DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

02-08-2023 08:30
SXEU31 DWAV 020800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Mittwoch, den 02.08.2023 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Wz (West zyklonal) mit Trend in Richtung TrM (Trog Mitteleuropa)

Komplexe und alles andere als langweilige Tiefdrucklage weitab von allem, was
man landläufig unter Hochsommer versteht.

Synoptische Entwicklung bis Freitag 24 UTC
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Mittwoch... befindet sich Deutschland im Einflussbereich des hochreichenden
Tiefs XAN (int. Patricia), das heute Morgen mit einem Kerndruck dicht bei 980
hPa die Irische See überquert und heute Abend auf der westlichen Nordsee
anlandet. Gut möglich, dass bis dahin ein zweiter Kern geboren wird, was aber
zunächst mal nur von akademischem Interesse ist. Weit wichtiger ist das
zugehörige Frontensystem, das uns heute nach allen Regeln der Kunst beehrt und
einmal mehr für einen sehr unbeständigen Tag im Hochsommer sorgt. Der
stratiforme, durch starke WLA getriggerte Warmfrontregen hat den Südwesten
bereits erreicht. Er scheint tatsächlich recht weit südlich anzusetzen und somit
eher der ICON-Lösung zu entsprechen, die ja bereits gestern im Gegensatz zu den
Externen die südlichste Variante angeboten hat. Ein Grund dafür scheint die
Position des flachen Rückens zu sein, der der WLA hinterherhinkt und bei uns
eine west-nordwestliche Höhenströmung induziert. Erst später erfolgt eine
leichte Rückdrehung auf West-Südwest ergo eine Verlagerung des Regens gen
Ost-Nordost. Wie auch immer, die im Raum Paris beobachteten 3-stündigen Mengen
von z.T. 15 bis 20 l/m² lassen den Schluss zu, dass es in den nächsten Stunden
vor allem im nördlichen BaWü mit Schwerpunkt Nordschwarzwald sowie vom Saarland
über die Pfalz bis nach Südhessen ordentlich "gallert". Unter dem Strich handelt
es sich um eine Mischung aus Stark- und Dauerregen (die internen Kriterien
lassen da ja eine Menge Spielraum), warntechnisch wurde die Dauerregenkarte
gezogen (weil der am Nachmittag an der schleifenden Kaltfront noch auftretende
Regen mit eingefangen werden sollte). Akkumuliert bis heute Abend sind maximal
25 bis 35, im Stau des Nordschwarzwalds bis zu 50 l/m² drin, was eine recht
ordentliche Portion darstellt. Etwas geringer fallen die Niederschläge am
Nachmittag weiter östlich, sprich in Franken und der Oberpfalz, wo die Warmfront
ganz geschmeidig drüber hinwegzieht. Gebietsweise sind trotzdem 10 bis 20 l/m²
drin, mit konvektiver Einlagerung lokal auch etwas mehr (=> Starkregen).

Apropos konvektive Einlagerung, es fällt auf, dass insbesondere ICON-D2 im
Postprocessing viele in den frontalen Regen eingelagerte Gewitter anbietet, was
in der Verbreitung und Häufigkeit übertrieben scheint. Labilität und CAPE (MU)
sind kaum vorhanden, so dass eher von ungewittrigen schauerartigen Verstärkungen
auszugehen ist, was vereinzelte Blitze nicht ausschließt. Vielleicht reicht es
im Alpenvorland für vereinzelte Gewitter, wenn es dort noch mal etwas aufreißen
sollte und die Luftmasse energetisch aufbereitet wird. Warm genug ist es ja,
steigt doch T850 mit föhniger Unterstützung auf rund 17°C (Tmax bis zu 26 oder
27°C).

Vom Süden in die übrigen Landesteile, wo die Kaltfront (Mitte; nach Südwesten
zurückhängend bzw. schleifend) respektive die Okklusion (Norden) relativ zügig
ost-nordostwärts durchmarschieren. Auch dabei tritt skaliger Regen auf, der aber
längst nicht so intensiv ausfällt wie im Südwesten. Ähnlich wie im Süden bietet
ICON-D2 eingelagerte Gewitter an, die auch hier übertrieben scheinen. Ganz
anders die Situation auf der Rückseite, wo eine Portion erwärmter Meeresluft
(sub)polaren Ursprungs (die Luftmasse muss einen weiten Bogen um das Tief
schlagen) im Westen und Nordwesten anlandet. T500 um -14°C bei T850 um 10°C ist
nicht unbedingt erzlabil, trotzdem können aufgrund des relativ hohen
Wasserdampfgehalts (PPW 25 bis 30 mm) einige hundert Joule pro Kilogramm CAPE
generiert werden, mit denen sich konvektiv durchaus was anfangen lässt. Zumal
die Scherungsbedingungen extrem günstig sind (LLS bis zu 15 m/s inkl.
Richtungsscherung durch einen durchziehenden Bodentrog; DLS 25 bis 35 m/s) und
auch unter dynamischen Gesichtspunkten was zu holen ist. So ist die zunehmende
südwestliche Höhenströmung nicht nur diffluent konfiguriert, es manifestiert
sich in der Mitte sogar ein Jetstreak mit bis zu 130 Kt auf 300 hPa. Teile
Westfalens und Niedersachsens gelangen unter den linken Ausgangbereich mit der
meisten Höhendivergenz, was natürlich äußerst hebungsfördernd ist. Kurzum, im
Westen und Nordwesten entwickeln sich am Nachmittag und Abend einige kräftige
Gewitter, die zu einzelnen Superzellen erwachsen können (deutliche Signale für
Updraft Helicity durch ICON-D2) oder sich in kleinen Linien- bzw. Bogensegmenten
organisieren. Die Frage ist, wie lange halten sich diskrete und somit auch
intensive Zellen bzw. wie schnell kommt es zu einem Zusammenschluss
(Multizellen, Verclusterung). Die Antwort fällt schwer und kann wahrscheinlich
erst im Nowcasting vollends zufriedenstellend beantwortet werden. Auf alle Fälle
sollte in der Basis von markanten Gewittern mit Böen bis 9 Bft, kleinem Hagel
und Starkregen um 20 l/m² ausgegangen und stärkere Entwicklungen (SR um 30 l/m²,
Hagel um 2 cm und Böen um oder über 100 km/h) ins Kalkül gezogen werden. Ach ja,
aufgrund der stark absinkenden Wolkenuntergrenze (HKN z.T. unter 1000 m) sind
sogar rotierende Zellen nicht ausgeschlossen, sprich, vereinzelte Tornados
möglich, was in den Warnlageberichten auch so formuliert wurde.

Und als ob das nicht schon alles kompliziert genug wäre, kommt auch noch eine
weitere, um Beachtung bemühte Komponente ins Spiel: der Wind. So nimmt der
Gradient von Westen her kontinuierlich zu, was einen auffrischenden Süd- bis
Südwestwind zur Folge hat. Am rasantesten geht es in den Hochlagen zu, wo
exponiert Böen bis 9 Bft auftreten. Der Brocken und der "schwarze" Feldberg
bringen es gar auf schwere Sturmböen oder orkanartige Böen 10 bis 11 Bft. In
tieferen Lagen West- und Südwestdeutschlands sowie Teilen der Mitte stehen
steife Böen 7 Bft, vereinzelt stürmische Böen 8 Bft auf der Karte. Mit Ausnahme
des warmen äußersten Südens (25°C+) erreicht die Temperatur Tageshöchstwerte
zwischen 19 und 24°C.

Am Abend und in der Nacht zum Donnerstag zieht das (Doppel)Tief via Nordsee gen
Jütland, wobei es sich langsam auffüllt auf etwas unter 990 hPa. Der vom
Höhentief ausgehende Trog erreicht den Norden und Westen des Landes, während in
den übrigen Regionen eine relativ glatte südwestliche Strömung vorherrscht.
Dabei verlagert sich der o.e. Jetstreak allmählich nach Süden. Ein an das Tief
gekoppelter Bodentrog erreicht den Westen und sorgt dabei für eine leichte
Gradientverschärfung, so dass der Wind entgegen sonstiger Gepflogenheiten nicht
seine wohlverdiente Nachtruhe bekommt, sondern vor allem im Westen und in der
Mitte weiter ackern muss (7-8 Bft). Auf den Bergen legt er sogar noch eine
Schippe zu, was dem Brocken und dem Feldberg im Schwarzwald ein paar "glatte"
Orkanböen 12 Bft beschert.

Ansonsten gilt es zu konstatieren, dass die Kaltfront zwar schleppend, aber
bemüht die Alpen ansteuert, wobei sie durch eine Zyklogenese südlich des
Hochgebirges zusehends ausgebremst wird. Auf alle Fälle kommt es im Süden zu
weiteren Regenfällen, die sich mehr und mehr in die Gebiete südlich der Donau
zurückziehen. Vereinzelte eingelagerte Gewitter sind ebenso nicht ausgeschlossen
wie schauerartige Verstärkungen, die zumindest örtlich die Starkregenschwelle
reißen können.
Im Norden und Teilen der Mitte ziehen die angesprochenen Gewitter
ost-nordostwärts ab, wobei sie aus dem höhendivergenten Bereich herauslaufen und
sich entsprechend abschwächen. Gleichwohl muss etwa bis Mitternacht ein genaues
Auge auf die Entwicklung geworfen werden. Mit Übergreifen des o.e. Höhentrogs
setzen später im Westen und Nordwesten neue schauerartige Regenfälle ein, wobei
auch einzelne Gewitter mit Böen 7-8 Bft nicht ausgeschlossen werden können.
Durch die Nähe zum Tiefkern ist es im Bereich der Deutschen Bucht ziemlich
windarm mit schwachen umlaufenden Winden ergo erhöhter Richtungsscherung. Es
sollte uns also nicht wundern, wenn bei sehr niedrigem HKN vereinzelte
Typ2-Tornados insbesondere über dem Wasser ("waterspouts") auftreten.

Zwar ist die subpolare Luftmasse nicht überbordend warm, aufgrund des Windes
kühlt es aber nicht besonders stark ab. Sprich, die nächtlichen Tiefstwerte
dürften meist zweistellig zwischen 18 und 11°C liegen.

Donnerstag... zieht Mr. XAN nach Südschweden, wobei er nur wenige Pfunde zulegt
und bei knapp unter 995 hPa bleibt - Respekt. Der zugehörige, vergleichsweise
scharf geschnittene Bodentrog überquert Deutschland von West nach Ost und
erzeugt dabei ein veritables sommerliches Starkwindfeld, das weiten Landesteilen
einen windigen bis stürmischen 3. August beschert - herzlich Willkommen im
Frühherbst. Mit Ausnahme einiger Regionen Norddeutschlands sowie in Südostbayern
erreicht der Südwestwind in Böen Stärke 7-8 Bft. Richtig stürmisch wird es im
Bergland, wo je nach Exposition (schwere) Sturmböen 9-10 Bft, auf dem Brocken
sogar Orkanböen anstehen. An der Nordsee frischt der Wind erst am Nachmittag
auf, wenn er rückseitig auf Nordwest dreht (Böen 7 Bft).

Während die Lage im bodennahen Bereich relativ klar erscheint, stellt sie sich
in der Höhe etwas komplizierter dar. Grund ist der vom Höhentief nach Südwesten
reichende Trog, der in seinem Nordteil über Norddeutschland hinweg nach Osten
schwenkt. Derweil gewinnt er weiter südwestlich, genau genommen über Frankreich
zunehmend an Amplitude, was freilich seiner Progression hinderlich ist. Mit
anderen Worten, weite Teile der Südosthälfte verbleiben unter einer relativ
glatt konturierten südwestlichen Höhenströmung. Wettertechnisch bedeutet das für
den Süden und Südosten weitgehend trockene Verhältnisse und sogar zeitweiligen
Sonnenschein bei 22 bis 25°C, im östlichen Sachsen vielleicht sogar 26°C. Eine
kleine Ausnahme stellen der östliche Alpenrand sowie das südöstliche Oberbayern
dar, wo das Tief über Oberitalien kleine Aktienpakete besitzt (mehr Bewölkung,
Schauer, vielleicht sogar ein Gewitter, etwas kühler).

In der Nordwesthälfte überwiegt starke Bewölkung mit schauerartigen Regenfällen
und einzelnen Gewittern, die aufgrund des Windes (Böen 8 Bft) markant ausfallen
können, teils aber auch mit Gelb bewarnt werden können. Die Temperatur erreicht
Höchstwerte zwischen 18 und 24°C, im höheren Bergland um 15°C.

In der Nacht zum Freitag verbleiben wir auf der Vorderseite des weiterhin nach
Südwesten zurückhängenden Höhentrogs. Nennenswerte Hebungsimpulse lassen sich
aus der südwestlichen Höhenströmung nicht ableiten, so dass die Niederschläge
mit Hilfe des Tagesgangs nachlassen. Am längsten treten Schauer und vereinzelte
Gewitter an der Ostsee (abziehender Randtrog plus warmes Oberflächenwasser)
sowie im Südosten Bayerns (Oberitalientief) auf. Nachlassen tut auch der auf
West bis Nordwest drehende Wind. Warnwürdige Böen 7 Bft treten bis zum Morgen
nur noch an einigen Küstenabschnitten Mecklenburg-Vorpommerns auf. Die
Temperatur geht auf 16 bis 10°C in einigen Mittelgebirgen bei Aufklaren bis etwa
8°C zurück.

Freitag... kommt es im Bereich der französisch-italienischen Grenze zur
Abtropfung des o.e. Höhentrogs. Während das Cut-Off-Tief nach Oberitalien zieht,
nähert sich das nördliche Residuum nur ganz langsam dem Vorhersageraum. Bodennah
verbringen wir den Freitag im gradientarmen Niemandsland, in dem mit etwas gutem
Willen eine schwache Brücke zu erkennen ist (Verbindung zwischen dem Azorenhoch
und mäßig hohem Luftdruck in Osteuropa). Nur der äußerste Norden und Nordosten
hängt noch am Tropf (Bodentrog) des über den Bottnischen Meerbusen abziehenden
Tiefs XAN.

Wettermäßig stellt sich im Norden und Osten wechselnde Bewölkung ein, in der es
häufig trocken bleibt. Zum Nachmittag muss mit Annäherung des o.e. Residuums im
Nordwesten aber mit schauerartigen Regenfällen und einzelnen Gewittern gerechnet
werden. Schauerartige Regenfälle und Gewitter stehen auf alle Fälle im Süden und
Südwesten auf der Karte, wobei eine gewisse Starkregengefahr nicht zu leugnen
ist. Nicht ausgeschlossen, dass das Ganze am Alpenrand sowie im südöstlichen
Bayern ab dem Abend in eine Gegenstromlage mit andauernden Regenfällen übergeht,
die am Alpenrand staubedingt verstärkt werden. ICON und UK10 hauen ganz schön
auf die K... mit z.T. über 40 l/m² innert 12 h, was Unwetter bedeuten würde. Mal
sehen, was davon übrigbleibt. Thermisch sollten wir uns am Freitag auf maximal
17 bis 24°C einstellen.

Modellvergleich und -einschätzung
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Die Basisfelder werden von den Modellen wie so oft gar nicht mal so unähnlich
simuliert. Erfreulich, dass ICON beim heutigen Regen in Süddeutschland
(Warmfront + schleifende Kaltfront) schon früh ein gutes Näschen hatte und sich
die externen Modelle anpassen mussten (bei der Regenlage von vorgestern auf
gestern war es eher umgekehrt).
Fragezeichen gibt es nach wir vor bezüglich der postfrontalen Konvektion der
Marke "low CAPE, high SHEAR" ab heute Nachmittag. So stehen die von den Modellen
durchweg gelieferten nahezu optimalen Rahmenbedingungen für kräftige
Umlagerungen (sogenannte Zutatenmethode mit gebietsweise sehr guter Überlappung)
im Widerspruch zu den numerischen Outputs, die weder beim Wind/Sturm noch beim
Niederschlag besonders auffällig sind. Auch die probabilistischen
Anschlussverfahren sind diesbezüglich eher "enttäuschend". Letztlich führt diese
Diskrepanz dazu, dass die Möglichkeit unwetterartiger Gewitter bis hin zu
Tornados in den Warnlageberichten (national und regional) zwar erwähnt, auf
weitere Maßnahmen (Vorabinfo, Clip etc.) aber verzichtet wird. Wenn man so will
eine klassische "low probability, high risk"-Konstellation, die warntechnisch
immer mit Schwierigkeiten, vor allem in der Kommunikation verbunden ist.

Kurz noch ein Satz zur morgigen Wind- und Sturmentwicklung, die warntechnisch
aufgrund der Jahreszeit tendenziell offensiv angegangen wird (also eher mal
markante Warnungen statt "gelb mit Häkchen").

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann