DWD Synoptische Übersicht Mittelfrist

06-02-2020 12:30

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T M I T T E L F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 06.02.2020 um 10.30 UTC



Ab Sonntagabend von Nordwesten (schwerer) Sturm! - Im weiteren Verlauf windig
bis stürmisch, im Bergland zunehmend Schneefall.
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Synoptische Entwicklung bis zum Donnerstag, den 13.02.2020


Es gibt Wetterlagen, da muss man höllisch aufpassen, dass man beim Verfassen
einer Synoptischen Übersicht mit seiner "Birne" nicht straight ahead nach vorn
auf die Tastatur klatscht - so langweilig sind die. Auf die aktuelle Lage unter
der Leitung von Hoch FRANK mag das auch zutreffen (nicht böse sein, liebe
Frankies, immerhin bringt euer Namensvertreter heute ´ne Menge Sonnenschein nach
Süddeutschland), was den Verfasser aber nur peripher tangiert. Hier, jetzt und
an dieser Stelle interessiert aber eigentlich nur der Blick in die Mittelfrist,
und die ist alles, aber wirklich alles andere als langweilig. Oder anders
ausgedrückt, Anhänger von synoptischer Volldampfmeteorologie kommen so was von
fett auf ihre Kosten, dass sogar akuter Schlafmangel droht. Aber auch Ästheten
und künstlerisch angehauchte Vertreter unter den Wetterfans können sich freuen,
taucht doch in den nächsten Tagen ein monumentales Tief über der Irminger See
auf (RUTH), das sowohl auf der großen Wetterkarte (Analyse) als auch aus
Satellitenperspektive einen wahren Augenschmaus darstellt. Nun aber genug der
Allgemeinplätze, ran an den Speck.

Zu Beginn des mittelfristigen Prognosezeitraums am kommenden Sonntag verläuft
die glatte und sehr gut ausgeprägte Frontalzone über den mittleren Nordatlantik,
bevor sie über Westeuropa beginnt auseinanderzulaufen. Grund dafür ist ein
blockierender Höhenrücken, dessen Blockadewirkung aber stark bröckelt und der
sich im Tagesverlauf vom östlichen Mitteleuropa mehr und mehr gen Osten
verabschiedet. Somit kann die Frontalzone zunehmend den dadurch freiwerdenden
Platz einnehmen, meint, spätestens in der Nacht zum Montag liegt sie genau über
Deutschland mit einem Jetmaximum von rund 160 Kt in 300 hPa.
Von oben nach unten, wo einem sofort das bereits oben angesprochene
Monumentaltief westlich von Island ins Auge fällt. Es fungiert als steuernde
Zentraltief und startet mit einem Kerndruck von etwas unter 940 hPa in den Tag.
Auf seiner Südflanke wird eine lebhafte Westströmung generiert, in der mehre
Wellen zügig von West nach Ost durchgewunken werden. Eine dieser Wellen
entwickelt zu einem Sturm- bzw. Orkantief (Wahrscheinlich - Achtung, Insider
aufgepasst - SABINE), das um 12 UTC mit etwas unter 950 hPa im Kern knapp
west-nordwestlich von Schottland zu finden ist, von wo es die Westküste
Norwegens unweit von Svinöy ansteuert (24 UTC). Die zugehörige Kaltfront
(teilokkludiert) greift im Laufe des Sonntags mit präfrontalem Regen auf
Nordwestdeutschland über. Nachfolgend überquert sie den gesamten Vorhersageraum
südostwärts und erreicht bis Montagmittag die Alpen. Rückseitig gelangt ein
Schwall erwärmter und labil geschichteter Meereskaltluft subpolaren Ursprungs zu
uns, in der die 850-hPa Temperatur auf 0 bis -5°C zurückgeht.
Kaltfront hin, Meeresluft her, am spannendsten wird die Wind- respektive
Sturmentwicklung. Dabei verzichtet der Verfasser - so leid es ihm tut - an
dieser Stelle auf tiefgreifende synoptische Erläuterungen, weil das a) den
Rahmen einer mittelfristigen Übersicht und das dafür zur Verfügung stehende
Zeitfenster sprengen würde und b) noch ein paar Unschärfen hinsichtlich finaler
Intensität, Timing etc. gegeben sind. Fakt ist, dass es am Sonntag im Nordwesten
anfängt zu stürmen und sich das Sturmfeld danach bis Montag in den Südosten
vorarbeitet. Dabei muss in tiefen Lagen verbreitet mit (schweren) Sturmböen,
teils sogar mit orkanartigen Böen gerechnet werden (9-11 Bft). Volle Orkanstärke
gibt es auf den Bergen (teils extrem, was nach DWD-Lesart > 140 km/h bedeutet)
und eventuell auch an der See (Nordsee eher als Ostsee). Darüber hinaus sind in
der postfrontal einfließenden Meereskaltluft auch kurze Gewitter am Start, die
bei Höhenwinden bis 90 Kt in 850 hPa und bis zu 55 Kt in 950 hPa von schweren
Sturm- oder orkanartigen Böen begleitet sein können.

Im weiteren Verlauf der Woche verlagert sich die leicht wellende Frontalzone peu
a peu nach Süden, wodurch wir sukzessive auf die kalte Seite gelangen. Am
Dienstag verbleibt die o.e. Kaltfront am Alpenrand liegen, was dort stärkere
Niederschläge (teils Regen, teils Schnee, in höheren Lagen Gefahr von
Verwehungen) auslöst. Rückseitig breitet sich die subpolare Meeresluft immer
weiter aus (T850 um oder sogar unter -5°C), wobei es im Bergland zu Schnee-, im
Tiefland zu Regen- oder Graupelschauern kommt.
Die westliche Grundströmung bleibt zunächst noch sehr lebhaft und zeitweise
stürmisch, auch wenn der Gradient allmählich etwas auffächert. Zwar wird ein
weiteres Sturmmaximum in Form eines Schnellläufers oder einer Welle
deterministisch nicht simuliert, gleichwohl bleibt die Möglichkeit eines solchen
Ereignisses latent bestehen.

In der erweiterten Mittelfrist ab Freitag zeichnet sich ein deutlich
meridionaleres Strömungsmuster ab. Ein weiteres fettes Tief südlich Grönlands
kommt über 40° West nicht so richtig hinaus. Auf seiner Vorderseite wird ohne
Ende Warmluft nach Norden bzw. Nordosten gepumpt, was über dem Ostatlantik den
Aufbau einer hochreichenden, sich weit nach Norden erstreckenden Hochdruckzone
zur Folge hat. An dessen Ostabdachung wird - Achtung, aufmerksam lesen - relativ
trockene Polarluft arktischen Ursprungs angezapft und nach Mitteleuropa
transportiert. Demnach soll die 850-hPa-Temperatur am Samstag, den 15.2.2020 in
weiten Teilen des Landes auf rund
-10°C zurückgehen - Wahnsinn!

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Bewertung der Konsistenz des operationellen Laufs


Die Modellkonsistenz von IFS (ECMF) kann derzeit als sehr gut bezeichnet werden.
Demnach steuern wir ab Sonntag auf eine mehrtägige Sturm- respektive
Starkwindlage zu, die wahrscheinlich in der Nacht zum Montag bereits ihren
Höhepunkt erreicht. Auch wenn die Details noch nicht festgezurrt sind
(Festzurren ist übrigens ein gutes Stichwort vor dem Hintergrund der
bevorstehenden Wetterlage), muss man von Nordwest nach Südost bis in den Montag
hinein mit (schweren) Sturmböen und teils auch orkanartigen Böen rechnen.
Zwar ergeben sich im weiteren Verlauf der Woche ein paar Unschärfen im Vergleich
der jüngsten Läufe, eine Änderung des eingeschlagenen Generalkurses bedingt das
aber nicht.

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Vergleich mit anderen globalen Modellen


Die anderen gängigen Globalmodelle haben wie IFS ein gesteigertes Interesse
daran, seinem zahlreichen Publikum ordentlich was zu bieten. Mit anderen Worten,
die Modellfelder sehen sehr ähnlich aus, alle haben ab Sonntag Sturm auf der
Karte. Interessant dabei: Obwohl der Luftdruckgradient nahezu kongruent ist,
sind die Auswirkungen auf den Wind leicht unterschiedlich. Am offensivsten geht
IFS die Sache an, wo auch der Leitplankeneffekt im Süden am
Montagmorgen(-vormittag) am deutlichsten herauskommt. Auch was den weiteren
Verlauf der Woche angeht, nehmen sich die Modelle nicht viel.

Interessanter Randaspekt mit erhobenem Zeigefinger: Die Rahmenbedingungen
(Potenzial, Druck, Temperatur) beim Weihnachtsorkan LOTHAR vom 26.12.1999 waren
denen der nächsten Tage sehr ähnlich. Was derzeit fehlt, ist eine Welle an der
"richtigen Stelle". Während LOTHAR damals vom rechten Jetein- bis zum linken
Jetausgang alles mitgenommen hat (was u.a. seine enorme Explosivität erklärt),
scheinen dieses Mal die Wellen tendenziell eher entwicklungsungünstig zu liegen
- laut Modell. Einzig das o.e. Tief schafft es unter dem linken Ausgang zu einem
Sturmtief - laut Modell. Man muss ja nicht gleich Cassandra bemühen und den
Teufel an die Wand malen, gleichwohl lohnt es sich, die Entwicklung genauestens
- nicht nur nach Modellage - zu monitoren.
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Bewertung der Ensemblevorhersagen


Die IFS--EPS-Rauchfahnen verschiedener deutscher Städte zeigen erfreulich
homogene Kurvenverläufe. Nur langsam fächern die Charts im Laufe der nächsten
Woche auf. Die Kaltfrontpassage von Sonntag zu Montag ist unstrittig, wobei
diese mit einem markanten RR-Peak korreliert. In Süddeutschland (Referenz Ulm)
wird ein Doppelpeak (Montag und Dienstag) gezeigt, der auf die stationär
werdende, möglicherweise leicht wellende Kaltfront zurückzuführen ist. Unsicher
ist derzeit noch, wie es nach hinten raus weitergeht. Die kalte Lösung des
Hauptlaufs jedenfalls markiert eindeutig den unteren Rand des
850-hPa-Temperatur-Ensembles. Mehrheitlich zeigen die Ensembles ab
Donnerstag/Freitag wieder nach oben.
Die GFS-EPS-Rauchfahnen verlaufen ähnlich wie ihre "Kollegen" von IFS-EPS,
allerdings ist die Streuung in der nächsten Woche etwas höher.
Von der Rauchfahne zur Schublade, sprich zur Clusterung von IFS-EPS. Von
Dienstag bis Donnerstag (T+120...168h) liegt nur ein Cluster vor, der eine
Starkwindlage mit einer relativ südlichen Frontalzone zeigt (NAO positiv
selbstverständlich). Etwaige Entwicklungen kurzer Wellen hin zu Schnellläufern
oder kleinen Sturmtiefs werden in dieser Darstellung freilich glattgebügelt. Ab
Freitag (T+192...240h) erhöht sich die Zahl der Cluster auf fünf. Allen gemein ist
der Aufbau des o.e. Höhenrückens, der allerdings unterschiedlich positioniert
und konfiguriert ist. Für unseren Raum überwiegen Hochdruckeinfluss und weniger
kalte Lösungen al vom Hauptlauf angeboten.

FAZIT: Der Kurs steht über weite Strecken der Mittelfrist, erst spät nehmen die
Unsicherheiten zu.
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Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen


Die Wahrscheinlichkeit für signifikante Wettererscheinungen nimmt in den
nächsten Tagen exorbitant zu. Ganz oben auf der Agenda steht ohne Diskussion der
Parameter "Wind". Über die Unterschiede der deterministischen Böenvorhersage
wurde weiter oben schon berichtet, auch das Potenzial möglicher
Nachfolgesturmpeaks wurde bereits erwähnt. Auffallend ist, dass auch bei den
EPS-Prognosen für Sonntag/Montag IFS deutlicher als andere Verfahren auf Krawall
gebürstet ist. Meint, nirgendwo wird die Wahrscheinlichkeit für Orkanböen 11-12
Bft bis in tiefe Lagen so propagiert wie bei IFS-EPS. Auf der anderen Seite muss
man aber auch festhalten, dass z.B. GFS-EPS für die Nacht zum Montag in der
Mitte Deutschlands einen Böenmittelwert von 95 km/h bei einer extrem kleinen
Schwankungsbreite von 85 bis 105 km/h simuliert. Das ist nur wenig weniger als
gestern gerechnet. So oder so, eine Sturmlage kann als sicher angesehen werden,
auch wenn die Intensität tatsächlich noch ein paar Fragezeichen aufwirft.
Angesichts sehr starker Höhenwinde und postfrontal zunehmender Labilität sind
auch konvektive Umlagerungen - sei es durch kurze Gewitter sei es durch heftige
Schauer - alles andere als zu verachten. Böen 10 bis 11 Bft bis in tiefe Lagen
wären keine Überraschung. Überraschend wäre eher, wenn sie nicht kämen.
Bliebe schlussendlich noch der Niederschlag, der ebenfalls prominent unterwegs
ist, wenn auch nicht so intensiv wie letzten Samstag bis Dienstag. Gleichwohl
gibt es Hinweise, dass in der Nacht zum Sonntag im westlichen Mittelgebirgsraum,
am Montag dann im südlichen Bergland markanter Dauerregen auftritt. Später geht
der Niederschlag im Bergland mehr und mehr in Schnee über, wobei im Süden am
meisten fallen soll. Da der Wind in den Hochlagen stürmisch bleibt und der
Schnee zunehmend trockner fällt, besteht die Gefahr von Verwehungen.

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Basis für Mittelfristvorhersage
MOS-Mix, IFS-EPS
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VBZ Offenbach / Dipl. Met. Jens Hoffmann