DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

21-02-2020 18:30
SXEU31 DWAV 211800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 21.02.2020 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
West, West und nochmal West, so weit das Auge reicht. Windiges, teils
stürmisches und erneut ziemlich mildes Wochenende. Sonntag noch mit gewissem
Überraschungspotenzial.

Synoptische Entwicklung bis Montag 12 UTC
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Aktuell ... wird weiter mit Hochdruck an der Zonalisierung der großräumigen
Strömungskonfiguration gearbeitet. Nachdem wir für einige Tage ein
mäandrierendes Muster mit abwechselnd durchgehenden Trögen und Keilen bestaunen
konnten, hat nun die Frontalzone über dem mittleren Nordatlantik einmal mehr
eine glatte Formation mit einem extrem hohen Potenzialgradienten angenommen.
Dass das mit einem nicht minder extremen thermischen Gradienten korreliert
(Hyperbaroklinität), ist evident. Eingelagert in die Frontalzone ist ein sehr
gut ausgeprägter Jet mit bis zu 200 Kt in 300 hPa, was Gästen transatlantischer
Flüge von West nach Ost eine erheblich kürzere Reisezeit als normal bescheren
dürfte (ob es allerdings von New York bis London für weniger als 5 h reicht wie
jüngst bei SABINE, muss abgewartet werden).
Fakt ist, dass sich - typisch für Westwetterlagen - auf der kalten Seite der
Frontalzone über Nord- und Nordwesteuropa gleich mehrere Bodentiefdruckgebiete
tummeln, die unter der Ägide von XANTHIPPE stehen, die es durch geschickte
Zellteilung gleich auf mehrere Kerne bringt. Derweil füllt sich das Tief
WILTRUD, das in der vergangenen Nacht den Kaltfrontdurchgang bei uns angezettelt
hat, über der Norwegischen See unweit der Lofoten immer weiter auf. Als
kongenialer Partner des zänkischen "Weibes" (dieser Titel wird sehr häufig mit
dem Namen XANTHIPPE in Verbindung gebracht) agiert nicht etwa Sokrates, sondern
keine geringerer als GÜNTHER - GÜNTHER und XANTHIPPE, ein Pärchen, das
Seltenheitswert haben dürfte. Bei GÜNTHER handelt es sich um eine
langgestreckte, fast schlauchartig konturierte Hochdruckzone, die quasi als
Fortsatz des Azorenhochs über das südliche Mitteleuropa hinweg bis zum Balkan
reicht. Zwischen dieser Hochdruckzone und dem Tiefkomplex im Norden wird eine
sehr lebhafte westliche Bodenströmung generiert, die ihren Schwerpunkt im Laufe
der Nacht immer dichter an den Europäischen Kontinent "heranschiebt".
Folgerichtig nimmt der Südwestwind vornehmlich im Norden und Nordwesten
kontinuierlich zu mit Böen 7-8 Bft im Binnenland, an der Nordsee sowie später
auch im Norden SHs vermehrt Böen 9-10 Bft (Ostseeküste eher 8, exponiert 9 Bft).
In den Kamm-, Kuppen- und Gipfellagen (KKG) des Berglands stehen mit Ausnahme
Süddeutschlands Windspitzen bis 11 Bft, auf dem Brocken bis 12 Bft auf der
Karte.
Darüber hinaus schwenkt im Norden die Warmfront eines der vielen XANTHIPPEN
durch, was neben mehrschichtiger Bewölkung auch leichten Regen oder Nieselregen
bedeutet, vor allem in Küstennähe, mitunter aber auch zwischen Emsland und
Uckermark. Nach Süden hin bleibt es dagegen vielerorts gering bewölkt oder klar,
was bei gleichzeitig windschwachen Bedingungen eine Abkühlung bis in den
leichten Frostbereich zur Folge hat.

Samstag ... schiebt sich die nach wir vor in Bestform auftretende Frontalzone
weiter nach Osten vor. Das Windmaximum respektive der Jet (genauer gesagt der
östliche Teil des Jets) überdecken am Abend die mittlere Nordsee, Jütland sowie
die westliche Ostsee. Derweil bleiben die Luftdruckgegensätze zwischen Nord und
Süd (im europäischen Kontext) unvermindert hoch, was dem Norden und der Mitte
des Vorhersageraums einen windigen bis stürmischen Bundesligasamstag beschert.
Ein Ableger der XANTHIPPE-Sippe - genau genommen handelt es sich um ein durch
die norwegischen Gebirge orografisch getriggertes Rand-/Trogtief - zieht rasch
über Mittelschweden hinweg via Bottenbusen gen Finnland. Die o.e. zugehörige
Warmfront überquert den Norden und Osten Deutschlands zügig ostwärts, während
die nachfolgende Kaltfront aufgrund ihrer strömungsparallelen Ausrichtung mit
angezogener Handbremse leicht schleifend den Norden und Westen in Richtung Mitte
überquert. Rückseitig gelangt ein Schwall erwärmter Meereskaltluft subpolaren
Ursprungs in den Norden (T850 0 bis -4°C), während präfrontal milde (T850 4 bis
9°C) und zunächst auch noch trockene Luftmassen mit dem nur zögerlich
schwächelnden GÜNTHER mehr als passabel zusammenarbeiten. Unter dem Strich
bedeutet das für Süddeutschland nicht nur reichlich Sonnenschein, sondern auch
vorfrühlingshafte Nachmittagstemperaturen zwischen 12 und 16°C.
Nach Norden und Nordwesten hin stehen die Chancen auf Sonnenschein ungleich
schlechter. Stattdessen weiten sich die leichten Regenfälle aus dem Norden peu a
peu Richtung Mitte aus. In Teilen Niedersachsens und Schleswig-Holsteins sowie
rund um Werder und den HSV intensiviert sich der Regen im Tagesverlauf an der
Kaltfront, ohne dass dabei aber die ganz großen Mengen zusammenkommen. Am Abend
reicht es gebietsweise für 5 bis 10 mm innerhalb von 12 h, punktuell vielleicht
noch ein paar Millimeter mehr. Trotz Wolken satt und zumindest zeitweiligem
Regen wird es auch im Norden mit 7 bis 12°C alles andere als kalt.
Das Hauptaugenmerk, insbesondere aus der Perspektive der Wetterwarnenden, gilt
dem Parameter Wind/Sturm. So weitet sich das Starkwindfeld aus dem
Norden/Nordwesten bis in die mittleren Landesteile aus. Dabei muss verbreitet
mit Böen 7-8 Bft, exponiert sowie bei Kaltfrontpassage vereinzelt 9 Bft, auf den
Bergen je nach Exposition bis zu 12 Bft gerechnet werden. An der See sowie dem
unmittelbar angrenzenden Binnenland stehen vermehrt (schwere) Sturmböen 9 (10)
Bft auf der Karte. Ob es - wie z.B. von MOS-Mix gerechnet - ganz im Norden auch
mal für 11er-Böen reicht, bleibt abzuwarten. 925-hPa-Winde bis 60 Kt
signalisieren durchaus Bereitschaft für orkanartige Böen, allerdings ist die
postfrontale Luftmasse mangels höhenkalter Luft nicht besonders labil, was auch
die Gewitterneigung vergleichsweise kleinhält. Im Süden hält sich der Wind
weiterhin vornehm zurück: ein paar steife Böen 7 Bft in Nordbaden sowie in Ober-
und Unterfranken, sonst warnwürdige Böen nur in Hochlagen (8-10 Bft).

