DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

21-09-2018 08:30
SXEU31 DWAV 210800
S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 21.09.2018 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Übergang von SWz (Südwest zyklonal) zu NWz (Nordwest zyklonal)

Heute Kaltfrontpassage mit Sturm, vor allem an der Nordsee teils schwer. Im
Vorfeld einzelne Gewitter möglich. Am Samstag im Norden windig, aber nicht
dramatisch.
Am Sonntag Tiefpassage mit Sturm, kräftigem Regen und noch einigen
Unsicherheiten.

Synoptische Entwicklung bis Sonntag 24 UTC
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Freitag... Liebe Freunde des Wettersports, es bestehen keine Zweifel, dass die
Natur mehr als geneigt ist, dem spätsommerlichen Gedümpel (vorerst?) ein Ende zu
setzen und stattdessen am Wochenende - den heutigen Freitag zählen wir mal
großzügig dazu - erste signifikante Herbstzuckungen in der Atmosphäre zu
präsentieren. Doch der Reihe nach.
Heute steht uns eine erste veritable Kaltfrontpassage bevor, die von Westen her
vonstattengeht und dabei einen merklichen Luftmassenwechsel in Gang bringt. Als
primäre Initiatoren agieren auf der einen Seite ein Höhentrog mit eigenem
Drehzentrum, das heute früh 06 UTC über der westlichen Nordsee (Forties)
platziert war, von wo aus es bis Tagesende zu den Lofoten zieht. Auf der anderen
Seite ist das korrespondierende Bodentief ELENA, das freilich einen ähnlichen
Weg nimmt, wobei es sich von knapp 980 hPa (03 UTC) auf nahe 970 hPa (12 UTC)
vertiefen soll, was ihr den Titel "Sturmtief" einbringt.
Die zugehörige Kaltfront greift noch im Laufe des Vormittags von Westen her auf
den Vorhersageraum über, den sie bis Mitternacht vollständig überquert haben
dürfte. Dahinter gelangt ein ordentlicher Schwall maritimer Polarluft zu uns, in
der die 850-hPa-Temperatur auf 5 bis 1°C zurückgeht. Darüber hinaus wird mit dem
Höhentrog ein Portion höhenkalter Luft (T500 etwas unter -25°C) in den
Nordwesten gespült, was nicht ganz unerheblich ist im Hinblick auf konvektive
Umlagerungen. Die Kaltfront selbst weist Anacharakter auf, so dass der
zugehörige Regen auf der kalten Seite fällt. Es deutet sich an, dass bodennah
kalte Luft und die damit verbundene Druckwelle dem Regenband etwas davonlaufen,
was offensichtlich dem kräftigen rückseitigen "Cold-Pool" geschuldet ist (starke
Verdunstungsabkühlung durch den in trockene Luft fallenden Niederschlag). Die
Frage wird sein, ob es vor der Kaltfront noch mal für Gewitter im Süden und
Südosten reicht, wie das u.a. von COSMO-D2 in Form einer eigenen Gewitterlinie
gezeigt wird. Ob es tatsächlich so weit kommt, bleibt abzuwarten. Die
präfrontale Luftmasse ist zwar labil, aber nicht besonders feucht, was die
vergleichsweise limitierten CAPE-Werte (meist unter 500 J/kg) erklärt. Sollte es
Gewitter geben - wenn, dann dürften es nur einzelne sein - steht aufgrund der
trockenen Grundschicht und zunehmender Höhenwinde vor allem der Wind/Sturm auf
der Agenda mit Böen bis 9 Bft (im Falle eines kräftigen Downbursts vielleicht
auch 10 Bft), während Starkregen und Hagel (kleinkörnig) eher eine
untergeordnete Rolle spielen. An der Kaltfront selbst dürfte es im Zuge rascher
Stabilisierung nicht für Gewitter reichen.
Zurück noch mal zum frontalen Regen, der in der Summe eher bescheiden ausfällt
und kaum mal 5 mm zustande bringt. Einzig in einigen Staulagen reicht es
punktuell mal für 5 bis 10 mm, da hätte man sich mehr gewünscht. Nach Durchgang
der Front bzw. des Regens trocknet es in der frischen Luftmasse rasch ab und die
Wolkendecke lockert auf. Allerdings bilden sich in der höhenkalten Luft über der
Nordsee Schauer und kurze Graupelgewitter, die auch das küstennahe Binnenland
traktieren.
Im Blickpunkt des Geschehens steh aber eindeutig die Windentwicklung, wie man
unschwer an der morgendlichen Warnkarte (an dieser Stelle herzlichen Dank an die
Spät- und Nachtdienste, die sich mächtig ins Zeug gelegt haben) erkennen kann.
Mit Annäherung bzw. Passage der Kaltfront frischt der anfangs südwestliche,
später auf westliche Richtungen drehende Wind auf und erreicht in Böen Stärke
7-8 Bft, besonders im Norden und in der Mitte in Einzelfällen auch 9 Bft, im
worst case sogar 10 Bft. An und auf der Nordsee sind schwere Sturmböen 10 Bft
wahrscheinlicher, vereinzelt sind sogar orkanartige Böen 11 Bft drin, vor allem
an und vor der nordfriesischen Küste. Hinter der Druckwelle flaut der Wind
kurzzeitig ab, nimmt dann aber besonders im Norden und Westen wieder zu, was der
Annäherung eines Bodentroges und Richtung Nordsee zusätzlich noch der
konvektiven Komponente geschuldet ist. Es muss dabei im Binnenland mit weiteren
Böen 7-8 Bft, an der Nordsee 9-10 Bft, bei kräftigen Schauern oder Gewittern
sogar 11 Bft gerechnet werden. Zum Abend hin nimmt der Wind im Binnenland rasch
ab, während das Ganze an der Küste eher schleppend abläuft.
Noch ein Wort zur Temperatur, die im Osten und Südosten mit Einstrahlung noch
mal (wahrscheinlich letztmalig in diesem Jahr) auf Werte um oder etwas über 30°C
steigt. Ansonsten kühlt es postfrontal merklich ab, z.T. reichte es im Westen
und Nordwesten nicht einmal mehr für 20°C.

In der Nacht zum Samstag schwenkt der Höhentrog ostwärts, während der Luftdruck
am Boden anfängt zu steigen. Dabei schiebt sich ein Bodenkeil bis nach
Süddeutschland vor, der in weiten Teilen des Landes eine Wetterberuhigung
bringt. An den Alpen allerdings kommt es staubedingt zu länger andauernden
Regenfällen, die 10 bis 20 mm, vereinzelt rund 25 mm (keine Warnung) in die
Töpfe bringen. Die Schneefallgrenze dürfte auf etwas unter 2000 m fallen.
Ansonsten kommt es in Küstennähe noch zu weiteren Schauern und kurzen Gewittern,
zudem weht der westliche Wind dort weiterhin frisch mit Böen 7-8 Bft, bei
kräftiger Konvektion 9 Bft, Ob es auch in der Norddeutschen Tiefebene noch für
Böen 7 Bft reicht, wie von ICON vorgeschlagen, ist fraglich.

Samstag... stellt sich über Deutschland eine glatte west-nordwestliche
Höhenströmung ein, aus der sich keine nennenswerten dynamischen Hebungsprozesse
ableiten lassen. Der Bodenhochkeil kräftigt sich noch etwas, während Sturmtief
ELENA die Lofoten nur äußerst ungern in Richtung Norden verlässt. Zwischen ihr
und dem Keil bleibt im Norden ein leidlicher Gradient übrig, der für einen
flotten westlichen Wind mit Böen 7 Bft, an der Küste, im küstennahen Binnenland
und in exponierten Hochlagen 8-9 Bft. Im Süden und in weiten Teilen der Mitte
(Südteil) hingegen weicht der Gradient soweit auf, dass Wind aus warntechnischer
Perspektive kein Thema mehr ist.
Wettertechnisch gestaltet sich der Tag in der eingeflossenen polaren Meeresluft
wechselhaft mit einigen sonnigen Abschnitten, die vor allem im Südwesten und im
Osten anzutreffen sein dürften. Im Norden und Nordosten entwickeln sich in der
weiterhin höhenkalten Luft (T500 knapp unter -25°C) Schauer, an der Küste
aufgrund des guten Feuchtenachschubs von unten häufiger (dort auch
Graupelgewitter mit Sturmböen), im Binnenland eher seltener.
Mit nur noch 15 bis 20°C (T850 1 bis 6°C), am Oberrhein bis zu 22 °C wird es
gerade für die Herrschaften im Osten und Südosten einen mächtigen
Temperatursturz von 10 Grad oder etwas darüber geben.

In der Nacht zum Sonntag richtet sich der Blick schon wieder gen Westen, wo sich
ein neues Sturmtief zusammenbraut, das der Numerik offensichtlich erhebliches
Kopfzerbrechen bereitet und in bisherigen Rechnungen schon mit allen möglichen
Formen und Zugbahnen versehen wurde. Für den Augenblick widmen wir uns der
ICON-Lösung, die ein langgestrecktes, zonal exponiertes Wellentief mit Kern
knapp südlich von Irland (00 UTC) vorsieht. Entwicklungsgünstig unter dem
rechten Jet-Eingang der Frontalzone verlagert es sich bis zum Morgen bei
zunächst nur leichter Intensivierung vor die Südküste Englands. Die zugehörige
Warmfront erreicht Frankreich, die weit nach Osten vorlaufende WLA erfasst ab
dem Abend den Vorhersageraum und sorgt nachfolgend für erste Regenfälle im
Westen und in Teilen der Mitte.
Darüber hinaus gilt es zu konstatieren, dass der Wind im Norddeutschen
Binnenland rasch, an der Küste (von Westen her) nur allmählich seinen Geist
aufgibt, so dass insbesondere an der Ostsee bis zum sonntäglichen Gottesdienst
eine Böenwarnung 7 Bft, vereinzelt 8 Bft fällig wird. Ebenso wie der Wind nehmen
auch die konvektiven Aktivitäten an der Küste von Westen her langsam ab,
gleichwohl reicht es anfangs noch für vereinzelte kurze Gewitter. Der große Rest
des Landes bedarf an dieser Stelle keiner besonderen Erwähnung.

Sonntag... zieht das Tief - wir sind weiterhin bei ELENA - unter Intensivierung
ostwärts. Um 12 UTC erreicht es mit etwa 1005 hPa Kerndruck Südbelgien, um 18
UTC mit etwas über 1000 hPa Oberfranken, um danach via Tschechien zu
entschwinden. Im Schlepptau des Tiefs folgt - allerding mit gebührendem Abstand
- ein knackiger KW-Trog, dessen Achse am Abend den äußersten Westen und
Nordwesten erreicht und in der Folgenacht unter starker Intensivierung über
Deutschland hinwegschwenkt. Auf seiner diffluenten Vorderseite greift zunehmend
PVA auf Deutschland über, die sich mit der zunächst noch andauernden WLA
überlagert und dabei für einen gehörigen Hebungsimpuls sorgt, der erst im
Tagesverlauf durch von Westen aufkommende KLA gedämpft wird.
Und so könnte der Tagesablauf bei aller aus gutem Grund gegebenen gesunden
Skepsis ablaufen. Die Regenfälle aus der Nacht breiten sich unter Intensivierung
über weite Teile des Landes aus, wobei der Schwerpunkt in einem vom nördlichen
RP bzw. dem südlichen NRW über Hessen bis zum südlichen Thüringen bzw. dem
nördlichen Bayern verlaufenden Korridor gesehen wird (und damit nicht weit weg
vom Kurs des Tiefs liegt). Laut ICON sollen dort - Achtung, das hat es sehr
lange nicht geben - sage und schreibe 25 bis 40 mm, gebietsweise sogar um oder
über 50 mm Regen innert 12 h fallen. Oder anders ausgedrückt, trotz wochenlanger
Dürre und Trockenheit müssten wir mindestens eine markante, teils sogar eine
Unwetterwarnung "Dauerregen" herauszugeben - bizarr aber wahr. Wenig bis gar
kein Regen hingegen fällt im äußersten Südwesten sowie im Nordosten.
Punkt 2 neben dem Niederschlag betrifft den Wind, der besonders auf der
Südflanke des durchziehenden Tiefs, später aber auch auf der
Rückseite/Westflanke stürmisch auffrischt ("Warmsektorsturm"). Dabei kommt es
vor allem am Nachmittag und in der ersten Nachthälfte im Süden sowie in der
südlichen Mitte verbreitet zu Sturmböen bis 10 Bft (schwer), in höheren Lagen zu
Orkanböen bis 12 Bft, was angesichts des derzeitigen Vegetations- und
Bodenzustands fatale Folgen hätte. Der Wind dreht dabei von Südost über Süd auf
Südwest, später dann auf West bis Nordwest. Mit Kaltfrontdurchgang kämen am
Abend und in der Nacht sogar noch einzelne Gewitter (WU wegen Orkan) dazu.
Nördlich des Tiefs tut sich windmäßig wenig bis nix, erst später frischt der auf
Nord drehende Wind an der Nordsee steif bis stürmisch auf.
Interessant auch die sonntägliche Temperaturverteilung. So wird im Süden noch
mal ein Schwall subtropischer Warmluft angezapft (T850 10 bis 15°C), während im
Norden zunächst gealterte (um +1°C), später frische (etwas unter 0°C) Polarluft
wirksam ist. Projiziert auf 2 m bedeutet das gerade mal 15°C rund um den Blanken
Hans und bis zu 25 oder 26°C im Oberrheingraben. In der Nacht zum Montag flutet
die frische Polarluft dann den gesamten Vorhersageraum. Der Regen zieht
ost-südostwärts ab, Richtung Küste kommt es noch zu einzelnen Schauern oder
kurzen Gewittern, gepaart mit Böen 7-8 Bft, vereinzelt 9 Bft um Nordwest.


Modellvergleich und -einschätzung
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Die Umstellung der Wetterlage ist eindeutig, der Weg dahin immer noch nicht
ganz. Vor allem das Tief am Sonntag bereitet immer noch gewisse Schwierigkeiten,
auch wenn die Annäherungsversuche ernsthafter werden. So ist IFS inzwischen von
seiner gestern um 00 UTC noch simulierten nördlichen Zugbahn (Jütland) deutlich
nach Süden gerückt, liegt aber immer noch etwas weiter nördlich als ICON. Am
Sonntag soll sich das Tief um 18 UTC knapp nördlich von RB Leipzig befinden
(geringfügig tiefer als bei ICON). Zur gleichen Zeit sieht GFS das Tief unweit
der Rheinmündung, was natürlich eine deftige Diskrepanz darstellt. Kurzum, die
Messe ist noch nicht gelesen, aber schon ganz gut vorbereitet, sprich, es deutet
sich aber ein Haufen Arbeit an. Diese wird wahrscheinlich schon am Samstag
beginnen, wenn hoffentlich die Annäherungsversuche der Modelle Früchte tragen
und man sich über mögliche Vorabinformationen (Regen und Sturm) substanzielle
Gedanken machen kann. Als Grundaxiom lässt sich aber schon heute festhalten: in
der Spur des Tiefs sowie knapp nördlich davon viel Regen, auf der Südflanke
(Warmsektor) Sturm.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann