DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

28-08-2019 08:30
SXEU31 DWAV 280800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Mittwoch, den 28.08.2019 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Übergang zu bBM (brüchige Brücke Mitteleuropa)

Heute Popkorn-Konvektion mit Unwettergefahr. Kommende Nacht im Nordwesten
organisierte Gewitter möglich. Morgen in der Südhälfte und nach Osten hin
weitere Gewitter (teils WU durch Starkregen), sonst Stabilisierung.

Synoptische Entwicklung bis Freitag 24 UTC
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Mittwoch... zeigt sich die großräumige Potenzialverteilung weiterhin von seiner
meridionalen Seite. Einem breiten Rücken über dem nahen Osteuropa steht ein
nicht minder ausgestatteter Trog über dem nahen Ostatlantik gegenüber.
Deutschland befindet sich genau im Übergangsbereich unter einer recht schlaffen
und leicht flatternden südwestlichen Höhenströmung. Schlaff und flatternd - man
denke z.B. an Flaggen -, das muss man erst mal hinkriegen, aber es ist
tatsächlich so. Die Höhenwinde sind durch die Vertikale hindurch ziemlich
schwach (also schlaff), auch wenn sie im Tagesverlauf durch minimale Verkürzung
der Wellenlänge (der Trog bequemt sich etwas nach Osten) etwas aufleben. Löst
man die Potenzialfelder 500 und 300 hPa maximal hoch auf (1 gpdm), erkennt man
heute früh über dem Vorhersageraum von Südwest nach Nordost eine saubere
Dreierkombination bestehend aus Trog-Keil-Trog (deshalb flatternd), die sich
übrigens auch in der Wolkenverteilung widerspiegelt. Dieser flotte Dreier (genau
genommen ist es sogar ein Vierer, denn von Frankreich folgt noch ein weiterer
flacher Rücken nach) lässt sich in den nächsten Stunden vor allem in 300 hPa
recht gut weiterverfolgen, wie das ganze System leicht progressiv nach Nordosten
durchgewunken wird. Nicht dass es zu Missverständnissen kommt, die Grundströmung
ist wie gesagt schwach und folglich sind auch die für synoptische
Hebungsprozesse relevanten Advektionsterme schwach, so dass die
Rahmenbedingungen alles andere als dynamisch sind (tagsüber zumindest). Trotzdem
können solche Trögelchen und Minirücken das Zünglein an der Waage sein, wenn es
um die Frage Konvektion ja/nein geht.

Erst mal aber der Blick von oben nach unten, wo der Druckgradient
erwartungsgemäß auch nicht viel hergibt. Zwischen einem Hoch über Westrussland
(immer noch CORINA) und tiefem Luftdruck über Nordwesteuropa tauchen in
Deutschland nicht allzu viele Isobaren auf, so dass sich die Schlaffheit aus der
Höhe in Bodennähe nahtlos fort. In diesem barischen Sumpf fühlt sich die seit
Tagen vor Ort liegende feuchte und potenziell instabile Warmluft pudelwohl, auch
wenn nach Westen und Südwesten hin eine leichte Abtrocknung erkennbar ist (Td
heute früh teils unter 15°C, spezifische Grundschichtfeuchte unter 10 g/kg).
Schlussendlich wird es auch heute wieder zu unorganisierten (bis auf ein wenig
Richtungsscherung ganz unten ist nicht viel zu holen auf dem Sektor Scherung)
konvektiven Umlagerungen in Form von Einzelzellen oder kleinerer Multizellen
kommen, deren Lebensdauer überschaubar ist (kaum mehr als 1-2 Stunden, wenn
überhaupt). Hinsichtlich der genauen Regionalisierung sind sich die
konvektionserlaubenden Modelle auch wenige Stunden vorm Anschalten der
Popcornmaschine noch nicht ganz einig. Von den Zutaten scheinen die Regionen von
den östlichen und zentralen Mittelgebirgen nordwärts am prädestiniertesten, wo
PPWs bis zu 40 mm und ML-CAPE von 1000 bis 1500, lokal bis 2000 J/kg
vorhergesagt werden (ICON). Begünstigend kommt hinzu - und da wären wir wieder
bei der "großen Flatter" -, dass der zweite KW-Trog von SW her zur günstigen
Tageszeit in den genannten Gebieten aufschlägt, was trotz fehlender Dynamik kein
Nachteil ist. Trotz der etwas zunehmenden Höhenwind und der damit zu erwartenden
leichten Verlagerung der Zellen steht Starkregen nach wie vor ganz oben auf der
Agenda begleitender Gewitterparameter. Allerdings nimmt die Gefahr extremer
Unwetter (>40 mm innert kurzer Zeit) gegenüber den Vortagen ab. Hagel ist
natürlich auch am Start, auch wenn die Körner aufgrund der unorganisierten
Zellenstruktur nicht überbordend groß anwachsen sollten (eher Richtung 2 cm, was
auch schon ganz ordentlich ist). Trotz flauer Strömungsumgebung sind aufgrund
der z.T. relativ trockenen Grundschicht auch (schwere) Sturmböen, vielleicht
sogar orkanartige Böen durch Downbursts nicht ausgeschlossen, was u.a. auch von
COSMO-D2-EPS und AROME so gesehen wird.
Stellt sich nun noch die Frage, wie weit die Konvektion nach Westen und Süden
reicht. Die deutsche Modellkette ist in Richtung Westen ähnlich wie EURO4 sehr
zurückhaltend, während SuperHD und AROME offensiver agieren, was eher der
Vorstellung des Verfassers entspricht. Dass in Süddeutschland grob südlich der
Mainlinie ein flächenmäßiges Minimum konvektiver Prozesse gegeben ist, scheint
modellübergreifend evident. Offensichtlich wirkt sich der von Frankreich
übergreifende flache Rücken dämpfend aus. Trotzdem kann im Bergland (Alpen,
südliches Vorland, später vielleicht auch Schwarzwald und Alb) vereinzelt was
ausgelöst werden, wobei einmal mehr die Töpfe rasch gefüllt sein und das
WU-Kriterium für Starkregen gerissen werden kann.
Trotz anfänglich vielerorts vorhandener Bewölkung wird sich auch heute wieder
die Sonne zeigen, wenn auch nicht überall mit gleicher Andauer. Bei
850-hPa-Temperaturen von 15 bis 19°C stehen Tageshöchstwerte von 27 bis 34°C auf
der Karte, die nicht selten als schwül und drückend empfunden werden.

Am Abend und in der Nacht zum Donnerstag beginnt sich aus dem Haupttrog im
Westen ein kurzwelliger Anteil zu lösen, der in der zweiten Nachthälfte die
südwestliche Nordsee und Benelux erreicht (300 hPa). Vorderseitig nimmt die
südwestliche Höhenströmung etwas zu, wobei sie diffluente Strukturen aufweist.
Zwar soll das PVA-Maximum außerhalb des Vorhersageraums bleiben, gleichwohl
verbessert sich das strömungsmäßige Setup über West- und Nordwestdeutschland,
was auch in einer deutlichen Zunahme der Scherungsbedingungen erkennbar ist (LLS
bis 10 m/s, DLS bis 20 m/s). Da gleichzeitig Grundschicht- und
gesamttroposphärische Feuchte ebenfalls wieder stark zunehmen (PPW bis rund 40
mm, s.F. bis 13 g/kg), ein ausreichendes Quantum an MU-CAPE vorhanden ist und
zudem noch eine Konvergenz durchzugehen scheint, sind die Weichen für nächtliche
Gewitter mehr als gestellt. Offensichtlich sieht das die Numerik ebenso, wird
doch von allen Modellen im W und NW mehr oder weniger organisierte Konvektion
gerechnet, wobei von Multizellenclustern über linienartige Strukturen bis hin zu
einem MCS alles denkbar ist. Trotz Verlagerung muss mit Starkregen WU gerechnet
werden, während Hagel vielleicht nicht die ganz große Rolle spielt. Beim Wind
hängt vieles vom Organisationsgrad der Gewitter ab; sollte sich was
Linienartiges wohlmöglich noch mit Bogenstruktur bilden, besteht die Gefahr von
schweren Sturmböen oder mehr, auch wenn die Tageszeit ungünstig ist und die
Numerik davon nicht viel bis gar nichts wissen will.
Im großen Rest des Landes passiert wahrscheinlich nicht allzu viel. Abendlichen
Gewittern wird alsbald der Energiehahn abgedreht. Allerdings dürfte die
Gewittertätigkeit im Süden (Alpen, Vorland) nicht gänzlich zum Erliegen kommen
bzw. später wieder aktiviert werden (schwache Bodenkonvergenz, kleiner
Sekundärtrog von der Schweiz her), wobei durchaus die Gefahr lokaler Unwetter
durch Starkregen besteht.

Donnerstag... kommt es zu einer vorübergehenden Glättung der südwestlichen
Höhenströmung. Konvergenz und Bodentrog ziehen mit den nächtlichen Gewittern
respektive dem gewittrigen Regen aus dem Nordwesten im Laufe des Vormittags über
den Norden und die Mitte ostwärts hinweg. Dabei zeichnet sich eine Abschwächung
des Ganzen ab, laufen die Gewitter doch in die klassische vormittägliche
Depression. Außerdem fehlt es an dynamischer Unterstützung aus der Höhe. Da
nutzt es auch wenig, dass von der Nordsee und Benelux her eine Kaltfront
nachfolgt, die zum Tief DENIS über dem Europäischen Nordmeer gehört. Statt das
konvektive Geschehen möglicherweise noch mal anzufachen, sorgt sie im Gegenteil
schon im Frontbereich, aber auch rückseitig für eine rasche Stabilisierung, von
der im Tagesverlauf der gesamte Westen und Nordwesten profitieren. In der
postfrontal einfließenden subpolaren, aber nicht wirklich kühlen Meeresluft
(T850 geht auf 11 bis 8°C zurück) lockert die Bewölkung später sogar wieder auf,
was am Ende immer noch für 23 bis 28°C, an der Nordsee bei etwas auffrischendem
westlichen Wind für 20°C gut ist.
In den übrigen Regionen des Landes, also quasi in der Südhälfte, startet der Tag
mit Ausnahme der nächtlichen Restgewitter im äußersten Süden und Südosten
Bayerns vergleichsweise unspektakulär. Im Bodendruckfeld manifestiert sich sogar
ein schwacher Hochkeil, der als verlängerter Arm (besser wäre Finger) des
berühmten Azorenhochs angesehen werden kann. Der Keil kann aber nicht darüber
hinwegtäuschen, dass sich die Wetterlage im Süden potenziell brenzlig gibt,
wobei diese Brenzligkeit freilich erst mal aktiviert werden muss. Die Luftmasse
wird nicht wirklich ausgetauscht, da die Kaltfront auf ihrem Weg nach Süden
mangels ausreichend Vortrieb abkackt und diesen gar nicht erreicht. Zwar nehmen
Labilität und fühlbarer Energiegehalt der Luftmasse gegenüber heute etwas ab,
die Feuchte ist aber extrem hoch mit PPWs über 30 mm, lokal bis 40 mm und spez.
Feuchten bis 13/14 g/kg. Gebietsweise werden 1000 bis 1500 J/kg ML-CAPE, örtlich
noch mehr generiert, die mit Erreichen der Auslösetemperatur (26-28°C) und mit
Hilfe der Orografie in konvektive Umlagerungen umgesetzt werden. Bei wieder
nachlassender Höhenströmung und fehlender Scherung unternehmen die Zellen einmal
mehr Stehversuche, was das Thema Starkregen bis hin zu "extrem" (also >40mm/h)
wieder ganz oben auf der Alarmglockenagenda erscheinen lässt. Aber nicht nur im
Süden, auch in der Mitte sowie im äußersten Osten (der noch längere Zeit
präfrontal bleibt) kommt die Gewitteraktivität noch mal in Gang. Vor der Front
steigt die Temperatur im Osten gebietsweise noch mal auf etwas über 30°C, sonst
auf 25 bis 30°C.

In der Nacht zum Freitag kommen die Gewitter im Süden und Südosten nur langsam
zum Erliegen. Zwar wirkt der Tagesgang dämpfend, dafür schwenkt ein flacher
Randtrog über die Alpen nordostwärts, der für etwas Hebung sorgt. MU-CAPE ist
jedenfalls ausreichend vorhanden, Feuchtigkeit ebenfalls. Es ist aber davon
auszugehen, dass die Gewitter mehr in gewittrigen Starkregen übergehen, der sich
mehr und mehr in den Südosten Bayerns zurückzieht.
Ansonsten bleibt die Nacht weitgehend ruhig, bei längerem Aufklaren bildet sich
örtlich Nebel.

Freitag... baut sich eine schwache Hochdruckbrücke auf, die das Azorenhoch mit
dem Russlandhoch verbindet. Die Kaltfront löst sich irgendwo in der Mitte
zunehmend auf. Bei schwachen Potenzialgegensätzen bleibt die Luftmasse im Süden
und der östlichen Mitte potenziell instabil und feucht, was die Gewittergefahr
latent aufrechthält. Trotzdem simulieren die Modelle insgesamt weniger
Konvektion, was möglicherweise der dämpfenden Wirkung eines sich leicht
aufwölbenden Höhenrückens in die Schuhe geschoben werden kann. Trotzdem muss vor
allem vom Bergland ausgehend mit isolierter Konvektion gerechnet werden, wobei
lokal Unwetter durch Starkregen schnell erreicht sind. Welche Regionen genau
betroffen sein werden (z.B. nur Bayern und BW oder auch noch Teile der östlichen
Mitte), lässt sich heute nicht abschließend beantworten. Im Norden und Westen
passiert in der stabileren Luft nix, häufig scheint die Sonne. Die Temperatur
erreicht Maxima zwischen 24 und 31°C, bei auflandigem Wind an der See (vor allem
Nordsee) etwas darunter.

Modellvergleich und -einschätzung
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So sehr sich die Modelle in der grundlegenden Entwicklung einig sind, so sehr
divergieren sie in der Niederschlags- und Gewitterprognose. Das macht das
Warnmanagement nicht einfacher und bedingt einmal mehr eine erhöhte
In-situ-Aktivität. Man darf vor allem auf die nächsten Läufe hinsichtlich der
nächtlichen Entwicklung im Nordwesten gespannt sein.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann