DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

03-01-2024 09:31
SXEU31 DWAV 030800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Mittwoch, den 03.01.2024 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Ws (südliche Westlage)

ANNELIE, BRIGITTA, CARLOTTE - zyklonale Frauenpower zu Jahresbeginn mit
weiteren, gebietsweise ergiebigen Niederschlägen und Wind bzw. Sturm. Von Norden
her nur langsam winterlicher.

Synoptische Entwicklung bis Freitag 24 UTC
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Mittwoch... steht eindeutig im Zeichen des ersten weiblichen Tiefdruckgebietes
in 2024, das auf den Namen ANNELIE (int. Henk) hört. Klein aber fein und mit
allen Wassern gewaschen lautet der Kurzsteckbrief, wobei das mit dem Wasser -
leider - wörtlich zu nehmen ist. Aktuell hat sich ANNELIE in der Deutschen Bucht
eingefunden, wo sie mit einem Kerndruck von knapp unter 975 hPa wenig westlich
von Amrum, Sylt und Föhr weilt. Weiter runter geht´s nicht, weil die fruchtbare
Interaktion mit einem kurzwelligen Höhentrog beendet ist und inzwischen
Druckanstieg über dem Kernbereich eingesetzt hat. Kurzum, in den nächsten
Stunden wird sich das Tief auffüllen auf etwa 985 hPa zum Tagesende. Dann wird
es auch nicht mehr auf der Nordsee liegen, sondern die westliche Ostsee dicht
bei Fünen erreicht haben. Kein langer Weg, den die gute ANNELIE da heute
zurückliegt, was aber Gründe hat. Zum einen entkoppelt sie immer mehr von der
weiter südlich verlaufenden Frontalzone, was bremst. Zum anderen wird das Tief
vom kräftigen Hoch HANNELORE über Fennoskandien weggeblockt, was ebenfalls
bremst. Am Ende bleibt eine langgestreckte Tiefdruckrinne übrig, die von Polen
über die Nordsee und die Hebriden (dort befindet sich das Tief DIETMAR) bis ins
Seegebiet südwestlich von Island (dort befindet sich Altmeister COSTA)
erstreckt. Während es nördlich der Rinne in Skandinavien bei teils fetzigem
Ostwind hochwinterlich zur Sache geht, wird bei uns eine milde Atlantikluft
advehiert (Mischung aus mPs und mSp; T850 um 1°C, im Süden mehr), die nicht
ansatzweise vermuten lässt, dass der Winter in Kürze auch bei uns substanziell
anklopfen wird.

Noch sind wir aber nicht so weit, bleiben wir chronologisch. Zunächst zum Wind,
der heute Morgen bis in den Vormittag hinein über der Deutschen Bucht und der
angrenzenden Küste sein Maximum hat. Aus Südwesten kommend (Sylt um 08 UTC
allerdings Ostwind!) erreicht er in der Spitze schwere Sturmböen oder Orkanböen
10 bis 11 Bft, im küstennahen Binnenland (Nord- und Ostfriesland, Dithmarschen)
(schwere) Sturmböen 9 bis 10 Bft. Ansonsten weht mit Ausnahme des Nordostens
landesweit ein lebhafter und böiger Südwestwind mit Böen 7-8 Bft, bei kräftigen
Schauern durchaus auch 9 Bft (Oberwinde bis 55 Kt auf 850 hPa und 40 Kt auf 925
hPa). In exponierten Kamm- und Gipfellagen wird die gesamte Palette von
hundsnormalen Sturmböen 9 Bft bis zu voller Orkanstärke 12 Bft abgedeckt. Im
Laufe des Tages beginnt mit Abschwächung des Tiefs der Gradient von Norden her
allmählich aufzuweichen. Am Abend dürften an den Küsten, vereinzelt auch im
Binnenland nur noch steife Böen 7 Bft aus westlichen Richtungen übrig sein,
während in der Mitte und im Süden der Wind noch spürbarer unterwegs ist.

Zweite (aber primäre) Baustelle neben dem Wind ist der Niederschlag, genau
genommen der Regen, denn Schnee fällt noch nicht mal in den Höhenlagen so
richtig und der skandinavische Schnee bleibt zunächst noch außen vor. Im
äußersten Norden wird auf der der unmittelbaren Südflanke des Tiefs respektive
der Rinne skaliger Regen generiert, der bis zum Abend gebietsweise weitere 5 bis
10, stellenweise bis 15 l/m² bringt. Im großen Rest der Nation treten die
Regenfälle schauerartig auf. Zwar ist die Labilität nicht überbordend ausgeprägt
(T850 um -25°C, T850 0 bis +3°C), mit Hilfe des Tagesgangs sowie eines flachen,
sich von Westen nähernden Randtrogs wird aber ausreichend Hebung initiiert. In
Summe über kommen vor allem in den Staulagen der Mittelgebirge 5 bis 10, lokal
15 bis 20 l/m² zusammen. Nur wenige Schauer treten hingegen vom Lee des Harzes
bis hinüber zur Neiße und südlich der Donau (hier sogar einige Sonnenfenster)
auf. Dafür ist im Westen und Südwesten ein kurzes Gewitter (mit Böen 8-9 Bft,
worst case 10 Bft) nicht ausgeschlossen.

Mit Ausnahme des äußersten Nordens (6 bis 9°) sowie der Hochlagen steigt die
Temperatur verbreitet auf zweistellige Werte zwischen 10 und 13°C, im Süden
vereinzelt sogar 14°C.

In der Nacht zum Donnerstag füllt sich Tief ANNELIE bei den dänischen Inseln
weiter auf, während sich gleichzeitig vor der polnischen Küste knapp östlich von
Rügen ein zweiter Teilkern bildet. Damit wird die rinnenartige Struktur
konserviert, auf dessen Südflanke ein solider Gradient erhalten bleibt. Vor
allem in der Südhälfte, bedingt auch noch in der Mitte weht ein mäßiger bis
frischer Südwestwind mit Böen 7-8 Bft, im höheren Bergland darüber, exponiert
teils bis in den Orkanbereich. An und auf der Nordsee sowie in SH dreht der Wind
auf Nordwest bis Nord, wobei nicht nur einzelne Böen 7-8 Bft auftreten, sondern
gleichzeitig skandinavische Kaltluft angezapft wird. Bis zum Morgen kommt die
-5°C-Isotherme auf 850 hPa bis in die Norddeutsche Tiefebene auf Höhe Hannover
voran. Ganz im Norden geht der Regen in nassen Schnee über, der es aufgrund der
Vorgeschichte zunächst aber noch schwer hat, vernünftig liegenzubleiben. Für
etwas Schneematsch und schmierige Straßen könnte es bei knapp über 0°C aber
schon reichen.

Ansonsten bleibt mit Übergreifen des o.e. flachen Randtrogs eine rege konvektive
Niederschlagsaktivität erhalten, bei der an den West-Südwesträndern der
Mittelgebirge nochmals 10 bis 20 l/m² zusammenkommen können. Das die Luft von
oben etwas abkühlt (Hebungsabkühlung, Trogpassage), sinkt die Schneefallgrenze
auf etwa 1200 bis 1000 m. Darüber kann sich bis zum Morgen eine dünne
Schneedecke ausbilden.

Donnerstag... erfolgt über dem nahen Atlantik eine Austrogung, die stromab einen
flachen Rücken aufwölben lässt. Bei uns steigt der Luftdruck von Westen her an,
wodurch sich von Frankreich her ein Zwischenhoch bis nach Südwestdeutschland
reinschiebt. Derweil verabschiedet sich Doppeltief ANNELIE via Nordpolen in
Richtung Belarus. Knapp westlich des Zwischenhochs hat sich aus einer offenen
Welle inzwischen ein weiteres kleines Tief entwickelt (BRIGITTA), das um 12 UTC
mit etwas unter 1000 hPa Brest in der Bretagne erreicht. Es wird uns zwar erst
in der Nacht zum Freitag beschäftigen, soll hier aber schon mal erwähnt werden,
da es für die Niederschlagsentwicklung von Relevanz ist.

Niederschläge fallen tagsüber auch schon vorher trotz Druckanstieg und
Zwischenhoch. Dabei lässt ein vom Niederrhein bzw. Münsterland bis hinüber zum
Erzgebirge und nach Oberfranken reichender Korridor ausmachen, in dem die
maritime Luftmasse am labilsten ist. Entsprechend kommt es zu einer regen
Schauertätigkeit, bei der sich ganz oben Schnee unter den Regen mischt.
Wichtiger sind aber die Mengen, die dabei zusammenkommen. Gerade in den
Weststaulagen stehen weitere 5 bis 10, lokal um 15 l/m² auf der Karte, so dass
mit dem Wissen, dass auch das o.e. kleine Tief noch was bringt, eine
Verlängerung der laufenden Dauerregenwarnungen in den westlichen Mittelgebirgen
und im Harz erforderlich ist (24-stündig bis Freitagfrüh weitere 10 bis 20 l/m²,
lokal bis 30 l/m²). Nordöstlich des Korridors wird immer mehr skandinavische
Kaltluft angezapft (in Vorpommern am Abend bis zu -10°C auf 850 hPa!!), so dass
sie zeitweiligen Niederschläge, die im Schlepptau des scheidenden Tiefs
auftreten, mehr und mehr in Schnee übergehen. Über der Ostsee bilden sich
Schauerstraßen aus, die landeinwärts driften und strichweise auch mal etwas mehr
(Nass)Schnee bringen können. Auch südlich des Korridors kommt es anfangs noch zu
Schauern, Tendenz im Tagesverlauf bei steigender Schneefallgrenze nachlassend.

Thema Wind, der in weiten Landesteilen aus westlichen Richtungen kommend
zunächst weiterhin prominent unterwegs ist. Böen 7-8 Bft, im höheren Bergland
darüber sind weiterhin Standard. Im Laufe des Tages lässt der Wind von Westen
her mit deutlicher Gradientauffächerung (im Südwesten Zwischenhoch, im
Nordwesten Sattelpunkt zwischen den Tiefs) nach. Das gilt auch für die Küste, wo
der Wind allerdings aus Nordwest bis Nordost kommt. Während er an der Nordsee
noch im Laufe des Vormittags in die Knie geht, bläst er an der Ostsee noch bis
weit in den Nachmittag stark bis stürmisch, Tendenz von Westen her nachlassend.


Thermisch wird ganz im Norden bei nördlichen Winden die 5°C-Schwelle nicht mehr
überschritten bzw. nicht mal erreicht, während sonst 6 bis 11°C auf der Karte
stehen mit den höchsten Werten im Süden und Südwesten.

In der Nacht zum Freitag macht die Austrogung über dem nahen Atlantik weitere
Fortschritte, während gleichzeitig der vorgelagerte Rücken auf den
Vorhersageraum übergreift. Das hindert das Tief BRIGITTA aber nicht, sich in
Richtung südwestliche Nordsee zu orientieren, wo es am Morgen mit etwas unter
995 hPa im Kern aufschlägt. Es soll aber nicht verschwiegen werden, dass IFS und
GFS das Tief schon etwas weiter östlich im Grenzbereich Deutschland-Niederlande
sehen. Wie auch immer, Fakt ist, dass das zugehörige Niederschlagsgebiet auf den
Westen und Norden sowie Teile der Mitte übergreift, wobei auch dabei die
Modellunterschiede hinsichtlich Intensität und genauer räumlicher Verteilung
zunehmen. Das Maximum dürfte in NRW und Niedersachsen auftreten, wo gebietsweise
5 bis 10, lokal bis 15 l/m² innert 12 Stunden drin sind. Im Grenzbereich zur
Kaltluft nach Nordosten hin fällt etwas Schnee, an der Ostsee bleiben die
Schauerstraßen bestehen.

Über und an der Nordsee zieht der Ostwind an (7, vereinzelt 8 Bft). Sollte sich
die IFS/GFS-Variante durchsetzen, die interessanterweise auch von ICON-D2
gestützt wird, könnte es auch in RP/Saarland schon windig werden (7 Bft).
Darüber hinaus kühlt es im Norden und Nordosten sowie ganz im Süden in den
leichten Frostbereich ab.

Freitag... zieht das Tief nach Deutschland rein, wobei hinsichtlich des Timings
sowie der genauen Zugbahn noch ein gewisser Spread vorliegt. Tendenziell wird
die nördliche Mitte angesteuert, wobei sich das Tief zusehends auffüllt. Derweil
amplifiziert sich der Höhentrog westlich von uns immer mehr in Richtung
Iberische Halbinsel und Nordwestafrika, was im westlichen Mittelmeer eine
Zyklogenese anstößt (CHARLOTTE). Bei uns fällt vor allem in der Nordhälfte
Niederschlag, teils Regen, je weiter nach Osten und Norden auch Schnee. Details
dazu später, aber sehr gut möglich, dass sich Teile Nord- und
Nordostdeutschlands bis zum Abend über eine wenige Zentimeter dicke/dünne
Schneedecke freuen oder ärgern können. Wind gibt es vor allem auf der Nordflanke
des Tiefs (grob Nordsee, SH) mit Böen 7-8 Bft sowie auf der Südflanke (grob
Mitte). Während es im Nordosten für einen Eistag reicht (leichter Dauerfrost),
geht´s im Südwesten noch mal hoch auf bis zu 8°C.

Kurz noch die Nacht zum Samstag, die in der Nordhälfte sich allmählich
abschwächende Niederschläge in Form von Regen oder Schnee bringt. Darüber hinaus
fängt es auch südlich der Donau an zu regnen oder schneien (Aufgleiten durch
Gegenstrom auf der Nordflanke von CHARLOTTE). Schneefallgrenze bei 1200 bis 800
m, inneralpin auch darunter.

Modellvergleich und -einschätzung
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Im Groben simulieren die Modelle ähnlich, im Detail gibt´s Unterschiede, die im
Text angerissen wurden. Hinsichtlich des Warnmanagements ist zu konstatieren,
dass es von heute bis Samstagfrüh zu weiteren Niederschlägen kommt, die außer im
Norden und Nordosten sowie in einigen Hochlagen als Regen fallen. In den
Weststaulagen der Mittelgebirge kommen noch mal 20 bis 40, vor allem in
Siegerland, Sauerland, Weserbergland und Harz bis zu 60 l/m² zu den bereits
gefallenen Mengen (30 bis 70, vereinzelt um 80 l/m²) dazu. Entsprechend werden
die Dauerregenwarnungen verlängert.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann