DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

29-06-2017 09:00
SXEU31 DWAV 290800
S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 29.06.2017 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: TM (Tief Mitteleuropa) mit Übergang zu NWz bis NWa (Nordwest zyklonal bzw.
antizyklonal)

Heute bis in die kommende Nacht im Osten und Nordosten ergiebige Regenfälle mit
eingelagerten Gewittern, dabei hohe Unwettergefahr. Gebietsweise auch extremes
Unwetter mit mehr als 60 l/qm in 6 h oder 70 l/qm in 12 h. Im äußersten Norden
und Nordosten aufkommender Dauerregen, gebietsweise Unwetter (> 50 l/qm innert
24 h). Ansonsten Schauer und einzelne Gewitter, dabei aber kaum noch
Unwettergefahr.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 24 UTC
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Donnerstag... 29. Juni, der dritte Donnerstag hintereinander, der uns eine
Unwetterlage beschert. Im heutigen Fall weniger durch kräftige Konvektion ergo
schwere Gewitter (die hatten wir ja gestern und vorgestern), sondern durch
(teilgewittrige) Stark- und Dauerregenfälle.
Zur Lage: Deutschland befindet sich im östlichen Bereich eines breiten
Höhentroges mit Drehzentrum über dem Westteil des Ärmelkanals. Dabei zieht heute
ein von Norditalien und dem Alpenraum kommender Randtrog über Tschechien,
Westpolen und den Osten unseres Landes sehr langsam aber sicher nordwärts.
Korrespondierend dazu hat sich über Tschechien ein kleines, aber wirksames
Bodentief entwickelt, das ebenfalls einen Nordkurs einschlägt und - nachdem die
Numerik im Vorfeld einige Schwierigkeiten mit der Positionierung hatte - wohl
auf der polnischen Seite knapp östlich von Neiße und Oder entlangzieht. Das
kleine Tief - es handelt sich um RASMUND den Dritten - ist Bestandteil einer
umfangreichen, mit mehreren Kernen gespickten Tiefdruckzone (darin sind die
übrigen RASMUNDS verortet), die quasi von UK/Irland bis zum östlichen
Mitteleuropa reicht. Während im Westteil des gesamten Strömungskonstrukt
erwärmte und leicht labil geschichtete Meeresluft polaren Ursprungs erst süd-
und dann ostwärts gesteuert wird, gelangt vorderseitig sehr feuchte und
mittlerweile nur noch bedingt labil geschichtete Subtropikluft aus dem zentralen
Mittelmeerraum nach Norden und später ("herumgeholte Warmluft") auch noch ein
Stück nach Westen.
Dynamische Prozesse am Randtrog (PVA) und günstige Scherungsbedingungen (W-NW in
der unteren vs. O-SO in der mittleren Troposphäre) sorgen für einen veritablen
Hebungsantrieb, der wiederum in starkem Maße mit der feucht-warmen Luftmasse
interagiert, was unter letztlich zu den teile ergiebigen und mit einzelnen
Gewittern durchsetzten Regenfällen führt, die aktuell große Teile der Südhälfte
traktieren. Dabei ist es aber trotz laufender Unwetterwarnungen keinesfalls
überall ein Fluch, dass es kräftig regnet, nicht wenige Regionen haben es bitter
nötig nach wochenlanger Trockenheit.
Wie auch immer, im Tagesverlauf verlagert sich der Schwerpunkt der Regenfälle
über die östliche Mitte hinweg in die östlichen Landesteile (teils advektiv,
teils aber auch durch Neuansetzungen von Tschechien und Polen her), wo
vornehmlich Sachsen und BB, später vielleicht auch noch MV betroffen sein
werden. ICON_Nest wartet dabei im Süden von BB mit sagenhaften 220 l/qm !!!
binnen 12 h auf, was zwar sehr wahrscheinlich nicht so kommen wird, was auf der
anderen Seite aber ein Signal darstellt, das nachdenklich stimmen sollte. Die
Qualität der Luftmasse mit PPWs von über 40 l/qm, die langsame Verlagerung von
Tief und Trog und das damit verbundene Eindrehen des Niederschlags (=>
Quasistationarität), dazu konvektive Verstärkungen sorgen tatsächlich für
ergiebigen Regen, der mit durchaus wechselnder Intensität über Stunden andauert.
Dabei kommen bis in die Nacht hinein durchaus 30 bis 70, stellenweise auch 80
bis 100 l/qm zusammen. Die aktuell laufenden Warnungen stellen eine Schnittmenge
aus verschiedenen Vorhersagetools dar, was aber nicht heißt, dass es im Laufe
des Tages nicht noch Anpassungen geben muss und auch geben wird. Dabei ist nicht
ausgeschlossen, dass an der einen oder anderen Stelle nicht auch noch eine
extreme Dauerregen- bzw. Starkregenwarnung herausgegeben werden muss. Nach
Westen und Nordwesten hin tritt ebenfalls teils gewittriger Starkregen auf,
allerdings dürfte das Ganze dort ein bis zwei Stufen schwächer ausfallen als im
Osten.
Ansonsten gilt zu konstatieren, dass es mit Unterstützung des Tagesgangs in der
in den W und S einfließenden Meeresluft zu einzelnen Schauern und Gewittern
kommt, die aber maximal markant ausfallen (Starkregen, kleinkörniger Hagel,
stürmische Böen). Darüber hinaus frischt der auf westliche Richtungen drehende
Wind im Süden und später (S-SW-Flanke des Tiefs) auch im Osten auf. Eine große
Windlage mit flächigem Überschreiten der 7-Bft-Schwelle wird aber nicht
erwartet. In den Hochlagen der entsprechenden Gebirge treten allerdings
Sturmböen 8-9 Bft auf. Die Tageshöchstwerte liegen zwischen 16 und 24°C.

In der Nacht zum Freitag erreicht das Bodentief von Polen her die Ostsee, von wo
aus sich ein markanter und weit nach Westen reichender Trog erstreckt. Er nimmt
quasi Fühlung zu einem weiteren, bis dato über der Doggerbank positionierten
Tief auf, das sich nun aber zunehmend auffüllt. Unter dem Strich bleibt
letztlich ein stark elliptisch konfiguriertes Tief über, das uns zumindest bis
in den Samstag hinein beschäftigen wird.
Zunächst mal aber verlagern sich die Starkregenfälle mehr und mehr in den
äußersten N und NO des Landes. Dabei können immer noch einzelne Gewitter
eingelagert sein, tendenziell lässt die Numerik aber Abschwächungstendenzen
erkennen. Gleichwohl besteht anfangs noch Unwettergefahr durch Starkregen, vor
allem in MV. Dagegen zeichnet sich in SH vor dem Hintergrund der freitäglichen
Entwicklung eher eine 24-h-Dauerregenlage ab, die im Wesentlichen markant (30-50
l/qm) ausfallen sollte, gebietsweise Unwetter aber nicht ausschließt (für Teile
SHs wurde deswegen eine Vorabinformation geschaltet).
In den übrigen Landesteilen lässt die Konvektion nach, teilweise klart es auf.
Der Wind lässt ebenfalls nach, wobei er im NO ebenfalls auf westliche Richtungen
dreht.

Freitag... verbindet sich das sich abschwächende Drehzentrum des Höhentroges
über dem Ärmelkanal mit dem mittlerweile über der Ostsee angekommenen o.e.
Randtrog. Das Ergebnis ist ein langgestrecktes Höhentief, dessen Achse zur
Mittagszeit vom Westeingang des Ärmelkanals über NW-Deutschland bis zu den
baltischen Staaten reicht. Für weite Teile des Vorhersageraums bedeutet das eine
relativ unspektakuläre südwestliche Höhenströmung ohne nennenswerte Dynamik. Nur
der äußerste Norden liegt unter einer nordöstlichen Höhenströmung, in der WLA
wirksam ist. Die Folge sind Hebungsprozesse, die im äußersten N (Teile von SH
und MV) stratiformen Dauerregen induzieren, Tendenz wahrscheinlich erst zum
Abend hin nachlassend. Bis dahin können durchaus noch mal 15 bis 25, lokal um 30
l/qm zusammenkommen.
Darüber hinaus lässt sich festhalten, dass nicht nur in der Höhe ein
langgezogenes elliptisch geformtes Tief uns seinen Stempel aufdrückt, nicht
wesentlich anders sieht es im Bodendruckfeld aus. Dort erreicht RASMUND III
Südschweden, von wo aus sich ein gefühlt unendlicher Bodentrog mit eingelagerter
Okklusion (die die abgehobene herumgeholte Warmluftzunge markiert) weit nach
Südwesten erstreckt. Südlich dieses Konstrukts ist inzwischen der gesamte
Vorhersageraum mit gemäßigter und leicht labil geschichteter maritimer Polarluft
(man beachte den weiten Boden, den die Polarluft um den besagten Bodentrog
schlagen muss) geflutet ist. Mit 7 bis 10°C in 850 hPa ist das
niedertroposphärische Temperaturniveau aber noch ziemlich hoch.
Wettermäßig verabschiedet sich der Juli folglich recht wechselhaft mit einer
Mischung aus sonnigen Abschnitte (vor allem nach SO hin) und wechselnder bis
starker Bewölkung, aus der sich Schauer und einzelne Gewitter (maximal markant)
entwickeln. Auch abseits von Schauern und Gewittern frischt der südwestliche
Wind mitunter stark böig auf mit stürmischen Böen in einigen Hochlagen.
Warnungen 7-8 Bft dürften wohl aber nur an der Ostsee und vielleicht
gebietsweise im Mittelgebirgsraum fällig werden. Die Temperaturen: im Norden nur
15 bis 19°C, sonst 19 bis 24°C.

In der Nacht zum Samstag schwenken Höhen- und Bodentrog langsam von der Nordsee
und Benelux her südostwärts. Dabei kommt es im N und NW mit abschwächender
Tendenz zu stratiformen Regenfällen, während sonst die Konvektion
tagesgangbedingt wieder nachlässt.

Samstag... short version: dreht sich das ganze elliptische Druck- und
Potenzialsystem gegen den Uhrzeigersinn, was Boden- und Höhentrog weiter in den
Vorhersageraum eindringen lässt. Dabei kommen weite Teile der NW-Hälfte in den
Genuss länger andauernden und mitunter auch mal kräftigeren Landregens. Ob dabei
Warnschwellen (markant) überschritten werden, ist noch nicht sicher. Am ehesten
vorstellbar sind die Staulagen der westlichen Mittelgebirge, ansonsten dürfte es
wohl nicht reichen.
Nach O und S hin sind Niederschläge eher konvektiver Natur in Form von Schauern
und einzelnen markanten Gewittern, wobei die Wahrscheinlichkeit dafür im Osten
am größten ist (ML-CAPE bis zu 500 J/kg, PPW über 25 mm). Der südwestliche Wind
frischt mitunter böig auf, großflächige Warnungen werden aber nicht nötig.

Modellvergleich und -einschätzung
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An der eigentlichen Entwicklung bis Samstag bestehen keine Zweifel. Bei den
Niederschlägen haben sich die Modelle zwar angepasst, trotzdem bleiben
Unschärfen. Imposant dabei die gut 140 l/qm, die selbst das IFS von ECMF (sonst
nicht unbedingt für extremen Regen bekannt) in einem der trockensten Gebiete
Deutschlands (nordwestlich von Berlin) platziert.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann