DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

08-02-2020 19:01
SXEU31 DWAV 081800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Samstag, den 08.02.2020 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
SABINE übernimmt - schwerer Sturm im Anmarsch.

Synoptische Entwicklung bis Dienstag 12 UTC
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Aktuell ... dümpelt das Wettergeschehen bei uns mehr oder weniger lustlos vor
sich hin, samstägliche Partylaune jedenfalls sieht anders aus. Schauen wir
gerade mal 24 Stunden in die Zukunft, dann sieht die Sache schon ganz anders
aus. Dann beginnt die Party sinnbildlich aus dem Ruder zu laufen, aber dazu
später mehr.
Heute Abend befinden wir uns mehr oder weniger zwischen Stühlen: auf der einen
Seite (ost-südöstlich) der nur sehr zögernd scheidende Höhenrücken mit dem
korrespondierenden Bodenhoch FRANK, auf der anderen Seite (west-nordwestlich)
ein zum Scheitern verurteilter Höhentrog mit einer ebenfalls zum Scheitern
verurteilten Kaltfront. Trog und Front kommen zwar noch etwas nach Osten voran,
stoßen sich aber am vorlaufenden Rücken die Hörner ab, meint, ihre
Wetterwirksamkeit beschränkt sich auf mehrschichtige Bewölkung (insbesondere im
Norden und Westen sowie Teilen der Mitte) sowie anfangs noch ein paar Tropfen
(Westen/Nordwesten). Im Süden und Südosten bleibt der Himmel über der gealterten
Kaltluft klar, was einen nochmaligen Rückgang der Temperatur in den Frostbereich
bedingt, an den Alpen sowie in einigen Tal- und Muldenlagen der Mittelgebirge
bis zu -8°C. Dabei besteht die Gefahr von Reifglätte.
Der aus südlichen Richtungen kommende, am Abend vergleichsweis noch lethargische
Wind kommt allmählich auf Touren, was zunächst aber nur auf den Bergen (Böen 7-8
Bft, exponiert 9 Bft, Brocken 10 Bft) sowie an der Nordsee (7-8 Bft) wirklich zu
spüren sein wird.

Sonntag ... nimmt Orkantief SABINE zunehmend das Heft des Handelns in die Hände,
sofern man das von meteorologischen Gebilden so sagen kann. Unter dem linken
Ausgang der hyperbaroklinen Frontalzone (im Jetkern bis zu 200 Kt, das sind 360
km/h), die sich vom mittleren Nordatlantik her immer näher an den Kontinent
heranschiebt, wird die anfangs noch als offene Welle fungierende SABINE
ordentlich ausgepumpt und zu einem kleinen, aber sehr aggressiven Orkantief
befördert. Um 12 UTC passiert sie die Hebriden ostwärts, Kurs nehmend auf das
norwegische Svinoy und ausgestattet mit einem Kerndruck von etwas unter 950 hPa.
Derweil muss das bis dato steuernde Orkantief RUTH über der Irminger See
ordentlich Federn lassen; konnte heute Morgen noch ein Druckminimum von unter
935 hPa analysiert werden, sind es dort morgen Mittag "nur noch" 955 hPa.
Zurück in unsere Breiten, wo im Tagesverlauf nicht nur das okkludierende
Frontensystem von SABINE auf Deutschland übergreift, sondern auch der
Druckgradient kontinuierlich zunimmt. Um 24 UTC sind es zwischen
deutsch-dänischer Grenze und Alpenrand etwa 35 hPa (KYRILL hatte etwas über 40
hPa). Daraus resultiert freilich ein weit verbreitetes Sturmfeld (Südwestwind),
das in der Basis vom Gradienten generiert wird (8 bis 10 Bft), seine Spitzen (10
bis 12 Bft) jedoch aus konvektiv getriggertem Impulsaustausch und/oder
orografischen Begebenheiten (Leelagen, exponierte Hochlagen, im Alpenvorland
Leitplankeneffekt) bezieht. Fakt ist, dass sich das Starkwind- respektive
Sturmfeld im Laufe des Tages von Nordwestdeutschland her südostwärts ausbreitet,
Teile Süddeutschlands bis zum Abend aber noch nicht erreicht. Dabei empfiehlt es
sich, zeitlich und räumlich gestaffelt länger laufende Basissturm- und - für die
Hochlagen sowie die Nordseeküste - Orkanwarnungen (z.T. bis Dienstag)
herauszugeben (bereits heute Abend), um dann mit der Kaltfront bzw. bei
rückseitiger Konvektion draufzusatteln.
Dass die Kaltfront gut organisiert sein wird, lassen nicht nur die hohen
Scherwerte (LLS teils über 30 m/s, DLS teils über 50 m/s) vermuten, sondern wird
auch von den simulierten Pseudoreflektivitäten der hochauflösenden Modelle
angezeigt. Ob an der Kaltfront schon Gewitter auftreten oder erst später in der
postfrontal einfließenden, labil geschichteten subpolaren Meeresluft, ist noch
nicht ganz sicher. Es ist aber wahrscheinlich, dass durch frontale
Querzirkulation auch ohne Gewitter die sehr straffen Höhenwinde (850 hPa 60 bis
80 Kt, präfrontal noch höher, 925 hPa bis zu 60 Kt) runtergemischt werden
können, wenn auch im Falle 850 hPa sicherlich nicht 1:1.
Fakt ist, dass präfrontal übergreifende WLA, das anfangs noch diffluente
Potenzialfeld sowie zunehmend die frontale Komponente eine sehr geeignete
Rezeptur für einen ordentlichen Hebungsimpuls darstellt. Und auch die Luftmasse,
die präfrontal gehoben wird, hat es durchaus in sich mit PPW-Werte um 25 mm. Von
daher verwundert es nicht, dass die Numerik bis Montagfrüh für den Norden und
Westen sowie Teile der Mitte Regenmengen von 10 bis 30 mm, lokal noch etwas mehr
simuliert, wobei ein Großteil davon binnen weniger Stunden fällt. Von daher wird
warntechnisch wohl eher mit einer relativ kurzfristigen Starkregen- als mit
einer Dauerregenwarnung agiert werden.
Kurz noch zwei Sätze zum Wetter und zur Temperatur: im Nordwesten aufkommender
Regen (wurde schon geschrieben), im Süden und Südosten noch trocken und längere
Zeit sonnig. Dazu mild bis sehr mild bis 9 bis 14°C, im Südwesten lokal um oder
etwas über 15°C.

Die Nacht zum Montag bringt mit Kaltfrontpassage Richtung Süden einen ersten
Sturmhöhepunkt mit Böen 10 bis 11 Bft, Berge mehr. Unmittelbar hinter der Front
kommt es zu einer kurzfristigen Windabschwächung, wobei der Wind aber
keinesfalls einschläft. Mit einsetzender konvektiver Komponente (Schauer,
Gewitter) in der rückseitig einfließenden subpolaren Meeresluft (Rückgang T850
auf 0 bis -3°C im Norden und Westen) bei einem weiterhin mehr als soliden
Druckgradienten folgt aber schon eine erneute Auffrischung mit Böenspitzen teils
bis in den orkanartigen Bereich. Orkanartig ist auch das Stichwort für den
Süden, wenn mit Annäherung der Kaltfront an die Alpen der Leitplankeneffekt zum
Tragen kommt. Dabei muss vermehrt mit Böen der Stärke 10 bis 12 Bft gerechnet
werden.

Montag ... gelangt Süddeutschland mehr und mehr unter den Jet, der sich vom
Ostatlantik über den Ärmelkanal bis zu den Ostalpen erstreckt (18 UTC). Die
Kaltfront des zu den Lofoten ziehenden Orkantiefs erreicht die Alpen bzw.
überquert diese bis Datumswechsel leicht südwärts. Dahinter breitet sich
landesweit hochreichende und labil geschichtete Meereskaltluft subpolaren
Ursprungs aus, in der T850 auf 0 bis -6°C, T500 mit Ausnahme des äußersten
Südens auf -30 bis -35°C zurückgeht. Neben reger Schauertätigkeit - von Regen
über Graupel und kurzen Gewittern bis hin zu Schnee ist alles dabei - spielt der
Südwest- bis Westwind weiterhin eine sehr prominente Rolle. Auch wenn der
scheinbare Höhepunkt mit KF-Passage überschritten scheint (am Morgen und am
Vormittag im Süden allerdings noch ordentlich Bambule mit Böen 10 bis 12 Bft),
darf man sich keinesfalls blenden lassen. Der Einfluss der konvektiven
Umlagerungen sollte nicht unterschätzt werden bei weiterhin sehr lebhaften
Oberwinden (W850 bis 65 Kt, W925 bis 55 Kt). Gerade im Falle kleinerer
organisierter Strukturen, hervorgerufen z.B. durch kurze Wellen in der ansonsten
glatten Grundströmung, kann es deftig zur Sache gehen mit Böen 10 bis 11 Bft, im
worst case 12 Bft. Abgesehen davon bleibt der Grundwind frisch bis stark mit
Böen 8-9 Bft, Bergland 10 bis 12+ Bft, Nordsee 10 Bft.
Die Schneefallgrenze sinkt auf etwa 800 bis 600 m (bei fetten Schauern auch mal
darunter), an den Alpen auf rund 1000 m. Wie viel Schnee unter dem Strich fällt,
ist schwer zu prognostizieren, vor allem auch vor dem Hintergrund des
begleitenden Starkwindes. Auf alle Fälle rückt in den höchsten Lagen das Thema
"Verwehungen" mehr und mehr in den Fokus. Ob es im Süden irgendwo für eine
Dauerregenwarnung reicht (am ehesten Schwarzwald und Allgäu). Zum einen hat der
Regen wie zuvor schon weiter nördlich eher Starkregencharakter, zum anderen ist
die sinkende Schneefallgrenze ein substanzielles Gegenargument. Sollte wie von
ICON angedeutet am Abend und in der Nacht zum Dienstag im äußersten Süden
allerdings noch mal eine flache Welle durchgehen, könnte hier und da doch das
Dauerregenkriterium gerissen werden (Entscheidung morgen).
Bei guter Durchmischung werden Höchstwerte von 10 bis 15°C erreicht, einzig im
Norden sowie im Bergland stehen einstellige Werte auf der Karte.

In der Nacht zum Dienstag soll laut ICON ein weiterer KW-Trog mit
korrespondierendem Bodentrog durchschwenken, was einen weiteren Windhöhepunkt
bedeuten würde. Ob es so kommt und wie hoch in diesem Falle die Böen gehen
würden, muss abgewartet werden. Gleiche gilt übrigens für die o.e. flache Welle
im äußersten Süden.
An der Nordsee deutet sich eine Sturmverschärfung an, ansonsten kommt es zu
weiteren Schauern und kurzen Graupelgewittern.

Dienstag ... verbleibt Deutschland unter der Frontalzone in einer sehr lebhaften
westlichen Bodenströmung, die aus heutiger Sicht glatt konturiert ist. In der
weiterhin einfließenden Meereskaltluft (T850 -3 bis -6°C) entwickeln sich
wiederholt Regen-, Graupel- und Schneeschauer sowie kurze Gewitter. Die
Schneefallgrenze schwankt je nach Intensität der Schauer etwa zwischen 300 und
600 m. Grundsätzlich muss weiterhin mit Sturm- und/oder Orkanböen gerechnet
werden, vor allem aber nicht ausschließlich in Verbindung mit Konvektion.
Höchstwerte 5 bis 11°C.


Modellvergleich und -einschätzung
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Die Modelle bleiben ihrer Linie weitgehend treu. Dass die Böenparametrisierung
unterschiedlich ausfällt, wurde in den vorherigen Bulletins mehrfach erwähnt.
Die Ausgabe von Warnungen sollte allerdings nicht nur auf Basis von
Modellergebnissen sowie probabilistischer Anschlussverfahren, sondern auch
aufgrund synoptischer Überlegungen erfolgen.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann