DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

23-11-2023 09:01
SXEU31 DWAV 230800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 23.11.2023 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Erst NWz (Nordwest zyklonal), zum Wochenende dann Übergang zu Nz (Nord
zyklonal)

Umstellung der Wetterlage - Ab Freitag Zufuhr (erwärmter) maritimer Polarluft
arktischen Ursprungs. Im Bergland zunehmend winterlich, am Alpennordhang
Staulage. Im Tiefland "teils, teils".

Synoptische Entwicklung bis Samstag 24 UTC
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Donnerstag... erleben wir den Beginn einer monumentalen Umstellung der
Großwetterlage, die am Wochenende in eine zyklonale Nordlage (Nz) mündet - ein
Typus, der gar nicht mal so oft bei uns vorkommt. Bis es soweit ist, gilt es
aber erst noch eine Menge atmosphärischer Kärnerarbeit zu leisten. Ein erstes
Kapitel wurde bereits geöffnet, der Luftdruck fällt seit einiger Zeit. Auslöser
ist das mehrteilige Nordmeertief NIKLAS, dessen Hauptkern mit etwas unter 975
hPa heute Mittag über der Grönlandsee dicht bei Jan Mayen zu finden ist. Weitere
Teilkerne befinden sich bei den nördlichen Lofoten sowie am nördlichen Rand des
Bottnischen Meerbusens. Letzterer wird zum Freitag hin den westlichen Kern als
Haupttief ablösen, doch dazu später mehr. Zunächst ist wichtig, dass auf der
Rückseite des Tiefdrucksystems arktische Polarluft südwärts gesteuert wird, die
eine veritable Austrogung zur Folge hat. Ein Prozess, der durchaus einige Zeit
in Anspruch nimmt, weshalb der resultierende Höhentrog so richtig erst im Laufe
des Freitags bei uns in Mitteleuropa aufschlägt. Das Geopotenzial sinkt jetzt
freilich schon, allerdings ist die west-nordwestliche Strömung zunächst noch
ziemlich glatt konturiert. Immerhin wird der bis dato wetterwirksame Höhenrücken
nach Süden abgedrängt und der zugehörige Bodenkeil - ausgehend vom stolzen Hoch
BIONDA mit 1035-hPa-Zentrum knapp west-südwestlich von Irland - regelrecht an
die Alpen gequetscht, was er am Ende nicht überlebt. Damit wird ganz nebenbei
der Weg frei für das Frontensystem von Tief NIKLAS, das sich zusehends bei uns
reinmogelt. Die Warmfront ist dabei eher schwach ausgeprägt, während die zur
Wellenbildung neigende Kaltfront ihren Namen redlich verdient und im Laufe des
Nachmittags auf den äußersten Norden des Landes übergreift.

Im Vorfeld strömt mit südwestlichem bis westlichen Wind vorübergehend noch mal
eine feuchte und milde Meeresluft in den Vorhersageraum (T850 im Norden um
+5°C), in der sich dichte und teils tiefe Stratusbewölkung ausbreitet, die der
Sonne so gut wie keine Chance lässt. Einzig ganz im Süden, wo sich der
scheidende Hochkeil gegen die sichere Niederlage stemmt, reicht es noch für
einen Sonnenstreifen, der sich in den nächsten Stunden immer mehr dem Alpenrand
nähert Ansonsten fällt aus dem Stratus hier und da etwas Nieselregen,
insbesondere dort, wo sich die Luft staut, also im Luv des Berglands sowie im
Norden. "Richtiger", sprich großtropfiger Regen setzt dann erst am Mittag bzw.
frühen Nachmittag mit Annäherung der Kaltfront ein - zunächst an der Küste sowie
in SH, später auch in weiten Teilen der Norddeutschen Tiefebene sowie im
nordostdeutschen Tiefland. Meist liegen die 6-stündigen Mengen unter 5 l/m²´,
nur lokal etwas darüber.

Weitaus mehr Bedeutung als der Niederschlag hat der Wind, der ja heute Morgen
vor allem im Norden und Osten schon recht agil, an der Küste sowie in einigen
Hochlagen in Teilen stürmisch unterwegs ist. Präfrontal wird sich der Gradient
noch verschärfen und der Südwest- bis Westwind weiter zulegen. Dann muss vom
Norden bis in die Mitte verbreitet mit steifen, in Norddeutschland stürmischen
Böen 7-8 Bft gerechnet werden. An der Küste selbst sowie in einigen Hochlagen
stehen Sturmböen 9 Bft, in exponierten Kammlagen (vor allem Brocken/Fichtelberg)
gar schwere Sturmböen oder Orkanböen 10-12 Bft auf der Karte. Zum Abend hin,
wenn der Wind postfrontal auf Nordwest dreht, sind dann auch an der Küste
schwere Sturmböen 10 Bft wahrscheinlich und einzelne orkanartige Böen 11 Bft auf
Nordseeseite möglich.

Die Temperatur steigt von den Küsten bis hinunter zum nördlichen
Mittelgebirgsrand aufgrund der guten Durchmischung auf 10 bis 14°C. Weiter
südlich liegen die Höchstwerte meist zwischen 4 und 10°C.

In der Nacht zum Freitag macht nicht nur die Austrogung über dem Nordmeer,
sondern zunehmend auch über der Nordsee Fortschritte. Unterstützt wird dieser
Prozess durch die weitere Aufwölbung eines knapp westlich positionierten
Höhenrückens, der bis ins Innere von Grönland reicht und somit auf seiner
Ostabdachung die KLA weiter anfacht. Die dem Trog vorgeschaltete Kaltfront macht
sich auf den Weg von Nord- über Mittel- bis nach Süddeutschland, wo sie in den
Morgenstunden aufschlägt. Die Alpen erreicht sie allerdings erst gegen Mittag.
Mit der Front verlagert sich auch das zugehörige Regenband südwärts, wobei durch
flache Wellen die Mengen mit 5-10 l/m² gebietsweise leicht erhöht ausfallen
können. In einigen Staulagen können es punktuell sogar noch ein paar Liter mehr
sein, von etwaigen Warnschwellen bleiben wir aber weit entfernt. In der
postfrontal einströmenden Meereskaltluft geht T850 auf unter den Gefrierpunkt,
im Nordosten bis zu -6°C zurück, was natürlich auch eine absinkende
Schneefallgrenze zur Folge hat. Allerdings hört mit Ankunft der Kaltluft der
frontale Niederschlag rasch auf. Nachfolgende Schauer sind wenig ergiebig,
außerdem liegt die Nullgradgrenze aufgrund guter Durchmischung und dem marinen
Einschlag der Luftmasse noch recht hoch. Kurzum, oberhalb etwa 600 m kann es
stellenweise zwar mal kurzzeitig etwas weiß und auch glatt werden, die große
winterliche Offenbarung bleibt zunächst aber noch aus. Gegen Morgen sind in
Küstennähe mit Eintreffen höhenkalter Luft (T500 bis zu -35°C) kurze
Graupelgewitter nicht ausgeschlossen.

Nach wie vor im Fokus steht der Wind, wo sich der präfrontale Starkwind mit Böen
7-8 Bft (je weiter nach Osten, desto mehr 8er-Böen) bis in den Süden ausweitet.
Auf den Bergen liegen die Spitzen darüber (9-10 Bft). Hinter der Front verliert
der West-Nordwestwind zwar etwas an Fahrt, bleibt aber so flott unterwegs, dass
es für Teile des Binnenlands einer kleinen Warnung bedarf (7 Bft, evtl. Häkchen
8 Bft). Auf den Kämmen und Kuppen bleibt es stürmisch ebenso wie an der Küste,
wo die die Nordsee (vorübergehend abnehmende, zum Morgen wieder zunehmende
Wahrscheinlichkeit für Böen 10 Bft) gegenüber der Ostsee (8-9 Bft, ganz im Osten
anfangs 10 Bft) die Nase vorn hat.

Leichter Frost beschränkt sich auf die höchsten Lagen der höheren Mittelgebirge
sowie den Alpenrand. Ansonsten ist die frische Kaltluft zu gut durchmischt, um
negative Temperaturen zuzulassen.

Freitag... greift der Trog auf Mitteleuropa über, wobei er sich rasend schnell
amplifiziert. Zum Datumswechsel ist er bereits deutlich über die Alpen
hinweggewuppt, wo er Fühlung mit einem Höhentief bei Sizilien aufnimmt. Zwischen
dem weit nach Norden reichenden Hoch (BIONADE, nee Quatsch, BIONDA) über dem
nahen Atlantik und Meister NIKLAS (morgen Mittag über den baltischen Staaten
gelegen) gelangt direkt ohne über Los zu gehen maritime Polarluft arktischen
Ursprungs (mA) in den Vorhersageraum, die freilich auf ihrem langen Weg über die
vorgelagerten und noch nicht übermäßig abgekühlten Meeresgebiet diabatisch
erwärmt hier ankommt. Am Abend liegt dann T850 auch nur um -5°C, während auf 500
hPa mit Ausnahme des äußersten Südens und Südwestens -34 bis -38°C registriert
werden. Im Süden regnet es anfangs an der Kaltfront noch etwas, bevor die sich
an die Alpenüberquerung heranmacht und damit die Kaltluftzufuhr auch ganz im
Süden einleitet. Dahinter stellt sich klassisch wechselhaftes Schauerwetter in
feinster Aprilart ein, in der die gesamte Palette konvektiver Möglichkeiten
ausgeschöpft wird: Regenschauer, Graupelschauer, Schneeschauer, kurze Gewitter -
Freunde, was wollt ihr mehr. Je nach Intensität kann es mal relativ weit runter
schneien, was tagsüber aber nicht liegenbleibt oder ganz schnell wieder weg ist.
Die echte Schneegrenze, also die Höhe, ab der etwas liegenbleibt, dürfte nicht
zuletzt wegen der weiterhin guten Durchmischung eher zwischen 400 und 600 m zu
verorten sein, wobei insbesondere in den West- und Nordweststaulagen einige
Zentimeter, in höheren Lagen lokal rund 10 cm Neuschnee zusammenkommen können.
An den Alpen stellt sich eine markante, über weite Strecken des Wochenendes
andauernde Staulage ein, in der durchaus ein halber Meter Neuschnee, lokal auch
noch etwas mehr fallen kann, Verwehungen und Verfrachtungen sowie erhöhte
Lawinengefahr inklusive.

Im Fokus der warnmeteorologischen Belegschaft bleibt der Wind, der sowohl
gradient- als auch tagesgangbedingt auf sich aufmerksam macht. Aus West bis
Nordwest kommend erreicht er in Böen verbreitet Stärke 7 Bft, vereinzelt 8 Bft.
Im Norden sind bei Schauern und Gewittern auch Böen 9 Bft, an der Nordsee bei
Höhenwinden bis zu 55 Kt auf 925 und 850 hPa gar 10 bis 11 Bft möglich. Ohnehin
werden an der Nordsee auch ohne Konvektion mit Annäherung und Durchgang eines
Bodentrogs die höchsten Windgeschwindigkeiten mit bis zu 11 Bft in Böen
erreicht. Da können sonst nur noch die berühmten Pappenheimer wie Brocken oder
Fichtelberg, vielleicht auch noch der eine oder andere Alpengipfel mithalten. An
der Ostsee übrigens geht es spätestens ab Mittag nur noch selten über Windstärke
7-8 Bft hinaus.

Die Temperatur erreicht Höchstwerte zwischen 4 und 8°C, im Südwesten lokal noch
mal bis 10°C, im höheren Bergland um 0°C.

In der Nacht zum Samstag dauert der mächtige Nordwestfetch an, wobei der o.e.
Bodentrog süd-südostwärts durchgeschleust wird. Es kommt zu weiteren, meist in
Schauerform auftretenden und mit einzelnen Gewittern durchsetzten
Niederschlägen, die mit Ausnahme des nordwestdeutschen Tieflands (T850 nur um
-4°C, dazu Durchmischung und mariner Einfluss) in fester Form fallen. Oberhalb
etwa 300 bis 400 m sind bis zu 5 cm, in West- und Nordweststaulagen bis zu 10 cm
weiterer Neuschnee drin. An den Alpen liegt die nächtliche Rate bei etwa 10 bis
20 cm, vereinzelt etwas darüber. Gut möglich, dass auch mal in tieferen Lagen
etwas Schnee(matsch) liegenbleibt, vor allem im Osten und Süden (T850 -6 bis
-9°C, weniger mariner Einfluss). Bitte also nicht von einer "Überraschung"
sprechen, liebe Medien. Sollte es nicht für Schnee reichen, kann es trotzdem
glatt werden, weil die Temperatur mit Ausnahme West- und Nordwestdeutschlands
sowie dem Rheintal auf Werte um oder etwas unter den Gefrierpunkt zurückgeht.

An der Nordsee sowie in exponierten Hochlagen bleibt es stürmisch. Sonst
schwächt sich der Wind nach Abzug des Bodentroges ab, ohne aber gänzlich
einzuschlafen.

Samstag... verlagert sich die Hauptachse des Troges, der inzwischen bis weit
hinunter zum zentralen Mittelmeer reicht, etwas nach Osten. Damit stellt sich
eine glatte nördliche Höhenströmung ein, während die Bodenströmung den gesamten
Sektor West bis Nord abdeckt (im Norden eher Nord, im Süden eher West,
dazwischen Nordwest). Nach wie vor ist der Wind böig und mitunter ruppig
unterwegs, wobei er mit konvektiver Unterstützung Böen 7 Bft, vereinzelt 8 Bft
erreicht. Während es auf Kämmen, Kuppen und Gipfeln stürmisch bleibt, kommt der
Wind an der Küste (insbesondere an der Nordsee) bei Weitem nicht mehr an die
Intensität der Vortage heran.

Ansonsten gilt es zu konstatieren, dass es zu weiteren Regen-
(west-nordwestdeutsches Tiefland), Schneeregen- und Schneeschauern (sonst)
kommt. Dabei eine dünne Schneedecke im Tiefland zu generieren, dürfte
schwerfallen, aber nicht unmöglich sein. Am ehesten dürfte das im Osten
gelingen, wo ein weiterer Bodentrog eine Intensivierung des Niederschlags
bewirken könnte. Im Stau der Mittelgebirge ist die Schauerfrequenz deutlich
erhöht respektive kommt es zu Dauerschneefall. Dabei sind weitere 5 bis 10 cm,
im Schwarzwald und an den Alpen auch etwas mehr Neuschnee drin. Wenig bis nichts
fällt übrigens in Teilen Nord- und Nordostdeutschlands, wo sich gebietsweise
sogar für längere Zeit die Sonne die Ehre gibt. Grund ist der Skandenföhn
(Überströmung der skandinavischen Gebirge), bei dem die Luft Wasserdampf
verliert und bei uns relativ trocken aufschlägt.

Die Temperatur erreicht Höchstwerte von 1 bis 5°C, im Westen und Nordwesten bis
zu 7 oder 8°C. Oberhalb 500 bis 700 m stellt sich leichter Dauerfrost ein.

Kurz noch die Nacht zum Sonntag, in der sich wenig tut, wenn man mal die
allmähliche Gradientauffächerung und die damit einhergehende Windabnahme außer
Betracht lässt. Es kommt zu weiteren Schauern, im frostfreien Westen und
Nordwesten flüssig, sonst meist fest. An den Alpen nimmt die Intensität der
Schneefälle nochmal etwas zu, vor allem Richtung Allgäu (Staulagen um oder etwas
über 25 cm möglich).

Modellvergleich und -einschätzung
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Die Modelle ziehen an einem Strang und weisen bei den Basisfeldern eine hohe
Kongruenz auf. Beim Gesamtschneefall durch die Staulage am Alpenrand sind die
Modelle gegenüber gestern etwas zurückgerudert. Für 50 bis 70 cm dürfte es
trotzdem reichen (Ausgabe der Warnung am Freitag).

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann