DWD Synoptische Übersicht Mittelfrist

08-11-2017 21:00
S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T M I T T E L F R I S T
ausgegeben am Mittwoch, den 08.11.2017 um 10.30 UTC



Am Wochenende Zustrom polarer Meeresluft und Übergang zu TrM (Trog
Mitteleuropa), dabei wiederholt Niederschläge, im Bergland zunehmend als Schnee
und zeitweise windig. Kommende Woche Wetterberuhigung.
__________________________________________________________

Synoptische Entwicklung bis zum Mittwoch, den 15.11.2017


Das kommende Wochenende - es fällt genau auf den Beginn des mittelfristigen
Prognosezeitraums - wird für den Prognostiker, den synoptisch geschulten
(Halb)Laien sowie den klassischen Wetterfreak hochinteressant und spannend,
während das Urteil des gemeinen "Wetterverbrauchers" auf der Straße unter dem
Strich wohl eher bescheiden ausfallen wird. Wie kommt das?

Als Protagonisten des wochenendlichen Wetterfilms ist auf der einen Seite ein
hochreichendes Sturmtief über Nordeuropa zu nennen, das von der Norwegischen See
allmählich auf das skandinavische Festland zieht. Dem gegenüber steht das leicht
nach Norden verschobene Azorenhoch über dem Osttalantik, das sich im Laufe des
Wochenendes kaum vom Fleck rührt. Zwischen diesen Gebilden baut sich ein
veritabler Luftdruckgradient auf, der wiederum eine flotte westliche, später auf
Nordwest drehende Strömung induziert, mit der am Sonntag und auch noch am Montag
auf direktem Wege Meereskaltluft aus polnahen Regionen weit nach Süden vorstößt.

Bevor es soweit ist, steht am Samstag zunächst noch die Passage einer Welle auf
der Agenda, mit der vorübergehend mildere Meeresluft vor allem in die südlichen
Landesteile geführt wird. Bei genauerem Hinsehen stellt man fest, dass diese
Welle eine prominente Vorgeschichte hat. Sie ist ein Relikt des ehemaligen
tropischen Sturms RINA (kein Hurrikan), der heute auf dem westlichen
Nordatlantik ein großes Stück südlich von Neufundland auftaucht. Laut
numerischer Prognosen schafft es die Welle, Reste tropischer Warmluft (markiert
durch hohe pseudopotenzielle Temperaturen) zumindest bis nach Westeuropa,
vielleicht sogar in Teile Deutschlands (Süden/Südwesten) zu verfrachten. Das
"vielleicht" resultiert aus der Tatsache, dass die Zugbahn der Welle noch nicht
endgültig feststeht (siehe dazu auch folgende Kapitel).
Auf Basis von IFS jedenfalls zieht die Welle am Samstagnachmittag von Benelux
kommend knapp nördlich der Mittelgebirgsschwelle ostwärts durch, bevor danach
die zugehörige Kaltfront von Nordwesten her nach Süden vorstößt und am
Sonntagmorgen die Alpen erreicht. Die rückseitige KLA sorgt nicht nur für eine
gesamttroposphärische Abkühlung sondern - statisch konsequent logisch - auch für
einen nachhaltigen Potenzialverlust in der Höhe. Die entsprechende Austrogung
erfasst nahezu ganz Mitteleuropa und setzt sich auch südlich der Alpen noch
fort. Bis zum Ende des Wochenendes jedenfalls (Sonntag, 24 UTC) ist ganz
Deutschland mit maritimer und hochreichender Polarluft geflutet, in der die
850-hPa-Temperatur auf -2 bis knapp -5°C, in 500 hPa mit Ausnahme des Südostens
auf knapp unter -30°C zurückgeht.

Zu Beginn der neuen Woche tropft der Trog über Oberitalien ab (was die dort
zuvor schon eingeleitete Bodenzyklogenese deutlich forciert), während das
nördliche Residuum rasch nordostwärts über die Ostsee abzieht. Vom nahen
Atlantik schiebt sich ein bis zum Nordmeer reichender Höhenrücken etwas dichter
an den europäischen Kontinent heran, was nicht nur in der unteren Troposphäre
(dort war das vorher schon der Fall), sondern auch weiter oben zunehmend
nordwestliche bis nördliche Winde zu Folge hat.
Am Boden zieht am Montag ein kleines frontenloses Tief (möglicherweise ein
ehemaliges Polar-Low) von der Nordsee nach Nordwestdeutschland und an den Alpen
ist leichter Stau wirksam. Insgesamt bleibt somit das unbeständige Wetter mit
Schneefällen in den Bergen zunächst noch erhalten. Erst im weiteren Verlauf der
Woche, wenn der Höhenrücken etwas mehr Zugriff auf den Vorhersageraum bekommt
und gleichzeitig der Luftdruck deutlich steigt (zur Wochenmitte GWL-Typus H&M
(Hoch Mitteleuropa)), ist mit einer Wetterberuhigung und einer deutlich
abnehmenden Niederschlagsneigung zu rechnen.
__________________________________________________________

Bewertung der Konsistenz des operationellen Laufs


Beurteilt man die Modellkonsistenz des IFS (ECMF) auf Basis großräumiger
Strukturen, was man bei der Betrachtung der mittelfristigen Wetterentwicklung
primär tun sollte, so kann auch heute von einer guten bis sehr guten Konsistenz
gesprochen werden. Der am Wochenende bevorstehende Zustrom polarer Meeresluft
mit sehr unbeständigem Wetter kann somit als sicher eingestuft werden.
Im Detail freilich fällt das Urteil etwas anders aus. Hier bereitet vor allem
die am Samstag durchziehende Welle noch einiges Kopfzerbrechen. Besonders die
Zugbahn wird nicht nur modellintern (also von Lauf zu Lauf), sondern auch im
Vergleich mit anderen Modellen uneinheitlich simuliert.
In der kommenden Woche deutet sich dann - wie in den Läufen zuvor auch schon -
von Westen her zunehmender Hochdruckeinfluss an, wobei aber ebenfalls noch ein
paar Detailfragen offen sind (insbesondere in Bezug auf die Nachhaltigkeit des
Hochs).
__________________________________________________________

Vergleich mit anderen globalen Modellen


Auch nach Sichtung der an dieser Stelle für gewöhnlich begutachteten
Globalmodelle besteht am Generalkurs der großräumigen Strömungskonfiguration
kein Zweifel. Trotzdem treten auch dabei - wie bereits in den Kapiteln zuvor
angedeutet - Unterschiede und Inkonsistenzen im Detail auf. Ein wesentlicher
Punkt ist dabei die für Samstag prognostizierte Welle. Sie wird auf Basis der
heutigen 00-UTC-Läufe zwar von allen Modellen simuliert (was auch nicht immer
der Fall ist), allerdings weichen Zugbahn und Timing z.T. noch erheblich
voneinander ab. So rechnet z.B. GFS die Welle nicht nur auf einer deutlich
nördlicheren Zugbahn als IFS (Nordsee-Jütland-Südschweden) sondern auch noch
wesentlich kräftiger. Mithin soll sich die Welle zu einem kleinen eigenständigen
Randtief mit einem Kerndruck unter 980 hPa am Samstag 24 UTC entwickeln. ICON
wiederum setzt gegenüber IFS auf eine geringfügig spätere und vor allem etwas
südlichere Zugbahn (südliche Mitte Deutschlands), ähnlich (aber mit noch mehr
Verspätung) simuliert GEM.
Dass diese Unterschiede z.T. erhebliche Auswirkungen auf die genaue
Wetterentwicklung haben, ist evident. Am augenscheinlichsten wird das beim
Parameter Niederschlag, wo von Samstag auf Sonntag z.B. im Schwarzwald und im
Allgäu das Spektrum von "Land unter" (ICON lokal über 100 mm/24 h!!) bis zu
"etwas Regen" (GFS um 10 mm/24 h) reicht. Das IFS selbst ist diesbezüglich
vergleichsweise stabil und liegt etwa in der Mitte zwischen den genannten
Extrema.
Differenzen ergeben sich selbstverständlich auch beim Wind, der bei der
GFS-Version am stärksten (weite Teile Deutschlands), bei ICON am wenigsten
(äußerster Süden, Küste) auffrischt.
In Bezug auf den für nächste Woche geplanten zunehmenden Hochdruckeinfluss
zeigen sich die Modelle im Grundsatz einig, im Detail aber noch nicht. So lassen
die anderen Modelle am Dienstag zunächst noch eine Störung (okkludiertes
Frontensystem) über Deutschland ziehen, während IFS heute davon nichts mehr
wissen will (gestern noch WLA über den Rücken hinweg und Warmfront).
FAZIT: Die Grundrichtung passt, einige wichtige Details noch nicht.

__________________________________________________________

Bewertung der Ensemblevorhersagen


Die ECMF-EPS-Rauchfahnen verschiedener deutscher Städte bilden im Wesentlichen
das auf Basis des Hauptlaufs geschilderte Geschehen ab. Ähnlich wie gestern auch
schon liegt am Wochenende vor allem bei T850 noch immer eine gewisse Streuung
vor, die auf die unsichere Entwicklung rund um die Welle hindeutet. Am Montag
bündelt sich die Kurvenschar dann wieder, bevor sie am Mittwoch (genauer gesagt
schon im Laufe des Dienstags) erneut beginnt zu divergieren - mit klarem Trend
nach oben.
Beim Parameter Pot500 hält sich die Streuung über den gesamten
Vorhersagezeitraum hinweg in Grenzen. Die Kurve zeigt eine einfache
cosinus-ähnliche Kurve mit Maxima am kommenden Freitag und Mittwoch und einem
Minimum am frühen Montag. Zwischen den Maxima liegt ein niederschlagsreiches
Fenster mit einer Intensitätsspitze je nach Region am Samstag oder Sonntag.
Zu den GFS-EPS-Rauchfahnen ist zu sagen, dass das Ensemble keinen Zweifel daran
lässt, dass die Welle (oder das Randtief, so es sich denn als solches
entwickelt) weit nördlich durchgeht und entsprechend am Samstag noch mal milde
Luft weit nach Norden vorankommen lässt.
Bei der ECMF-EPS-Clusterung für den Zeitraum T+72...96 h (Samstag bis Sonntag)
spiegelt sich die Möglichkeit einer weiter nördlich liegenden Zugbahn lediglich
im mit nur 9 Fällen besetzten CL 3 an. CL 1 (23 Fälle + HL/KL) sowie CL 2 (13)
und CL 4 (6) bleiben auf ähnlichem Kurs wie der Hauptlauf mit leichtem
zeitlichem Versatz.
Wenig verwunderlich angesichts der vorübergehend abnehmenden Streuung ist die
Tatsache, dass von Montag bis Mittwoch (T+120...168 h) nur ein einziger Cluster
vorliegt. Das ändert sich in der erweiterten Mittelfrist (T+192...240 h,
Donnerstag bis Samstag), wenn sich die Zahl der Cluster auf drei erhöht (21, 16,
14 + HL/KL). CL 3 favorisiert Hochdruckeinfluss, CL 2 steuert auf eine S-SW-Lage
zu und CL 1 eher auf eine antizyklonale NW-Lage.
FAZIT: Die Grundrichtung passt, einige wichtige Details noch nicht - kennen wir
irgendwo her.
_________________________________________________________

Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen


Mit der bevorstehenden Umstellung der Wetterlage zeichnet sich auch
warntechnisch wieder mehr Arbeit ab. Dabei stehen am Wochenende sowohl
WIND/STURM als auch NIEDERSCHLAG im Blickpunkt des Geschehens.
Egal ob deterministisch oder probabilistisch, es liegen ausreichend Signale vor,
dass es besonders am Samstag, abgeschwächt auch am Sonntag an den Küsten sowie
im höheren Bergland stürmisch wird (8 bis 9 Bft, exponierte Kammlagen auch mal
10 bis 11 Bft). Abseits von Bergen und Meer ist die Windentwicklung am Samstag
aus den oben genannten Gründen (Zugbahn und Intensität der Welle) sehr unsicher,
Böen 8-9 Bft sind aber nicht ausgeschlossen. Ansonsten reicht es im Falle
einzelner GRAUPELGEWITTER (die mit Einfließen der hochreichenden Kaltluft
auftreten können) mal für eine stürmische Böe. Am Montag hin nimmt die
Wahrscheinlichkeit signifikanter Böen allmählich ab.

Zweites Thema sind die wiederholten, nach Frontpassage meist schauerartigen
Niederschläge. An den Alpen stellt sich eine Staulage ein, wobei die
Schneefallgrenze im Laufe des Sonntags bis in die Täler sinkt. Zuvor deuten
COSMO-LEPS und (abgeschwächt) auch ECMF-EPS für Samstag im Schwarzwald, im
Allgäu und im Bayerischen Wald markanten DAUERREGEN mit mehr als 30 mm innert 24
an. COSMO-LEPS hat dabei die Wahrscheinlichkeiten gegenüber gestern etwas
erhöht. Danach sind punktuell sogar Mengen über 50 mm/24 h (Unwetter) denkbar.
Wie gesagt, vieles hängt von der Zugbahn der Welle ab. Ab Sonntag schneit es bis
in mittlere Höhenlagen, wobei markante Mengen wohl nur im Stau der Alpen
auftreten werden.
________________________________________________________

Basis für Mittelfristvorhersage
MOS-Mix mit ECMF-EPS
________________________________________________________


VBZ Offenbach / Dipl. Met. Jens Hoffmann