In der Nacht zum Sonntag verschiebt sich die Frontalzone geringfügig nach Süden.
Die Kaltfront erreicht Süddeutschland, wo sie aber zunehmend ausgebremst wird
und in die Warmfront einer flachen Frontalwelle über dem nahen Ostatlantik (24
UTC kurz vor Irland, 06 UTC bereits über Südengland) übergeht. Bei uns fächert
der Gradient vorübergehend etwas auf, was eine leichte Windabnahme, keinesfalls
aber ein Einschlafen des Windes zur Folge hat. Wo in tiefen Lagen noch Warnungen
nötig sind, steht aufgrund unterschiedlicher Modellprognosen noch nicht
abschließend fest. An der Küste sowie im angrenzenden Binnenland braucht es
sicherlich eine Warnung (7-8 Bft, vereinzelt 9 Bft, anfangs sogar noch 10 Bft),
und auch das höhere Bergland bleibt mit stürmischen Böen oder (schweren)
Sturmböen 8-10 Bft prominent aufgestellt. Am frühen Sonntagmorgen ist dann im
Vorfeld der herannahenden Welle eine Windzunahme erkennbar.
Spätestens jetzt, also in der Nacht zum Sonntag wird auch der Niederschlag zu
einem ernstzunehmenden Thema. Insbesondere in den westlichen, vor dem
Hintergrund weiterer Regenfälle am Sonntag aber auch in den zentralen und
südöstlichen Mittelgebirgen, werden größere Mengen simuliert, die in Staulagen
in Richtung 20 mm innert 12 h sowie 30 bis 50 mm innert 24 h (bis Sonntagabend
bzw. zur Nacht auf Montag) gehen. Je nach Modell kann es lokal auch noch etwas
mehr geben, allerdings ist z.B. ICON von 12 UTC gegenüber den Vorläufen etwas
zurückgerudert. Auffallend ist, dass GFS deutlich weniger Regen simuliert und
den Schwerpunkt zudem weiter nördlich hat. Warum das so ist, dazu später mehr.
Frost spielt in dieser Nacht eine absolute Außenseiterrolle, selbst im Bergland
wird es schwer, ein Minuszeichen vor die Tiefstwerte zu bekommen. Vielleicht
reicht es am Alpenrand - lokal - gerade mal für 0°C oder etwas darunter.

Sonntag ... wird es spannend. Weniger auf dem Bundesligarasen - Bayer gegen die
Datschiburger, dazu die VW-Betriebsmannschaft gegen fassenachtgeplagte Määnzer
sind bei allem gebührendem Respekt alles andere als Schlagerspiele -, als
vielmehr beim Wetter. Die Problematik dabei lässt sich hier und heute auf eine
einzige Frage runterbrechen: kommt die GFS-Lösung oder setzen sich ICON/IFS
durch? Oder mit anderen Worten, entwickelt sich die o.e. Frontalwelle zu einem
opulenten Wellentief (GFS/SuperHD) oder schwenkt sie vergleichsweise
unspektakulär (von ihrer Form her) über die mittleren Landesteile hinweg
ostwärts (ICON/IFS von 00 UTC)?
Laut ICON läuft die Sache so ab, dass die Frontalzone noch etwas weiter nach
Süden vorankommt, dabei aber anfängt, im Uhrzeigersinn von West auf Nordwest zu
kippen. Grund ist eine erneut einsetzende Mäandrierung mit einer Austrogung über
dem östlichen Mittel- bzw. dem nahen Osteuropa sowie einer flachen Rückenbildung
über dem nahen Ostatlantik. Ob das Ganze ein klassisches Downstream-Development
ist (weiter westlich erfolgt noch eine Austrogung) oder das Huhn das Ei gelegt
bzw. das Ei das Huhn geboren hat, ist dabei zweitrangig. Fakt ist, dass die
Welle bei dieser Konstellation nicht unter die entwicklungsgünstigen Areale der
Frontalzone gelangt (rechter Eingang, linker Ausgang) und somit als relativ
unscheinbares, in ihrer Wirkung aber nicht zu vernachlässigendes Gebilde
durchgewunken wird.
Die Folge wäre ein in Süddeutschland sowie der südlichen Mitte stürmisch
auffrischender Südwestwind (grob südlich einer Linie Kölner Bucht-Rhön-Vogtland
plus/minus) mit Böen 8-9 Bft, exponiert 10 Bft, KKG des Berglands bis 12 Bft.
Nördlich davon wäre der Wind deutlich schwächer mit nur sporadischen Böen 7 Bft,
erst Richtung Küste wäre wieder mehr Bewegung mit vermehrt Böen 8 oder gar 9 Bft
anzutreffen.
Wettermäßig verbringen die meisten Landesteile den letzten Februarsonntag (ja,
in einer Woche beginnt schon der meteorologische Frühling, der sich gefühlt
allerdings und von wenigen Ausnahmen abgesehen nahtlos dem Herbst 2019
angeschlossen hat) unter einer geschlossenen Wolkendecke, aus der es zweitweise,
teils aber auch länger andauernd und kräftig regnet. Am meisten Regen fällt in
einem vom westlichen Mittelgebirgsraum bis zum Erzgebirge bzw. den fränkischen
Mittelgebirgen sowie dem Bayerischen Wald reichenden Korridor, wo durchaus 15
bis 30 mm, lokal (Stau) vielleicht bis zu 40 mm binnen 12 h zusammenkommen
können. Dagegen kommt am Alpenrand sowie an der See wahrscheinlich nur wenig
runter, dort stehen auch die Chancen für Auflockerungen oder Aufhellungen am
besten. Auf der kalten Seite des Niederschlagsgebietes kann sich in den
Hochlagen der weiter nördlich liegenden Mittelgebirge etwas Schnee unter den
Regen mischen bzw. dieser in nassen Schneefall übergehen.
Während der Süden nochmals von milder bis sehr milder Atlantikluft geflutet wird
(T850 4 bis 7°C), gelangt in den Norden weiterhin subpolare und erwärmte
Meereskaltluft (T850 bis zu -5°C). Projiziert auf das für den Menschen
interessantere, weil fühlbare 2m-Niveau bedeutet das Höchstwerte um 9°C in der
Norddeutschen Tiefebene und bis zu 16 oder gar 17°C am Alpenrand respektive an
Bodensee und Hochrhein.
Noch ein, zwei Sätzchen zur abweichenden GFS-Lösung: Dort liegt die Welle
günstiger unter der Frontalzone (nämlich dort, wo ein Maximum der Höhendivergenz
simuliert wird), was eine stärke Entwicklung bedingt. Danach würde das
Wellentief gegen Mittag von den Niederlanden auf das westliche Niedersachsen
übergreifen, um von dort zügig und unter leichter Intensivierung (auf rund 995
hPa Kerndruck) über den Raum Hannover und Berlin gen Polen zu ziehen. Das
Hauptsturmfeld mit Böen bis 10 Bft, exponiert vielleicht sogar 11 Bft würde im
breiten Warmsektor des Tiefs auftreten und dabei vor allem die mittleren
Landesteile traktieren.
Also, noch viel Konjunktiv und Konditional ("wenn, dann..."), wobei beeindruckend
zu beobachten ist, wie treu die Modelle von Lauf zu Lauf an ihrer Lösung
festhalten.

In der Nacht zum Montag - wir sind jetzt wieder bei ICON - sorgt Druckanstieg
für den Aufbau eines Zwischenhochs, das von dem herannahenden, o.e. flachen
Höhenrücken gestützt wird. Die Kaltfront erreicht zwar die südlichen Landeteile,
macht dort aber nur eine Art "Touch-and-Go", weil sie schon bald wieder in die
Warmfront eines neuen Sturmtiefs knapp westlich Irlands (24 UTC) übergeht. Diese
wölbt sich im Westen entsprechend auf und sorgt dafür, dass die anfänglich vor
allem im Süden auftretenden Regenfälle später auch wieder auf den Westen
übergreifen. Ob für das südliche Bergland (Schwarzwald, Allgäu) ebenfalls eine
Dauerregenwarnung nötig sein wird, ist noch offen.
Tatsache ist, dass der Gradient merklich auffächert und der Wind dadurch
merklich in die Knie geht. Am Morgen könnte es nur noch an der Küste MVs sowie
in einigen Hochlagen für warnwürdige Böen reichen.

Montag ... wandert der Rücken rasch durch, das Bodenzwischenhoch wird ebenfalls
zügig nach Osten abgeschoben. Gleichzeitig steuert das o.e. Sturmtief erst
Schottland und dann die südnorwegische Westküste an. Die den Rücken überlaufende
WLA sorgt im Verbund mit der langsam ostwärts vorankommenden Warmfront für
mehrschichtige Bewölkung und Regen, der im Norden am kräftigsten ausfällt
(gebietsweise 5 bis 10 mm/12 h). Im Süden hingegen trocknet es im Tagesverlauf
ab und von der Schweiz her setzt sich zeitweise die Sonne durch. Der kurzzeitig
auf südliche Richtungen rückdrehende Wind frischt von Westen her wieder auf, an
der Nordsee und in höheren Lagen wird es stürmisch. Während in der Nordosthälfte
Tageshöchstwerte von 7 bis 11°C angepeilt werden, sind es sonst 10 bis 16°C, im
Südbadischen bis zu 18°C.


Modellvergleich und -einschätzung
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Es ist alles gesagt. Vor allem auf den Sonntag darf man gespannt sein.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann