DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

03-10-2023 07:30
SXEU31 DWAV 030800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 03.10.2023 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
SW a; Übergang zu W a (mit zyklonalem Touch im Norden)

Heute Kaltfrontpassage mit Sturmböen und örtlichen Gewittern mit Unwettergefahr!
Mittwoch und Donnerstag im Norden unbeständig, an der See sehr windig, sonst
Wetterberuhigung.

Synoptische Entwicklung bis Donnerstag 24 UTC
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Dienstag... wird unser Spätsommerwetter mit Pauken und Trompeten vertrieben.
Verantwortlich dafür zeigt sich das kleine Randtief NOAH, das sich an der
Südflanke des steuernden Zentraltiefs MAXIMILIAN über der Norwegischen See von
der südlichen Nordsee über Dänemark und Südschweden zur mittleren Ostsee
verlagert. Es liegt zwar eher entwicklungsungünstig im rechten Ausgangsbereich
des Höhenjets, allerdings erfährt es auf der diffluenten Vorderseite eines
markanten Kurzwellentroges, der von den Britischen Inseln im Tagesverlauf nach
Nordwestdeutschland schwenkt, PVA und damit nochmal einen Entwicklungsschub. Der
minimale Luftdruck sinkt von anfänglich rund 1000 hPa auf rund gut 990 hPa. Die
Kaltfront erreicht uns bereits am Vormittag im Westen und Nordwesten und
schwenkt im Tagesverlauf zügig südostwärts. Abends erreicht sie bereits die
Neiße und das Alpenvorland. Präfrontal wird mit südwestlicher Strömung nochmal
ein Schwall außergewöhnlich warmer Subtropikluft herangeführt (T850 bis 17 °C).
Vor allem die Südosthälfte profitiert nochmal längere Zeit vom Warmsektor,
sodass bei längerem Sonnenschein und guter Durchmischung rekordverdächtige
Höchstwerte bis nahe 30 °C möglich sind. In der Nordwesthälfte fließt
postfrontal zügig deutlich kühlere, wenn auch alles andere als kalte subpolare
Meeresluft ein (T850 auf rund 4 °C absinkend), sodass die Höchsttemperaturen von
19 bis 24 °C eher schon am Vormittag/Mittag erreicht werden und es danach
abkühlt.

Rein thermisch betrachtet verdient die Kaltfront also definitiv ihren Namen.
Dennoch ist sie im Westen und Nordwesten zunächst wenig wetterwirksam, was an
überlagerter KLA liegt. Erst nach Osten und Südosten zu wird sie durch bessere
Interaktion mit dem Trog aktiviert und die Niederschlagstätigkeit nimmt zu. Die
Kaltfront befindet sich dabei eher in einem Bereich relativ stabiler Schichtung,
zumindest beim Blick auf die Lapse Rates. Erhöhte Labilität findet sich eher
mitten im Warmsektor, dort allerdings relativ stark gedeckelt, was eine Auslöse
unwahrscheinlich macht, und innerhalb des übergreifenden Troges im Nordwesten.
Der Schein trügt aber: In den Prognosesoundings zeigt sich in einem schmalen
Streifen unmittelbar vor der Kaltfront eine sehr schmale, aber immerhin bis rund
500 hPa hochreichende Labilitätsfläche, gleichbedeutend mit 100 bis 300 J/kg
CAPE. Das reicht aus, um konvektive Umlagerung an der Kaltfront auszulösen. Im
Hinblick auf die Zutaten kann man von einer klassischen High-SHEAR-Low-CAPE Lage
sprechen, die Scherung ist in allen Niveaus mäßig bis stark, die Hodographen
zumeist geradlinig (Geschwindigkeitsscherung). Die Konvektion kann sich somit
entlang der Kaltfront linienhaft organisieren, auch einzelne, eingelagerte
Gewitter sind wahrscheinlich. Bezüglich der Begleiterscheinungen im Fokus stehen
dabei ganz klar die Böen. Die Kaltfront korrespondiert mit einem gut
ausgeprägten Low-Level-Jet knapp 50 Knoten auf 850 hPa. Das Heruntermischen des
Oberwindes wird dabei von der sehr labilen Grenzschicht der aufgeheizten
Warmluft in der Südosthälfte begünstigt. Demnach sind vor allem in der
Südosthälfte mit Kaltfrontpassage vorübergehend Sturmböen wahrscheinlich, bei
Gewittern, insbesondere im Bereich von Bogensegmenten oder eingebetteten
Superzellen auch schwere Sturmböen oder gar orkanartige Böen. Am
wahrscheinlichsten ist das vermeintlich in einem Korridor von der Mitte (Hessen,
Südniedersachsen, nördliches Bayern bis nach Sachsen und Südbrandenburg), nicht
aufgrund der Signale in der Probabilistik (ICON-D2-EPS mit bis zu 50%
Wahrscheinlichkeit für Böen 10 Bft), sondern auch aufgrund der günstigen
Position der Kaltfront am rechten Eingang des Höhenjets. Dies wäre auch der
Bereich, für den man sich eine Vorabinfo vorstellen könnte. Es ist zwar per
Defintion keine überregionale Unwetterlage, der Impact ist aufgrund der
belaubten Bäume und des Feiertages mit Veranstaltungen aber durchaus
unwetterartig, wenn es zu den angesprochenen Böen kommt. Die Tornadogefahr ist
bei solchen Lagen stets leicht erhöht, fehlende streamwise Vorticity (gerade
Hodographen) und recht hohe Wolkenuntergrenzen limitieren die Gefahr allerdings.
Starkregen ist bei PPWs bis 35 mm zwar nicht ausgeschlossen, wegen der kurzen
Dauer der Ereignisse aber wenig wahrscheinlich.

Den schauerartigen Regenfällen und einzelnen Gewittern, die mit dem Trog
postfrontal am Nachmittag auf den Nordwesten übergreifen, stehen ähnlich viel
CAPE und Scherung wie den Gewittern an der kaltfront zur Verfügung, allerdings
nimmt der Höhenwind bereits ab, sodass es eher bei Sturmböen bleibt.

Auch abseits von Kaltfront und Konvektion ist der Wind rein aus dem Gradienten
heraus ein Thema, mit Ausnahme des Südostens aber eher in der Größenordnung Bft
7-8, an der See und im Bergland Bft 9, auf Berggipfeln je nach Höhenlage
entsprechend mehr. Dahingehend sind die Warnungen bereits herausgegeben, die
Warnungen für die Böen an der Kaltfront werden im Tagesverlauf zeitnäher
geschaltet.

In der Nacht zum Mittwoch zieht der Trog ostwärts durch, das Sturmtief zieht
nach Karelien. In der sich rückseitig einstellenden westlichen Höhenströmung
folgen allerdings weitere kleine, kurzwellige Anteile, die im Norden für
zyklonale Verhältnisse sorgen. Im Bereich relativ höhenkalter Luft und Labilität
kommt es an der See und im angrenzenden Binnenland zu weiteren Schauern und
einzelnen Gewittern. Scherung ist zwar weiterhin mäßig, die Abkopplung der
Grenzschicht dürfte das Böenpotenzial aber mindern. Dennoch sind Sturmböen
durchaus möglich.

Apropos Böen: Zwischen einem nach Süddeutschland vorstoßenden Hochkeil und dem
Tiefkomplex über Nordeuropa bleibt in der Nordhälfte ein gewisser Gradient
erhalten. An der See und im angrenzenden Binnenland treten steife bis stürmische
Böen auf, ansonsten lässt der Wind aber deutlich nach und fällt unter die
Warnschwellen (vom oberen Bergland ausgenommen), im Süden schläft der Wind im
Keil sogar gänzlich ein.

Die Kaltfront zieht auch im Süden zügig ab, allerdings kommt es an den Alpen
staubedingt noch längere Zeit zu schauerartigen Regenfällen, anfangs auch noch
zu Gewittern, wobei die Starkregengefahr (ein- und mehrstündig) dort etwas
erhöht ist. Dazwischen setzt sich von Südwesten Wetterberuhigung durch und die
Wolken lockern auf. Vor allem im windschwachen Süden und Südwesten bildet sich
örtlich Nebel.

In der eingeflossenen modifizierten subpolaren Luftmasse gehen die Tiefstwerte
im Norden unter den Wolken auf rund 11 °C zurück, über der Mitte und dem Süden
auf 9 bis 5 °C, entlang der Alb auf bis zu 3 °C (örtlich Frost in
Bodennähe?).


Mittwoch... bleiben wird unter einer westlichen Höhenströmung mit zyklonalen und
labilen Verhältnissen ganz im Norden. Dort stellt sich ein wechselhafter Tag mit
Schauern und kurzen Gewitter ein, die aufgrund mäßiger Scherung und weiterhin
üppigen Oberwinden (850 hPa: bis 40 Knoten) mit Sturmböen einhergehen können.
Auch der Wind aus dem Gradienten heraus bleibt warnwürdig, die steifen Böen
greifen mit dem Tagesgang wieder etwas weiter ins Binnenland aus, an der See
gibt es stürmische Böen, auf Gipfeln der nördlichen Mittelgebirge Sturmböen.

Ansonsten macht sich der Einfluss einer Hochdruckbrücke mit Divergenzachse über
Süddeutschland bemerkbar. Sich im Tagesverlauf bildende Quellbewölkung läuft an
der Absinkinversion bereits bei rund 800 hPa breit und sorgt zwar für einen
vorübergehend wolkigen Wettercharakter, allerdings ohne, dass es zu Niederschlag
kommt. Am meisten Sonne gibt es ganz im Süden.

In der gut durchmischten subpolaren Meeresluft steigen die Temperaturen auf
Maxima zwischen 16 und 21 °C.

In der Nacht zum Donnerstag wölbt sich über Westeuropa ein Rücken auf, sodass
die Höhenströmung über uns etwas auf Nordwest aufsteilt. Darin läuft ein etwas
markanterer kurzwelliger Trog über den Norden und Nordosten Deutschlands hinweg.
Dieser stützt ein kleines Randtief, das über den Süden Skandinaviens zur
südlichen Ostsee zieht. Die teil-okkludierte Kaltfront gelangt mit
schauerartigem Regen in den Norden und auch der Gradient zieht wieder etwas an.
An der See treten dadurch wieder häufiger stürmische Böen und einzelne Sturmböen
auf.

Im großen Rest des Landes ändert sich wenig, teils ist es wolkig, teils klar, im
Süden bildet sich wieder örtlich Nebel.

Der nächtliche Temperaturgradient baut sich weiter auf mit 13 °C (Küsten) bis 2
°C (Alb). Im Süden muss gebietsweise mit leichtem Frost in Bodennähe gerechnet
werden.



Donnerstag... intensiviert sich der Rücken über Westeuropa und weitet sich bis
zur Norwegischen See aus. Die nordwestliche Höhenströmung steilt über
Deutschland dadurch noch etwas auf. Der darin eingelagerte Kurzwellentrog zieht
ins östliche Mitteleuropa ab, sodass es sich auch im Norden und Nordosten
allmählich Absinken und eine Stabilisierung durchsetzt. Entlang der schleifenden
Front diagonal über der Norddeutschen Tiefebene kommt es allerdings noch zu
etwas Regen, der im Tagesverlauf aber immer mehr nachlässt. Vor allem Richtung
Küste lockert die Bewölkung auch etwas auf, insgesamt herrscht im Norden aber
eher ein wolkiger Wettercharakter.

Auch in der Mitte und im Süden verstärkt sich der Hochdruckeinfluss. Im Westteil
erfährt die Hochdruckbrücke eine Intensivierung, sodass sich eine eigenständige
Hochparzelle (TORA) ausbilden kann, die mit ihrem Schwerpunkt nach
Südwestdeutschland zieht. Vor allem im Süden und Südwesten scheint neben flachen
Quellwolken längere Zeit die Sonne, über der Mitte ist die Quellbewölkung etwas
dichter, aber auch dort kann man von einem freundlichen, trockenen
Wettercharakter sprechen.

Der Gradient bleibt zwischen dem neuen Hoch und dem zum Baltikum abziehenden
Randtief im Nordosten und Osten noch nennenswert, sodass an der Ostsee steife,
anfangs auch stürmische Böen zu erwarten sind. Eventuell reicht es auch im
Binnenland im Nordosten und Osten für die ein oder andere Böe 7 Bft.

Das Temperaturniveau bleibt fast unverändert, die Höchstwerte liegen meist
zwischen 17 und 21 °C.

In der Nacht zum Freitag nähert sich der Rücken dem Vorhersagegebiet langsam an,
sodass sich die nordwestliche Höhenströmung zunehmend antizyklonal konturiert.
Das Bodenhoch, das sich mit seinem Zentrum über Süddeutschland befindet,
verstärkt sich und weiten sich weiter nach Norden aus. Die Front über dem Norden
wird rückläufig und schwenkt als Warmfront des Tiefs bei Island nordostwärts.
Sie ist durch das überlagerte Absinken aber nicht sonderlich aktiv und sorgt im
Norden und Nordosten allenfalls für viele Wolken und ein paar Tropfen Regen. Der
Gradient fächert auch im Nordosten auf und der Wind lässt nach.

In der Mitte ist es teils wolkig, im Süden oft klar und örtlich neblig.

Bei der Temperatur bleibt das Süd-Nord-Gefälle erhalten mit 3 °C im südlichen
Bergland und 15 °C an der Nordsee.




Modellvergleich und -einschätzung
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Die synoptischen Basisfelder werden von den Modellen sehr ähnlich simuliert. Die
mesoskalige Windentwicklung nebst der Konvektion an der Kaltfront werden
allerdings zum Teil noch sehr unterschiedlich behandelt. Das betrifft nicht nur
die Magnitude der Böen, sondern auch die Verbreitung und die räumlichen
Schwerpunkte. Während ICON-D2 und das angeschlossene EPS deutlich den Korridor
von der Mitte bis in den Osten im Fokus sehen, simulieren externe,
hochauflösende Modelle schwere Sturmböen teils auch bis weit nach Bayern hinein.
Aufgrund dieser diffusen numerischen Guidance bei gleichzeitig vermeintlich eher
regionalen Unwettergefahr hat man sich in der Frühkonferenz darüber verständigt,
auf eine Vorabinfo zu verzichten. Vielmehr werden die Sturm- und
Gewitterwarnungen an der Kaltfront offensiv und nach Möglichkeit mit etwas
Vorlauf herausgegeben.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Adrian Leyser