DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

12-01-2017 11:00
SXEU31 DWAV 120800
S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 12.01.2017 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Übergang zu TrM (Trog Mitteleuropa)

Kommende Nacht Passage eines kleinen Orkantiefs (EGON) mit kräftigen
Schneefällen (UNWETTER) und Sturm bis hin zu Orkanböen.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 24 UTC
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Donnerstag... befindet sich Deutschland unter einer straffen
west-nordwestlichen, leicht antizyklonal konturierten Höhenströmung. Auf der
kalten Seite befindet sich über der Norwegischen See ein hochreichendes
steuerndes Tief (CAIUS), das sich im Tagesverlauf langsam landeinwärts zieht.
Auf seiner Südflanke mit einer flotten westlichen Bodenströmung erwärmte
Meereskaltluft subpolaren Ursprungs nach Deutschland, die heute für einen
wechselhaften Wettercharakter sorgt. Dabei kommt es zu teils schauerartigen,
überwiegend leichten Niederschlägen, die oberhalb 200 bis 500 m (Norden) bzw.
oberhalb 500 bis 800 m (Süden; Alpen teils 1000 m) als Schnee fallen. Dabei
kommen im Bergland 1 bis 5 cm Neuschnee bis heute Nachmittag zusammen. Darüber
hinaus weht ein mäßiger, nach Norden hin frischer westlicher Wind, der an der
See und in einigen Hochlagen in Böen Sturmstärke 8-9 Bft erreicht, in
exponierten Gipfellagen sogar 10-11 Bft. Steife Böen 7 Bft treten vornehmlich im
nord- und ostdeutschen Binnenland auf. Am Nachmittag nimmt der bei allmählichem
Rückdrehen vorübergehend ab, was man für einige Regionen durchaus als die
berühmte "Ruhe vor dem Sturm" bezeichnen kann.

Ein Sturm droht einigen von uns nämlich in der Nacht zum Freitag, doch damit
nicht genug. Begleitet wird das Ganze von kräftigen Niederschlägen, die z.T. bis
in tiefe Lagen als Nassschnee fallen. Was genau passiert nun? Bereits jetzt ist
über dem Seegebiet zwischen Island und Schottland ein kurzwelliger, zunächst
noch vergleichsweise flacher KW-Trog zu erkennen, der unter Intensivierung via
UK/Irland auf den Kontinent zusteuert. Dabei interagiert er mit einer flachen
Welle, die ebenfalls schon zu erkennen ist und um 00 UTC knapp südlich von 50°
nördlicher Breite noch ein ganzes Stück westlich von Landsend (UK) analysiert
wurde. Wenn es auf dieser Bahn einen reinen Ostkurs einschlagen würde, dann
würde der Wellenscheitel in der Nacht knapp südlich des Rhein-Main-Gebietes
vorbeischrammen. Dass es sehr wahrscheinlich anders kommt, liegt zum einen an
der Tatsache, dass die Welle aufgrund ihrer "günstigen" Exposition zum Trog
(linker diffluenter Ausgang) ordentlich ausgepumpt wird und sich dabei zu einem
veritablen Wellentief (EGON) entwickelt, dem durchaus das Attribut "Orkantief"
zugestanden werden kann. Durch die Umwandlung von Translation- in
Rotationsenergie dreht das Tief ein und schlägt dadurch eine nördlichere Zugbahn
ein. Hinzu kommt, dass mit Annäherung des Troges die steuernde Höhenströmung
zurückdreht, wodurch ein mehr nordöstlicher Kurs anvisiert wird. Nachdem gestern
noch große Diskrepanzen vor allem bezüglich der Zugbahn des Tiefs zu verzeichnen
waren (z.T. mehrere hundert Kilometer), haben sich die Modelle mittlerweile
angepasst, ohne aber zu 100% kongruent zu sein.

Auf Basis von ICON (das Modell, das vorher eine recht südliche Bahn verfolgt
hat, mittlerweile aber nach Norden adaptiert hat), soll EGON zwischen 21 und 00
UTC von Nordbelgien her auf das Ruhrgebiet übergreifen um von dort mit einem
Kerndruck von rund 980 hPa über Ostwestfalen in Richtung Magdeburger Börde (06
UTC) zu ziehen. Um 09 UTC soll das Tief in Berlin aufzuschlagen, um dann etwa
gegen Mittag unsere polnischen Nachbarn zu beehren.
Zwei Dinge stehen mit der Passage des Orkantiefs im Fokus des Warngeschehens:
STURM und NIEDERSCHLAG!
Zum NIEDERSCHLAG: Bereits am Nachmittag setzen der weit vorauseilenden WLA
folgend im W und SW stratiforme Niederschläge ein, die zunächst aber noch
leichter Intensität sind. Die Schneefallgrenze steigt dabei etwas an. In der
Nacht kommt es dann zu einer deutlichen Intensivierung der Niederschläge,
insbesondere in der Spur des Tiefs knapp nördlich davon sowie im Stau des
betroffenen Berglands. Die Schneefallgrenze steigt im Warmsektor vorübergehend
deutlich an auf z.T. über 1000 m im Süden, was dort eine allerdings nur kurze
Tauwetterphase einleitet. Zur Mitte hin steigt die Schneefallgrenze ebenfalls
kurzzeitig an, wenn auch nicht so hoch wie im Süden, bevor sie dann rückseitig
des Tiefs ganz schnell bis in tiefe Lagen sinkt. Nördlich des Tiefs sowie im
Kernbereich sorgen starke Hebungs- und Verdunstungsabkühlung für Schneefälle bis
in tiefe Lagen (sehr nass), wobei in NRW, aber auch in benachbarten Regionen
(nördliche RP, südwestliche und südliches NDS, Nordhessen) 10 bis 20 cm
(Flachland), in exponierten Staulagen sogar um oder etwas über 30 cm Neuschnee
möglich sind - voila!! Dass damit das 6- oder auch 12-stündige Unwetterkriterium
überschritten wird, bedarf eigentlich keiner weiteren Erwähnung. Entsprechende
Vorabinfos werden nach der Frühkonferenz geschaltet. Die Aufgleitvorgänge
(herumgeholte Warmluft) "wickeln" sich quasi um das Tief herum, so dass es in
der zweiten Nachthälfte in der rückseitig einströmenden maritimen Polarluft auch
in Hessen und RP bis ganz nach unten schneit.
STURM: Vor allem auf der Süd- und Westflanke des Tiefs frischt der vorübergehend
auf S bis SW rückdrehende, später auf W bis NW drehende Wind stürmisch auf.
Konkret, zunächst im Westen und Südwesten, später in der gesamten Südhälfte muss
bis Sturmböen 8-9 Bft, verbreitet sogar mit schweren Sturmböen 10 Bft und
vereinzelt mit orkanartigen Böen 11 Bft gerechnet werden (in der Höhe deutet
sich die Ausbildung eines Sting-Jets an, 850iger-Winde bis 80 Kt ("14 Bft") und
925iger-Winde bis 55 Kt sprechen eine deutliche Sprache). In exponierten
Gipfellagen stehen Orkanböen auf der Karte. In den Hochlagen kommt es dabei zu
starken Schneeverwehungen, wobei die Grenze schwankt (etwa 400 m, nach Süden hin
eher 600 bis 800 m). Hinzu kommt die Problematik von Leiterseilschwingungen.
Nach Norden hin verläuft die Windentwicklung der Zugbahn unseres EGONs
entsprechend entspannt ab.

Freitag... zieht das Orkantief wie oben bereits angedeutet via Berlin Richtung
Polen. Während der Wind im W und SW rasch abnimmt, legt er in der Mitte und im
nördlichen Bayern (Südwestsektor des Tiefs) vorübergehend noch mal kräftig zu
mit Böen 10 (vereinzelt vielleicht 11 Bft). Die Niederschläge verlagern sich
ost-nordostwärts, wobei die Schneefallgrenze bis in tiefe Lagen sinkt.
Schwerpunkte der Schneefälle werden voraussichtlich der zentrale
Mittelgebirgsraum sowie der Nordosten sein, wo 10 bis 15 cm Neuschnee
zusammenkommen können (innerhalb von 6 Stunden Unwetter). In Lagen oberhalb
etwa 400 bis 600 m kommt es zu starken Schneeverwehungen, auch das Problem von
Leiterseilschwingungen bleibt akut.
Ansonsten gilt es zu konstatieren, dass der KW-Trog mehr und mehr zu einem
langwelligen Gebilde ausweitet, das große Teile Mitteleuropas überdeckt und bis
in den westlichen Mittelmeerraum reicht, wo eine Zyklogenese über Oberitalien
angestoßen wird. In Verbindung mit einem weiteren KW-Trog, der in die Rückseite
des Haupttroges hineinstößt, nähert sich ein weiteres kleines Randtief von der
Nordsee her, das aber längst nicht so intensiv ist wie sein Vorgänger.
Gleichwohl kommt es bereits im Vorfeld (vorderseitig eines gut definierten
Bodentroges) zu skaligen, später eher konvektiven Niederschlägen, die den W und
NW erfassen und größtenteils als Schnee, teils als Schneeregen fallen. Auch
kurze Graupelgewitter sind möglich. An der Nordsee frischt der NW-Wind in Böen
stürmisch auf.

In der Nacht zum Samstag zieht das kleine Tief von Jütland kommend über MV in
Richtung Polen. Südwestlich davon baut sich ein kleines und gegenüber
Vorgängertief EGON gedämpftes Starkwindfeld auf, das sich von NW-Deutschland bis
zur östlichen Mitte verlagert (7-8 Bft, Berge und Nordsee bis zu 10 Bft,
Brocken/Fichtelberg bis 11 Bft). Auch auf den Bergen im Süden bleibt es
stürmisch.
Das Schneefallgebiet aus dem NW verlagert sich sukzessive südostwärts, wobei
sich auch in tiefen Lagen eine dünne Schneedecke bilden kann. In Staulagen des
Berglands stehen 5 bis 10 cm, exponiert (u.a. Schwarzwald, Allgäu) sogar 15 cm
Neuschnee auf der Karte, Verwehungen in höheren und teils auch in mittleren
Lagen inclusive. Rückseitig des Bodentroges gehen die Niederschläge in Schauer
über (Schnee, Schneeregen, Graupel, kurze Gewitter).

Samstag... nur kurz: der LW-Trog breitet sich noch weiter aus und reicht quasi
vom Nordpolarmeer bis zum Nordrand des afrikanischen Kontinents. Deutschland
liegt mittenmang im Bereich hochreichender Kaltluft, die straight ahead vom
Nordmeer gen Mitteleuropa gesteuert wird (T500 um oder unter -35°C, T850 -5 bis
-10°C). Als Steuerungszentren fungieren ein fettes Hoch knapp westlich der
Biscaya und eine langgestreckte, von Nord nach Süd reichende Tiefdruckzone
östlich von uns.
Bei mäßigem bis frischem W-NW-Wind fällt weiterhin teils schauerartiger, in
Staulagen auch länger andauernder Schnee mit Mengen von 1 bis 5 cm, im Bergland
teils 10 cm, exponiert vielleicht 15 cm innert 12 Stunden. An der Nordsee treten
Böen 7 bis 8 Bft, im Osten und Südosten 7 Bft, im Bergland 8 bis 10 Bft auf
(plus Schneeverwehungen), Tendenz am Abend und in der Nacht nachlassend.

Modellvergleich und -einschätzung
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Die geschilderte Entwicklung fußt im Wesentlichen auf ICON und befasst sich
schwerpunktmäßig mit der Passage des Wellentiefs EGON. Die Entwicklung danach
wurde entsprechend vergleichsweise kurz behandelt, die wesentlichen Punkte
sollten aber angesprochen sein. Für mögliche Versäumnisse, das Weglassen
vergleichsweise unbedeutender Features oder auch Verallgemeinerungen
entschuldigt sich der Verfasser bei der Leserschaft, er hatte aber auch nicht
vor, hier und heute einen Roman zu schreiben.
Erfreulich übrigens, dass sich die Modelle hinsichtlich der Welle/Tiefs
mittlerweile so weit angenähert haben, das der oben beschriebene Verlauf
durchaus belastbar ist.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann