DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

30-10-2023 18:30
SXEU31 DWAV 301800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Montag, den 30.10.2023 um 18 UTC


SCHLAGZEILE:
Erdrückender Tiefdruckeinfluss zum Monatswechsel (CORD, DIETER, EMIR), dabei
weiterhin mild.

Synoptische Entwicklung bis Mittwoch 06 UTC
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Aktuell ... fällt der Luftdruck in weiten Teilen des Landes (noch) und das aus
gutem Grund. So nähert sich aktuell von Belgien her eine Welle (CORD), die sehr
fruchtbar mit einem kurzwelligen Höhentrog interagiert. Nicht dass die beiden
Kinder zeugen wollen, nein, das sicher nicht. Vielmehr profitiert die Welle
selbst, indem sie sich auf ihrem nächtlichen Weg via West- und Norddeutschland
gen Ostsee vertieft und zu einem kleinen, aber feinen Tief heranreift, das
Dienstagmittag mit einem soliden Kerndruck von rund 990 hPa dicht vor der
baltischen Küste aufschlägt. Mit Durchgang des Tiefs ändert sich die seit
einigen Tagen festgefahrene Wetterlage bei uns nachhaltig, allerdings nicht -
wie manch einer vielleicht hoffen mag - in Richtung Hochdruckeinfluss. Die
nächsten Zyklonalkandidaten von Doppel-DIETER (zwei Kerne) bis zum EMIR (int.
Ciaran; eine absolute Vollgranate) stehen auf dem Atlantik bereits Schlange,
nichts anderes im Sinne, den Tiefdruckeinfluss in weiten Teilen Europas aufrecht
zu halten. Doch dazu später mehr.

Nun zu den erwähnten Änderungen. Erstens schwenkt von Westen her ein inzwischen
flachgestutzter Höhentrog zu uns, wodurch die seit Tagen andauernde
Vorderseitensituation (südwestliche Höhenströmung) zumindest vorübergehend
beendet wird. Damit einhergehend bricht im Laufe der Nacht der Föhn in den Alpen
zusammen und die wellende, diagonal südwest-nordost-exponiert über dem
Vorhersagerum liegende Luftmassengrenze wird als Kaltfront nach Osten
abgedrängt. Zwar versucht eine südlich der Alpen induzierte Zyklogenese die
Frontpassage zumindest im Süden zu stoppen respektive zu bremsen, was letztlich
aber nicht von Erfolg gekrönt sein wird. Deutlich wird das daran, dass das ganze
Land bis zum frühen Morgen von erwärmter atlantischer Kaltluft (mPs) geflutet
sein wird mit 850-hPa-Temperaturen zwischen 6 und 1°C (heute Abend im gesamten
Südosten noch Subtropikluft xS mit T850 10 bis 16°C).

Zum Wetter, das im Wesentlichen durch ein großräumiges Regengebiet geprägt ist
(Trogvorderseite, Front), welches sich von West nach Ost ausbreitet. Über
Ostfrankreich konnten am Nachmittag direkt an der frontalen Querzirkulation (gut
zu sehen im Radar) einige Gewitter beobachtet werden, die heute Abend auch bei
uns im Südwesten nicht gänzlich ausgeschlossen waren. Insgesamt hapert es aber
an der Labilität, so dass die Wahrscheinlichkeit eher gering ist, dass noch was
passiert. Dafür regnet es teilweise ganz erklecklich mit Mengen, die
gebietsweise zwischen 5 und 10 l/m², im Süden sowie im Nordwesten auch etwas
darüber liegen - und das innerhalb weniger Stunden. Verlängert man den Zeitraum
bis Dienstagnachmittag/-abend, sind direkt am Alpenrand sowie in Teilen
Oberschwabens bis zu 30, lokal vielleicht 40 l/m² drin. Dabei gehört allerdings
zur ganzen Wahrheit, dass mit Luftmassenwechsel auch die Schneefallgrenze sinkt
auf etwa 1500 m. Darüber sind durchaus 5 bis 10 cm, vornehmlich nach Westen hin
exponiert bis zu 20 cm Neuschnee vorstellbar, was bei wintersportaffinen
Anhängern dieses Bulletins aber keine falschen Hoffnungen wecken soll. Die
nächste Föhnlage nebst Mildgebläse ist nicht fern.
Während die Niederschläge im Westen und Südwesten im Laufe der zweiten
Nachthälfte nachlassen bzw. ganz aufhören, zeichnet sich im Nordwesten ein
zweites Maximum ab. Dort sorgt das harmonische Zusammenspiel zwischen dem o.e.
KW-Trog, um das Tief CORD "herumgeholter" Warmluft sowie eine ausgeprägte, nach
Westen gerichtete Rinne mit sehr solider Windkonvergenz (Süd-Südwest vs.
nördliche Richtungen) für bis in den Dienstag andauernde, teils konvektiv
verstärkte Regenfälle, die erst im Laufe des Vormittags und Mittags zur Ostsee
abziehen. Bis dahin sind vornehmlich vom westlichen Niedersachsen bis hoch nach
SH 10 bis 20, lokal bis zu 30 l/m² Niederschlag drin.

Nicht nur die Niederschlagsentwicklung verläuft relativ diffizil, auch der Wind
entpuppt sich als launiger und nur schwer greifbarer Geselle. Fakt ist, dass der
Föhn im Laufe der Nacht von West nach Ost zusammenbricht. Trotzdem bleibt es auf
einigen Alpengipfeln stürmisch, allerdings ändert sich die Richtung von Südost
bis Süd auf West bis Nord. Schwammiger verhält es sich mit der
Druckanstiegswelle, die postfrontal über den Süden hinwegläuft und vornehmlich
im Alpenvorland den Wind kurzzeitig auffrischen lässt (bei gleichzeitiger
Drehung auf Südwest bis West). Die Numerik hält sich mit Signalen zwar zurück,
gleichwohl sind ein paar steife Böen 7 Bft, exponiert vielleicht sogar eine
stürmische Böe 8 Bft möglich.
Auffrischenden Südwestwind gibt es auch im Westen und Norden des Landes und zwar
an der Süd-Südwestflanke des sich intensivierenden Wellentiefs. Von der
nördlichen Mittelgebirgsschwelle bis hoch in die Norddeutsche Tiefebene kommt es
zu einer leidlichen Drängung der Isobaren, was Böen der Stärke 7 Bft, vereinzelt
8 Bft zur Folge hat.

Mit 12 bis 6°C Tiefsttemperatur verläuft auch die kommende Nacht relativ mild.


Dienstag ... baut sich bei uns im Bodendruckfeld, induziert durch den bereits in
der Nacht einsetzenden Druckanstieg, ein flaches Zwischenhoch auf, das aber - so
klar muss man das sagen - nicht viel draufhat und entsprechend auch namenlos in
die Chroniken eingeht. Wie auch, wenn es am Support aus der Höhe fehlt, wo sich
stattdessen der inzwischen leicht negativ geneigte Höhentrog über uns hinweg in
Richtung Osten quält. Die ganz fette Höhenkaltluft bringt der Trog zwar nicht
mit, -23/24°C auf 500 hPa reichen aber aus, um bei gleichzeitig 0 bis +4°C auf
850 hPa eine leidliche Labilität innerhalb der erwärmten polaren Meeresluft zu
erzeugen. Diese Instabilität ist trotz des inzwischen niedrigen Sonnenstands und
des damit limitierten Energieinputs hinreichend, um etwas Konvektion in Gang zu
bringen. Zunächst nur vereinzelt, später vor allem im Südwesten vermehrt, wobei
neben Schauern auch kleinere kurze Gewitter am Start sein können. Viel Blitz und
Donner wird es nicht geben und allzu kräftig dürften die Überentwicklungen
aufgrund der Rahmenbedingungen auch nicht ausfallen (gelb mit Windböen und/oder
Graupel).

Im Norden gilt es zunächst die Regenfälle aus der Nacht im Schlepptau des
Wellentiefs nach Osten zu verabschieden, wobei diese durch kräftige KLA deutlich
an Intensität verlieren und zusehends zerfleddern. Mit Winddrehung auf Nordest
bis Nord wird am Nachmittag deutlich trockenere Luft (PPW teils einstellig) in
den äußersten Norden eingesteuert, die dort für trockene und teils aufgelockerte
Verhältnisse sorgt.
Apropos Wind, der lebt in Teilen Norddeutschlands sowie im Osten auf der
Süd-Südwestflanke des gen Baltikum abziehenden Tiefs vorübergehend böig auf
(Böen 7, exponiert 8 Bft aus Südwest bis West). Bereits am Vormittag beginnend
lässt der Wind mit Drehung auf Nordest bis Nord von West nach Ost wieder nach,
so dass am Abend allenfalls noch die vorpommersche Küste betroffen ist. Im
großen Rest des Landes konzentrieren sich nennenswerte Böen auf die exponierten
Hochlagen des Berglands, wo es z.T. sogar für Böen 8-9 Bft, vereinzelt (Brocken,
Feldberg) 10 Bft reicht.

Viel Sonnenschein wird es morgen in Gedenken an Martin Luther (Reformationstag)
nicht geben, trotzdem bleibt das thermische Milieu mit Tagesmaxima zwischen 10
und 16°C überdurchschnittlich.

In der Nacht zum Mittwoch wird der Trog nach Osten abgeschoben und durch einen
kurzen Rücken ersetzt, welcher - klassisch möchte man hinzufügen - von WLA
überlaufen wird. Die WLA speist nicht nur den Rücken, sondern kündigt zudem die
nächste Warmfront an, die sich unweigerlich von Westen her nähert. Absender ist
übrigens kein Geringerer als Doppel-DIETER, ein längliches, mit zwei Kernen
ausgestattetes Tief über dem nahen Atlantik. Das Hauptdrehzentrum befindet sich
knapp west-nordwestlich von Irland und kommt laut ICON am frühen Mittwochmorgen
auf einen äußerst imposanten Kerndruck von nahe 970 hPa. Andere Modelle sind da
etwas zurückhaltender, aber egal.

Zurück nach Deutschland, wo die WLA stabilisierend wirkt und der anfänglich noch
halbwegs prominent vertretenen Konvektion zunehmend den Garaus macht. Dafür
fängt es später im Westen und Nordwesten stratiform leicht an zu regnen oder
nieseln. Ganz im Süden, etwa ab der Donau lockert die Bewölkung dagegen stärker
auf. Auch ganz im Norden, wo die trockene Luft eingeflossen ist, herrscht
längere Zeit Wolkenarmut, was die Temperatur punktuell in die Nähe der
neuralgischen 0°C-Marke bringt. In den meisten Regionen des Landes kühlt es auf
Werte zwischen 10 und 3°C ab.

Mit Annäherung der Warmfront zieht der Gradient über der Nordsee und im
Nordwesten kontinuierlich an, der Süd- bis Südostwind bleibt aber noch unterhalb
der unteren Warnschwelle. Lediglich auf der offenen See treten die ersten
steifen Böen 7 Bft auf.

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Synoptische Entwicklung bis Donnerstag 06 UTC

Mittwoch ... kommt es über dem nahen Atlantik zu bemerkenswerten
Kreiselbewegungen. Vereinfacht gesagt kreist der EMIR um den DIETER. Etwas
detaillierter formuliert steuert das nahezu ortsfeste, sich noch vertiefende
Tief DIETER west-nordwestlich von Irland das Wellentief EMIR auf der Südflanke
in Richtung Westeingang des Ärmelkanals, wo es in der Nacht zum Donnerstag mit
sage und schreibe unter 960 hPa Kerndruck (manche Simulationen sehen sogar eine
955iger Kernisobare, was nahe am Novemberrekord für diese Region wäre) anlandet.
Rund 35 hPa Druckfall innert 24 Stunden erfüllt ganz klar den Tatbestand einer
sogenannten rapiden Zyklogenese, gern und etwas martialisch auch Bombogenese
genannt. An Isobaren mangelt es auf den Wetterkarten also nicht, aber welche
Konsequenzen ergeben sich für uns.

In aller Kürze und ohne Verben (Details sind der heutigen Frühübersicht zu
entnehmen): Durchgang der o.e. Warmfront von West nach Ost, später Annäherung
der schwachen Kaltfront. Etwas Regen im Westen und Nordwesten, trocken und teils
aufgelockert der Rest. Mild (T850 6 bis 10°C, hinter der KF nur wenig darunter).
Auflebender südlicher Wind, warnwürdig zunächst aber nur in höheren Lagen sowie
an und auf der Nordsee.

In der Nacht zum Donnerstag im Westen neuer frontaler Regen (EMIR) und weiter
auffrischender Südostwind. In den Alpen erneut aufkommender Föhnsturm.


Modellvergleich und -einschätzung
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Im Großen und Ganzen ziehen die Modelle an einem Strang. Gerade was die
Positionierung und Intensität der kräftigen Tiefdruckgebiete angeht, weist die
Numerik trotz einiger Unschärfen eine hohe Kongruenz auf. Wir hier in
Deutschland sind davon nur peripher betroffen, die Hauptmusik spielt eindeutig
in Westeuropa.


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann