DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

09-06-2020 17:30
SXEU31 DWAV 091800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 09.06.2020 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
Gradientschwache Lage mit Regen, Schauern und Gewittern bei allerdings
unsicherer Niederschlagsprognose.

Synoptische Entwicklung bis Freitag 12 UTC
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Aktuell ... zeigt die großräumige Potenzialverteilung einen umfangreichen, mit
mehreren Drehzentren gespickten Trogkomplex, der sich vom Nordpolarmeer bis
hinunter zum westlichen Mittelmeer erstreckt. Flankiert wird der Trog von nicht
minder umfangreichen Höhenrücken über dem mittleren Nordatlantik und Osteuropa,
die nicht im Geringsten daran interessiert sind, sich nennenswert von ihren
Plätzen zu entfernen und somit ihre blockierende Wirkung voll auskosten.
Allerdings versuchen die beiden Rücken, völlig unromantisch über Nordeuropa
Parship zu betreiben, was ab morgen wohl auch zum Erfolg führen wird. So kommt
über dem Nordmeer und Skandinavien zum Aufbau einer Potenzialbrücke und somit zu
einem Bruch innerhalb des Monumentaltroges. Während das nördlichste der
Höhentiefs von Spitzbergen her Nowaja Semlja ansteuert, zieht es das westliche
Höhentief mit korrespondierendem Bodentief (NADINE) von Island (heute Mittag) in
Richtung UK/Irland. Weil das offensichtlich noch nicht reicht, gilt es auch noch
ein drittes Tief zu erwähnen, das heute Abend in der Höhe über Südfrankreich
liegt, während es am Boden als MELINDA bereits das Ligurische Meer erreicht hat.

Kommen wir nach Deutschland, wo heute Abend gerade mal eine einzige Hauptisobare
(klassischerweise in 5-hPa-Abständen angegeben) analysiert werden kann. Die
1015-hPa-Isobare verläuft von Südwest nach Nordost und trennt dabei - wenn man
so will - den bis zur Nordsee reichenden Keil des etwas nach Norden verschobenen
Azorenhochs von etwas tieferem Luftdruck süd- und östlich von uns. Müßig zu
erwähnen, dass die Präsenz einer einzigen Isobare auf schwache Bodenwinde
hinweist, die im Wesentlichen aus nördlichen Richtungen wehen. Mit zunehmender
Höhe dreht der Wind über Ost auf Südost, was eine klare Rechtsdrehung darstellt
und somit den Tatbestand der WLA erfüllt. Die daraus resultierenden
Hebungsprozesse sorgen insbesondere in der Mitte gebietsweise für andauernden,
stratiform motivierten Regen, wohingegen die etwas weiter west- und nordwestlich
auftretenden konvektiven Zellen tagesgangbedingt ihren Dienst einstellen.
Dagegen kann es im Süden bei weitgehend geschlossener Bewölkung hin und wieder
leicht regnen.

Mittwoch ... verlagert sich das südliche Höhentief unter Abschwächung nach
Norditalien, während unser westlicher "Freund" bis zum Abend mit seiner
Vertikalachse die Keltische See erreicht. Derweil wird über Nordeuropa weitere
Kontaktpflege zwischen den beiden o.e. Höhenrücken betrieben; offensichtlich mit
Erfolg, denn die resultierende Potenzialbrücke nimmt Formen an, was auch dem
korrespondierendem Bodenhoch THOMAS sichtlich guttut. Dieses stellt sich zur
Mittagszeit recht prominent (über 1030 hPa im Zentrum) über der Norwegischen See
auf, wo es quasi als Landes- (oder sollte man besser sagen Meeres-)fürst des
Königs unter den Hochs, dem berühmten Azorenhoch, regiert.
Bei uns bleiben die Strömungsverhältnisse flau: unten nördliche bis östliche
Winde, weiter oben Rechtsdrehung auf Südost => WLA und mehr oder weniger
ausgeprägte Hebungsprozesse. Die stratiformen Regenfälle aus der Mitte breiten
sich weiter aus bis in den Westen und Nordwesten, wobei das Niederschlagsgebiet
mit zunehmenden Tagesgang aber immer weiter zerfleddert und zunehmend amorphe
Strukturen annimmt. Über jeden Zweifel erhaben was Regen angeht sind große Teile
Norddeutschlands, vor allem der Nordosten, wo die von der Ostsee advehierte
Luftmasse durch eine bei 800 hPa positionierte Inversion stark gedeckelt wird.
Zwar ist die Grenzschicht labil geschichtet, so dass sich Quellungen bilden
können, für Schauer sind die Wolken aber nicht mächtig genug respektive zu warm.
Den meisten Sonnenschein dürfte es an den mittlerweile wieder gut besuchten
Küsten und Inseln von Nord- und Ostsee geben.
Schalten wir nun noch in den Süden der Republik, wo die Luftmasse peu a peu
labiler wird (u.a. erkennbar an der Zunahme der Lapse-Rates). Für das ganz große
Kino reicht es freilich nicht, für ein paar B-Filme vielleicht aber schon. Mit
anderen Worten, die Bereitschaft der Atmosphäre respektive der Luftmasse,
konvektiv tätig zu werden, steigt. Da synoptische Systeme sowohl in der Höhe als
auch am Boden nicht zu erwarten sind, bedarf es der Mithilfe der Orografie und
des Tagesgangs, um Schauer und auch einzelne Gewitter zu induzieren. Bei
schlaffen Oberwinden von maximal 10 Kt in 850 hPa und PPWs meist zwischen 20 und
25 mm liegt das Hauptaugenmerk auf lokalem Starkregen, der nicht zwingend nur an
Gewitter, sondern durchaus auch an nicht-gewittrige Schauer gebunden sein kann.
In der Regel sollte dabei eine markante Warnung ausreichen, gleichwohl, die
Chroniken sind voll von Beispielen mit vergleichbaren Wetterlagen, wo die
niedrig angesetzte Unwetterschwelle von 25 mm/h, ehe man sich umsehen konnte,
überschritten wurde.
Noch ein Wort zur Temperatur, die auch morgen wieder im kühlen bis mäßig warmen
Bereich anzutreffen sein wird. Die Poleposition nehmen das nord- und ostdeutsche
Binnenland ein, wo sich die Luft verbreitet 20 bis 22°C erwärmt. Dagegen wird es
im Süden und im zentralen Mittelgebirgsraum Orte geben, die froh sind, wenn eine
"15" auf der Digitalanzeige der örtlichen Volks- und Raiffeisenbank aufleuchtet.


In der Nacht zum Donnerstag verstärkt sich der Hochdruckeinfluss über
Nordeuropa, was aber auch für das Tief NADINE über Westeuropa gilt, die von der
Keltischen See her am Westeingang des Ärmelkanals vorbei die nördliche Biskaya
anpeilt. Bei uns bleibt die Luftdruckverteilung davon weitgehend verschont,
lediglich im äußersten Norden legt der Nordostwind etwas zu, ohne dabei aber in
die Nähe der unteren Warnschwelle zu kommen.
Da in der Höhe die südöstliche Strömung andauert (Rechtsdrehung), ist weiterhin
mehr oder weniger ausgeprägte WLA wirksam. Die daraus resultierende Hebung
generiert modellübergreifend auch Niederschläge, allerdings tut sich die Numerik
zusehends schwer, Intensität und räumliche Verteilung einigermaßen kongruent (im
Vergleich), aber auch konsistent (von Lauf zu Lauf) abzubilden. Betroffen
dürften vor allem die Mitte und der Süden sein, wobei auch einzelne Gewitter am
Start sein können. Zudem gilt die Faustregel: je weiter nördlich, desto
stratiformer (Stichwort Aufgleiten), je weiter südlich, desto konvektiver der
Niederschlag.

Donnerstag ... nistet sich die hochreichende NADINE, also das Tief, über der
Biskaya ein, während sich das südlich der Alpen befindliche Höhentief still und
leise in Richtung Balkan verabschiedet. Mit Ausnahme des äußersten Nordens
bleiben die Druckunterschiede am Boden extrem mau, wobei der schwache, an der
Küste auch mäßige Wind aus Osten bis Nordosten kommt. Über den Alpen lässt sich
derweil mit etwas Fantasie eine zonal exponierte Tiefdruckrinne detektieren.
Als schwierig entpuppt sich einmal mehr die genaue Wettervorhersage, weil die
Numerik offensichtlich große Probleme mit der Niederschlagsprognose hat.
Grundsätzlich lassen sich aber einige Tendenzen erkennen. So deutet Vieles
darauf hin, dass sich die (stratiformen) Regenfälle nun auch auf den Norden und
Nordosten ausbreiten. Allerdings bleibt ICON auch im neuesten Lauf von 12 UTC
noch recht zurückhaltend, während externe Modelle (wenn auch mit älteren Läufen)
offensiver zur Sache gehen. Ähnlichkeiten sind diesbezüglich auszumachen, als
dass im Laufe des Nachmittags die konvektive Komponente von Polen her allmählich
zunimmt.
Ein weiterer Trend liegt darin, dass die Luftmasse im Süden und Westen immer
labiler wird. Erkennbar ist das an den Lapse-Rates, es wird aber auch mehr
ML-CAPE generiert als tags zuvor. Zum Teil geht es hoch auf 500 J/kg, lokal noch
etwas darüber. Auch die Prognosetemps machen einen vernünftigen Eindruck und
zeigen hochreichende Labilität. Allerdings nutzt es wenig, wenn man einigermaßen
brauchbaren Treibstoff im Tank hat, aber keinen Zündmechanismus. Die südöstliche
Höhenströmung zu glatt, die Tiefdruckrinne noch zu weit südlich, von Fronten
auch keine Spur - also gilt es auf bewährte "Hausmittel" zurückzugreifen,
sprich, die Orografie muss es mit Hilfe des Tagesgangs wieder mal richten. Wie
und wo das am Ende gelingen wird, kann wohl nur im Nowcasting beantwortet
werden. Fakt ist, dass die Höhenwinde und auch die Scherung gering bleiben, was
auf pulsierende Konvektion mit Schwerpunkt Starkregen hindeutet (markant, lokale
Unwetter aber nicht ausgeschlossen). Auffallend ist allerdings eine gewisse
Abtrocknung in Richtung Alpenrand (Rückgang PPW und spezifische
Grundschichtfeuchte), was auf eine zunehmend föhnige Komponente hindeutet. Dort
reicht es möglicherweise nicht zur Auslöse, aber wer weiß das heute schon genau.

Was man weiß, dass die Temperatur allmählich ansteigt. Das trifft auf 850 hPa
zu, wo die Werte am Abend um 10°C liegen. Das trifft aber auch auf 2 m zu, wo
sich die Maxima zwischen 18 und 24°C einpendeln (abzüglich höherer Lagen sowie
Küsten- und Inselabschnitten mit auflandigem Wind).

In der Nacht zum Freitag fällt die Konvektion tagesgangbedingt weitgehend
zusammen. Was übrig bleibt - und da sind sich die Modelle erfreulicherweise im
Großen und Ganzen einig - im Norden schauerartig verstärkte Regenfälle, die von
MV (vielleicht noch ein Stück vom nördlichen BB) bis zur Deutschen Bucht
reichen. Dort, wo es längere Zeit aufklart, bildet sich Nebel.

Freitag ... verbleiben wir auf der Nordostflanke des Höhentiefs über der Biskaya
unter einer östlichen (untere Troposphäre) bis südlichen (mittlere und obere T.)
Höhenströmung. Dabei gelangt, z.T. mit föhniger Unterstützung, sukzessive
wärmere, vorübergehend auch etwas trockenere Luft nach Deutschland. Bis zum
Abend steigt die 850-hPa-Temperatur auf 12°C im NW und bis zu 17°C am östlichen
Alpenrand. Die o.e. Tiefdruckrinne schiebt sich langsam aus den Alpen heraus
nach Norden, entfaltet durch die trockene Luft aber keine nachhaltige Wirkung.
So gestaltet sich der Freitag landesweit ziemlich sommerlich mit einem
deutlichen Temperaturanstieg gegenüber den Vortagen. 24 bis 29°C stehen auf der
Karte mit viel Sonnenschein und einer geringen Schauer- und Gewitterneigung über
den Bergen sowie am Abend auch an der Grenze zu Polen. Im Norden muss man erst
noch die Wolken und Regenfälle aus der Nacht verabschieden, bevor sich auch dort
mehr und mehr die Sonne durchsetzt. Mit 19 bis 25°C wird es nicht ganz so warm.



Modellvergleich und -einschätzung
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Die Basisfelder passen, die Niederschläge nicht unbedingt. Somit sind wir vor
einigen Überraschungen nicht gefeit.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann