DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

19-06-2020 08:30
SXEU31 DWAV 190800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 19.06.2020 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Anfangs noch TrM (Trog Mitteleuropa), ab Sonntag allmählicher Übergang zu
BM (Brücke Mitteleuropa) bzw. HM (Hoch Mitteleuropa)

Heute Schauer und einzelne Gewitter mit geringer Unwettergefahr. Im Nordosten
gebietsweise Stark- oder Dauerregen.
Am Samstag in der Südhälfte einzelne Gewitter, ab Sonntag Ruhe im Karton.

Synoptische Entwicklung bis Sonntag 24 UTC
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Freitag... Nach einer in vielerlei Hinsicht turbulenten Woche (der Verfasser
kapriziert sich der Intention dieses Bulletins folgend ausnahmsweise mal nur auf
das Wetter), scheint sich die Atmosphäre nun nach einem ruhigeren Fahrwasser zu
sehnen. Das bedeutet aber nicht, dass am heutigen Freitag, dem letzten Tag des
Meteorologischen Frühlings (obwohl, stimmt nicht ganz, der morgige Samstag
gehört größtenteils auch noch dazu, da die offizielle Sommersonnenwende erst auf
23:43 MESZ terminiert ist) nichts los ist. Die Flut "roter" und "violetter"
Karten wegen Unwetter ist aber erst mal vorbei, wobei die Betonung auf Flut und
nicht auf Rot liegt, doch dazu im Verlauf mehr.
Zunächst erst einmal der Blick in die mittlere und obere Troposphäre, wo nach
wie vor ein monumentaler, weil ewig langer Trog das Bild bestimmt. Er reicht vom
mittleren Nordatlantik bis nach Vorderasien u d überdeckt damit auch
Mitteleuropa respektive Deutschland. Integriert in den Trog sind mehrere
Drehzentren respektive es kommt zur Abspaltungen eben solcher, was gut in der
300-hPa-Potenzialverteilung erkennbar ist. So spaltet sich im Laufe des
Vormittags über Ostfrankreich ein längliches Höhentief ab, das himself ebenfalls
noch mal einen Split durchführt: Ein Teil zieht über die Alpenstaaten gen Osten,
der andere unweit der deutschen Westgrenze in Richtung Niederlande, wobei beiden
Exemplaren Kaltlufttropfencharakter zugesprochen werden kann. Damit keine
Missverständnisse aufkommen, die ganz große Wirkung wird dadurch nicht entfacht,
zu schwach präsentiert sich die weiterhin aus Süd bis Ost kommende
Höhenströmung. Immerhin reicht es aber, der in weite Teile des Vorhersageraums
eingeflossene, leidlich labil geschichteten Atlantikluft noch einen kleinen
"Labilitätszusatzimpuls" zu verleihen, insbesondere im Süden und im Westen.
Von schwindelnder Höhe in den Abgrund, nein, in die unteren
Troposphärenschichten bzw. das bodennahe Niveau. Die Luftdruckgegensätze sind
nach wie vor flau, trotzdem sind Strukturen erkennbar. Während von Frankreich
her ein Hochkeil zu uns rüberschaut, findet man über Nordwestpolen ein flaches
Tief (es handelt sich um einen Skoda OCTAVIA), von dem aus sich eine Rinne
nordwestwärts erstreckt. Diese Rinne, ein Erbe DER Rinne, die in den vergangenen
Tagen für reichlich Trouble bei uns gesorgt hat, hat Deutschland so gut wie
verlassen, was an den Windbeobachtungen abzulesen ist. So wurde um 05 UTC nur
noch rund um Rügen und Usedom Ostwinde registriert, ansonsten war alles -
abgesehen von örtlichen Kalmen - auf West bis Nordwest gestellt. Was bleibt, ist
eine Kaltfront auf der Rückseite der Rinne, die aufgrund ihrer
strömungsparallelen Exposition nur sehr sehr zögerlich nordostwärts vorankommt,
um auch den letzten Rest der alten Warmluft zu verdrängen. Bis in die
Abendstunden hält sich die 850-hPa-Temperatur in Vorpommern auf über 10°C,
während es in der ansonsten verbreitet einfließenden Atlantikluft meist 7-9°C
sind.
Zum Wetter, dass sich im mehrere Zonen einteilen lässt. Fangen wir im Süden an,
wo angefacht durch etwas trogvorderseitige Hebung reichlich Gewölk und
gebietsweise Regen unterwegs ist - so viel Regen, dass für Teile Bayerns sowie
den äußersten Westen von BW eine Stark- bzw. Dauerregenwarnung herausgegeben
wurde. Vor allem am Vormittag regnet es noch ordentlich weiter (1h-Summen teils
um 5 l/qm), wobei sich der ansonsten stationäre Regen noch etwas weiter nach
Osten ausbreitet. Allerdings dürfte Stand heute früh eine Ausweitung der Warnung
bis in den Chiemgau und das Berchtesgadener Land nicht erforderlich sein. Am
Nachmittag lässt der Regen mehr und mehr nach und die Wolkendecke lockert hier
und da etwas auf. Dabei können sich - ebenso wie im gesamten Süden und Westen
sowie Teilen der Mitte - in der bereits erwähnten Atlantikluft mit Hilfe
diabatischen Inputs (Einstrahlung) sowie der auf diesem Sektor stets treuen
Orografie Schauer und einzelne Gewitter entwickeln. Feuchte und Labilität
reichen aus, um einige hundert Joule pro Kilogramm CAPE auf die Platte zu
bringen, was für einzelne pulsierende Gewitter hinreichend ist. Diese dürften
bei moderater bis pomadiger Verlagerungsgeschwindigkeit meist im markanten
Sektor anzusiedeln sein mit Starkregen zwischen 15 und 25 l/qm innert kurzer
Zeit (PPWs bis 25 mm), kleinkörnigem Hagel und Böen 7-8 Bft. Das "U-Wort" sollte
an dieser Stelle nicht überstrapaziert werden, gleichwohl weiß der Kenner der
Szene, dass 25 l/qm innert einer Stunde ganz schnell mal erreicht sind.
Schauen wir schließlich noch in den Norden und Nordosten, wo die Sonne heute
wenig bis gar keine Entfaltungsmöglichkeiten bekommt. Die beiden heute früh
beobachten schmalen Regenbänder wachsen zusammen und bleiben - vor allem
angetrieben durch Gegenstrom mir W-NW-Wind unten und O-Wind oben - auf der
kalten Seite der Front tagsüber noch erhalten. Dabei besteht am Vormittag eine
gewisse Wahrscheinlichkeit für Starkregen zwischen MV und SH (COSMO-D2-EPS),
allerdings ist das kein Garant für eine Präventivwarnung. Vielmehr sollte man
das Geschehen genaustens beobachten und situativ entscheiden. Stellt sich nun
nur noch die Frage, ob es im Norden und Nordosten auch noch mal für Gewitter
reicht. Nun, im Bereich des Regenstreifens sollte der Kuchen eigentlich gegessen
sein, zu stabil ist mittlerweile die Schichtung. Bliebe allenfalls noch der
äußerste Nordosten, Vorpommern, wenn man so will. Auch dort nimmt die Labilität
immer weiter ab und ML-CAPE wird nicht generiert, weil kaum oder keine
Einstrahlung erfolgt. Es bleibt aber noch etwas MU-CAPE übrig, dass vielleicht
genutzt werden kann, vielleicht, denn woher soll der Antrieb kommen. Möglich
ist, dass von Polen noch was rüberschwappt, die Wahrscheinlichkeit ist aber
nicht überbordend hoch. Offensichtlich sehen das die Modelle ähnlich,
insbesondere auch die konvektionserlaubenden, die wenig bis nichts auf der Karte
haben. Wenn doch, dann ist am ehesten Starkregen am Start.
Temperaturmäßig lässt es sich bei 18 bis 24°C ganz gut durchatmen, im
regnerischen Süden allerdings reicht es nur für Werte um 16°C.

In der Nacht zum Samstag passiert wetterlagentechnisch kaum etwas. Der Hochkeil
weitet sich nach Norden und drängt die Kaltfront immer weiter nach Nordosten ab.
Die entpuppt sich aber als ziemlich renitentes Wesen, das sich nicht so einfach
verscheuchen lässt. Dabei spielt natürlich die weiterhin strömungsparallele
Ausrichtung (trifft sowohl auf den west-nordwestlichen Bodenwind als auch auf
den ost-südöstlichen Höhenwind zu) eine wesentliche Rolle. Kurzum, von SH bis
nach Sachsen kommt es zu weiteren frontalen Regenfällen, für die es im Norden
(Ostseenähe) sogar noch schwache Starkregensignale (C-D2-EPS) gibt. Für die
schleswig-holsteinische Ostseeküste bis hinunter zur Wismarer Bucht kann man
sogar über eine bis Samstagvormittag andauernde Dauerregenwarnung (Größenordnung
um 30-50 l/qm in etwa 24 h) nachdenken, was inzwischen auch schon in die Tat
umgesetzt wurde. Auf der "warmen" Seite (in Vorpommern weiterhin T850 um 11°C)
könnte es vielleicht für ein nächtliches Gewitter reichen, obwohl die
Wahrscheinlichkeit dafür über der Ostsee größer ist. Fakt ist, dass sich durch
den Druckanstieg von Südwesten her der Gradient vorübergehend etwas verschärft,
was an der westlichen Ostsee einzelne steife Böen 7 Bft zur Folge haben könnte.
Für den großen Rest des Landes gilt: abnehmende konvektive Aktivität, teils
auflockernde Bewölkung, einige Nebelfelder (Westen, Süden, Mitte).


Samstag... lohnt es sich nach langer Zeit mal wieder auf den Atlantik, genauer
den nahen Ostatlantik zu schauen, wo sich ein Tief (es ist QUIOLA) UK/Irland
nähert, das als solches auch erkennbar ist (nicht irgend so ein flaches
Gewurschtel, wie wir es von den vergangenen Tagen kennen). QUIOLA pumpt
vorderseitig ordentlich Warmluft nach Norden, was zum Aufbau eines Rückens über
Westeuropa führt. Auf dessen Vorderseite bleibt eine schmale Potenzialrinne, die
von Benelux her über den Westen und Süden des Vorhersageraums verläuft und den
besagten Rücken von einer sich abspaltenden Höhenantizyklone über Nordeuropa
trennt. Mit anderen Worten, das Strömungsregime in der Höhe ist noch immer -
zumindest in einigen Regionen - zyklonal gefärbt, während sich am Boden der Keil
des Azorenhochs müht, den Sommeranfang einigermaßen plausibel zu machen.
Allerdings, das soll nicht unerwähnt bleiben, werden der Nordosten und der
äußerste Osten auch morgen noch von der inzwischen über der Ostsee liegenden
Rinne nebst rückseitiger Luftmassengrenze malträtiert. So bleibt es in diesen
Regionen nicht nur stark bewölkt bis bedeckt, es fällt auch noch schauerartiger
Regen. Ob es von Polen oder der Ostsee her auch noch mal für ein Gewitter über
deutschem Territorium reicht, bleibt abzuwarten. Die Labilitätsindizes sprechen
dagegen, auch wenn immer noch Rest der ehemaligen Warmluft vorhanden sind. Wenn
schon keine Gewitterwarnung, dann wenigstens eine Windwarnung. So frischt der
West-Nordwestwind an der Ostsee mitunter böig auf, dass für einige
Küstenabschnitte eine kleine Warnung (7 Bft) opportun erscheint.
Schauer und einzelne Gewitter stehen morgen auf alle Fälle in der Südhälfte auf
dem Programm, wo die Luftmasse von Westen her zwar allmählich abtrocknet,
Labilität und Restfeuchte aber ausreichen, CAPE bis maximal 500 J/kg zu
generieren. Mit Tagesgang und Orografie werden vertikale Umlagerungen in Gang
gesetzt, wobei hinsichtlich der Begleitparameter das gleiche gilt wie heute.
Allerdings nimmt die Unwettergefahr wegen der allmählichen Abtrocknung ab.
Weitgehend niederschlagsfrei bleibt es in den nordwestlichen Landesteilen, wo
auf der Vorderseite des o.e. Rückens peu a peu leichtes Absinken greift.
Erkennbar ist das in den Prognosesoundings an einer zugegeben noch schwachen
Inversion um 700 hPa herum.
Die Temperatur erreicht Höchstwerte zwischen 19 und 24°C, im Nordosten etwas
darunter.

In der Nacht zum Sonntag wird die Potenzialrinne durch den von Westen
vorankommenden Rücken mehr und mehr zugeschüttet. Damit wird auch das Geschehen
im Osten und Nordosten immer weiter rausgedrückt, sprich, die Regenfälle lassen
nach oder werden zur Ostsee und nach Polen abgeschoben. Im größten Teil des
Landes bleibt es trocken, einzig südlich der Donau sorgen die Reste der
scheidenden Rinne in Form eines kleinen Randtrogs für weitere Schauer,
anfänglich auch vereinzelte Gewitter, Tendenz in der zweiten Nachthälfte
nachlassend.

Sonntag... erreicht der Höhenrücken endgültig den Vorhersageraum, wobei er eine
Verbindung mit dem nordeuropäischen Höhenhoch eingeht. Mit anderen Worten, der
Hochdruckeinfluss und Sonnenscheindauer nehmen zu, die Abtrocknung setzt sich
weiter fort und die Luft kann sich erwärmen. 20 bis 26°C stehen auf der Karte,
was aber nur die zaghafte Vorhut dessen ist, was uns in der kommenden Woche
droht. Einzelne Schauer entwickeln sich am ehesten noch am Alpenrand sowie im
(südlichen) Alpenvorland, ansonsten verhindert das andauernde Absinken
nennenswerte konvektive Umlagerungen. Allerdings lässt sich wohl nicht
verhindern, dass im Tagesverlauf Schichtbewölkung auf die westlichen Landesteile
übergreift, die das sich nähernde Frontensystem des Tiefs QUIOLA andeuten. Nicht
auszuschließen, dass zum Abend hin an der Grenze zu Benelux ein paar Tröpfle
fallen.

Modellvergleich und -einschätzung
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Was die großräumige Entwicklung angeht, sind sich die Modelle weitgehend einig.
Das Abdrängen der Rinne respektive der nachfolgenden Luftmassengrenze scheint
demnach ein schweres und zähes Unterfangen. Die damit verbundenen Niederschläge
und (potenziellen) Gewitter werden eher heterogen gerechnet, was das
Warnmanagement nicht einfach macht. Es ist somit nicht ausgeschlossen, dass
neben der den aktuell laufenden Warnungen vor Stark- und Dauerregen zumindest
gebietsweise nicht noch welche hinzukommen.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann