DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

15-06-2017 09:00
SXEU31 DWAV 150800
S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 15.06.2017 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Übergang zu HM (Hoch Mitteleuropa) zu NWa (Nordwest antizyklonal)

Heute nach ruhigem und sonnigem Start von Westen her zunehmende
Gewitterwahrscheinlichkeit mit Unwettergefahr!
Morgen im NO windig und kurze Gewitter, sonst allmähliche Stabilisierung.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 24 UTC
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Donnerstag... startet ganz Deutschland unter einem Höhenrücken, der allerdings
bis heute Abend nach Osten abwandert. Dadurch gelangen auf die diffluente
Vorderseite eines sich von Westeuropa nähernden Troges, der es ebenso eilig wie
sein antizyklonaler Vorgänger hat, ostwärts voranzukommen. So liegt seine Achse
am frühen Freitagmorgen bereits mitten über dem Vorhersageraum, überlagert von
reichlich KLA, die in der kommenden Nacht rasch für stabile Verhältnisse sorgt.
Bis es soweit ist, heißt es aber erst mal den Tag und die Abendstunden
"überstehen", was jetzt vielleicht schlimmer klingt als es eigentlich wird.
Tatsache ist, dass mit Abzug des Rückens das Absinken endet und von Westen her
synoptisch-skalige Hebung einsetzt, die im wesentlichen PVA, anfangs auch noch
leichter überlagerter WLA geschuldet ist. Der resultierende Druckfall lässt von
Westen her eine Tiefdruckrinne auf Deutschland übergreifen, die bis morgen früh
relativ zügig nach Osten durchgereicht und in ihrem hinteren (also westlichen)
Teil von einer Kaltfront abgeschlossen, die zu einem aktuell bei Island
positionierten, Richtung Norwegische See ziehenden Tief gehört. Die Kaltfront
wird im Laufe der Abendstunden auf den W und NW übergreifen und - gepusht durch
den Höhentrog - in der Folge flott ostwärts schwenken, wobei sie nach Süden hin
etwas zurückhinkt. Bis Freitagfrüh dürfte aber der größte Teil des
Vorhersageraums von der rückseitig einfließenden subpolaren Meeresluft geflutet
sein, lediglich im äußersten S und SO Bayerns halten sich noch Reste der heute
wetterbstimmenden Warmluft.
Apropros Warmluft, und damit noch mal zurück zur o.e. Tiefdruckrinne, an der wie
bei einer Welle (siehe Analysen) die Luftmassengrenze hängt, die in den letzten
Tagen mehr oder weniger stationär über den Alpen lag. Südlich davon, genauer im
jetzigen Warmsektor, befindet sich feuchte und potenziell instabile
Subtropikluft, die heute vor allem den SW und Teile Westdeutschlands erfasst.
Dabei werden ML-CAPE-Werte von bis zu 1500 J/kg (ICON), lokal etwas darüber
generiert, die zunächst aber noch weitgehend gedeckelt sind. Weiter im NW ist
die Luftmasse zwar auch feucht (PPW über 30 mm), insgesamt aber etwas weniger
labil (siehe LapseRates), was sich sofort in geringeren CAPE-Werten
widerspiegelt. Nach O und NO hin sind wir tagsüber noch über jeden Zweifel
erhaben, sprich, der atmosphärische Treibstoff ist nicht nur relativ trocken und
auch noch stabil geschichtet, es liegt auch noch die "schützende Hand" des
Rückens darüber, so dass nennenswerte Konvektion tagsüber noch nicht zu erwarten
ist - selbst wenn vor der Kaltfront am Nachmittag oder Abend eine mögliche
Konvergenz in den Osten hineinläuft.
So weit, so gut, und welche Schlüsse ziehen wir nun daraus. Mit Unterstützung
einiger konvektionserlaubender Modelle ist folgendes Szenario vorstellbar: Etwa
ab Mittag, durch die vorhandene Deckelung vielleicht auch erst ab dem frühen
Nachmittag entwickeln sich über dem W und SW insbesondere über dem Bergland
erste lokale Gewitterzellen, die mit Starkregen und Hagel, weniger (aber nicht
ausgeschlossen) mit Sturmböen einhergehen können. Räumlich eng begrenzt sind
dabei Unwetter durch Starkregen (>25mm/h) und Hagel (> 2cm) möglich. Im weiteren
Verlauf des Nachmittags, vor allem aber zum Abend hin verstärkt sich die
Gewitteraktivität von Westen her, wobei nach Norden hin bei zunehmender Scherung
die Wahrscheinlichkeit der Bildung einer präfrontalen Gewitterlinie recht groß
ist. Diese überquert den Norden und die Mitte in der Nacht relativ flott
ostwärts, wobei der Schwerpunkt neben den Blitzen auf dem Wind liegt. Zwar sind
die niedertroposphärischen Höhenwinde nicht exorbitant hoch (850 hPa bis 35 Kt),
trotzdem sind aufgrund der guten Organisation und der trockenen Grundschicht
(inverted V; starke Fallböen) Sturmböen oder sogar schwere Sturmböen 9-10 Bft zu
erwarten. Starkregen ist wegen der zügigen Verlagerung weniger wahrscheinlich,
Hagel dürfte aufgrund limitierter CAPE-Werte eher im kleinkörnigen Bereich
bleiben.
Weiter südlich nimmt die Gewitteraktivität ebenfalls zu, wobei es zu einer
Verclusterung der verschiedenen Einzelzellen und möglicherweise zur Bildung
eines MCS kommen kann (möglicherweise spielt der Scheitel der o.e. Welle bzw.
der Okklusionspunkt dabei eine tragende Rolle), der dann im Laufe der Nacht über
Teile Süddeutschlands ost-südostwärts zieht. Die größte Gefahr geht dabei von
Starkregen, anfangs auch noch größerem Hagel aus, wobei Unwetter als
wahrscheinlich anzusehen sind. Sturmböen oder gar schwere Sturmböen sind dabei
ebenfalls nicht ausgeschlossen, vor allem dann nicht, wenn es eine mögliche
Anbindung (siehe z.B. WRF4) zur Linie weiter nördlich geben sollte.

In der Nacht zum Freitag ziehen die Gewittersysteme zügig nach Osten, wobei im
Süden die Unwettergefahr durch Starkregen zunächst aufrecht erhalten bleibt.
Ansonsten sind durchaus Abschwächungstendenzen erkennbar, was einerseits der
"ungünstigen" Tageszeit, teils aber auch der überlagerten KLA geschuldet ist.
Rückseitig der Kaltfront lockert die Bewölkung von Westen her auf und der Druck
steigt besonders nach SW hin, während er im NO fällt. Ergo baut sich ein
leidlicher Gradient auf, der den auf westliche Richtungen drehenden Wind
zunächst mal in den Hochlagen auffrischen lässt bis zu Stärke 8 Bft, auf einigen
Alpengipfeln 9 Bft.

Freitag... schwenkt der Trog nach Polen, wo sich ein eigenständiges Höhentief
bildet. Dahinter stellt sich eine nordwestliche Höhenströmung ein, mit der ein
Schluck moderater Höhenkaltluft in den NO gelangt (T500 etwas unter
-20°C). Auch niedertroposphärisch kühlt es im N und O ordentlich ab auf Werte um
5°C, während sich im äußersten Süden Reste der zuvor wetterbestimmenden Warmluft
halten (T850 um 10°C).
Zwischen dem bis nach Süddeutschland vorstoßenden Azorenhochkeil und einem
flachen, über dem Skagerrak entstehenden Tief verstärkt sich der Gradient im N
und O sowie in Teilen der Mitte noch etwas, so dass dort der West- bis
Nordwestwind mit Unterstützung des Tagesgangs merklich auffrischt. Die Folge
sind vermehrt steife Böen 7 Bft etwa nördlich einer Linie
Niederrhein-Oberfranken, an der Küste, im unmittelbar angrenzenden Binnenland,
im Norden von SH sowie in höheren Lagen 8 Bft, auf dem Blocksberg und dem
Fichtelberg bis 9 Bft. Südlich der Linie beschränken sich 7er-Böen auf freie und
höhere Lagen, in exponierten Kamm- und Gipfellagen sind 8er-Böen, auf
Alpengipfeln 9er-Böen zu erwarten.
In der leicht labil geschichteten polaren Meeresluft bilden sich nicht nur
Quellwolken en masse, mit Ausnahme des Südwestens (Inversion zwischen 800 und
700 hPa) entwickeln sich auch Schauer, im NO sogar kurze Graupelgewitter mit
stürmischen Böen 8 Bft (markant). Am wärmsten wird es mit 22 bis 26°C im S und
SW, wo auch die Sonne zu ihren für uns sichtbaren Auftritten kommt. Ansonsten
stehen bei wechselnder bis starker Bewölkung 18 bis 23°C, an der See bei
auflandigem Wind teils nur 16°C auf dem Zettel.

In der Nacht zum Samstag zieht das Höhentief in Richtung Ungarn, während sich
über UK und der Nordsee der nächste Rücken aufwölbt. Damit dreht die
Höhenströmung noch etwas nach rechts auf N-NW. Da der Rücken - wieder mal,
möchte man sagen - von WLA überlaufen wird, greift genau diese auf den N und NO
über. Damit wird mit Unterstützung des Tagesgangs nicht nur der Schauer- und
Gewitteraktivität der Garaus gemacht, auch der Wind schwächt sich aufgrund der
Stabilisierung trotz durchaus noch vorhandenen Gradienten ab. Zumindest im
Landesinnern dürften kaum noch Windwarnungen nötig sein (Ausnahme Hochlagen 7-9
Bft), während an der Küste und im unmittelbar angrenzenden Binnenland weiterhin
mit Böen 7-8 Bft gerechnet werden muss.

Samstag... kippt der Höhenrücken in seinem Nordteil nach Südosten, wobei er sich
weiter intensiviert. Bei uns dreht der Höhenwind gänzlich auf Nord, wobei
besonders in der Osthälfte weiterhin positive Schichtdickenadvektion (WLA)
gegeben ist. Korrespondierend zum Rücken festigt sich über Westeuropa ein
eigenständiges Hoch, das sein Zentrum mit etwas über 1025 hPa zur Mittagszeit
etwa im Bereich Landsend/Westeingang des Ärmelkanals liegen hat. Der Keil dieses
Hochs greift recht weit nach Osten bzw. Südosten aus und wird somit auch für den
Vorhersageraum immer relevanter.
Dabei fächert der Gradient mehr und mehr auf, so dass der NW-Wind immer
schwächer wird. Anfangs treten an der See noch einzelne 7er-Böen auf, und auch
auf den Bergen gibt es noch die eine oder andere Böe 7-8 Bft, ansonsten besteh
warntechnisch aber kein Handlungsbedarf mehr. Wettertechnisch halten sich noch
recht viele Wolken, die in den östlichen Mittelgebirgen und am Alpenrand auch
noch ein paar Tropfen Regen bringen können. Am Nachmittag und Abend ziehen im NW
und W hohe und mittelhohe Wolken einer Warmfront über der Nordsee auf, die
aufgrund der nördlichen Höhenströmung weit nach Süden ausgreifen. Es sollte aber
weitgehend trocken bleiben, auch wenn GFS und ECMF geringfügigen Niederschlag
simulieren. Den meisten Sonnenschein dürfte es im SW von Südbaden bis hinüber
nach Schwaben geben, wo es mit punktuell bis zu 25°C auch am wärmsten wird.
Ansonsten lautet die Spanne der Tageshöchstwerte 17 bis 24°C.

Modellvergleich und -einschätzung
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Die bevorstehende Gewitterlage ab heute Nachmittag ist im Vorfeld durchaus als
nicht trivial zu bezeichnen, aber welche Gewitterlage ist das schon. Die
Überlegungen im Text sind konzeptioneller Natur nach dem Motto "so könnte die
Entwicklung auf Basis von den Modellen simulierter atmosphärisch-physikalischer
Prozesse ablaufen". Dass uns die Natur dann, wenn es soweit ist, immer wieder
mal mehr, mal weniger an der Nase herumführt, müssen wir in Kauf nehmen und
gehört zu unserem Berufsrisiko. Die räumliche Wahl der veröffentlichten
WU-Vorabinformation spiegelt das Produkt diverser Überlegungen und Abwägungen
dar, wonach dort die größte Unwettergefahr gegeben ist. Das bedeutet aber nicht,
dass a) alle in diesem Polygon liegenden Orte auch tatsächlich Unwetter
abbekommen und b) nicht außerhalb auch punktuelle Unwetter auftreten können.
Eigentlich eine Selbstverständlichkeit unter Vorhersagemeteorologen, mitnichten
aber in der öffentlichen Wahrnehmung.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann