DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

31-10-2023 09:30
SXEU31 DWAV 310800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 31.10.2023 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
Tief Britische Inseln (TB)
Wechselhaft und zeitweise windig. Heute im Nordosten, Donnerstag im Westen teils
stürmisch. Generell mild, nur vorübergehend ganz im Norden etwas kühler.

Synoptische Entwicklung bis Donnerstag 24 UTC
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Dienstag... hat sich aus der einstigen Welle über Frankreich das inzwischen doch
recht gut ausgeprägte Tief CORD über Norddeutschland eingekringelt mit einem
Kerndruck nahe 990 hPa über dem Großraum Hamburger Raum. Ein recht scharfer
Randtrog in der Höhe sowie Warmluftreste auf seiner Vorderseite versprechen noch
leichte Intensivierungs- sprich Vertiefungschancen auf dem Weg zum Rigaischen
Meerbusen, den CORD heute Abend mit unter 990 hPa erreichen wird.

Im Bereich der Kaltfront gibt es zunächst noch entlang von Oder und Neiße bis zu
den Alpen Regenfälle, die aber im Laufe des Vormittags rasch abklingen.
Unmittelbar an und in den Alpen geht das Abschwächen sehr zögernd vonstatten,
die dort die Trogspitze in der Höhe liegt und ein Randtief über Oberitalien die
Hebungsprozesse bis in den Nachmittag hinein aufrechterhält. Die
Schneefallgrenze liegt dabei zwischen 1500 und 1800 m. Die kräftigsten
Regenfälle gibt es noch im Schleifbereich der rumgeholten Okklusion im Norden
des Landes, wo von Ostfriesland bis zu den Vieh- und Marschlanden binnen 3
Stunden lokal um die 15 Liter auf den Quadratmeter zusammenkommen und die
Niederschlagsbilanz des Oktobers 2023 im ohnehin deutlich zu nassen Nordwesten
weiter Richtung 200% schubsen. In den Mittags- und Nachmittagsstunden schwenkt
das Regenband unter allmählicher Abschwächung infolge kräftiger KLA über
Schleswig-Holstein hinweg die mecklenburgische Küste entlang nordostwärts ab.
Postfrontal wird mit Winddrehung auf Nordwest bis Nord ein Schwall kälterer
(Rückgang T850 an der Dänischen Grenze bis zum Abend auf -5°C) und deutlich
trockener Luft (PPW teils einstellig) aus Skandinavien in den äußersten Norden
eingesteuert, die dort für trockene und teils aufgelockerte
Verhältnisse sorgt.

Am Boden folgt nach Abzug des Tiefs ein flacher Zwischenhochkeil nach, der sich
von den Westalpen nordwärts aufwölbt, aber kaum Wetterwirksamkeit entfalten
kann. Wie auch, wenn es am Support aus der Höhe fehlt, wo sich
stattdessen der inzwischen leicht negativ geneigte Höhentrog über uns hinweg in
Richtung Osten quält. Die ganz fette Höhenkaltluft bringt der Trog zwar nicht
mit, -23/24°C auf 500 hPa reichen aber aus, um bei gleichzeitig 0 bis +4°C auf
850 hPa eine leidliche Labilität innerhalb der erwärmten polaren Meeresluft zu
erzeugen. Diese Instabilität ist trotz des inzwischen niedrigen Sonnenstands und
des damit limitierten Energieinputs hinreichend, um etwas Konvektion in Gang zu
bringen. ML respektive MU CAPE werden aber nur in homöopathischen Dosen am
Nachmittag und Abend in Teilen des Westens und Südwestens angeboten.
Nichtsdestotrotz können vereinzelt kleinere kurze Gewitter am Start sein, eher
der Kategorie gelb mit Windböen und/oder Graupel zuzuordnen. Der entscheidende
Trigger in Form eines kleinräumigen Kurzwellentroges, der oberhalb von 500 hPa
um 18 UTC das Ijsselmeer und die Rheinmündung erreicht, kommt vermutlich
tageszeitlich ungünstig zu spät.

Apropos Wind, der lebt aktuell bereits an der Südflanke des Tiefs über der
Südhälfte Niedersachsens mit Böen um 60 km/h auf (Bft 7). 20er Fall über Rügen
und 35er Anstieg über dem Emsland (Stand 6 UTC) signalisieren eine weitere
Verschärfung des Gradienten mit Verlagerung des Windfeldes ost-nordostwärts. So
muss ab den Mittagsstunden vor allem vom Wendland und der Altmark über Hamburg
bis nach Ostholstein und in der Folge nach Vorpommern ausgreifend vorübergehend
auch mit stürmischen Böen um 70 km/h gerechnet werden, an der Ostsee mit
Winddrehung auf Nordwest und damit verbreitet auflandiger Komponente ohnehin.
Etwas "löchrig" kommt das ICON-D2-EPS daher, das zwar für die Altmark
strichweise sehr hohe Wahrscheinlichkeiten für Bft 8 nahe 100% simuliert, dann
über Mecklenburg teilweise gar nix zeigt, um dann über Vorpommern wieder
moderate Wahrscheinlichkeiten um die 40% zu erreichen. Aus warnstrategischer
Sicht macht diese Lücke wenig Sinn. AROME simuliert sogar über Westmecklenburg
teils schwere Sturmböen, was auf ein mögliches Vorhandensein eines schwachen
Sting Jets schließen lässt. Anhand der Höhenkonfiguration mit beteiligten IPV
Maximum (Dryslot) lässt sich das nicht ausschließen, Bft 8, vereinzelt 9 sollte
aber eher die Marschroute sein. Weiter südlich bleibt es bis zum Harz und
Erzgebirge mehrheitlich bei Böen der Stärke 7 Bft. Exponierte Gipfel wie der
Brocken und Feldberg sind mit teils schweren Sturmböen Bft 10 dabei.

Egal, ob man es nun am heutigen 31. Oktober mit Martin Luther (Reformationstag)
oder als Gruselfan mit Halloween hält, viel Sonnenschein wird es nicht geben.
Immerhin hält der Abend vielerorts längere trockene Phasen parat. Das
Temperaturniveau bleibt bei guter Durchmischung mit Tagesmaxima zwischen 10 und
16°C überdurchschnittlich.


In der Nacht zum Mittwoch wird der Trog nach Osten abgeschoben und durch einen
kurzen Rücken ersetzt, welcher - klassisch möchte man hinzufügen - von WLA
überlaufen wird. Die WLA speist nicht nur den Rücken, sondern kündigt zudem die
nächste Warmfront an, die sich unweigerlich von Westen her nähert. Diese geht
vom langgestreckten, voraussichtlich zwei Kernen umfassenden Tief DIETER über
dem nahen Ostatlantik, was uns die Fortsetzung der Großwetterlage Tief Britische
Inseln garantiert. Das Hauptdrehzentrum befindet sich knapp nordwestlich von
Irland und kommt nahezu modellübergreifend am frühen Mittwochmorgen auf einen
imposanten Kerndruck von unter 970 hPa.

Zurück nach Deutschland, wo die WLA stabilisierend wirkt und die konvektiven
Niederschläge zögernd abklingen. Mehrschichtige Bewölkung bringt zum Morgen hin
im Westen und Nordwesten neuerlichen "Warmfrontregen" mit sich. Die Mengen sind
aber mit < 5 l/m² gering. Ganz im Süden, etwa ab der Donau lockert die Bewölkung
dagegen stärker
auf, zum Morgen mit gewisser Nebelneigung. Auch von Schleswig bis nach
Vorpommern, wo die trockene Luft eingeflossen ist, stehen die Chancen auf
größere Wolkenlücken gut. Bei vorübergehend windschwachen Verhältnissen geht die
Temperatur in Muldenlagen bei sandigen Böden sogar bis in die Nähe der 0°C-Marke
zurück. In den meisten Regionen des Landes kühlt es auf Werte zwischen 10 und
4°C ab.

Mit Annäherung der Warmfront zieht der Gradient über der Nordsee und im
Nordwesten kontinuierlich an, der Süd- bis Südostwind bleibt aber noch unterhalb
der unteren Warnschwelle. Lediglich auf der offenen See treten die ersten
steifen Böen 7 Bft auf. Unterdessen lassen letzte warnwürdige Böen an der
vorpommerschen Küste nach.


Mittwoch... wird zunächst im Zuge weiter anhaltender WLA im Vorfeld des
umfangreichen Sturmtiefs DIETER nordwestlich von Irland in der Höhe der Rücken
über Mitteleuropa gestützt, der uns - so drastisch muss man es wirklich sagen -
glücklicherweise vorerst vor Schlimmerem bewahrt. Dieser erstreckt sich von
Österreich über die Nordsee bis zu den Shetlands und sorgt zunächst dafür, dass
DIETER kaum Strecke nach Osten gut macht. An dessen Südflanke rauscht allerdings
ein bemerkenswertes Sturmtief entlang des 47. Breitengrades ostwärts und findet
dort ideale Entwicklungsbedingungen vor (hochbaroklines Umfeld, linker
Jetausgang, Auspumpen in der Höhe). So kann es sich bis zum Abend dicht vor der
Südwestküste Irlands als rapide Zyklogenese bereits auf unter 965 hPa vertiefen.
Währenddessen erreicht die thermisch nur schwach ausgeprägte Kaltfront DIETERS
den Westen Deutschlands, womit klar ist, dass tagsüber weite Landesteile
innerhalb des Warmsektors liegen.

Während es unter kompakten Wolken im Nordwesten häufiger, zum Nachmittag und
Abend auch im Westen und Südwesten wieder regnet (teils schauerartig verstärkt,
Gewitter aber sehr unwahrscheinlich), wird es von Brandenburg und Sachsen bis
nach Süddeutschland ein recht freundlicher und trockener Start in den November.
In den Alpen setzt neuerlich der Föhn ein, für einen Durchbruch bis in die Täler
ist der Druckgradient mit 5 hPa (Bozen/Innsbruck) aber zu schwach. Nördlich des
Erzgebirges aber auch am Oberrhein und im Alpenvorland kann es mit
Sonnenunterstützung dennoch für Höchstwerte bis nahe 20°C reichen. Zumeist
werden jedoch 12 bis 17°C gemessen. An der vorpommerschen Küste hält sich noch
längere Zeit die gerade erst eingeflossene kühlere Luft aus Skandinavien und die
Luft erwärmt sich bei vielen Wolken kaum auf 10 Grad.

Der Wind kommt aus südlichen Richtungen und die Nähe zum Sturm macht sich bei
stabiler Schichtung und Oberwinden von 30 bis 40, im Westen punktuell auch 45
Knoten in 850 hPa insbesondere auf den bergen mit steifen bis stürmischen Böen
(Bft 7 bis 8) bemerkbar. Gleiches gilt für die offene Nordsee, wobei primär (aus
Landsichtweise) Helgoland davon betroffen ist. Auch einzelne Leelagen an
Nordrand von Eifel und Sauerland können im Tagesverlauf mit steifen Böen
"anspringen".


In der Nacht zum Donnerstag erreicht die "Bombogenese" über Südengland ihren
Höhepunkt. Der bereits international benannte Orkan CIARAN, der auf den Karten
der Berliner Wetterkarte in Zusammenarbeit mit der FU Berlin den Namen EMIR
trägt, vertieft sich bis Donnerstag Früh nach ICON-EU auf voraussichtlich nahe
950 hPa. Damit wackelt dort der Allzeitrekord für den tiefsten je gemessenen
Luftdruck. Über dem offenen Atlantik kommen vergleichbare Größenordnungen je
wohlweislich häufiger vor.

Während die Kaltfront DIETERs zunehmend von KLA überlaufen wird, dadurch an
Wetteraktivität einbüßt und damit im Osten und Süden kaum noch nennenswerte
Niederschläge mit sich bringt, nähert sich in den Frühstunden von Westen mit
großen Schritten die zunehmend okkludierende Front EMIRs. Weit in dessen Vorfeld
greift kräftige WLA ostwärts aus, so dass Auflockerungen erneut nur von kurzer
Dauer sind und die Wolken von Westen rasch wieder dichter werden. In den
Frühstunden setzt von NRW bis zum Schwarzwald teils kräftiger Regen ein.

Der Wind legt vor allem im Grenzschichtniveau weiter zu und erreicht im Westen
zunehmend 50 bis 60 Knoten. Glücklicherweise liegen die Kammlagen der westlichen
Mittelgebirge tiefer und die Schichtung ist stabil. Gleichwohl wird es im
Bergland zunehmend stürmisch und auch in tiefen Lagen treten zunehmend steife
Böen auf. Die Tiefstwerte liegen ähnlich zu den Vornächten meist zwischen 10 und
4 Grad, in Niederbayern teils etwas darunter.


Donnerstag... macht der Okklusionprozess bei Orkan EMIR weitere Fortschritte und
auch die Achsenneigung zwischen Höhentief verschwindet zunehmend. Damit hat das
Tief seinen Höhepunkt überschritten und es erreicht bis zum Abend in etwa den
Raum Newcastle mit aber immer noch rund 955 hPa. Während der Bretagne 10 Meter
Seegang und Böen bis 200 km/h drohen, kommen wir hierzulande weitestgehend
glimpflich davon.

Die Okklusion mit Kaltfrontcharakter wird - da zunehmend strömungsparallel und
ohne nennenswerte Antriebe aus der Höhe - auf dem Weg nach Osten an
Wetterwirksamkeit verlieren. Östlich von Rostock-Berlin und Dresden stehen die
Chancen gar gut, dass man gänzlich trocken über den Tag kommt. Problematischer
sieht es da schon in Süddeutschland aus, wo die Front durch eine Welle, die vom
Löwengolf Richtung Oberitalien läuft und dort dann angekommen voraussichtlich
lokal für schwere Überschwemmungen sorgt, zurückgehalten wird. Infolgedessen
kommt es über Süddeutschland zu länger anhaltenden Regenfällen. Vor allem an den
Alpen können mehr als 30 l/m² binnen 24 Stunden zusammenkommen. COSMO-LEPS und
ICON-EU-EPS sehen vor allem im Oberallgäu eine Wahrscheinlichkeit über 50%
dafür. Auf der Vorderseite herrscht zuvor noch Föhnsturm mit Höchstwerten
Richtung Salzburg bis nahe 20°C. Mit Föhnzusammenbruch sinkt die
Schneefallgrenze auf unter 2000 Meter ab.

Nach verregnetem Start lockert es in der Westhälfte Deutschlands unterdessen
zunehmend auf, später entwickeln sich einzelne Schauer oder kurze Gewitter.
Dabei ist nach fraglich, wieviel Labilität tatsächlich generiert werden kann.
Weniger fraglich ist die Scherung, die exorbitant hoch ist angesichts der Nähe
zum Jet. Immerhin schiebt sich der Streak mit über 130 Knoten in 300 hPa in den
Westen des Landes. Das führt dann zu DLS teils um 50 m/s und auch LLS von 15-20,
lokal 25 m/s. Die HKN's steigen aber in der Regenpause rasch auf über 1000 m an.
Dennoch muss das Tornadopotential bei kürzerer Regenpause oder aber vermehrten
Schauern speziell vom westlichen Niedersachsen über NRW bis ins Saarland im
Blick behalten werden.

Unstrittig sind die gradientbedingten Sturmböen, die vom Bergland in der
Westhälfte zunehmend auch bis in tiefe Lagen ausgreifen. Auf den Nordseeinseln
und in exponierten Gipfellagen treten teils schwere Sturmböen aus südlichen
Richtungen auf. Ein stärkerer ageostrophischer Einschlag am Rande des Hochs über
der Ukraine ist im Osten und Südosten des Landes zu verzeichnen, wo der Wind
eher aus Südost bis Ost kommt und deutlich unterhalb den Warnschwellen
verbleibt. Möglicherweise reicht es allerdings zeitweise für Böhmischen Wind mit
Böen Bft 7. Dazu bleibt es mild mit Höchstwerten vielfach zwischen 12 und 17°C,
im Dauerregen etwas darunter.


In der Nacht zum Freitag manifestiert sich der umfangreiche Höhentiefkomplex bei
den Britischen Inseln und kommt nur wenig ostwärts voran. An seiner Südflanke
läuft ein markanter und recht breit angelegter Kurzwellentrog ins westliche
Mittelmeer und weitet diesen infolge kräftiger KLA auf der Rückseite effektiv
nach Süden aus. Wir verbleiben auf dessen Vorderseite in einer recht strammen
südlichen Strömung.

Innerhalb dieser ist weiterhin eine nahezu strömungsparallele Luftmassengrenze
eingelagert, die feucht-warme Luft über dem Balkan und Westpolen von kühlerer
Atlantikluft über Westeuropa trennt. So kommt es vorrangig im Osten und Süden
Deutschlands weiterhin zu teils länger anhaltenden Niederschlägen (warnwürdig am
ehesten weiterhin am Alpenrand, allerdings > 1500m als Schnee). Sonst gibt es
nur vereinzelt etwas Regen oder kurze Schauer.

Mit allmählichem Druckanstieg im Tiefkern, der Richtung Doggerbank tendiert,
lässt auch der Wind im Westen langsam nach. Stürmisch bleibt es aber auf höheren
Berggipfeln und über der Nordsee. An den Minima zwischen 10 und 4°C ändert sich
kaum etwas.


Modellvergleich und -einschätzung
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Sowohl bezüglich der Windentwicklung heute im Nordosten als auch bei der
Bewertung der Lage und Intensität des Orkantiefs am Donnerstag haben sich die
Modelle angeglichen. Unterschiede und Bewertungen wurden diesbezüglich im Text
oben erwähnt. AROME ist für die Böen heute Nachmittag mit angekratzten Bft 10 in
Teilen MeckPoms nicht komplett von der Hand zu weisen, ICON-D2 EPS wohl etwas zu
defensiv aufgestellt.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Robert Hausen