DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

08-06-2018 08:01
SXEU31 DWAV 080800
S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 08.06.2018 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: HNz (Hoch Nordmeer zyklonal)

Heute und am Wochenende Fortdauer der Gewittersumpflage mit Unwettergefahr,
insbesondere durch (extremen) Starkregen. Dabei durchaus wechselnde räumliche
Verteilung der Gewitter(Schwerpunkte).

Synoptische Entwicklung bis Sonntag 24 UTC
--------------------------------------------------------------
Freitag... verläuft die Frontalzone fernab vom Schuss leicht mäandrierend über
das Nordmeer und Fennoskandien bis nach Russland. Südlich davon fächert der
Potenzialgradient merklich auf und erzeugt einen großräumigen Trogkomplex mit
verschiedenen Drehzentren, aber - kompensatorisch zwingend - auch einigen
antizyklonalen Anteilen. So fallen heute früh gleich drei Höhentiefs ins Auge,
von denen eins bei den Hebriden, das zweite knapp westlich von Kap Finisterre
(Spanien) und das dritte über Korsika liegt. Alle drei Exemplare überzeugen
nicht gerade durch überschwängliche Beweglichkeit auf, so dass sie bis heute
Abend nicht wesentlich von ihrem Ausgangsort wegkommen. Einzig die "Nummer 3"
schafft es bis Mitternacht, den italienischen Stiefel ostwärts zu überqueren und
die nördliche Adria zu erreichen. Tja, und was hat das Ganze nun mit uns bzw.
unserem Wetter zu tun? - Nun, über dem Vorhersageraum hat sich zwischen der
Frontalzone im Norden und den genannten Höhentiefs ein schwacher Höhenrücken
etabliert, der sich vom Balkan bis zur Nordsee respektive Südnorwegen erstreckt.
Er wird sich im Tagesverlauf geringfügig ost-nordostwärts verlagern, so dass die
(extrem schwache) süd-südwestliche Höhenströmung im westlichen Teil unseres
Landes etwas zyklonaler wird. Große dynamische Sprünge lassen sich mit den
durchweg schwachen Höhenwinden freilich nicht machen, gleichwohl lässt sich in
den Diagnosekarten ein wenn auch schwaches Omegaforcing in den genannten
Regionen ausmachen.
Wichtiger scheinen aber die Verhältnisse in der unteren Troposphäre zu sein, wo
man vergeblich nach einen zum Höhenrücken passenden Bodenhoch Ausschau hält.
Stattdessen findet man extrem amorphes Terrain mit einer sich von Süd nach Nord
erstreckenden Tiefdruckzone, in der sich bei höchstaufgelöster
Isobarendarstellung eine von den Alpen nord-nordwestwärts gerichtete Rinne
auszumachen ist. Die Rinne (liebe Deutsche Bahn, die Rinne oder gerne auch das
schwache Tief heißt zwar XISCA, aber bitte, bitte, es handelt sich mitnichten um
ein STURMTIEF) ist nach wie vor angefüllt mit feuchter und potenziell instabiler
Subtropikluft (T850 12 bis 15°C), in der heute bei entsprechender Einstrahlung
ML-CAPE bis zu 1800 J/kg generiert wird bei PPWs um 35 mm. Damit ist trotz
fehlender Scherung ein mehr als passabler Treibstoff vorhanden, um die
konvektive Maschinerie im Tagessverlauf wieder anzuschmeißen und den
Warnmeteorologen einen Haufen Arbeit zu bescheren.
Der Fahrplan dürfte dabei in etwa so ablaufen, dass die Reste nächtlicher oder
besser morgendlicher Gewitter im Westen in die klassische Vormittagsdepression
laufen, bevor es am späten Vormittag/Mittag von neuem losgeht. Brutstätte der
konvektiven Umlagerungen dürften die westlichen und südwestlichen Mittelgebirge
(nebst Harz) und etwas später auch die Alpen sein, bevor zum Nachmittag durch
Erreichen der der Auslösetemperatur, durch sich bildende Konvergenzen und
vielleicht auch durch Outflow-Boundaries auch das Flachland in Frage kommt. Zwar
zeigen die verschiedenen Modelle immer noch gewisse Unterschiede hinsichtlich
der genauen räumlichen Verteilung der Gewitter, im Groben zeichnet sich aber
Streifen ab, der von BW und dem Alpenrand über die westlichen Landesteile bis
hoch in südliche und südwestliche Niedersachsen, ja vielleicht sogar noch bis in
den Hamburger Raum reicht. Eine Vorabinfo wurde nach der Konferenz
herausgegeben.
Über die Begleiterscheinungen gibt es nicht viel Neues zu berichten, aufgrund
der geringen Verlagerungsgeschwindigkeit sowie möglicher rückseitiger
Anbaumechanismen steht weiterhin (extremer) Starkregen ganz oben auf der Agenda,
gefolgt von größeren Hagelansammlungen oder auch mal Hagel von rund 2-3 cm
Durchmesser und danach mit weitem Abstand Wind/Sturm, der in Einzelfällen aber
nicht ausgeschlossen ist.
Ansonsten sei noch festzuhalten, dass in den Osten und Nordosten mit leichtem
Ostwind trockenere Warmluft advehiert wird (Taupunkte teils unter 10°C), in der
den ganzen Tag die Sonne scheint und die Temperatur verbreitet auf über 30°C
steigt (maximal 33°C). In den übrigen Regionen stehen häufig schwülwarme 22 bis
28°C auf der Karte.

In der kommenden Nacht tut sich an der Großwetterlage nur wenig bis gar nichts,
dafür geht aber die Sonne unter, was nicht ganz unerheblich für die weitere
Entwicklung ist. So schwächt sich die am Abend noch wirksame Konvektion
tagesgangbedingt ab, ohne aber gänzlich zum Erliegen zu kommen. Besonders im
Süden, teils aber auch im Westen kann es bis weit in die zweite Nachthälfte
dauern, bis die Gewitter zusammenfallen (MU-CAPE ist jedenfalls ausreichend
vorhanden). Und selbst dann ist immer noch gewittriger (Stark)Regen möglich, so
dass auch die Nachtdienste noch ihren Anteil an der Verwaltung der aktuellen
Gewitterlage abbekommen - ein Anteil, auf den so mancher wohl eher verzichten
könnte.
Dort, wo es tagsüber geregnet hat und für längere Zeit klar bleibt, bildet sich
meist flacher Nebel.

Samstag... erreicht die "Nummer drei" die Balkanhalbinsel, wodurch auch der o.e.
Rücken noch ein Stück nach Osten "gezogen" wird. Somit gelangen wir etwas
nachhaltiger auf die Vorderseite der beiden west-südwestlich von uns gelegenen
Höhentiefs unter eine weiterhin schwache südwestliche Höhenströmung. Sie ist im
Norden und Osten überwiegend antizyklonal konturiert, während im Süden und Osten
durchaus etwas Hebung vor allem durch PVA induziert wird. Die Bodenrinne
vertieft sich geringfügig und nimmt zunehmend eine zonale Ausrichtung an, wobei
sie sich etwas nach Norden verlagert. Damit kommt die potenziell instabile
Warmluft in ihrem Ostteil von den Alpen her etwas weiter nach Norden voran. Ob
Thüringen und Sachsen weitgehend außen vor bleiben, wie von ICON apostrophiert
oder sogar das südliche Sachsen-Anhalt und das südliche BB davon erfasst werden
(GFS, IFS), ist noch offen.
Da sonst ein Luftmassenwechsel nicht ansteht, gelten in etwa die gleichen
Charaktereigenschaften (CAPE, PPW) wie heute, so dass wir dann ab dem späten
Vormittag wieder unser mittlerweile schon zur Routine gewordenes
Gewitterspielchen beginnen können, was aber nicht lustig ist. Insbesondere im
Süden, aber auch in Teilen der Mitte und Westdeutschlands entwickeln sich wieder
teils kräftige und räumlich eng begrenzt bis in den Unwetterbereich gehende
Gewitter, die mit (extremen) Starkregen und/oder Hagel(ansammlungen), weniger
mit Sturm einhergehen. Wo genau die Grenzen zwischen gewitterträchtigen und
gewitterfreien Arealen verlaufen wird, wird von Modell zu Modell jeweils etwas
anders gesehen. Im Nordwesten jedenfalls dreht der Wind auf nördliche
Richtungen, mit dem langsam aber sicher stabilere Luft von der Nordsee
herangeführt wird, die konvektive Umlagerungen verhindert oder zumindest dämpft.
Ob sich diese Stabilisierung auch schon bis NRW durchsetzen wird, bleibt
abzuwarten. Wie auch immer, eine neuerliche Vorabinformation sollte so oder so
nach der Frühkonferenz herausgegeben werden.
Eine Vorabinformation, besser sogar eine Akutwarnung böte sich auch für große
Teile Nord- und Ostdeutschlands an, allerdings nicht vor Gewittern, sondern vor
chronischer Trockenheit. Weiterhin wird von Osten trockene Warmluft
herangeführt, die zwar der Strahlungs- und Wärmebilanz (reichlich Sonne, Tmax
über 30°C) zuträglich ist, für die Wasserbilanz aber pures Gift ist.

In der Nacht zum Sonntag macht sich "Nummer eins" (das Hebriden-Höhentief) auf
den Weg zur nördlichen Nordsee. Auf der Südostseite nimmt die südwestliche
Höhenströmung über Deutschland nicht nur zu, sie bekommt auch einen zyklonaleren
Touch. ICON belohnt diese Änderung des Höhen-Setups mit dynamischer Hebung, die
sich in einem von Nordwestdeutschland über die Mitte bis in den Südosten
reichenden Gewitterstreifen widerspiegelt. Käme es so, würde das Hauptaugenmerk
weiterhin auf Starkregen (bis hin zu Unwettern) liegen, während die Hagelgefahr
abnimmt. Ob es tatsächlich so kommt, ist noch nicht sicher. GFS stützt im
Wesentlichen das ICON-Szenario, IFS hingegen agiert deutlich zurückhaltender.
Man darf gespannt sein, in welche Richtung die konvektionserlaubenden Modelle
tendieren werden.
Dort, wo es für längere Zeit aufreißt und zuvor geregnet hat, bildet sich wieder
(flacher) Nebel.

Sonntag... erreicht "Nummer 1" die Südspitze Norwegens, wodurch die
Höhenströmung bei uns etwa nach rechts auf Südwest-West dreht. Bedingt durch
sehr kurzwellige, in der Potenzialdarstellung mit bloßem Auge kaum erkennbare
Troganteile wird etwas dynamische Hebung generiert, die nach heutiger
Darstellung aber noch recht zufällig und inhomogen über Deutschland verteilt
ist.
Fakt ist, dass der Luftdruck über dem nahen Ostatlantik beginnt zu steigen,
während sich gleichzeitig die Tiefdruckrinne peu a peu über die östlichen
Landesteile gen Polen verlagert. Dazwischen dreht der weiterhin schwache Wind
auf nordwestliche Richtungen, so dass zumindest weite Teile Nordwestdeutschlands
von stabilerer Meeresluft erfasst werden, in der die Schauer- und
Gewitterneigung abnimmt. Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass dieses
Szenario vor allem von ICON propagiert wird, während IFS und GFS durchaus noch
Schauer und Gewitter im Nordwesten zulassen.
Ansonsten verpufft die Winddrehung mehr oder weniger, will heißen, die sehr
warme bis heiße Subtropikluft bleibt feucht und potenziell instabil, wobei sie
in der Osthälfte deutlich Boden nach Norden hin gutmacht, auch wenn die Ostsee
wahrscheinlich nicht erreicht wird. Immerhin reicht es aus, die
Gewitterwahrscheinlichkeit in den östlichen Landesteilen gegenüber den Vortagen
deutlich zu erhöhen, zumal ja auch die Zufuhr trockener Ostluft zusehend
abgestellt wird. Was die Qualität der Gewitter angeht, ändert sich quasi nichts
gegenüber den Vortagen, d.h. auch dieser Tag wird wieder das eine oder andere
Unwetter durch (extremen) Starkregen und/oder Hagel bzw. Hagelansammlungen zu
bieten haben. Abgesehen von der Nordseeküste sowie ein kleines Stück
landeinwärts, wo nur noch 20 bis 24°C anvisiert werden, steigt die Temperatur
wieder auf 25 bis 30°C im Osten gebietsweise auch 1-2 Grad darüber.

Modellvergleich und -einschätzung
--------------------------------------------------------------
Der oben beschriebene großräumige Ablauf ist unstrittig, aber darauf kommt es
zunächst auch nur bedingt an. Wichtiger sind freilich die Details, insbesondere
die Frage, wo genau wie starke Gewitter auftreten. Dabei bleibt uns - wie schon
bei der mehrtägigen Gewitterlage im Mai - nichts anderes übrig, als die Areale
mit der höchsten Gewitterneigung bzw. der größten Unwetterwahrscheinlichkeit
großzügig abzustecken und mit einer Vorabinfo zu belegen, um dann in situ die
klassischen Instrumente des Nowcastings zum Einsatz zu bringen. Dass dabei auch
außerhalb der nach bestem Wissen und Gewissen konstruierten Korridore einzelne
Unwetter auftreten können, muss letztlich in Kauf genommen werden.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann