DWD Synoptische Übersicht Mittelfrist

17-12-2023 12:01

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T M I T T E L F R I S T
ausgegeben am Sonntag, den 17.12.2023 um 10.30 UTC



Unglaublich spannende, zyklonale Nordwestlage mit hohem Überraschungspotential.
Mehrheitlich regnerisch und stürmisch.
__________________________________________________________

Synoptische Entwicklung bis zum Sonntag, den 24.12.2023


Willkommen zur heutigen Mittelfrist! Sonntag, 3. Advent - noch eine Woche bis
Heiligabend. Da möchte man meinen, dass man durchaus schon belastbare Aussagen
für das Wetter an den Weihnachtsfeiertagen treffen kann. Kann man auch. Selten
steckte (der Teufel im Detail) aber so viel Brisanz und Spannung in der
Wetterlage wie aktuell (siehe dazu auch das überaus lesenswerte Thema des Tages
vom gestrigen Samstag, 16.12.2023:
https://www.dwd.de/DE/wetter/thema_des_tages/2023/12/16.html)

Einiges kann man mit Sicherheit sagen, anderes ist wirklich noch komplett offen
und wird sich vermutlich final auch erst in der Kurzfrist, vielleicht sogar erst
im Nowcasting klären lassen. Doch der Reihe nach...

Wir starten unsere Betrachtungen mit dem kommenden Mittwoch, den 20. Dezember
2023. Nach tagelanger Hochdruckrandlage mit übersichtlicher Niederschlagsbilanz
und nur wenigen frontalen Streifschüssen in Norddeutschland hat sich die
Wetterlage begonnen umzustellen. Ein Tief südwestlich von Neufundland schaufelt
gemeinsam mit einem tropisch geprägten Tief auf etwa 35N 40W mitten über dem
Nordatlantik feucht-warme Luftmassen tropischen Ursprungs weit nach Norden bis
nach Neuschottland und in die südliche Labradorsee. Dadurch wird die Ausweitung
der umfassenden Antizyklone über dem nahen Ostatlantik mit rekordverdächtigen
Werten für die Jahreszeit (-10°C in 500 hPa bis nahe 55N, sowie beinahe 600 gpdm
bzw. 1050 hPa am Boden im Zentrum). Im Gegenzug kippt die Strömung bei uns
zwischen besagtem Hoch und einem umfangreichen Höhentiefkomplex über dem
Nordmeer und Skandinavien auf Nordwest mit deutlich zyklonal geprägten
Einschlag. Naja, oder besser gesagt: Es stellt sich eine regelrechte
Nordwestautobahn ein, die von der Labradorsee über die britischen Inseln bis in
den zentralen Mittelmeerraum reicht. Südlich der Trogachse über der südlichen
Ostsee und Polen erstreckt sich noch ein Residuum über den Alpenraum,
Südfrankreich bis zur Iberischen Halbinsel, was am Boden mit einer schwachen
Kaltfront korrespondiert. Auch ein markantes Cut-Off Tief vor der Küste Libyens,
das teilweise auch in Tunesien für teils kräftige gewittrige Regenfälle sorgt,
soll nicht unerwähnt bleiben.

Konkret für das Wettergeschehen in Deutschland bedeutet das, dass sich die
frontal gebundenen Niederschläge rasch nach Süddeutschland, bis zum Nachmittag
zu den Alpen zurückziehen und nachlassen. Meist fällt Regen, wobei die
Schneefallgrenze auf der Rückseite auf etwa 800 Meter absinkt. Postfrontal gibt
es mangels höhenkalter Luft nur vereinzelt, in Küstennähe jedoch vermehrter
Schauer (diabatische Komponente), bevor aus Nordwesten rasch Warmluftadvektion
und neuer Regen einsetzt, der das neue Frontensystem über den Britischen Inseln
ankündigt. In der postfrontal eingeflossenen erwärmten Meeresluft polaren
Ursprungs (mPs, T850 bei -1 bis -4°C) liegen die Höchstwerte aufgrund recht
guter Durchmischung meist zwischen 5 und 10°C. Verantwortlich dafür ist der
durchaus beachtliche Gradient vor allem über der Nordhälfte (990 hPa
Südschweden, 1025 hPa im Oberrheingraben), der zu starken bis stürmischen (Bft 7
bis 8), an der See und im Bergland auch zu Sturmböen (Bft 9) aus Südwest bis
West führt. Auflockerungen bleiben eher die Ausnahme.
In der Nacht zu Donnerstag bleibt es bei regnerischem und teils stürmischem
Wetter weitgehend frostfrei.

Am Donnerstag geht es Schlag auf Schlag weiter. Nachdem das erste Feuchtepaket
(WLA Maximum) durch ist, folgt im tagesverlauf aus Nordwesten die eigentliche
(bereits größtenteils okkludierte) Front mit weiteren Regenfällen nach. Zudem
wird durch das Überströmen der grönländischen Gletscher ein Randtrog initiiert,
der den Jet oberhalb der hyperbaroklinen Frontalzone weiter kräftigen kann. So
werden Donnerstagmittag Geschwindigkeiten im Jetstreak von teils über 200 Knoten
simuliert - ebenfalls alles andere als alltäglich. Der linke Ausgangsbereich
erfasst dabei zunehmend Deutschland. Dabei ist aktuell noch nicht abschließend
absehbar, ob sich am Rande des Sturmtiefs mit Zentrum im Bereich des Oslofjords
nicht noch ein flacher Randtrog im Bereich Benelux unterhalb der Jetachse bilden
kann (v.a. UK10). Das würde die Gefahr für Böen bis Orkanstärke und
Dauer-/Starkregen im Westen und Süden ungleich erhöhen. Gleichwohl muss man in
jedem Falle verbreitet von Sturmböen 8 bis 9 Bft, gebietsweise schweren
Sturmböen Bft 10 ausgehen. An der See und auf den Bergen sind zeitweilige
orkanartige Böen bzw. Orkanböen Bft 11-12 wahrscheinlich. Dafür bleibt es recht
mild bei 6 bis 11°C.

Am Freitag verlaufen Isohypsen und Isothermen im Bereich der Frontalzone
westlich von uns zwar weitgehend parallel, es zeichnet sich in den jüngsten
Modellläufen jedoch immer mehr eine markante Schnittfläche zwischen Island und
den Shetlands ab. Kräftige KLA weitet daraufhin den Trog vorübergehend sehr weit
westlich aus, so dass weite Landesteile in den Bereich höhenkalter Luft unter
-30°C, stellenweise unter -35°C in 500 hPa gelangen. Diesbezüglich bestehen aber
nach wie vor noch große Unsicherheiten. Unstrittig ist eine
niedertroposphärische Abkühlung, deren Ausmaß aber maßgeblich von der
Höhenkonfiguration abhängt. Die Schneefallgrenze sinkt zumindest mal bis nahe
1000 m ab (bestenfalls auf 400 m bei zentraler Troglage) und staubedingt sind
vor allem an den Alpen einige Zentimeter Neuschnee zu erwarten (evtl. sogar
markant mit um die 30 cm binnen 24h). Die Niederschläge gehen im Rest des Landes
zunehmend in Schauerform über, wobei es vor allem im Westen und Südwesten auch
noch einen Schleifbereich mit längeren skaligen Regenfällen geben kann. Die
Temperaturen gehen mit 4 bis 10°C etwas zurück. Dazu bleibt es unverändert
stürmisch.

Am Samstag stößt die Warmfront des Neufundlandtiefs gen Südgrönland vor. Dadurch
erfolgt der Angriff auf die Westflanke des Troges und die Frontalzone gerät aus
ihrer glatten Nordwest-Südost Orientierung wieder stärker ins Mäandrieren. Wie
schnell und wie stark ist aus heutiger Sicht fast nicht möglich abzuschätzen.
Als wahrscheinlichstes Szenario erfolgt die allmähliche Neuformierung einer
Luftmassengrenze, die sehr milde Atlantikluft über Frankreich (mSp) von
Meereskaltluft im Nordosten Deutschlands trennt (mP). Wo genau diese dann
verläuft und ob sich daran Schnellläufer mit Sturm-/Orkanpotential bilden, ist
zwar prinzipiell möglich, aber noch sehr unsicher. So muss allgemein mit
weiteren Niederschlägen gerechnet werden (im Nordosten meist als Schauer, im
Südwesten teils länger anhaltend, die je nach Intensität zumindest oberhalb von
400 bis 800 m auch als Schnee fallen oder mit Schnee vermischt sind. Der Wind
lässt allmählich etwas nach, es sei denn, es entwickelt sich tatsächlich ein
markantes Wellentief mit Sturmgefahr dann vor allem noch in der Südwesthälfte.
Bei den Temperaturen ändert sich wenig, allerdings treten vor allem in der
Osthälfte wieder zunehmend Nachtfröste auf.

Am Sonntag (Heiligabend) rückt das Neufundlandtief bis zur Irminger See vor und
entwickelt sich voraussichtlich zum Orkantief. Es wird allerdings durch den nur
langsam ostwärts abziehenden Sturm über dem Baltikum in gewisser Weise
blockiert. Daher wird die Luftmassengrenze mit weiterer Warmluftzuuhr aus Westen
zwar schärfer, wird aber wohl nur schwerlich Raum nach Osten gewinnen. Vage
hieße das zur Bescherung: Vor allem östlich der Elbe oft trocken bei
wintertauglichen Temperaturen um oder nur wenig über dem Gefrierpunkt. Entlang
und westlich des Rheins führt an mild und zeitweise regnerisch eigentlich kaum
ein Weg vorbei. Dazwischen ist je nach Lage der LMG und Höhenlage gewissermaßen
alles möglich. Für Lagen oberhalb 500 bis 600 m waren die Aussichten auf weiße
Weihnachten in den vergangenen Tagen zumindest schon mal deutlich schlechter.
Windtechnisch sollte das Gröbste vorerst überstanden sein. Sturmpotential ist
generell aber noch da - vor allem im Südwesten.
__________________________________________________________

Bewertung der Konsistenz des operationellen Laufs


Die Lage mit außergewöhnlich hohem Geopotential, der Vereinigung von Subtropen-
und Polarfrontjet in einem hyperbaroklinen Umfeld ist natürlich komplex. Da
reichen kleineste Störungen für große Änderungen aus. So lässt die Konsistenz
ganz schön zu wünschen übrig, wobei zumindest an der Großwetterlage NWz nicht zu
rütteln ist. Die jüngsten Läufe des IFS setzen dabei aber vermehrt auf die kalte
Trogseite der Frontalzone und damit zumindest für zeitweilige Winteroptionen im
Bergland.

Und: Darüber hinaus sorgt ein kleines, aber intensives Cut-Off Tief an der
Westflanke des Hochs quasi ähnlich wie die Einbindung eines Hurrikans in die
Frontalzone für zusätzliche "Musik" und Spannung. Bezüglich des Sturms
kristallisieren sich immer mehr der Donnerstag und Freitag als Schwerpunkte
heraus mit Potential für Orkanböen bis ins tiefe Lagen.
__________________________________________________________

Vergleich mit anderen globalen Modellen


Auch die anderen Globalmodelle haben so ihre Schwierigkeiten mit der Lage und
lassen in der Mehrheit auch in der Konsistenzbetrachtung zu wünschen übrig. So
ist das GFS beispielsweise beim 0z Lauf zur warmen Seite mit recht zonaler
Variante mutiert, favorisierte in den vergangenen Tagen aber teilweise noch die
Trogvariante, die nun erst an Weihnachten und nicht schon am Fr, 22.12. kommen
soll.
__________________________________________________________

Bewertung der Ensemblevorhersagen


RAUCHFAHNEN:

Die Rauchfahnen bestätigen erstaunlich eindeutig die Variante des Hauptlaufes
mit deutlichem Abfall des Geopotentials (höhenkalte Seite der Frontalzone) zum
Freitag. Im Süden und Südwesten Deutschlands bröckelt dieser Rückhalt im EPS
allerdings und die Varianten nehmen deutlich zu, was für die noch unsichere
Ausweitung nach Südwesten spricht. In der 850 hPa Temperatur wird gar eine
Bifurkation ersichtlich deren Äste sich am Freitag in Freiburg beispielsweise
bei 0°C und -6°C teilen. In Berlin und Greifswald ist die Lage auf der kalten
Seite quasi sicher. Danach erfolgt unter großer Streuung ein Aufwärtstrend bei
Temperatur und Geopotential bei gleichbleibend hohen (im Osten etwas gedämpften)
Niederschlagssignalen.

CLUSTER:

Die 5 IFS-Cluster im Zeitraum Fr-So (22.-24.12.) bilden im Prinzip die
unterschiedlichen Lösungen der Globalmodelle gut ab, wobei erstaunlich viele
Member zonal aufgestellt sind. Mild gewinnt daher spätestens im Laufe der
Feiertage wohl wieder die Oberhand.

FAZIT:

Die Tendenz zu zeitweise stürmischem und mehrheitlich regnerischem Wetter ist
unstrittig. Der Teufel steckt im Detail. Die Sturmgefahr steigt dabei vor allem
am Donnerstag stark an! Mindestens mal an den Küsten und im Bergland sind
Orkanböen wahrscheinlich, in weiteren Landesteilen nicht ausgeschlossen. Auch
Dauerregen könnte zum Thema werden, vor allem an den Alpen und im Schwarzwald.
Dabei ist ein (vorübergehendes) Einsickern kälterer Luft aus Nordosten sicher -
fraglich wie weit nach Südwesten mit Ausbildung einer Luftmassengrenze. Auf
dessen kalter Seite ergeben sich zwar qualitativ nicht ausreichende Bedingungen
für Winterwetter pur und Dauerfrost, gerade aber in Lagen oberhalb 400 bis 600 m
ergeben sich durchaus spannende Winteroptionen. Für "Stundenschneefall" bis in
tiefe Lagen im Nordosten und Osten muss schon alles passen.
_________________________________________________________

Wahrscheinlichkeiten für signifikante Wettererscheinungen


STURM/ORKAN:
Schwerpunkte am Donnerstag und Freitag, wobei verbreitet Sturmböen (Bft 9) sehr
wahrscheinlich sind. Der EFI reagiert seit Tagen konsistent und flächendeckend
darauf. Vor allem an der See und im Bergland muss man mit Orkanböen rechnen -
bei kurzfristigen Randtiefentwicklungen sind diese auch in anderen Bereichen
nicht ausgeschlossen.

DAUERREGEN:
Signale mit Wahrscheinlichkeiten oberhalb 30% für mehr als 30 l/qm binnen 24
Stunden gibt es vor allem im Schwarzwald und am Alpenrand am Donnerstag und
Freitag. Auch in Weststaulagen der zentralen und westlichen Mittelgebirgen ist
Dauerregen am Donnerstag nicht ausgeschlossen. Möglicherweise zieht sich die
Lage bei stationärer Luftmassengrenze bis zu den Feiertagen hinein. Der EFI
reagiert darauf bisher kaum, wobei...

SCHNEE:
...die Schneefallgrenze zumindest zum Freitag bis in Lagen von etwa 1000 m
absinken sollte, möglicherweise sogar zeitweise bis 400 m. Vor allem am
Alpenrand sind dann markante Neuschneemengen über 20 cm binnen 24 Stunden
möglich.
________________________________________________________

Basis für Mittelfristvorhersage
IFS, IFS-EPS, Mos-Mix
________________________________________________________


VBZ Offenbach / Dipl. Met. Robert Hausen