DWD Synoptische Übersicht Mittelfrist

09-06-2020 09:30

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T M I T T E L F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 09.06.2020 um 10.30 UTC



Am Wochenende schwül-warm und gewittrig. Unwettergefahr durch heftigen
Starkregen! Danach nur vorübergehend nachlassende Gewittertätigkeit.
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Synoptische Entwicklung bis zum Dienstag, den 16.06.2020


Die (genaue) Prognose der mittelfristigen Wetterentwicklung ist aufgrund der im
wahrsten Sinne des Wortes "herumeiernden", sehr flachen Geopotenzialverteilung
über weiten Teilen des europäischen Kontinents mit größeren Unsicherheiten
behaftet, wenngleich die groben Strukturen (blockierende Großwetterlage mit
hohem Geopotenzial über Nordeuropa) und damit auch der grobe Fahrplan sehr wohl
steht. Letzterer sieht vor, dass zumindest am kommenden Wochenende eine
schwül-warme Gewitterlage mit hohem Unwetterpotenzial ins Haus steht.

Am Wochenende nistet sich über Skandinavien eine Höhenantizyklone ein, die ein
Resultat einer antizyklonal brechenden Rossbywelle über dem Nordostatlantik ist.
Im Verlauf nimmt sie Verbindung mit einem Rücken über Nordwestrussland auf. Die
Höhenantizyklone und der Rücken stützen im Zusammenspiel eine umfangreiche
Hochdruckzone, die sich im Verlauf vom Nordmeer über Skandinavien bis zum Raum
Moskau ausweitet und die Funktion eines blockierenden Hochs übernimmt. An der
Südflanke des blockierenden Hochs zeigen sich mehrere Cut-Offs, deren Position
und Verhalten schwer vorhersagbar sind. Eine gewisse Evidenz hat am ehesten noch
ein Höhentief, das am Rande eines zunächst kräftigen Azorenhochs von der
Irischen See über die Bretagne zur Biskaya nach Süden, durch einen
Abtropfprozess über den Nordatlantik in Richtung Azoren dann aber wieder zurück
nach Norden geführt wird. Ein weiteres Höhentief zeichnet sich über den Balkan
ab und zieht zur Türkei. Dazwischen ist das Geopotenzialfeld sehr diffus,
allerdings ist im Vergleich zu unter der Woche zwischen den beiden Höhentiefs
über dem zentralen Mittelmeer und dem östlichen Mitteleuropa zumindest
vorübergehend ein gewisser Geopotenzialgewinn zu verzeichnen. Dadurch dreht die
(zunehmend) schwache Höhenströmung über Deutschland von östlicher auf
südöstliche Richtung und führt subtropische, feuchte und zunehmend instabil
geschichtete Warmluft aus Osteuropa heran (T850 auf 10 bis 15, durch leichten
Föhn im Südosten bis auf 18 Grad ansteigend). Am Boden manifestiert sich
zwischen einem Tief vor der Toren Westeuropas sowie Südosteuropa eine
Tiefdruckrinne. Möglicherweise entwickelt sich durch die südöstliche
Überströmung des Alpenbogens zudem ein Leetief über Süddeutschland. So oder so,
die bodennahe Strömungskonfiguration neigt zur Ausbildung von Konvergenzen, was
sowohl die Feuchteanreicherung sowie die Neigung der Atmosphäre zur Ausbildung
hochreichender Konvektion weiter fördert.

Während sich die Gewittertätigkeit am Freitag wohl noch sehr in Grenzen hält,
treten am Samstag und Sonntag verbreitet Gewitter auf, wobei die Schwerpunkte
(je nach Lage der Konvergenzen) noch nicht festzumachen sind. Hochreichende
Feuchtigkeit (in den unteren Niveaus durchaus auf bemerkenswerte 10-12 g/kg
ansteigend) sowie geringe Verlagerungsgeschwindigkeiten der Zellen und deren
Neigung zur Verclusterung rufen ein hohes Starkregenpotenzial (auch mehrstündig)
auf den Plan. Man muss kein Prophet sein, um vorherzusehen, dass aufgrund von
lokal auftretendem, (extrem) heftigen Starkregens immer wieder die rote oder
violette Warnkarte gezogen werden muss. Auch größere Ansammlungen von kleinem
Hagel sind denkbar. Größerer Hagel spielt zwar eine untergeordnete Rolle, kann
aber alleine durch die Eigendynamik und lokale Modifikationen durch die
Orographie genauso wenig ausgeschlossen werden wie Sturmböen. Ob der Nordosten
in den Genuss der aus dem Hoch herausströmenden trockeneren Luftmasse kommt, was
eine geringere Gewittergefahr nach sich ziehen würde, ist unklar.
Höchsttemperaturen von verbreitet 25 bis 30 Grad, Taupunkte zwischen 15 und 20
Grad sowie warme Nächte sorgen indes für eine recht hohe Wärmebelastung.

Zu Beginn der kommenden Woche wird auch das Verhalten des großräumigen Musters
zunehmend unscharf. Ein neuer Trog über der Irmingersee beginnt mit dem Cut-Off
bei den Britischen Inseln zu interagieren. Nach dem jüngsten IFS00Z-Lauf wird
das Cut-Off integriert und geht in eine von Grönland bis zu den Britischen
Inseln reichende Trogkonfiguration auf. Vorderseitig wölbt sich ein Rücken von
Algerien über das westliche Mittelmeer bis zum Alpenbogen auf. Das
korrespondierende Hoch sorgt zusammen mit der Advektion etwas kühlerer
Atlantikluft (T850 auf 8 bis 12 Grad sinkend) für eine Stabilisierung und
nachlassen der Gewittertätigkeit.

In der erweiterten Mittelfrist schwenkt der Rücken ostwärts durch und
Deutschland gelangt in eine südliche bis südöstliche Strömung, mit der sehr
warme, feuchte und damit wieder zunehmend gewitterträchtige Luftmassen
herangeführt werden würden.
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Bewertung der Konsistenz des operationellen Laufs


Bis einschließlich Sonntag rechnen die jüngsten IFS-Läufe sehr kongruent die
Umstellung zu einer schwül-warmen, sehr gewittrigen Wetterlage mit
Unwetterpotenzial durch lokalen, heftigen Starkregen. Allerdings ergeben sich im
Detail im Hinblick auf die Schwerpunkte der Gewittertätigkeit prognoserelevante
Unterschiede, die wahrscheinlich aber erst in der Kurzfrist beseitigt werden.
Ab Montag laufen die Simulationen dann auch in Bezug auf die großräumigen
Strukturen nennenswert auseinander. Unklar ist, wie das Höhentief über
West-/Nordwesteuropa mit dem neuen Trog über dem Nordatlantik interagiert. Im
Gegensatz zum neusten IFS00Z-Lauf und gestrigen IFS12Z-Lauf, die durch den sich
vom westlichen Mittelmeer her nordostwärts aufwölbenden Rücken eine
vorübergehende Stabilisierung sehen, sollte Deutschland im gestrigen IFS00Z-Lauf
in der südöstlichen Strömung in der sehr feuchten und instabilen Luftmasse
verbleiben, sodass sich die Gewittertätigkeit quasi unvermindert fortgesetzt
hätte.
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Vergleich mit anderen globalen Modellen


Die Unwägbarkeiten der Vorhersage der kleinen Höhentiefs sorgen auch beim
Vergleich der verschiedenen Globalmodelle für ein gewisses Rätselraten. Auf den
ersten Blick kaum sichtbare Unterschiede in den Basisfeldern sorgen für große
Differenzen bei der Niederschlagsprognose. Bei GFS beispielsweise ist das
winzige, bisher gar nicht erwähnte, zum Baltikum bzw. Nordpolen abtropfende
Höhentief etwas schwächer ausgeprägt, sodass die Höhenantizyklone etwas weiter
südlich über Südskandinavien liegt und stärkeren Einfluss auf den Norden und
Nordosten entfalten kann. Während bei GFS also dort ein gewisses Minimum bei der
Gewittertätigkeit zu verzeichnen wäre, dürfte sich bei ICON die Südwesthälfte in
ruhigerem Fahrwasser wähnen. Beim unserem hauseigenen Modell rückt uns das
Cut-Off über West-/Nordwesteuropa nämlich näher auf die Pelle und rechnet hinter
der von Frankreich übergreifenden Kaltfront für eine Stabilisierung in der
Südwesthälfte. Das oben beschriebene IFS00Z-Szenario stellt gewissermaßen den
Mittelweg dar.
Im weiteren Verlauf bleibt bei GFS die östliche Komponente der Strömung
erhalten, eine nennenswerte, durchgreifende Stabilisierung von Westen her wie
bei IFS ist nicht zu erkennen.
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Bewertung der Ensemblevorhersagen


Die Rauchfahnen des IFS-EPS für die 850-hPa-Temperatur (T850) und das
500-hPa-Geopotenzial (H500) zeichnen sich bis Sonntag durch eine gute Bündelung
aus. Sowohl der Haupt- als auch Kontrolllauf verlaufen nahe des Medians der
Verteilung.
Ab Montag, insbesondere aber in der erweiterten Mittelfrist ab Mittwoch nimmt
der Spread deutlich zu. Das betrifft vor allem das Geopotenzial. Der Haupt-,
insbesondere aber der Kontrolllauf befinden sich eher in den oberen Bereichen
der Verteilung, eine nicht zu vernachlässigende Anzahl an Ensemblemitgliedern
sehen absinkendes, tieferes Geopotenzial im Verlauf der nächsten Woche. Bei T850
bleibt die überwiegende Mehrheit der EPS-Mitglieder allerdings auf hohem bzw.
nur wenig zurückgehendem Niveau.
Ein Maximum der Niederschlagssignale zeigt sich am Sonntag, aber auch in der
neuen Woche wollen es nicht wenige Member sehr feucht.

Für den Zeitraum +72-96h (Fr-Sa) wird das IFS-EPS auf 4 Cluster aufgespaltet,
die alle dem Zirkulationsregime "Blocking" zugeordnet werden. Alle 4 Cluster
zeigen die blockierende Antizyklone über Skandinavien und die beiden evidenten
Höhentiefs über Westeuropa und Südosteuropa mit kleineren
Positionsunterschieden.
Auch im Zeitraum +120-168h (So-Di) werden 4 Cluster angeboten, die alle der
Klasse "Blocking" angehören. Der Schwerpunkt der positiven Geopotenzialanomalie
verschiebt sich bei allen Clustern nur unwesentlich und liegt über Skandinavien
oder Nordwestrussland. Unterschiede ergeben sich im Hinblick auf die
Fragestellung, ob und wie das Cut-Off vor den Toren Westeuropas mit dem Trog
über der Irmingersee interagiert. Bei C1 (21/51 inkl. HL) wird das Höhentief
absorbiert. Auf der Vorderseite des resultierenden Troges wölbt sich ein Rücken
bis nach Mitteleuropa auf. Bei C2, C3 und C4 (13+12+5=30/51) klappt das mit der
Interaktion nicht so gut. Statt einem vorstoßenden Rücken bleibt Deutschland in
einer vor allem nach Süden zu zyklonal konturierten Südost- bis Ostströmung.
Im Zeitraum +192-240h (Mi-Fr) schrumpft das IFS-EPS auf 3 Cluster. Alle 3
simulieren weiterhin eine Blockierung, deren Position aber nun stärker variiert
(C1: Nordmeer, C2: Südskandinavien, C2: Nordwestrussland). Vor allem C1 und C3
(21+9=30/51) sehen einen zyklonalen Einfluss durch ein Tief über Westeuropa oder
dem Mittelmeerraum, bei C2 (21/51) würde eher antiyklonales Geschehen über
Deutschland dominieren.

FAZIT: Der grobe Fahrplan bis Sonntag steht: es wird schwül-warm und gewittrig,
wenngleich sich die Schwerpunkte der Konvektion von Lauf zu Lauf noch
verschieben können.
Ab Montag geht es wahrscheinlich weiterhin warm weiter, allerdings ist nicht
klar, ob Deutschland vorübergehend in ruhigeres Fahrwasser gelangt oder sich die
Gewittertätigkeit quasi unvermindert fortsetzt. Das oben beschriebende Szenario
des IFS-Hauptlaufes von 00Z ist mit seiner vorübergehend durchgreifenden
Stabilisierung nur knapp in der Minderheit (21/30).
In der erweiterten Mittelfrist stehen die Zeichen eher auf eine Fortsetzung bzw.
ein "Remake" der schwül-warmen und gewittrigen Wetterlage (30/21).

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Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen


GEWITTER/STARKREGEN (UNWETTER):
Am Freitag geringes Gewitterpotenzial, bevorzugt über dem Bergland im Westen und
Südwesten sowie Richtung Oder/Neiße. Dabei lokal Starkregen um 20 l/qm in kurzer
Zeit.
Am Samstag und Sonntag verbreitet deutlich ansteigendes Potenzial für mitunter
heftige Gewitter. Der Fokus liegt auf lokal heftigen Starkregen bis 40 l/qm,
extrem heftiger Starkregen über 40 l/qm in kurzer Zeit oder wenigen Stunden
nicht ausgeschlossen. Mit etwas geringerer Wahrscheinlichkeit auch Hagel,
Hagelansammlungen und Sturmböen.
Zu Wochenbeginn tendenziell wieder etwas abnehmendes Risiko, zumindest was
Unwetter betrifft.
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Basis für Mittelfristvorhersage
IFS, IFS-EPS, MOS-IFS
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VBZ Offenbach / Dipl. Met. Adrian Leyser