DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

19-06-2020 17:30
SXEU31 DWAV 191800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 19.06.2020 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
Bis Samstag noch gebietsweise Gewitter mit Starkregenpotenzial (lokal Unwetter),
im Nordosten evtl. auch mehrstündige Starkregenfälle. Ab Sonntag
Wetterberuhigung.
Synoptische Entwicklung bis Montag 12 UTC
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Aktuell ... reicht eine langgestreckte Geopotenzialrinne von einer starken
Austrogung über dem mittleren Nordatlantik ausgehend über die Britischen Inseln
und Mitteleuropa bis nach Vorderasien. Innerhalb dieser Potenzialrinne zeigen
sich mehrere Drehzentren bzw. Höhentiefs, beispielsweise über dem Alpenraum.
Flankiert wird sie von einem Rücken, der mit seiner Achse von Südkasachstan über
das Baltikum und Skandinavien bis zum Nordmeer reicht. Innerhalb des Rückens
zeichnet sich über dem mittleren Skandinavien eine eigenständige
Höhenantizyklone ab, die nach wie vor eine blockierende Wirkung auf die
großräumige Zirkulation hat. Entsprechend zeigt sich auch im Bodenniveau ein
blockierendes Hoch mit Schwerpunkt über dem Nordmeer nahe der Lofoten. Schwache
NVA und KLA lässt den Luftdruck über weiten Teilen West- und Mitteleuropa
ansteigen, sodass sich ein Keil des Azorenhochs bis nach Deutschland erstrecken
kann. Dazwischen eingeklemmt verläuft eine Tiefdruckrinne über die Nordsee,
Jütland und die Ostsee, die ein Sturmtief über dem mittleren Nordatlantik
(QUIOLA) mit dem "Tiefdrucksumpf" über Osteuropa und Vorderasien verbindet.

Die in der Rinne wirksame extrem feuchte und sehr warme Subtropikluft hat sich
nun auch aus dem Norden und Nordosten zumindest schwerpunktmäßig verabschiedet,
wenngleich Reste der "feuchten Suppe" vor allem im äußersten Nordosten immer
noch auszumachen sind bzw. mit der in der mittleren Troposphäre vorherrschenden
östlichen Strömungskomponente zumindest "elevated" schwallweiße advehiert
werden. Die von der Grundschicht abgehobene Labilitätsfläche stellt ein bisschen
MU-CAPE von wenigen 100 J/kg bereit. Es ist daher nicht ganz ausgeschlossen,
dass einzelne Gewitter den äußersten Nordosten von Polen und der Ostsee nochmal
erreichen könnten und durch den noch hohen Wassergehalt der Troposphäre (PPWs
zwischen 35 und 40 mm) dann mit Starkregen verbunden sein können. Im
Wesentlichen tritt im Norden, Nordosten und Osten aber "nur" noch ungewittriger
schauerartiger Regen auf, der durch eine schwache Gegenstromsituation und
erhöhte Baroklinität im Übergangsbereich der Subtropikluft und der von Westen
einfließenden nicht ganz so feuchten und etwas kühleren Atlantikluft begründet
ist. Da sowohl von den probabilistischen als auch von den deterministischen
Modellen deutliche Signale für die Überschreitung von 24-stündigen
Dauerregen-Warnschwellen gezeigt wurde, hat man sich im Norden und Osten von
Schleswig-Holstein für eine entsprechende, bis Samstagfrüh laufende Warnung
entschieden. Der Regen hält zwar auch in anderen Regionen teilweise bis in den
Samstag hinein an, die Modelle deuten aber kaum warnwürdige Mengen mehr an,
sodass eine Erweiterung der bestehenden Warnung wahrscheinlich nicht notwendig
wird.
Im großen Rest des Landes suggeriert der Keil ruhiges Wetter, was aber nur
bedingt der Fall ist. Denn auch die Atlantikluft ist labil geschichtet. Mit
Ausnahme des Westens, wo sich bereits bei rund 600 hPa eine absinkbedingte
Sperrschicht zeigt, konnte sich hochreichende Konvektion ausbilden, der
potenziell wenige 100 J/kg ML-CAPE zur Verfügung steht. Zwar ist der
Wassergehalt der Troposphäre nicht ganz so hoch wie im Nordosten, aber zumindest
im Südosten liegen die PPWs bei knapp 25 mm, was zusammen mit der geringen
Verlagerungsgeschwindigkeit der Zellen und die Neigung zum Rückseitigen Anbauen
den Starkregen auf den Plan ruft. Die Unwettergefahr ist dabei erhöht (siehe
Regensburg, dort gab es sogar extreme Mengen)! Örtlich kleiner Hagel und
stürmische Böen sind eher nebensächlich.

In der Nacht zum Samstag zieht das Höhentief über den Alpen nach Ungarn, von
England weist ein Randtrog bis nach Benelux. Dazwischen steigt das Geopotenzial
über Deutschland etwas an, die Potenzialrinne bekommt dadurch eine gewisse
Schwachstelle. Der Bodenkeil kann sich noch etwas verstärken und weitet sich zur
Nordsee aus. Allerdings bleibt die Tiefdruckrinne bestehen und aufgrund ihrer
(höhen-)strömungsparallelen Exposition quasi stationär. Dies erklärt die bereits
o. e. Regenfälle im Norden und Osten sowie das geringe
Gewitter-/Starkregenpotenzial im Nordosten.
Ansonsten sollte die Konvektion dem Tagesgang folgend nach und nach in die Knie
gehen. Vor allem in der ersten Nachhälfte treten noch ein paar kräftigere
Schauer oder Gewitter auf, die nochmal lokal Starkregen bringen können. Die
Verstärkung des Keils bei gleichzeitiger Renitenz der Tiefdruckrinne lässt den
Gradienten über dem Norden und Nordosten verstärken, sodass es vor allem im
Ostseeumfeld zu einzelnen Böen Bft 7 kommen kann. Die Tiefsttemperaturen liegen
von Nordost nach Südwest zwischen 17 und 7 Grad.



Samstag ... schwenkt ein Randtrog des Trogkomplexes über dem Nordatlantik vor
die Küste Irlands. Auf der Vorderseite des korrespondierenden, sich auf unter
990 hPa vertiefenden Sturmtiefs QUIOLA kommt kräftige WLA in Gang, die zu einem
Geopotenzialanstieg über weiten Teilen Westeuropas führt. Folglich wölbt sich
ein zunächst noch flacher Rücken von Spanien über Frankreich bis Südostengland
auf, der der vorgelagerten Potenzialrinne deutlich zusetzt. So richtig
zugeschüttet wird sie aber noch nicht, denn der Randtrog über der Nordsee tropft
nach Benelux und Westdeutschland ab. Somit bleibt zwischen dem Rücken und dem
blockierenden Höhenhoch über Mittelschweden die Geopotenzialrinne über der
Südwesthälfte Deutschlands bestehen. Im Bodenniveau sieht das etwas anders aus,
da verstärkt sich der nach Mitteleuropa gerichtete Azorenhochkeil deutlich. Er
durchstößt die Tiefdruckrinne über der Nordsee, wo er schließlich Verbindung mit
dem Hoch mit Schwerpunkt über dem fennoskandischen Raum aufnimmt. Die Rinne
zieht sich dadurch langsam nach Südosteneuropa zurück.
Die über dem Nordosten und Osten lagernde Luftmassengrenze bleibt parallel unter
der südöstlichen Höhenströmung auf der Vorderseite der Potenzialrinne quasi
stationär, sodass es dort oft bedeckt bleibt und zu leichten frontalen
Regenfälle kommt. Richtung Vorpommern (eventuell auch noch im äußersten Norden
von S-H) bleiben ab etwa 800 hPa noch Reste der sehr feuchten, instabil
geschichteten Subtropikluft wirksam. ICON6 und C-D2 rechnen beispielsweise
nochmal mit wenigen 100 J/kg MU-CAPE, sodass der Regen dort schauerartigen
Charakter annimmt und - mit geringer Wahrscheinlichkeit - sogar nochmal ein
eingelagertes Gewitter mit von der Partie sein kann. Durch den hohen
Wassergehalt der Atmosphäre ist dann Starkregen nicht ausgeschlossen.
Entsprechende Hinweise liefert das C-D2-EPS sowie EURO4 auf der
deterministischen Schiene.
Im Rest des Landes ist die Atlantikluft wetterwirksam, die in der Südhälfte
(etwa ab der Mainlinie südwärts) noch hochreichend instabil geschichtet ist,
sodass es neben Schauern auch wieder zu einzelnen Gewittern kommt. ICON6
simuliert immerhin ML-CAPE von 200-500 J/kg. Im Fokus steht aufgrund der
geringen Verlagerungsgeschwindigkeit der Zellen natürlich wieder der Starkregen.
Vor allem im Südosten können bei PPWs um 25 mm (die Prog-Soundings ähneln denen
von heute sehr), wieder lokale Unwetter durch heftigen Starkregen auftreten.
Kleiner Hagel und stürmische Böen sind ferner nicht auszuschließen. Vom
Nordwesten und Westen bis in die Mitte macht sich bereits stärkeres Absinken und
dadurch eine Abtrockung und Stabilisierung der Schichtung bemerkbar, sodass kaum
Schauer auftreten. Dort scheint die Sonne zwischen lockerer Quellbewölkung dafür
etwas häufiger. Der Gradient zwischen der Tiefdruckrinne und dem sich
verstärkenden Keil bleibt im Vergleich zur Nacht erhalten, sodass an der Ostsee
weiterhin Böen Bft 7 möglich sind. Ob sie, wie von ICON und IFS angedeutet, auch
im ost- und nordostdeutschen Binnenland auftreten, ist fraglich. Wahrscheinlich
fehlt es durch mangelnde Einstrahlung an turbulenter Durchmischung. Bei recht
einheitlichen T850 um 8 Grad werden Maxima zwischen 20 und 25 Grad erreicht, nur
im Osten und Nordosten sowie an der See bleibt es kühler.

In der Nacht zum Sonntag schwenkt der Randtrog nach England. Die okkludierte
Front des korrespondierenden Tiefs QUIOLA erreicht Nordostfrankreich. Der
vorgelagerte Rücken kann sich verstärken und erreicht mit einer Achse Benelux.
Die Geopotenzialrinne wird durch den Rücken leicht überlaufende WLA nun gänzlich
zugeschüttet, sodass sich - anstatt einer Rinne - zwischen Rücken und Höhenhoch
über Mittelschweden eine Potenzialbrücke über Deutschland ausbildet. Am Boden
verlagert sich die Achse des Azorenhochkeils von der Nordsee nach Jütland und
drückt die Tiefdruckrinne noch weiter nach Osteuropa zurück.
Da die Luftmassengrenze über dem Nordosten und Osten nun unter stärkeres
Absinken gerät, klingen die Niederschläge und etwaige gewittrige Verstärkungen
allmählich ab. Während die Wolkendecke dort aber oft dicht bleibt, klart es nach
raschem Zusammenfallen der Schauer im übrigen Land vielfach auf. Nur südlich der
Donau hält das von Westdeutschland über den Süden südostwärts abziehende
Höhentief die Schauertätigkeit noch länger am Leben. Ausgangs der Nacht macht
sich die WLA bzw. herannahende Okklusion im Westen durch hohe Wolkenfelder
bemerkbar. Die Luft Abkühlen auf Tiefstwerte zwischen 12 und 7 Grad, unter den
Wolken im Nordosten auf Werte um 15 Grad.



Sonntag ... schwenkt der Randtrog von den Britischen Inseln zur Nordsee. Der
vorgelagerte Rücken verlagert sich unter Konturverlust südostwärts. Seine Achse
reicht abends von Frankreich diagonal über Deutschland bis Polen, wo er Kontakt
mit dem Höhenhoch über der mittleren Ostsee aufnimmt. Am Boden liegt Deutschland
unter einer Brücke zwischen dem Azorenhoch und dem Hoch über Fennoskandien. Die
Okklusion von Tief QUIOLA mit Kern über dem Seegebiet zwischen Island und
Schottland erreicht den Westen Deutschlands.
Durch WLA, zum Abend auch durch frontale Prozesse macht sich in der Westhälfte
mehrschichtige Bewölkung breit, durch die die Sonne anfangs aber noch
hindurchscheinen kann. Etwas Regen gibt es im Verlauf am ehesten im Nordwesten,
wo die Front ein klein wenig Unterstützung durch PVA auf der Trogvorderseite
erfährt. Ansonsten dominiert Absinken, sodass es ein freundlicher Tag wird
(Sonne und Quellwolken im Wechsel, geringes Schauerrisiko, insbesondere im
Südosten). Auch die Bewölkung ganz im Nordosten und Osten im Umfeld der
gealterten Luftmassengrenze sollte langsam aufbröckeln bzw. nach Polen abziehen.
Niedertroposphärische Erwärmung (T850 zwischen 9 und 12 Grad) macht sich in
höheren Maxima bemerkbar, die verbreitet zwischen 23 und 27 Grad liegen. Kühler
ist es unter den Wolken im Osten und an der See.

In der Nacht zum Montag schwenkt der Randtrog weiter nach Jütland. Ein weiterer
Randtrog des nordatlantischen Trogkomplexes stützt ein kräftiges Wellentief vor
den Toren Irlands. Vorderseitig kommt erneut kräftige WLA in Gang, der den von
Frankreich über Süddeutschland bis Polen reichenden Rücken vor allem in seinem
Westteil stützt und wieder verstärkt. In der Folge bildet sich im Bereich der
Hochdruckbrücke über Frankreich eine eigenständige Hochzelle aus.
Die bis in die Mitte vorankommende Okklusion hat somit kaum Chancen,
nennenswerte Wetteraktivität zu entfalten und macht sich nur durch dichte
Wolkenfelder, maximal ein paar Spritzer Regen bemerkbar. Nach Osten zu verläuft
die Nacht gering bewölkt, später lockert es auch im Westen wieder auf. Die
Tiefsttemperaturen liegen zwischen 15 und 9 Grad.


Montag ... kräftig sich der Rücken über Südwest- und Mitteleuropa, gestützt
durch anhaltende WLA des weit nach Südwesten zurückhängenden, elliptischen
Trogkomplexes über dem Nordatlantik, weiter. Das Hoch über Frankreich verlagert
seinen Schwerpunkt nach Deutschland. Die Okklusion verlagert sich zuvor noch ein
Stückweit nach Südosten, löst sich dann aber auf. Rückseitig fließt recht
trockene, etwas kühlere Meeresluft in die Nordwesthälfte, in der Südosthälfte
hält sich etwas wärmere und feuchtere Luft. In der feuchteren Luft können sich
trotz Absinken im Tagesverlauf mit orographischer Unterstützung ein paar wenige
Schauer entwickeln (Gewitter bei "TOPS" bis rund 600 hPa unwahrscheinlich), in
der trockeneren Luft reicht es wahrscheinlich nur für flache Quellwolken. Im
Nordwesten liegen die Maxima eventuell 1-2 Grad unter denen des Vortages,
ansonsten ändert sich wenig, verbreitet reicht es für einen Sommertag.



Modellvergleich und -einschätzung
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Im Hinblick auf die synoptischen Basisfelder gibt es kaum nennenswerte
Unterschiede. Die daraus abgeleitete Niederschlagsprognose fällt aufgrund des
vornehmlich konvektiven Charakters aber teilweise sehr unterschiedlich aus.
Unklar ist beispielsweise, ob es im Nordosten in der Nacht zum Samstag und am
Samstag selbst nochmal für gewittrige Starkregenfälle reicht (C-D2-EPS/EURO4:
eher ja, der Rest: eher nein) - die Warnungsherausgabe bleibt daher dem Nowcast
vorbehalten.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Adrian Leyser