DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

22-02-2020 18:01
SXEU31 DWAV 221800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Samstag, den 22.02.2020 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
Sonntag im Zeichen von YULIA, einer etwas launischen und damit nicht ganz
einfach zu berechnenden Welle. Wahrscheinlich Sturm im Süden und in der Mitte.
Sonst allgemein weiterhin unbeständig und zur Wochenmitte überall mal maritime
Kaltluft.

Synoptische Entwicklung bis Dienstag 12 UTC
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Aktuell ... befindet sich Deutschland auf der warmen Seite der nahezu faltenfrei
gebügelten Frontalzone, die sich vom mittleren Nordatlantik kommend bis zum
Baltikum erstreckt. Der eingelagerte Jet verläuft über die mittlere Nordsee und
Jütland bis nach Nordpolen (Sonntagfrüh). Passend zu dieser Potenzialverteilung
tummeln sich auf der kalten Seite diverse Tiefs über Nord- und Nordosteuropa,
wobei es sich fast ausschließlich um "zänkische Weiber" handelt. Gleich mehrfach
hat sich Tief XANTHIPPE geteilt, so dass man guten Gewissens von einem
Tiefkomplex sprechen kann. Als Konterpart fungiert auf der warmen Seite kein
Geringere als Hoch GÜNTHER, das in zonaler Ausrichtung von den Azoren bis zum
Balkan respektive zum Schwarzen Meer reicht, von wo aus es Verbindung zu einem
russischen Hoch pflegt. Zwischen den Tiefs im Norden und dem Hoch im Süden hat
sich ein veritabler West-Südwestfetch aufgebaut, der heute dem Norden und der
Mitte des Landes einen windigen bis stürmischen Samstag gebracht hat.
In der Nacht zum Sonntag lässt der Südwest- bis Westwind vorübergehend nach,
insbesondere im Tiefland. Trotzdem wird hier und da noch die untere Warnschwelle
7 Bft angekratzt oder knapp überschritten An der See, im küstennahen Binnenland
sowie in höheren Lagen bleibt es weiterhin stürmisch. Die teilokkludierte
Kaltfront, die heute Mittag über dem Nordwesten des Landes lag, kommt mehr
schlecht als recht (geringe Schubkomponente) bis nach Süddeutschland voran,
erreicht die Alpen allerdings nicht. Grund dafür ist eine offene Welle (YULIA)
auf dem Ostatlantik, die um 00 UTC den Südwestzipfel der Grünen Insel erreicht.
Die Kaltfront geht in die Warmfront dieser Welle über und wird somit rückläufig.
Davor wird weiterhin milde Subtropikluft in den äußersten Süden geblasen (T850
bis zu +8°C), wohingegen postfrontal ´ne Portion erwärmter Meereskaltluft
subpolaren Ursprungs serviert wird (T850 bis zu -5°C im äußersten Norden).
Im Bereich der Front bzw. auf der kalten Seite (Anacharakter) kommt es
verbreitet zu Regenfällen, die in den Mittelgebirgen orografisch verstärkt
werden und dort entsprechend die höchsten Mengen aufweisen (10-20 mm/12 h). Vor
dem Hintergrund weiterer und sich noch intensivierender Regenfälle im Laufe des
Sonntags wurden für einige Mittelgebirge (zwischen NRW und Ostbayern) markante
Dauerregenwarnungen herausgegeben. Wenig bis gar kein Regen fällt zwischen SH
und dem nördlichen BB (einzelne Schauer) sowie an der Grenze zur Schweiz, im
südlichen Alpenvorland und an den Alpen selbst.

Sonntag ... rückt YULIA in den Mittelpunkt des Geschehens. Angetrieben von den
weiterhin sehr starken westlichen Höhenwinden wird sie regelrecht nach Osten
getrieben, wobei sie sich aber kaum entwickelt. Die Zusammenarbeit mit der
Frontalzone respektive dem Jet beschränkt sich auf reine Translation, während
ein mögliches Auspumpen aufgrund über der Welle fehlender Höhendivergenz
ausbleibt. So wird uns YULIA morgen als offene Welle beehren, deren Zugbahn nach
der neuesten Rechnung von ICON und ICON-Nest von 12 UTC auf einer Linie
Niederrhein-Norhessen-Nordthüringen-Sachsen erfolgt und somit die Vorläufe
bestätigt.
Südlich des Wellenscheitels kommt es zu einer merklichen Gradientverschärfung
ergo zu einem klassischen Warmsektorsturm, der sich von West nach Ost über
Süddeutschland und Teilen der Mitte bis Mittag aufbaut und bis in die
Abendstunden andauert. Unser Freund GÜNTHER zieht sich zwar etwas nach Südwesten
zurück, leistet aber durchaus noch seinen Beitrag zum Aufbau des für den Sturm
notwendigen Druckgradienten. Dabei werden verbreitet Böen der Stärke 8 bis 9
Bft, exponiert 10 Bft (häufig aber nicht nur ausgelöst durch den
Leitplankeneffekt im Alpenvorland), in den berühmt-berüchtigten Hochlagen des
Berglands 11 bis 12+ erwartet. Wie weit das Starkwindfeld tatsächlich nach
Norden ausgreift, ist immer noch nicht ganz entschieden und hängt natürlich von
der genauen Zugbahn der Welle ab. So gibt es selbst auf Basis des heutigen
12-UTC-Laufs (z.B. GFS) immer noch die Variante einer weiter nördlich
verlaufenden Zugbahn etwa auf einer Spur Emsland-Raum Hannover- Raum Berlin.
Dies hätte eine Verschiebung des Sturmfelds nach Norden zur Folge, was sich im
aktuellen Warnbild für Sonntag noch nicht widerspiegelt. Eine entsprechende
Guidance befindet sich aber bereits im Köcher und sollte - wenn erkennbar - von
Nacht- oder Frühdiensten in Akutwarnungen umgesetzt werden.
Fakt ist, dass der Gradient zwischen Sturm und einem lauen Lüftchen nördlich des
Wellenscheitels immens ist, was die genaue Platzierung der Warnungen im Vorfeld
erheblich erschwert. Hier muss es ggf. am Sonntag noch kurzfristige Anpassungen
geben. An der Küste jedenfalls weht unabhängig vom Geschehen an der Welle ein
mäßiger bis frischer, in Böen starker bis stürmischer (6-8 Bft), von Südwest auf
West bis Nordwest drehender Wind. Später sind an der Nordsee auch einzelne
Sturmböen 9 Bft drin.
Neben hoher Mobilität verfügt YULIA auch über enorme Kräfte entgegen der
Gravitation, heißt, es kommt zu großflächiger Hebung und Niederschlag, der sich
von Westen her noch verstärkt. Akkumuliert über 12 h kommen in den mittleren
Landesteilen 10 bis 20 mm, in Staulagen auch mal 25 bis 35 mm zusammen, was im
Warnmanagement aber bereits berücksichtigt ist. Den wenigsten Regen bekommen der
äußerste Norden (Sylt bis Usedom) und der äußerste Süden (Hochrhein bis
Chiemgau) ab, wo es vielleicht sogar für ein paar Auflockerungen oder
Aufhellungen reicht.
Während im Norden die Temperatur postfrontale 6 bis 10°C erreicht, sind es im
großen Rest des Landes 10 bis 16°C, im höheren Alpenvorland punktuell vielleicht
17°C.

Am Abend und in der Nacht zum Montag schwenkt die Kaltfront von der Mitte bis in
den Süden Deutschlands, wo sie abermals ausgebremst wird. Diesmal drückt ein
neues Sturmtief (ZEHRA) auf die Bremse, das um 24 UTC knapp westlich von Irland
aufschlägt. Und wieder geht die Kaltfront in die Warmfront dieses Tiefs über,
Geschichte wiederholt sich. Postfrontal strömt nicht nur ein neuer Schwall
subpolarer Meereskaltluft in weite Teile des Vorhersageraums (T850 0 bis -6°C),
es steigt auch der Luftdruck deutlich an. Heraus kommt ein klassisches
Zwischenhoch, in dem der Gradient auffächert und der Wind von Südwesten her
substanziell in die Knie geht. Am frühen Morgen sind es nur noch ein paar Böen
7-8 Bft an der Ostseeküste und im südlichen Alpenvorland sowie ein paar
Sturmböen 8-9 Bft auf den höchsten Erhebungen der Mittelgebirge und der Alpen.
Ansonsten gilt es zu konstatieren, dass sich die Regenfälle in den Süden
verlagern. Ob es dabei im Schwarzwald und in den Alpen irgendwo für eine
Dauerregenwarnung reicht (12-18 h), ist derzeit noch unsicher. ICON und EURO4
sagen ja, die anderen Modelle eher nein. Einzelne Schauer fallen am ehesten im
Nordosten, wo vorübergehend etwas höhenkalte Luft "reinrutscht" (T500 um -30°C)
und die Luftmasse entsprechend labilisiert. Außerdem sinkt die Schneefallgrenze
am kalten Rand des frontalen Niederschlags auf 1000 bis 600 m, ohne dass dabei
aber viel Neuschnee zusammenkommt (reicht wahrscheinlich nicht mal für eine
Warnung).

Montag ... wandert das Zwischenhoch rasch nach Osten ab, Gleiches gilt für den
flachen Rücken, der knapp dahinter folgt. Er wird einmal mehr von WLA
überlaufen, die wiederum der Warmfront von Sturmtief ZEHRA vorauseilt. Die
schlägt übrigens einen glatten Ostkurs ein, passiert am Mittag den Norden UKs,
um danach den Ritt auf die mittlere Nordsee zu riskieren.
Für das Wetter vor Ort bedeutet das verbreitet Regen, der sich der
Warmfrontverlagerung entsprechend aus dem Süden und Südwesten in den Norden und
Nordosten verlagert. Mit Annäherung des Okklusionspunktes sowie der Kaltfront
intensiviert der Regen im Nordwesten im Laufe des Nachmittags, so dass dort
gebietsweise gut und gerne mal bis zu 10 mm oder etwas mehr innert 6 h
zusammenkommen können. Nicht ausgeschlossen übrigens, dass im windschwachen
Norden und Nordosten durch Hebungs- und Verdunstungsabkühlung eine Isothermie in
Gefrierpunktnähe generiert wird, die kurzzeitig und regional begrenzt
Nassschneefall oder Schneeregen zur Folge hätte. Derweil lockert die Wolkendecke
von der Schweiz und den Alpen her mehr und mehr auf und die Sonne zeigt sich für
einige Stunden.
Wind gibt es auch, wenn auch nicht mehr in dem Maße wie tags zuvor. Vor allem im
Warmsektor frischt der von Süd-Südost auf Südwest drehende Wind auf, was dem
Westen und Nordwesten einige 7er-, exponiert 8er-Böen bringt. In den Kamm- und
Gipfellagen des Berglands stehen Böen bis 10 Bft, auf dem Brocken bis 11 Bft auf
der Karte.
Imposant das Temperaturgefälle zu Beginn der neunen Woche mit
warmsektorbedingten 15 bis 18°C im Bereich Ober-/Hochrhein/Neckar und gerade mal
5/6°C im äußersten Norden.

In der Nacht zum Dienstag schwenkt die Kaltfront mit dem zugehörigen Regenband
in Richtung Süddeutschland. Die Mengen, die dabei fallen, bleiben in einem
überschaubaren Rahmen meist unter 10 mm/12 h, so dass Warnungen nicht vonnöten
sind. Südlich der Donau bleibt es ohnehin trocken, während sich postfrontal
einzelne Schauer entwickeln.
Der Südwestwind im Süden meist schwach, nach Norden hin mäßig bis frisch mit
Böen 6-7 Bft, im Bergland 8 Bft, einige Kämme noch darüber. Am stürmischsten
wird es an der Nordsee auf der Südflanke des gen Jütland steuernden Tiefs ZEHRA
mit Spitzen 8-9 Bft.

Dienstag ... zieht ZEHRA weiter über Nordjütland bzw. den Skagerrak nach
Südschweden. Die zugehörige Kaltfront kommt über Süddeutschland zunehmend ins
Schleifen bzw. beginnt zu verwellen, was dort (teils auch noch bis in die Mitte
ausgreifend) länger andauernde Regenfälle zur Folge hat. Deutlich wird das u.a.
daran, dass die 850-hPa-Temperatur an den Alpen bis zum Abend noch im positiven
Bereich bleibt und erst in der Nacht zum Mittwoch auf -2 bis -5°C absinkt.
Hinter der Front folgt ein sich zunehmend amplifizierender Höhentrog mit
hochreichender Kaltluft, die im Gegensatz zu vorherigen Rückseiten nun aus etwas
höheren Breiten kommt. Die Labilität nimmt zu, was dem Norden und Nordwesten
eine aufkeimende Schaueraktivität bis hin zu Graupel und/oder kurzen Gewittern
beschert. Im Osten und Nordosten hingegen bleibt die Schauerneigung gering.
Der Südwestwind frischt insbesondere im Norden und in der Mitte böig auf mit
Spitzen 7-8 Bft. An der Küste und im höheren Bergland kommt es ungleich fetter
mit (schweren) Sturmböen 9 (10 Bft), Brocken 11 Bft. Höchstwerte im Norden 7 bis
11°C, sonst 10 bis 15°C.


Modellvergleich und -einschätzung
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Bis auf die genaue Zugbahn der Welle am morgigen Sonntag (siehe Text) fallen
keine warnrelevanten Unterschiede ins Auge.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann