DWD Synoptische Übersicht Mittelfrist

12-02-2020 12:01

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T M I T T E L F R I S T
ausgegeben am Mittwoch, den 12.02.2020 um 10.30 UTC



Ab Sonntag neuerliche Wind- bzw. Sturmlage, derzeit noch mit einigen
Unsicherheiten. Anfangs mild bis sehr mild (warm), ab Montag kälter, aber nicht
kalt.
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Synoptische Entwicklung bis zum Mittwoch, den 19.02.2020


Riskiert man - so quasi im Vorbeigehen - einen ganz flüchtigen Blick auf die
Prognosewetterkarten, so kommt einem unweigerlich der Gedanke, dass uns ab
Sonntag die nächste Sturmlage bevorsteht. Bleibt man daraufhin vor den Karten
stehen und schaut etwas genauer drauf, ändert sich am ersten Eindruck nichts.
Isobaren noch und nöcher über Mitteleuropa implizieren richtigerweise ein hohes
Potenzial für Starkwind, der den Vorhersageraum zum Sonntag hin erfasst und auch
noch zu Beginn der neuen Woche deutliche Akzente setzt. Die Frage wird sein,
welche Detailabläufe sich einstellen und wie hoch die daraus resultierenden
Windspitzen am Ende ausfallen werden. So viel schon mal vorweg: Das letzte Wort
dazu ist noch nicht gesprochen.

Steigen wir ein mit der Ausgangssituation am kommenden Samstag, dem offiziellen
Beginn des mittelfristigen Prognosezeitraums. Dort erkennt man zunächst mal über
dem mittleren Nordatlantik die erneute Formation einer hyperbaroklinen Zone, was
ein Refresh der sehr gut definierten Frontalzone respektive des imposanten
Höhenjets zur Folge hat. Beide nähern sich mit großen Schritten West- bzw.
Mitteleuropa, so dass die Mindestvoraussetzungen für eine Starkwindlage schon
mal erfüllt werden. Imposant ist auch, was sich auf der kalten Seite der
Frontalzone tut. Gleich zwei Sturm-/Orkantiefs tummeln sich Samstagmittag
süd-südwestlich von Island. Das eine (westlichere) bringt einen Kerndruck von
etwas unter 940 hPa, das andere (weiter östliche) sogar von unter 930 hPa auf
die Platte - Wahnsinn. Zwei solche Alphatiere auf kleinem Raum, das kann nicht
gut gehen. Und so kommt es wie es kommen muss, frei nach dem Fujiwara-Effekt
(Interaktion zweier nahe beieinanderliegender tropischer Stürme). Eines der
Tiefs (in diesem Fall das westliche) erleidet einen herben Karriereknick, meint,
es füllt sich auf und mutiert zu einem Bodentrog, der um das andere Tief
ostwärts gesteuert wird. Derweil zieht das "Muttertief" weiter nach Osten, wo es
in der Nacht von Sonntag auf Montag das Seegebiet knapp nördlich von Schottland
erreicht. Die Doppelkernstruktur (knapp unter 960 hPa) ist ein deutlicher
Hinweis darauf, dass das o.e. Zweittief latent immer noch vorhanden ist und so
etwas wie Reinkarnation erlebt. Okay, bevor das hier zu weit führt, widmen wir
uns lieber mal dem Wochenendgeschehen im Vorhersageraum.
Während der Süden noch längere Zeit von Zwischenhocheinfluss profitiert (viel
Sonne und trocken), wird es sonst von der Nordsee her peu a peu immer zyklonaler
und windiger - am Samstag noch mit geballter Defensive, am Sonntag dann schon
nachhaltiger. Dabei wird es nicht nur windiger, im Norden und Westen zunehmend
stürmischer, mit Annäherung einer teilokkludierten Kaltfront breiten sich zudem
teils kräftige Regenfälle von Nordwesten über die Mitte südwärts aus. Wie viel
Wind/Sturm es tatsächlich gibt und wie viel Regen am Ende fällt, ist nach
derzeitigem Erkenntnisstand alles andere als sicher. IFS jedenfalls präferiert
einmal mehr ein Szenario, wonach an und im Vorfeld der Kaltfront die stärksten
Böen (10 Bft, vereinzelt 11 Bft in tiefen Lagen) auftreten.
Auf alle Fälle gelangen präfrontal milde bis sehr milde Luftmassen
südwesteuropäischer Herkunft nach Deutschland, in der die 850-hPa-Temperatur am
Sonntag auf Werte zwischen +4°C an der Nordsee und um 10°C im äußersten Süden
ansteigt. Nicht wundern also, wenn in irgendeinem Wetterbericht für Sonntag die
Formulierung "nahe 20°C im Südwesten" auftaucht.

Zu Beginn der neuen Woche zieht das Doppeltief gen Norwegen. Frontalzone mit
Jetmaximum legen sich genau über Deutschland, was uns weiterhin einen sehr
lebhaften, von Südwest auf West-Südwest drehenden Wind beschert. Die Kaltfront
arbeitet sich derweil mit weiteren Regenfällen in Richtung Alpen vor. Rückseitig
gelangt ein Schwall maritimer Kaltluft subpolaren Ursprungs in den
Vorhersageraum, in der die 850-hPa-Temperatur bis Dienstag, 00 UTC auf -4/-5°C
im Norden und +2°C am Alpenrand zurückgeht.
Am Dienstag und Mittwoch schwenken zwei relative flache Höhentröge
ost-südostwärts über uns hinweg. Im Verbund mit der einfließenden, labil
geschichteten erwärmten Meereskaltluft kommt es zu wechselhaftem
Rückseitenwetter mit Schauern bzw. schauerartigen Niederschlägen, die im
Bergland eher als Schnee, sonst meist als Regen oder Graupel fallen; kurze
Gewitter haben ebenfalls eine Startberechtigung. Der westliche Wind lässt
allmählich nach, ohne aber gänzlich einzuschlafen.

Die erweiterte Mittelfrist ab Donnerstag signalisiert kurzen
Zwischenhocheinfluss, am Freitag aber schon die nächste Frontpassage und danach
- Achtung, hohes Glaskugelpotenzial - eine neuerliche Starkwind-/Sturmlage??

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Bewertung der Konsistenz des operationellen Laufs


Mit Blick auf die grundsätzliche Entwicklung der Großwetterlage kann dem IFS
(ECMF) eine gute Konsistent attestiert werden. Danach besteht kein Zweifel
daran, dass uns nach einer Zwischenhochphase am Freitag und Samstag eine
abermalige Starkwind- respektive Sturmlage ins Haus steht. Die Frage wird nur
sein, wie stark der Sturm dieses Mal ausfällt.
Vergleicht man den gestrigen mit dem heutigen 00-UTC-Lauf, lassen sich kleine
Unterschiede im Druckfeld ausmachen, die final durchaus größere Auswirkungen
haben können. Wurde gestern noch die Passage von Frontalwellen simuliert (am
Sonntag südliche Nordsee-Baltikum, am Montag Südengland-Norddeutschland), fällt
das heutige Isobarenfeld wesentlich glatter aus. Tendenziell hätte das etwas
weniger Wind/Sturm zur Folge, vor allem am Montag für die nördliche Mitte (dort
wurden Dienstag, 00 UTC knapp südlich der Frontalwelle Orkanböen 11 bis 12 Bft
simuliert). Darüber hinaus sind auch die Niederschlagsmengen etwas
zurückgerechnet worden.
Trotzdem gilt, dass das letzte Wort noch nicht gesprochen ist. Das Potenzial,
bissige Wellen oder kleine Sturmtiefs auszubilden, ist bei der lebhaften
Westlage weiterhin gegeben.

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Vergleich mit anderen globalen Modellen


Grundsätzlich haben die anderen etablierten Globalmodelle (ICON, GFS, GEM, UKMO)
auch keine anderen Ideen als IFS. Insbesondere bis Montag sind die
Übereinstimmungen groß, auch wenn GFS den Luftdruckgradienten über Deutschland
etwas aufgefächerter sieht. Ähnlich wie bei der Sturmlage SABINE simuliert IFS
die Windgeschwindigkeiten am aggressivsten, sprich den Sturm am stärksten, .
Einigkeit unter den Modellen herrscht auch über eine unbeständige Rückseite ab
Montag unter Beteiligung subpolarer Meeresluft. Allerdings wird die Geometrie
des bzw. der nachfolgenden Höhentröge jeweils etwas anders gerechnet. GFS neigt
zu einem Langwellentrog über Mitteleuropa mit anfänglich kräftiger Zyklogenese
über Oberitalien (=> viel Schnee in Teilen der Alpen), wohingegen das
ICON-Szenario einen positiv geneigten, nur zögerlich auf Mitteleuropa
übergreifenden Trog präsentiert.

FAZIT: Die grundlegende Ausrichtung steht auf deterministisch solidem Fundament.
Einige Details (Sturmstärke am Sonntag/Montag, Art der Rückseite) geben sich
aktuell noch sehr konjunktivlastig.
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Bewertung der Ensemblevorhersagen


Die Rauchfahnen verschiedener deutscher Städte von IFS-EPS (GFS-EPS sieht
ähnlich aus) zeigen bis nächsten Mittwoch sowohl bei T850 als auch bei Pot500
einen gutmütigen Verlauf mit geringem Spread. Somit kann der Generalkurs mit
einem Niederschlagsmaximum am Montag (im Norden z.T. schon am Sonntag) als
sicher eingestuft werden. Kleinere Abweichungen, die in den Kurvenscharen
erkennbar sind, deuten vornehmlich auf Timingprobleme bei der Front- respektive
der nachfolgenden Trogpassage hin. Ab Donnerstag (erweiterte Mittelfrist) nimmt
die Streuung merklich zu, wobei die meisten Ensemblelösungen einen Temperatur-
und Potenzialanstieg anstreben.

Die IFS-EPS-Clusterung für das Zeitfenster T+120...168h (Montag bis Mittwoch)
zeigt lediglich zwei Cluster (36 Fälle + HL/KL, 15), die beide von einer
Sturmlage ausgehen (bei CL 2 einen Tick schwächer). Während CL 1 danach die
Passage flacher Tröge favorisiert, tendiert CL 2 in Richtung TrM (Trog
Mitteleuropa; ähnlich der GFS-Lösung).
Trotz zunehmender Streuung bleibt es ab Donnerstag (T+192...240h) bei zwei
Clustern, die vorübergehenden Hochdruckeinfluss zeigen (beide mit
Brückenkonfiguration und leichter Anfälligkeit im Nordwesten).

FAZIT: Fällt ähnlich aus wie ein Abschnitt zuvor.
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Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen


Fasst man die derzeit vorhandenen EPS-Aussagen für kommenden Sonntag/Montag
zusammen (COSMO-LEPS und ICON-EPS steigen leider am Montag, 00 UTC aus), deutet
sich eine "normale" Sturmlage für den Norden und den Westen sowie Teile der
Mitte an. Normal heißt, dass die Böen in tiefen Lagen im Wesentlichen Stärke 8
bis 9 Bft, an der Küste (vor allem Nordsee, teils noch westliche Ostsee) incl.
küstennahem Binnenland 10 bis 11 Bft und auf den Bergen bis zu 12 Bft erreichen.
Das wären im Schnitt ein bis zwei Windstärken weniger als bei SABINE. Allerdings
gilt es zu bedenken, dass schon kleine Abweichungen im sensiblen Druck- und
Potenzialfeld ausreichen, um eine Welle oder ein kleines Sturmtief zu
generieren. Diese würden im Fall der Fälle deutlich mehr Alarm machen als in der
aktuell ziemlich glatt simulierten Südwestströmung.
Ein weiterer Punkt ist der aufkommende Niederschlag, der von Nordwest nach Süd
(also mit der Verlagerung der Kaltfront) zeit- und gebietsweise stärker
ausfallen kann. Deterministisch bewegen sich die Berechnungen derzeit an der
Schwelle zu möglichen Dauer- oder Starkregenereignissen. Die Probabilistik zeigt
Signale insbesondere in den Staulagen der westlichen und zentralen
Mittelgebirge. Letztlich wird Vieles davon abhängen, wie der Move der Kaltfront
ausfällt (Schleiffaktor, evtl. Welle).
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Basis für Mittelfristvorhersage
MOS-Mix mit IFS-EPS.
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VBZ Offenbach / Dipl. Met. Jens Hoffmann