DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

27-07-2019 18:01
SXEU31 DWAV 271800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Samstag, den 27.07.2019 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
Weiterhin unorganisierte "Schrottkonvektion" mit Starkregengefahr bis in den
(extremen) Unwetterbereich. Von Sonntag bis Dienstag allmählich in den Nordosten
verlagernd.

Synoptische Entwicklung bis Dienstag 12 UTC
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Aktuell ... befinden sich weite Teile West- und Mitteleuropas - ja, man muss es
so sagen - innerhalb eines umfangreichen Trogsumpfes (Sumpf deswegen, weil
überwiegend gradientschwach), der sich von Grönland und der Labradorsee her weit
nach Süden bzw. Südosten erstreckt. Hinzu kommt ein kleines Höhentief Marke
Kaltlufttropfen (KLT), das von NW-Polen her gerade dabei ist, norddeutsches
Tiefland zu erobern. Er sieht ein bisschen mickrig aus auf der Südflanke der
umfangreichen Höhenantizyklone, die es sich über Fennoskandien und Teilen des
Europäischen Nordmeers gemütlich gemacht hat und die das Bodenhoch YVONNE stützt
(nicht wie heute früh aus Versehen vom Kollegen VINCENT genannt, zu dem kommen
wir noch). Zur Erinnerung, YVONNE ist das Hoch, was uns in den vergangenen Tagen
Bullenhitze mit Rekorden noch und nöcher gebracht hat, inzwischen aber
eingesehen hat, dass das Ganze etwas zu viel des Guten war und sich jetzt mehr
und mehr in nördliche Gefilde zurückzieht, um sich selbst etwas abzukühlen.
Den Platz von YVONNE bei uns hat mittlerweile der schon zitierte VINCENT
eingenommen, der aufgrund seiner länglichen Form (=> Rinne) zwar beim Casting
zum "Mister Sommertief 2019" gescheitert ist, trotzdem aber etwas auf dem Kasten
hat, wie eindrucksvoll in den vergangenen Stunden bewiesen. Diese Rinne, heute
Nachmittag mit Hauptkonvergenz leicht diagonal über der Mitte Deutschland
gelegen, kommt in der Nacht zum Sonntag in infinitesimal klein anmutenden
Schritten nordostwärts voran und erreicht um 06 UTC etwa eine Linie
Niederrhein-Westerzgebirge/Vogtland.
Nördlich davon gelangt von Osten her warme (T850 11 bis 16°C) und teils trockene
(Td um oder nur wenig über 10°C, PPW unter 25 mm, spez. Feuchte bei 7/8 g/kg),
nach Norden hin und später auch im Osten hingegen recht feuchte (PPW um 30 mm,
s.F. bis zu 12 g/kg) Luft. Sie wird durch den o.e. KLT zunehmend labilisiert,
was an der Ostsee, in Vorpommern, vielleicht auch im Norden BBs von Osten her
einzelne Schauer und Gewitter zur Folge hat, die mit Starkregen, Böen 7-8 Bft
und kleinkörnigem Hagel einhergehen können (markant). Ansonsten verläuft die
Nacht nördlich der Rinne vielerorts gering bewölkt oder klar, wobei durch den
geringen, aber steten Druckfall der Gradient zwischen VINCENT und YVONNE
sukzessive aufweicht und der anfangs noch bissige Ostwind allmählich in die Knie
geht.
Kommen wir zur Luftmasse südlich der Rinne, besser südlich der Konvergenzlinie,
die ebenfalls warm (T850 11 bis 15°C), aber deutlich feuchter ist als weiter
nördlich (Td örtlich um 20°C, PPW bis rund 40 mm, spez. F. bis 13,5 g/kg). Es
fällt aber auf, dass die Labilität der Luftmasse kontinuierlich abnimmt, was
natürlich auf die MU-CAPE-Werte abfärbt, die bis zum Morgen auf 300 bis 100 J/kg
zurückgehen. Trotz dieses Sachverhalts und trotz des Tagesgangs muss zunächst
mit weiteren, unorganisierten Gewittern gerechnet werden, bei denen der
Starkregen (auch Unwetter) mehr und mehr die Pole-Position einnimmt, sofern er
es nicht ohnehin schon getan hat. Aufgrund der geringen Labilität in weiterhin
gradientschwachem "Gelände" ist gebietsweise auch nicht-gewittriger Starkregen
denkbar, der aus Verclusterung alter Gewitterzellen resultiert oder neu gebildet
wird.
Die Tiefstwerte stellen sich deutschlandweit zwischen 20 und 15°C ein.

Sonntag ... kommt es im Sumpf, also innerhalb des großräumigen Troges, zu einer
schönen Gegenbewegung. Während der KLT im Norden über die Deutsche Bucht hinweg
in west-nordwestliche Richtung auf die weiten der Nordsee hinauszieht, steuert
südlich der Alpen ein weiteres Höhentief (kein KLT, da korrespondierendes
Bodentief vorhanden) vom Ligurischen Meer kommend die nördliche Adria und später
den nördlichen Balkan an. Während dieser Murmelei verlagert die nordeuropäische
Höhenantizyklone ihren Schwerpunkt etwas nach Westen auf bzw. über die
Norwegische See. Deutschland bleibt unterdessen unter extrem schwachen
Potenzialgegensätzen, wenn man mal von der anfänglichen KLT-Passage im Norden
absieht. Entsprechend undynamisch geben sich weite Teile der Troposphäre, so
dass wir uns in dieser ziemlich weit nach unten bewegen müssen, wenn wir nach
einer Erklärung für einen keinesfalls undynamischen oder sagen wir besser
wetteraktiven Sonntag suchen.
Schauen wir uns also die Bodendruckverteilung an, in der nach wie vor die Rinne
VINCENT ins Auge sticht, die - wenn auch mit großer Mühe - weiteren Boden nach
Nordosten hin gutmacht. Am Abend dürfte der Hautwindsprung, in der die
Konvergenz gelegt wurde, etwa vom Emsland bis nach Sachsen reichen, plus/minus
der üblichen Toleranz. Südlich davon steigt der Luftdruck etwas an, was am
Nachmittag und Abend einen flachen Bodenkeil in Südwestdeutschland anklopfen
lässt. Zwischen diesem und der Rinne lebt der auf West bis Nordwest drehende
Wind etwas auf (wahrscheinlich nicht warnwürdig), der - wenn auch nur langsam -
stabilere und weniger warme, aber nicht wirklich kühle Meeresluft in den Westen
und Südwesten führt (T850 am Abend in Südbaden nur noch 9/10°C). Nachdem es dort
zuvor noch zu einzelnen, teils kräftigen Gewittern (lokale Unwettergefahr durch
Starkregen) sowie schauerartigen (Stark)Regenfällen kommt, deutet sich ab dem
Nachmittag und Abend von Westen her eine allmähliche Wetterberuhigung an.
Ansonsten gilt es zu konstatieren, dass es vom Süden bis in die Mitte
ausgreifend auch morgen wieder zu konvektiven Umlagerungen kommt, auch wenn die
Qualität der Luftmasse vor allem im Hinblick auf die Labilität peu a peu gewisse
Einbußen hinnehmen muss, was sich beim CAPE bemerkbar macht. Das erklärt
schlussendlich auch, warum nicht alle auftretenden Niederschläge zwingend in
Gewitterform auftreten müssen, sondern auch schauerartig verstärkte,
nicht-gewittrige Regenfälle am Start sein können. Feucht genug bleibt die
Luftmasse (PPW bis 40 mm, s.F. lokal über 14 g/kg), weswegen auch die Komponente
Starkregen ganz oben auf der Agenda zu beachtender Parameter steht. Aufgrund des
geringen bis gar nicht vorhandenen Organisationsgrades der Niederschläge und
Gewitter, fällt es Mensch und Maschine schwer, die Schwerpunkte wirklich
belastbar herauszuarbeiten. Es stechen aber ein paar Hotspots einiger Modelle
von 30-60 mm/12 h am Alpenrand (bevorzugt im Allgäu) ins Auge, z.T. unterstützt
durch die Statistik, die ein Stück weit auch der zunehmenden Staukomponente in
die Schuhe geschoben werden kann. Möglichweise muss für diese Gebiete eine
mehrstündige Starkregenwarnung (Unwetter) gezogen werden, nach einer echten
Dauerregenlage sieht es jedenfalls nicht aus.
Schauen wir, bevor wie zum Norden kommen, zunächst noch in den Osten, wo die
Luftmasse zwar nicht labiler, dafür aber im Tagesverlauf immer feuchter wird
(PPW über 40 mm). Entsprechend wird zumindest gebietsweise ML-CAPE von etwas
über 500 J/kg generiert, das es auszulösen gilt. Nicht ganz einfach angesichts
fehlender synoptischer Antriebe. Dort, wo Mittelgebirge stehen, können diese
mithelfen, Konvektion zu triggern, ansonsten kommen vor allem regionale oder
lokale Konvergenzen in Frage. Fakt ist, dass die Gewitterneigung im Tagesverlauf
tendenziell zunimmt.
Nun noch nach Norddeutschland, genauer in die Regionen, die nördlich der Rinne
den Sonntag verbringen. Dort ist es am labilsten (Stichwort KLT), dort gibt es
im Landesvergleich die meiste Einstrahlung, was die von ICON gerechneten
ML-CAPE-Werte zwischen 500 und 1000 J/kg erklärt. Schon ab dem Vormittag kommt
es von Ost nach West zu einzelnen Schauern und Gewittern, die aufgrund
vorhandener Scherung (wenn auch nicht viel) sowie der trockenen Grundschicht
(inverses V) neben Starkregen auch Hagel und Sturmböen 8-9 Bft auf die Platte
bringen können. Ob es vereinzelt auch mal für ein Unwetter reicht, ist
allerdings fraglich.
Weniger fraglich sind die morgigen Höchsttemperaturen, die im Süden und
Südwesten zwischen 20 und 26°C, sonst zwischen 25 und 30°C liegen - abzüglich
der Küstenabschnitte mit auflandigem Wind.

In der Nacht zum Montag verbleibt Deutschland unter einer ziemlich amorph
anmutenden Potenzialverteilung, mit der man nichts Richtiges anfangen kann. Da
sind die Strukturen in Bodennähe deutlich konturierter; während die Rinne einen
nächsten Schritt auf ihrem Weg nach Nordosten macht - zugegeben ein minimaler
Schritt -, schiebt sich der o.e. Bodenhochkeil unter Amplitudengewinn bis zu den
Alpen respektive dem südlichen Vorland vor. Die damit einhergehende Druckwelle
sorgt im Süden für einen mitunter böig auffrischenden West-Nordwestwind, der
evtl. sogar mal die eine oder andere steife Böe 7 Bft induziert. Ansonsten
bewerkstelligt er die weitere Zufuhr stabilerer und auch trockenerer Luft von
Frankreich und Belgien her, die vor allem dem Westen und Südwesten zugutekommt,
wo es mit Temperaturminima zwischen 18 und 12°C auch lüftungstechnisch
allmählich wieder interessant wird.
In den übrigen Landesteilen, grob gesprochen in der Osthälfte, muss auch in der
Nacht mit weiteren Gewittern und schauerartig verstärkten Regenfällen gerechnet
werden, deren Schwerpunkt im südöstlichen Bayern angezeigt wird (ICON von 12
UTC, GFS von 06 UTC). Für Details braucht es aber noch ein bis zwei Läufe.

Montag ... ist es endlich soweit, die Tiefdruckrinne wird nun endgültig aus
Deutschland nach Nordosten herausgedrückt, der Bodenwind dreht überall auf West
bis Nordwest, der Hochkeil weitet sich weiter nach Norden aus. Nicht ganz so
schnell wie beim Luftdruck schießen die Preußen bei der Luftmasse, die trotz der
allgemeinen Winddrehung nur zögerlich ausgetauscht wird. In der Südwesthälfte
funktioniert der Austausch am besten, was nicht nur an den Stabilitäts-, sondern
auch an den Feuchtewerten erkennbar ist (Lapse-Rates häufig nur noch -0,4 bis
0,5 K/100 m, PPW lokal unter 20 mm, s.F. unter 7 g/kg). Zwar nimmt die
Höhenströmung ausgehend von einem hochreichenden Tief über der Biscaya leicht
zyklonale Konturen an, trotzdem tendiert die Niederschlagsneigung gen null,
während die Sonnenscheindauer besonders im westlichen Drittel des Landes
merklich zunimmt. T850 von 10 bis 13°C lässt Tageshöchstwerte zwischen 24 und
29°C erwarten.
In der Nordosthälfte hingegen bleibt die Luftmasse trotz erkennbarer
Stabilisierungstendenzen noch über längere Zeit ziemlich feucht; ICON bietet
punktuell bemerkenswerte 50 mm PPW und über 15 g/Kg spez. Feuchte an. Vor allem
zwischen Vorpommern und Oberlausitz, wo es noch mal einen (preußischen) Schuss
Einstrahlung gibt, wird ML-CAPE zwischen 1000 und 1500 J/kg generiert. Dort wird
im Tagesverlauf die stärkste Gewitteraktivität und für die Kollegen der
Außenstelle Potsdam gemessen an heute und morgen die höchste Warnerregung
erwartet - möglicherweise bis hin zu extremen Unwettern durch Starkregen.
Allerdings können auch westlich des genannten Streifens sowie in Ostbayern noch
einige Gewitter auftreten (markant, lokal auch Unwetter durch SR), z.T. auch
nicht-gewittriger (Stark)Regen.
Während es im Süden und Osten Bayerns vielerorts nicht für einen Sommertag
reicht (also unter 25°C Höchsttemperatur), sind Richtung Oder und Neiße vor den
Gewittern rund 30°C drin.

In der Nacht zum Dienstag legt sich das Zwischenhoch über den gesamten
Vorhersageraum. Trotzdem schwindet die feuchte Luft im Nordosten nur sehr
zögerlich, und vor allem IFS von heute 00 UTC scheint einen Narren daran
gefressen zu haben, einen Korridor zwischen Schleswig-Holstein und Ostsachen
noch für längere Zeit mit teils gewittrigem Regen zu versehen. Übelnehmen würde
man es IFS in diesen Regionen nicht, im Gegenteil, der "Goldene Award" für das
sympathischste Modell des Tages wäre so gut wie sicher.
Awards werden auch im Westen und Südwesten verteilt, und zwar an die Atmosphäre
direkt, die endlich ein Einsehen hat und die Temperatur in die Komfortzone
zwischen 16 und 11°C, in einigen Mittelgebirgstälern sogar unter 10°C sinken
lässt - Bravo!

Dienstag ... verbleibt Deutschland auf der Vorderseite des von der Biscaya nach
Südengland ziehenden Tiefs. Dabei regeneriert sich der zuvor nur schwach
ausgeprägte Höhenrücken und wird über dem Vorhersageraum leicht retrograd. Das
ändert aber nichts an der Tatsache, dass vor allem IFS, aber auch GFS den
äußersten Nordosten mit weiteren schauerartigen Regenfällen und einigen
kräftigen (Unwetter?) Gewittern bedenken.
Ansonsten stellt sich ein heiter bis wolkiger, teils sogar sonniger und
weitgehend trockener Dienstag ein.
Die Temperatur steigt landesweit auf 25 bis 31°C, lokal vielleicht 32°C, wobei
die höchsten Werte im Südwesten incl. RMG auftreten.


Modellvergleich und -einschätzung
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Wie so oft bei ähnlichen Lagen (also Lagen ohne nennenswerte Dynamik mit
"Schrottkonvektion") stimmen die Basisfelder wie Luftdruck, Potenzial,
Temperatur ganz gut überein, während es bei den Auswirkungen (Niederschlag,
Gewitter) hapert. Es muss also weiterhin viel mit dem Nowcast-Werkzeug hantiert
werden.
Ob am Sonntag erneut eine Vorabinfo geschaltet wird, muss abgewartet werden.
Stand heute Abend fällt es schwer, wirklich klare Schwerpunkte herauszuarbeiten.



Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann