DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

22-06-2017 09:00
SXEU31 DWAV 220800
S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 22.06.2017 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
Ab heute Mittag in weiten Teilen des Landes kräftige, lokal eng begrenzt auch
schwere Gewitter (Unwetter). Kommende Nacht vor allem in der Osthälfte häufiger
und im Süden vereinzelt kräftige bis schwere Gewitter.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 24 UTC
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Donnerstag... steht eine schon seit längerem angekündigte und in den
einschlägigen Berichten kommunizierte Gewitterlage ins Haus. Der Trigger dafür
ist ein vor allem in 500 hPa markant ausgeprägter Kurzwellentrog, der sich von
den Britischen Inseln über die Nordsee bis Freitag, 00 UTC, nach
Nordostdeutschland verlagert. Der vorgelagerte Höhenrücken erreicht heute Mittag
das Vorhersagegebiet und zieht abends weiter nach Polen.
Dabei sind im Groben zwei Regionen mit markantem Hebungsantrieb auszumachen:
Einerseits weit vorlaufend aufgrund von WLA, die den Höhenrücken überläuft und
aktuell bereits auf den Norden des Vorhersagegebiets übergreift. Dabei wirkt
keilvorderseitiges Absinken zwar dämpfend, allerdings greifen aktuell bereits
vorderseitig der Warmfront eines Bodentiefs südöstlich von Island gewittrige
Regenfälle von der Nordsee her auf Schleswig-Holstein über. Diese sind aktuell
noch von der (vorderseitig der Warmfront recht kühlen) Grundschicht abgekoppelt
und fallen zunächst nicht allzu heftig aus. Dennoch ist lokal eng begrenzt
insbesondere mit Starkregen und Sturmböen zu rechnen.
Die Gewitter verlagern sich mittags und am frühen Nachmittag recht rasch weiter
südostwärts und erreichen eventuell noch den Hamburger Raum, das nordöstliche
Niedersachsen sowie Mecklenburg-Vorpommern, das nördliche Sachsen-Anhalt und
eventuell noch Nordbrandenburg. Im Tagesgang können sie sich etwas verstärken,
so dass vor allem bzgl. Starkregens auch Unwetter nicht ausgeschlossen ist. In
einigen Vorläufen "geisterte" noch das Szenario eines kurzwelligen Randtroges,
der den Keil überlaufen und zusätzlich für PVA- induzierte Hebung sorgen sollte.
Dieses Szenario hätte natürlich erhebliche Konsequenzen auf die Qualität der
Gewitter insbesondere im Nordosten des Landes. In diesem Fall bestünde deutlich
erhöhtes Unwetterpotenzial auch bzgl. größeren Hagels und schwerer Sturm- bzw.
Orkanböen und aufgrund niedriger Wolkenbasen sowie günstiger Winddrehung mit der
Höhe ("veering") auch eine gewisse Tornadogefahr.
Allerdings scheint diese Lösung erst einmal vom Tisch zu sein.
Somit gilt es erst einmal, im Tagesverlauf den Fokus auf die Entwicklungen
weiter westlich zu richten. Der Warmsektor des Tiefs hat inzwischen weite Teile
Deutschlands erfasst. Dabei wird von Südwesten her eine potenziell sehr
instabile Luftmasse advehiert, die vor allem den Südwesten/Westen, die Mitte und
nachmittags und abends auch den Norden und Osten Deutschlands erfasst. Dabei
wird eine ML-Cape von verbreitet 1500 bis 2000 J/kg simuliert, stellenweise auch
mehr. Insgesamt sind diese Werte mit etwas Vorsicht zu genießen, insbesondere
das GFS und die darauf basierenden Konvektion erlaubenden Modelle simulieren bei
einer derartigen Konstellation in der Regel viel zu hohe Taupunkte und deshalb
auch eine teilweise exorbitant hohe Cape (bis über 3500 J/kg im aktuellen Lauf).
Dennoch reichen auch 2000 J/kg bei passenden Umgebungsbedingungen locker für
konvektive Entwicklungen bis in den Unwetterbereich. Nebenbei: PPW-Werte von
über 30 mm lassen natürlich ebenfalls "Schlimmeres" erwarten.
Aufgrund der kräftigen nieder- und mitteltroposphärischen WLA ist die Luftmasse
im Warmsektor erst einmal stark "gedeckelt". Es bedarf also eines kräftigen
Triggers, um überhaupt Konvektion zu erlauben. Als Trigger könnte einerseits
eine Konvergenz fungieren, die sich aktuell über Benelux befindet und von Westen
her mittags auf das Vorhersagegebiet übergreift, andererseits aber auch die
Orographie. Dabei simulieren quasi alle aktuell vorliegenden Konvektion
erlaubenden Modelle (COSMO-DE, WRF 4 km von gestern 15 UTC, Arome von gestern,
18 UTC) ab den frühen Nachmittagsstunden Auslöse entlang der Konvergenz im
Westen und in der Mitte des Landes, trotz des starken Deckels. Recht gradlinige
Hodographen am Nachmittag und Abend in dieser Region lassen zwar eine recht
rasche lineare Verclusterung erwarten, dennoch könnte der starke Deckel das erst
einmal verhindern, so dass die Zellen eventuell auch für ein bis zwei Stunden
diskret bleiben könnten. Angesichts der mäßig hohen Cape und der vor allem zum
späten Nachmittag und Abend hin zunehmend kräftigen Scherung (abends: 15 bis 25
m/s DLS bzw. über 10 m/s LLS) weisen diese Zellen ein hohes Unwetterpotenzial
auf, zunächst vor allem in Punkto Großhagel (bis 5 cm) und Starkregen (über 30
mm in kurzer Zeit), dann aber zunehmend auch in Punkto schwerer Sturm- bis hin
zu Orkanböen (Down- bzw. Microburst), letztere vor allem bei beginnender
Verclusterung und aufgrund des hohen Spreads vor allem im Westen und in der
Mitte des Landes.
Nach Osten zu wird eine feuchtere Grundschicht simuliert, so dass sich die
Wolkenbasen dort in geringerer Höhe befinden dürften, was für ein leicht
erhöhtes Tornadopotenzial sprechen würde. Etwas dagegen spricht allerdings die
Richtungsscherung in der Grundschicht.
Weiter südlich, also in Bayern und Baden-Württemberg, ist ebenfalls Auslöse
möglich, dort allerdings orographisch getriggert und somit wohl eher erst ab den
Abendstunden. Die Gewitter dürften dann ebenfalls Unwetterpotenzial aufweisen.
Mit Annäherung der Trogvorderseite und zunehmender, PVA- induzierter Hebung
dürfte es dann ab den späten Nachmittags- bzw. frühen Abendstunden im Vorfeld
der Kaltfront des Tiefs, die in der ersten Nachthälfte den Nordwesten erreicht,
eben dort ebenfalls zur Auslöse kommen. Auch dieser zweite Schwerpunkt wird
recht einheitlich von den Modellen simuliert. Mit der kräftigen Hebung ist wohl
mit rascher Organisation zu einer markanten Gewitterlinie zu rechnen
(Squallline), wobei aufgrund der markanten Scherung auch Bow-Segmente denkbar
sind. Diese Linie kommt in den Abendstunden und in der ersten Nachthälfte rasch
ost- bis südostwärts voran. Dabei besteht ein erhöhtes Potenzial für schwere
Sturmereignisse in Form von Down- bzw. Microbursts. Dabei sind dann lokal eng
begrenzt, aber eventuell häufiger auftretend, Windgeschwindigkeiten bis über 120
km/h denkbar. Begleitet werden diese Gewitter gleichfalls von Starkregen bis in
den Unwetterbereich und Hagel, der allerdings eher kleinkörniger ausfällt als am
Nachmittag.
Im Vorfeld der Gewitter scheint - außer im Norden - nochmals häufig die Sonne.
Bei Temperaturen in 850 hPa, die in der Südhälfte die 20- Gradmarke
überschreiten, erreichen die Höchsttemperaturen Werte zwischen 28 und 34 Grad,
im Südwesten stellenweise auch bis 36 oder gar 37 Grad. Etwas kühler bleibt es
im Norden und Nordosten.

In der Nacht zum Freitag verlagert sich der Trog rasch weiter nach Polen. Die
Kaltfront zieht über der Nordhälfte rasch nach Südosten, und erreicht die
mittleren Landesteile, wo sie kaum weiter nach Süden vorankommt. Dort wird die
instabile Luftmasse noch nicht verdrängt, so dass mit weiteren Gewittern zu
rechnen ist, die auch unwetterartig sein können. Ansonsten verlagert sich die
Hauptgewitteraktivität rasch in die Osthälfte und in der zweiten Nachthälfte
weiter nach Polen. Dabei muss insbesondere in der ersten Nachthälfte weiterhin
mit Unwettern, vor allem in Punkto Sturmböen gerechnet werden. Postfrontal kommt
es zu einer raschen Wetterberuhigung, allerdings verschärft sich der
Druckgradient an der Südflanke eines am Okklusionspunkt entstehenden und von der
Nordsee bis Freitagfrüh nach Polen ziehenden Bodentiefs, so dass es insbesondere
im Nordseeumfeld steife Böen aus Nordwest geben kann.

Freitag... schwenkt ein flacher Höhenrücken unter Amplitudenverlust rasch über
das Vorhersagegebiet hinweg ostsüdostwärts und wir geraten auf die Vorderseite
eines kräftigen nordatlantischen Höhentroges mit Drehzentrum südlich von Island.
Großartige synoptische Hebungsantriebe sind kaum auszumachen, lediglich im
Norden wird etwas WLA wirksam.
Im Bodenfeld kommt die Kaltfront über Süddeutschland mangels Schubkomponente
kaum mehr nach Süden voran. Vor allem die Regionen südlich der Donau (Alpen,
Alpenvorland) verbleiben noch im Einflussbereich instabiler Luftmassen, die aber
bei Weitem nicht mehr die Instabilitätswerte des Vortags aufweisen. Die
simulierte ML-Cape überschreitet kaum die 500 J/kg bei PPW-Werten über 25 mm.
Gewitter sind vor allem orographisch getriggert denkbar (an den Alpen), wobei
als Begleiterscheinungen Starkregen und kleinkörniger Hagel auftreten, Unwetter
bzgl. Starkregens aufgrund der langsamen Zuggeschwindigkeit nicht
ausgeschlossen.
Im übrigen Land steht wettertechnisch ein deutlich ruhigerer Tag ins Haus.
Rückseitig der Kaltfront des weiter Richtung Ukraine ziehenden Tiefs weitet sich
ein flacher Hochkeil in den Westen und Südwesten bzw. in die Mitte des Landes
aus. Vor allem im Osten und Süden bleibt noch ein recht scharfer Druckgradient
aufrecht, so dass dort entsprechend mit starken bis steifen Böen (Bft 6 bis 7)
aus West bis Nordwest gerechnet werden muss. Im ost- und südostdeutschen
Bergland und auf den Alpengipfeln gibt es stürmische Böen, vereinzelt Sturmböen
(Bft 8 bis 9).
Während über die Nordhälfte mit der WLA wieder dichtere Wolkenfelder
hinwegziehen, die aber lediglich ganz im Norden etwas Regen bzw. Nieselregen
bringen können, scheint in der Mitte und vor allem im Süden und Südwesten wieder
häufig die Sonne. Erneut werden im Süden und Südwesten Höchstwerte um oder knapp
über 30 Grad erreicht, am Oberrhein eventuell bis 34 Grad, in der Mitte dagegen
angenehmere 24 bis 29 Grad und im Norden, im Einflussbereich erwärmter
Meeresluft bzw. unter den dichteren Wolken, nur 18 bis 24 Grad.

In der Nacht zum Samstag verlagert der nordostatlantische Höhentrog sein
Drehzentrum allmählich südostwärts und weitet sich etwas nach Süden aus. Das
korrespondierende Bodentief vertieft sich noch etwas und befindet sich
Samstagfrüh in etwa bei den Färöer-Inseln. Die Kaltfront des Tiefs erreicht dann
in etwa die Deutsche Bucht. Dabei verstärken sich vorderseitig die allerdings
weiterhin nicht allzu markanten, hauptsächlich WLA- induzierten, aber auch durch
PVA unterstützten Hebungsprozesse über dem Norden und Nordwesten des Landes und
leichte Regenfälle setzen ein. Insgesamt werden aber nur 1 bis 5 mm in 12
Stunden simuliert, stellenweise auch etwas mehr.
Von Warnrelevanz bleibt allerdings der Wind. Über Südskandinavien bildet sich
ein Teiltief und hält den recht scharfen Druckgradienten über dem äußersten
Norden aufrecht. Somit kann es an den Küsten, insbesondere der Nordsee,
weiterhin steife Böen (Bft 7) aus West bis Südwest geben. Im Binnenland nimmt
der Wind dagegen ab. Lediglich auf dem Brocken, eventuell auch Fichtelberg kann
es noch stürmische Böen geben.
Ansonsten verläuft die Nacht ruhig, eventuelle Gewittertätigkeit an den Alpen
sollte nachts zum Erliegen kommen. Vor allem in der Mitte und im Süden klart es
oft auf und es steht eine temperaturtechnisch einigermaßen angenehme Nacht ins
Haus.

Samstag... verbleiben wir an der Südostflanke des nordostatlantischen
Höhentroges, dessen Drehzentrum sich allmählich zu den Shetlands verlagert,
unterhalb einer kräftigen westlichen Höhenströmung. Nach wie vor sind nicht
allzu markante Hebungsantriebe auszumachen, die hauptsächlich aus kleinräumigen
PVA-Maxima vorderseitig nur sehr flach konturierter kurzwelliger Troganteile
fungieren.
Die Kaltfront des mit dem Höhentrog korrespondierenden, sich allmählich
auffüllenden Bodentiefs bei den Färöer kommt mangels Schubkomponente über
Norddeutschland kaum mehr nach Süden voran und erreicht am Abend in etwa eine
Linie südliches Emsland - Uckermark. In ihrem Einflussbereich gibt es weiterhin
maximal leichte Niederschläge (1 bis 5 mm in 12 Stunden, punktuell mehr). Der
Bodenhochkeil über West- und Süddeutschland zieht sich ein wenig nach Südwesten
zurück, so dass sich der Druckgradient über weiten Teilen des Landes ein wenig
verschärft. Unterstützt durch den Tagesgang frischt somit der Wind in weiten
Teilen des Landes aus West bis Südwest auf. In freien Lagen sowie an den Küsten
gibt es steife Böen (Bft 7), in den Kamm- und Gipfellagen der Mittelgebirge und
der Alpen stürmische Böen, exponiert Sturmböen (Bft 8 bis 9).
Der äußerste Süden verbleibt noch im Einflussbereich einer instabilen Luftmasse,
deren Instabilitätswerte sich gegenüber dem Vortag kaum verändern. Erneut wird
eine ML-Cape von 300 bis 600 J/kg simuliert bei PPW-Werten von über 25 mm.
Orographisch getriggert muss dort erneut mit Auslöse gerechnet werden, als
Begleiterscheinungen treten insbesondere Starkregen und Hagel auf, bzgl.
Starkregens eventuell ganz vereinzelt auch bis in den Unwetterbereich.
Am Temperaturniveau ändert sich gegenüber dem Vortag nur wenig. Unter den
dichten Wolken im Norden und Nordosten werden 18 bis 24 Grad erreicht, in der
Mitte 23 bis 28 Grad und im Süden bzw. Südwesten 27 bis 33 Grad.


Modellvergleich und -einschätzung
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Die großräumigen Strukturen werden von allen Modellen ähnlich simuliert. Bzgl.
der Schwergewitterlage heute haben sich die Konvektion erlaubenden Modelle
inzwischen weitgehend geeinigt, wenngleich es noch kleinere Differenzen, die
räumliche Verteilung der Gewitter und die Intensität der zweiten Gewitterlinie
am Abend im unmittelbaren Vorfeld der Kaltfront betreffend gibt. Der ungefähre
Ablauf wurde im Text ausführlich erläutert.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Winninghoff