DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

08-05-2020 18:01
SXEU31 DWAV 081800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 08.05.2020 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
"Literarisches Quartett" mit frontogenetischen Gedankenspielen - und am Ende
siegt wie fast immer die Kaltluft.

Synoptische Entwicklung bis Montag 12 UTC
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Aktuell ... präsentiert sich die Wetterlage in Deutschland derart ruhig und
beschaulich, als könnte sie kein Wässerchen trüben. Zwar ziehen einige oder auch
mehrere mehr oder weniger dichte Cirren durch, aber was sind schon Cirren
(immerhin sorgen sie für hübsche optische Erscheinungen wie Halos, Nebensonnen
etc.). Zudem konnte in Teilen Süddeutschland heute ein Sommertag
(Höchsttemperatur 25°C oder mehr) in den Chroniken verbucht werden. Man braucht
aber sein Köpfchen nur geringfügig nach links zu drehen - vorausgesetzt man
sitzt vor einem mit meteorologischen Daten vollgestopften Computer -, um auf das
Geschehen bei unseren französischen Nachbarn zu schauen. Dort erkennt man in
einigen Regionen mehr oder weniger ausgeprägte konvektive Umlagerungen, denen
eine gewisse Signalwirkung attestiert werden muss nach dem Motto "könnte dabei
auch für uns was rausspringen"?
Nun, tatsächlich stehen wir vor einer substanziellen Umstellung der
Großwetterlage, deren "Großangriff" aber erst am Sonntag und Montag ansteht.
Aktuell befinden wird uns aber noch unter einem breiten Höhenrücken, der wie ein
Rettungsschirm wirkt und mit dem umfangreichen Bodenhoch PAUL zusammenarbeitet.
Genau dieser PAUL begleitet uns nun schon seit einigen Tagen und aufmerksame
Betrachter des täglichen Wettergeschehens werden sich erinnern, dass jener zu
Beginn der Woche noch irgendwo zwischen Island und Schottland sein Unwesen
trieb. Inzwischen hat es ihn bzw. seinen Schwerpunkt zum zentralen Mittelmeer
verschlagen, von wo aus der mit Hilfe einer Brücke Kontakt zu einem weiteren
Hoch über Grönland hält. Hierbei handelt es sich um den Sportskameraden
QUIRINIUS, von dem später noch die Rede sein wird.
Entscheidend für das Geschehen in der Nacht aber ist die Tatsache, dass a) der
Rücken von einem flachen, sich von Frankreich nähernden KW-Trog überlaufen wird
und b) sich eine Tiefdruckrinne ebenfalls von Frankreich her bis in den
Südwesten vorschiebt. Diese Rinne ist ein äußerer Ableger der mehrkernigen
Tiefdruckzone AKI (soll ein weiblicher Vorname sein) über dem nahen Ostatlantik,
mit der allmählich feuchtere und labil geschichtete Subtropikluft in den Süden
und Südwesten einsickert. So steigt das PPW auf über 20 mm, gebietsweise sogar
auf über 25 mm und es werden etwa bis zu 200 J/kg MU-CAPE generiert. Im
Mittagsaufstieg von Bordeaux ist eine etwa von 900 bis 600 hPa reichende
abgehobene durchmischte Schicht zu erkennen (EML = Elevated Mixed Layer), die in
der zweiten Nachthälfte auch in den Prognosesoundings Südwestdeutschlands
wiederzufinden ist. Durch Interaktion mit dem o.e. KW-Trog kommt es vornehmlich
in BW, im Saarland, in der Südpfalz sowie in Teilen Bayerns zur Auslöse
konvektiver Umlagerungen, die sich im Wesentlichen in Form von Schauern
widerspiegeln. Die Gewitterwahrscheinlichkeit bleibt insgesamt gering, was u.a.
der limitierten vertikalen Mächtigkeit (Deckelung) sowie der nicht besonders gut
durchfeuchteten ELM geschuldet ist. Sollte es doch mal irgendwo rumsen, kann es
auch etwas stärker regnen (um 15 l/qm in kurzer Zeit).
Viel Text für wenig Wahrscheinlichkeit, im größten Teil des Landes bleibt die
Nacht ruhig und trocken und zudem frostfrei, lediglich im Osten reicht es lokal
für leichten Frost in Bodennähe.

Samstag ... AKI, PAUL, QUIRINIUS - eine(r) fehlt noch für ´ne gepflegte
Skatrunde (schließlich muss man ja auch mal für kleine Jungs, aber anderes
Thema...). Und siehe da, als wäre auch die Atmosphäre kartenaffin wird BRITTA aus
dem Hut gezaubert, ein zunächst unscheinbares und blasses Tief, das in den
nächsten Tagen aber noch Karriere machen wird. Es entsteht im Lee der
südnorwegischen Gebirge (12 UTC etwas unter 1010 hPa), wo es sofort eine Liaison
mit dem zur Dänemarkstraße (zwischen Island und Grönland) QUIRINIUS (etwas über
1030 hPa) eingeht. Beide bilden ein kongeniales Duo, das nichts anderes im Sinn
hat, als kalte Luft aus der Polargegend nach Süden zu verfrachten, um uns
Mitteleuropäern mal wieder (im April gab es das ja öfters) ordentlich eins auf
die Nuss zu geben. Die Chancen dafür, dass es so kommt, stehen mehr als gut,
schließlich formiert sich über dem Nordmeer ein breiter Höhentrog, der aber in
den nächsten Tagen immer spitzer wird und sich dabei nach Süden ausweitet.
Bis es soweit ist, heißen unsere Hoffnungsträger AKI und PAUL, wenn man so will
das südliche Pärchen, das mit etwas über 1020 und etwas unter 1010 hPa aber
etwas schwächer aufgestellt ist. Diese beiden wollen von "kalt" nichts wissen,
sondern arbeiten mehr als solide daran, warme Luftmassen aus südlichen Breiten
nordwärts zu verschieben. Unter dem Strich zeigt die morgige Wetterkarte also
ein klassisches Viererdruckfeld (Hochs im Nordwesten und Südosten, Tiefs im
Nordosten und Südwesten) mit Hang zur Frontogenese (Kaltluft von Norden vs.
Warmluft von Süden).
Am Samstag bleibt die Kaltluft über dem Nordmeer allerdings noch deutlich auf
Distanz, was aber nichts daran ändert, dass die Unterschiede zwischen Nord und
Süd durchaus erwähnenswert sind. So liegt die 850-hPa-Temperatur am Abend
zwischen 6°C in Flensburg, Lübeck und Stralsund und bis zu 15°C am Bodensee, was
Tageshöchstwerte von 21 bis 26°C, lediglich ganz weit im Norden von nur 16 bis
21°C zulässt. Da der Trog noch nicht so richtig aus den Puschen kommt und der
Rücken auf der anderen Seite wenig Progressionsbereitschaft erkennen lässt,
stellt sich über dem Vorhersageraum eine leicht antizyklonal konturierte
westliche Höhenströmung ein, aus der nennenswerte dynamische Hebungsimpulse
nicht herauszuholen sind. Allerdings weitet sich die Tiefdruckrinne noch etwas
nach Norden aus, in der sich eine Luftmassengrenze etabliert, die gemäßigte und
vor allem recht trockene Warmluft im Norden von feuchterer und labilerer
Subtropikluft im Süden trennt.
Vereinfacht führt das zu einer Zwei-, na sagen wir Dreiteilung des
bundesdeutschen Samstagswetters: In der Nordhälfte scheint trotz einiger Wolken
häufig die Sonne, wobei ganz im Norden eine leichte Schauerneigung nicht
wegzudiskutieren ist. Nach den ganz dicken Huschen sieht es aber nicht aus.
Weiter südlich schließt sich eine Zone mit wechselnder bis starker Bewölkung an,
aus der es gebietsweise schauerartig regnet, hier und da verstärkt durch
vereinzelte Gewitter. Je weiter man dann wiederum von Norden her in die beiden
südlichsten Bundesländer, von denen einer ein Freistaat ist, eindringt, desto
höher die Chancen auf Sonnenschein. Allerdings steigt in diesen Regionen auch
die Wahrscheinlichkeit für nachmittägliche Gewitter, die in Ermangelung
synoptischer Systeme auf die Mithilfe der Orografie sowie diabatischer
Energiezufuhr (Auslöse 20 bis 24°C) angewiesen sind. Immerhin werden gebietsweis
bis zu 500 J/kg, stellenweise noch etwas mehr ML-CAPE generiert, die den einen
oder anderen Kracher garantieren. Dabei handelt es sich in der Regel um schlecht
organisierte Einzelzellen (kaum Scherung), die z.B. aus den Alpen heraus oder
vom Schwarzwald respektive der Schwäbischen Alb ost-nordostwärts herauslaufen.
In der Regel fallen die Gewitter markant aus mit Starkregen 15-25 l/qm/h, nicht
allzu großem Hagel und Böen 7-8 Bft aus. Aber wie das so ist mit Gewittern und
Pferden vor der Apotheke, auch eine Sturmböe 9 Bft (trockene Grundschicht mit
inversem V) sowie etwas mehr als 25 l/qm innert kurzer Zeit (per definitionem
"Unwetter") würde keinem Weltwunder gleichkommen.

In der Nacht zum Sonntag verlagert sich die Hauptachse des breiten Rückens
erkennbar nach Osten, während die Amplifizierungsversuche des Nordmeertroges
erfolgsversprechende Fortschritte macht. Bis zum Morgen erreicht die Südspitze
seiner Achse Landsend (500 hPa). Für Deutschland bedeuten diese Verrückungen ein
allmähliches Rückdrehen der Höhenströmung auf West-Südwest bei gleichzeitiger
Glättung. Dabei deutet sich ein mit dem bloßen Auge schwer erkennbarer, sich
eher in unteren Troposphärenschichten abbildender flacher KW-Trog an, der von
NO-Frankreich, Belgien und Luxemburg her auf den Westen und Südwesten des Landes
übergreift. Er aktiviert die quasistationäre Luftmassengrenze in ihrem Westteil,
was in den genannten Regionen bei gleichzeitig zunehmender Anfeuchtung der
Luftmasse (PPW lokal bis zu 30 mm) weitere schauerartige Regenfälle und
Einzelne Gewitter bedingt. Wie weit diese sich ost-nordostwärts ausbreiten, kann
jetzt noch nicht abschließend beantwortet werden. Im Süden nehmen Regen- und
Gewitterneigung tendenziell eher ab, allerdings setzt z.B. EURO4 in der zweiten
Nachthälfte in BW auf ein erneutes Aufflackern.
Fakt ist, dass es im Norden und größtenteils auch im Osten trocken bleibt. Das
Thema Frost erscheint dabei weder in der Luft noch am Boden mehr auf der Agenda
- vorerst.

Sonntag ... stößt der Höhentrog über Westeuropa weiter nach Süden vor, bis er
Fühlung zu einem bisher noch nicht erwähnten Höhentief über der Iberischen
Halbinsel aufnimmt, das wiederum das westliche Mittelmeer ansteuert. Bei uns
bleibt die west-südwestliche Höhenströmung vorderseitig des Troges erhalten,
wobei im Tagesverlauf von Norden her kräftige KLA auf Norddeutschland
übergreift. Inzwischen hat das Hoch QUIRINIUS seinen Schwerpunkt ins Seegebiet
südlich Islands verfrachtet, wo der Gute knapp über 1035 hPa auf die
barometrische Waage bringt. Dagegen tut sich seine Partnerin BRITTA über
Skandinavien schwer, sich über Schweden vernünftig zu entwickeln. Am Ende des
Tages sollen es bei Ankunft im Norden Finnlands etwas unter 1000 hPa im Kern
sein - es gab schon mal optimistischere Prognosen.
Wie auch immer, Tatsache ist, dass die Tiefdruckrinne noch etwas nach Norden
gesaugt wird, bevor der Wind im Laufe des Tages von der Nordsee her auf Nordwest
bis Nord dreht und dabei stark bis stürmisch auffrischt (6-8 Bft). Es greift
eine Kaltfront über, die einen merklichen Luftmassenwechsel einleitet, der
zunächst aber nur den äußersten Nordwesten trifft. Dort sinkt die
850-hPa-Temperatur bis 00 UTC in der straight ahead vom Pol südwärts
vorstoßenden Polarluft arktischen Ursprungs (so der offizielle Terminus dieser
Luftmasse) auf 0 bis -5°C. Anfangs scheint dabei noch zeitweise die Sonne (am
längsten im Nordosten), bevor mit der Front leichter, in der Nacht zum Montag
(bessere Interaktion mit dem Trog, dessen Vorderseite neben destruktiver KLA
auch über vitalisierende PVA verfügt) dann stärkerer Regen einsetzt.
Präfrontal kommt es insbesondere am südlichen Rand der Tiefdruckrinne respektive
der eingelagerten Luftmassengrenze, etwa in einem vom westlichen
Mittelgebirgsraum über die Mitte bis ins südliche BB (nach externen Modellen
z.T. noch weiter nordöstlich) vermehrt zu schauerartigen Regenfällen und
Gewittern, die bei schlechten Scherungsbedingungen weiterhin eher unorganisiert
als Einzelkämpfer mit dem Hang partieller Verclusterung auftreten. Als Trigger
fungieren neben der Orografie sowie flachen KW-Anteilen in der Höhe auch
Konfluenzzonen in der bodennahen Strömung. Die Qualität der Gewitter ist der des
Vortages ähnlich, d.h. meist markant, einzelne Unwetter durch Starkregen trotz
Move nicht ausgeschlossen.
Im gradientschwachen Süden klappt es mit der Überlappung bei der Zutatenmethode
nicht so gut wie in den mittleren Landesteilen. So ist von Ostfrankreich und der
Schweiz her nicht nur ein gewisser Trockeneinschub zu erkennen (PPW "nur" 20 bis
25 mm), die Lapse-Rates deuten zudem eine Stabilisierung an. Gleichwohl können
einzelne Entwicklungen vornehmlich aber nicht ausschließlich im Süden und Osten
Bayerns nicht ausgeschlossen werden (meist markant).
Mit 21 bis 26°C wird es in den meisten Landsteilen noch mal solide warm, bevor
mit Winddrehung am Nachmittag und Abend im Nordwesten der thermische Hammer
zuschlägt (Rückgang auf 14 bis 9°C, Höchstwerte also schon früher als
gewöhnlich).

In der Nacht zum Montag stößt die Kaltfront weiter nach Südosten vor, wobei sie
sich mit der o.e. Luftmassengrenze vereinigt. Bis zum Morgen erreicht das
vereinigte Produkt grob eine Linie Bitburg-Bebra-Berlin. Dahinter breitet sich
bei merklich steigendem Luftdruck stabile Kaltluft aus, in der T850 im
Nordwesten bis auf -6°C zurückgeht und die Wolkendecke aufreißt. Der Wind lässt
mit Ausnahme der Küste ebenfalls nach, allerdings bleibt es im Binnenland wohl
so flott unterwegs, dass er eine nachhaltige Abkühlung mit einem eventuellen
Abrutschen der Temperatur bis in den Frostbereich verhindern dürfte.
Ansonsten wird die konvektive Zone mit Vorankommen der Kaltfront mehr und mehr
in die südliche und östliche Mitte gedrückt, wobei es möglicherweise zu einer
Verschmelzung mit dem frontalen Regen kommt (der, und das spricht eher dagegen,
anamäßig zunehmend auf der kalten Seite fällt). Ob dabei irgendwo auch mal
mehrstündiger (gewittriger) Starkregen auftritt, ist noch nicht klar; die
Numerik agiert diesbezüglich eher zurückhaltend. Im Oberharz sowie auf dem Ahlen
Kasten könnte es für ein paar Flocken reichen. Der auf nördliche Richtungen
drehende Wind frischt mit Frontpassage sowie der zügig nach Süden vorstoßenden
Druckanstiegswelle vor allem im Westen und in der Mitte vorübergehend stark bis
stürmisch auf.

Montag ... schwenkt der Höhentrog rein, Kurs von Nordwest Richtung Ost-Südost.
Er drückt die Kaltfront gnadenlos weiter in Richtung Süden, wo sie irgendwann
die Alpen erreicht. Wann, hängt davon ab, wie schnell ein orografisch
induziertes Tief über dem Alpenvorland nach Osten abzieht und den Weg für die
Front freimacht. Bis zum Abend sollte die Angelegenheit aber erledigt sein,
sprich, ganz Deutschland mit polaren Luftmassen arktischen Ursprungs geflutet
sein (T850 0 bis -6°C).
Im Nordwesten trocknet die Luftmasse merklich ab, was neben einigen Quellungen
auch sich landeinwärts vorankämpfende sonnige Abschnitte zur Folge hat. Trotz
etwas Höhenkaltluft von unter -30°C in 500 hPa bleibt die Schauerbildung sehr
überschaubar.
Da geht es im Süden deutlich mehr ab, wenn die Front etwas ins Schleifen kommt
und durch Interaktion mit der Trogvorderseite neuen Lebensmut eingehaucht
bekommt. Sie dankt es mit einer Intensivierung der Niederschläge, die präfrontal
im Alpenvorland noch das eine oder andere kräftige Gewitter auf der Agenda
haben. Andauernde KLA plus Niederschlagsabkühlung sorgen für ein Absinken der
Schneefallgrenze, die in der Nacht zum Montag im Süden bis ganz runter sinken
kann (vor allem Alpenvorland). Ja warum denn auch nicht, liebe Freunde, wenn
schon, denn schon. Zuvor kann es übrigens auch schon in den östlichen, und ab
dem Abend in den südlichen Mittelgebirgen weiß werden.
Der nördliche Wind frischt mitunter böig auf, in freien und höheren Lagen teils
stürmisch, ebenso an der Nordsee.
Die Temperatur erreicht im äußersten Südosten noch mal bis zu 22°C, sonst im
Süden 14 bis 20°C mit stark fallender Tendenz. Der Rest des Landes wartet mit 8
bis 14°C auf.


Modellvergleich und -einschätzung
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Im Großen und Ganzen simulieren die Modelle ähnlich. Vom Timing her deutet sich
ein etwas langsameres Vorgehen als noch vor einigen Tagen simuliert an. Ein paar
Details müssen aber noch geklärt werden.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann