (Bft 8) möglich.
Während es im Südosten noch längere Zeit stark bewölkt bleibt und auch im
Nordwesten die Wolken überwiegen, kann sich sonst ab und zu die Sonne
durchsetzen, vor allem - nach Abzug der Schauer - im Westen, Südwesten und in
der Mitte. Die Höchstwerte liegen im Einflussbereich der subpolaren
Meeresluftmasse meist zwischen 18 und 24 Grad.

In der Nacht zum Dienstag verlagert sich das Zentraltief Richtung Dänemark, der
Trog greift auf Deutschland über. An der Südflanke des Bodentiefs bleibt der
Gradient scharf ausgeprägt, so dass im Norden weiterhin lebhafter Südwestwind
weht mit stürmischen Böen an der Nord- und später auch an der Ostseeküste,
exponiert sind vielleicht auch Sturmböen möglich. Landeinwärts nimmt der Wind
dagegen tagesgangbedingt zunächst eher ab, ehe er mit Durchschwenken eines
Bodentroges ausgangs der Nacht in der Norddeutschen Tiefebene mit Böen Bft 6 bis
7 wieder auffrischt.
Vor allem im Nordseeumfeld fällt die Nacht über schauerartiger Regen, ICON-EU
hat entlang der Nordfriesischen Küste sogar mehr als 25 mm in 12 Stunden auf der
Agenda. Einzelne Schauer können auch noch etwas weiter nach Süden, bis etwa zum
Nordrand der westlichen und zentralen Mittelgebirge ausgreifen. Weiter südlich
bleibt es aber überwiegend trocken.



Modellvergleich und -einschätzung
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Anhand der synoptischen Basisfelder lassen sich keine prognoserelevanten
Unterschiede zwischen den vorliegenden Modellen ableiten.
Im Detail ergeben sich aber vor allem für den heutigen Tag größere Diskrepanzen.
Dabei legt jedes hochauflösende (bzw. Konvektion zulassende) Modell andere
Schwerpunkte. Das ist auch der Grund, weshalb von einer Vorabinformation
abgesehen wurde: Prinzipiell können fast überall Unwetterkriterien erreicht
werden. Das wird aber sicherlich nicht verbreitet geschehen, so dass mit einer
Vorabinformation mit Kanonen auf Spatzen geschossen würde.
Hilfreich wären bei solchen "Sumpflagen" eigentlich stündlich aktualisierte
Konvektion erlaubende Modelle.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Winninghoff