DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

01-08-2023 08:30
SXEU31 DWAV 010800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Dienstag, den 01.08.2023 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Wz (West zyklonal) mit Tendenz zu TrW/TrM (Trog West- bzw. Mitteleuropa)

Von Hochsommer im landläufigen Sinne weiterhin meilenweit entfernt - stattdessen
ein Tief nach dem nächsten. Wiederholt Regen/Gewitter, zeitweise windig bis
stürmisch.

Synoptische Entwicklung bis Donnerstag 24 UTC
--------------------------------------------------------------
Dienstag... 1. August, wir schreiben Hochsommer, mitten in den Hundstagen,
angeblich die heißeste Zeit des Jahres. Doch was ist, nix Hunde, nix Hitze,
alles Schmarrn. Stattdessen wird uns derzeit eine zyklonale Westlage vom
Allerfeinsten kredenzt, in der ein Tief das nächste jagt, ein Trog den nächsten
ablöst, warme und kalte Fronten nonchalant durchmarschieren und sich Schauer
respektive Gewitter mit andauerndem Landregen die Klinke in die Hand geben, so
dass man schnell mal die Übersicht beim Schreiben des Wetterberichts verlieren
kann. Nun ja, dem einen oder der anderen gefällt´s, viele sind aber auch am
Fluchen. Schlussendlich hilft alles nichts, Petrus entscheidet, und der scheint
-warum auch immer - weiterhin auf Krawall gebürstet zu sein. Versuch einer
Chronologie der Ereignisse.

Aktuell steht bei uns alles im Zeichen des hochreichenden Tiefs WENZESLAUS
(etwas unter 995 hPa), das im Laufe des Tages die Kimbrische Halbinsel in
Richtung Südschweden passiert. Ausgehend vom Höhendrehzentrum erstreckt sich ein
veritabler Randtrog leicht nach Südwesten, der aber in den nächsten Stunden
volle Kanone auf den Vorhersageraum übergreift und - wir ahnen es schon - für
einen sehr wechselhaften Monatsstart sorgt. Bevor es richtig soweit ist, gilt es
aber erstmal die leicht schleifende Kaltfront des Tiefs über Süddeutschland
hinweg zu den Alpen zu verschieben, was mindestens den Vormittag andauert. In
der präfrontal lagernden feuchten, leicht subtropisch angehauchten Luftmasse
(PPWs locker über 30mm, schwach labil) kommt es zu teilweise bandförmig
organisierten Regenfällen (wahrscheinlich trogvorderseitige PVA-Maxima gepaart
mit guter Scherung), in denen sowohl Gewitter als auch ungewittrige
Starkregenschauer eingelagert sein können. Evtl. kommen zu den laufenden
Dauerregenwarnungen kurzfristig noch ein paar regional eng begrenzte
Starkregenwarnungen dazu, verbunden mit der Hoffnung, dass das Messnetz in Kürze
wieder vollständig angezeigt wird. Das vormittägliche Flächenmittel liegt im
Süden und Südosten etwa zwischen 3 und 10 l/m² innert 6 h, gebietsweise auch
etwas darüber, bei konvektiven Einlagerungen (Starkregen) sowie in Weststaulagen
des Allgäus sowieso.

Postfrontal strömt mit flüssiger westlicher Strömung erwärmte Meeresluft polaren
Ursprungs ein, in der T850 auf rund 8°C, T500 auf rund -17°C zurückgeht. Damit
ist ein leidlicher vertikaler Temperaturgradient vorhanden, der ausreicht, um
mit Hilfe des Tagesgangs einige gepflegte konvektive Umlagerungen zu generieren.
Dabei ist es nicht von Nachteil, dass die Luftmasse gerade im Norden mit PPWs
zwischen 25 und 30 mm bei knapp 10 g/kg spez. Grundschichtfeuchte ziemlich
feucht ist, was dem Aufbau weniger hundert Joule pro Kilogramm förderlich ist.
Gerade auf der Trogvorderseite, wo die Scherung noch gut ist, können sich
kleinere Schauer- oder Gewitterlinien bilden, die von Böen 7-8 Bft, worst case 9
Bft sowie kleinkörnigem Hagel begleitet sein können. Im "inner circle" des
Höhentrogs verschlechtern sich die Scherungsbedingungen, was die Gefahr von
Starkregen um bzw. etwas über 15 l/m²/h etwas erhöht, auch wenn numerisch kaum
Signale vorhanden sind.

Zur Mitte hin stellt sich nach Frontdurchgang vorübergehend eine ruhige, sprich
trockene Phase mit einigen Auflockerungen ein. Insgesamt ist die Luftmasse hier
trockener als im Norden, was Schauer und vereinzelte Gewitter im Tagesverlauf
nicht verhindern, wohl aber etwas dämpfen kann. Zweite Baustelle neben dem Regen
und den Gewittern ist der westliche Wind, der sich aus einer Mischung aus
Gradienten und konvektiver Komponente zusammensetzt. Mit Ausnahme einiger
Regionen Nord- und Ostdeutschlands, die dem Tiefkern am nächsten sind, werden
immer mal wieder Böen 7 Bft, mit Kaltfrontpassage, bei Gewittern sowie im
Alpenvorland durch Leitplankeneffekt teils 8 Bft erreicht. Noch etwas stärker
geht es in einigen exponierten Hochlagen der Mittelgebirge sowie der Alpen zur
Sache, wo (schwere) Sturmböen 9-10 Bft auf dem Zettel stehen.

Die Temperatur erreicht sagenhafte Spitzen zwischen 17 und 23°C, im höheren
Bergland häufig nicht mal 15°C.

In der Nacht zum Mittwoch zieht der Höhentrog zügig aus Deutschland heraus und
auch Mr. WENZESLAUS entfernt sich immer weiter in Richtung Bottnischer
Meerbusen. Das eröffnet einem flachen Rücken die Möglichkeit, bei uns für wenige
Stunden Fuß zu fassen und das Wetter zu beruhigen. Druckanstieg sorgt für eine
leichte Aufwölbung der Isobaren, was einen Hauch von Zwischenhocheinfluss
versprüht. Mit anderen Worten, Schauer und Gewitter werden relativ rasch zur
Aufgabe gezwungen, und auch der auf südliche Richtungen rückdrehende Wind muss
mit Ausnahme einiger exponierter Hochlagen Einbußen hinnehmen. Am längsten
treten Schauer und kurze Gewitter noch in Küstennähe auf, wo sich der
diabatische Einfluss des vergleichsweise warmen Oberflächenwassers bemerkbar
macht. Ansonsten lockert die Bewölkung mitunter auf, hier und da können sich ein
paar flache Nebelfelder bilden.

Spätestens in der zweiten Nachthälfte ist es schon wieder Zeit, sich von der
einlullenden Wirkung des Zwischenhochs zu trennen und das Geschehen über dem
nahen Atlantik zu inspizieren. Dort nämlich - man ahnt es bereits - steht
nämlich schon das nächste zyklonale Exemplar ante portas. Günstig unter dem
linken Ausgang des über den mittleren Nordatlantik verlaufenden Jets gelegen
entwickelt sich ein für Anfang August äußerst prominentes Tief, das den Namen
XAN trägt und um 06 UTC mit etwas unter 985 hPa, möglicherweise sogar dicht bei
980 hPa über der Irischen See liegt. Weit nach Osten ausgreifende kräftige WLA
(die übrigens auch für die Aufwölbung des flachen Rückens verantwortlich
zeichnet) greift auf den Vorhersageraum über und lässt im Westen mehrschichtige
Bewölkung aufziehen, aus der es am frühen Morgen zwischen Niederrhein und
Schwarzwald anfängt leicht zu regnen.

Die Luft kühlt auf Werte zwischen 16 und 10°C ab.

Mittwoch... steht der nächste, aus synoptischer Perspektive hochinteressante Tag
auf dem Programm, an dem es möglichweise was richtig Spektakuläres zu erleben
gibt. Doch der Reihe nach. Zunächst mal schiebt sich das Tief XAN bis nach
Südengland vor, wobei es noch für längere Zeit die 985-hPa-Isobare halten kann.
Inzwischen hat sich das Tief bis in höhere Troposphärenschichten gebohrt, so
dass der Höhepunkt seiner Entwicklung erreicht, vielleicht sogar schon etwas
überschritten ist. Auf alle Fälle erstreckt sich vom Höhentief aus der nächste
Trog nach Südwesten, der den Vorhersageraum morgen aber noch nicht erreicht. Wir
verbleiben zunächst auf seiner Vorderseite unter einer sich verstärkenden,
leicht diffluent konturierten südwestlichen Höhenströmung, die einen günstigen
Nährboden für wetteraktives Geschehen darstellt. Entscheidend ist aber das
okkludierende Frontensystem des Tiefs, das von Westen her übergreift: erst die
Warmfront, dann im Norden die Okklusion und in der Mitte/Süden die schleifende,
später vielleicht sogar wellende Kaltfront.

Zunächst mal breitet sich der präfrontale, überwiegend stratiforme Regen
ost-nordostwärts aus. Am längsten trocken dürfte es am Alpenrand plus dem
südlichen Alpenvorland sowie zwischen Erzgebirge und Vorpommern bleiben, wo
zudem die Chancen auf zumindest anfängliche Sonnenstrahlen nicht schlecht
stehen. Später stellt sich im Süden bzw. der südlichen Mitte länger andauernder
und teils ergiebiger Regen ein, wobei aber hinsichtlich Intensität und genauer
Positionierung der Niederschlagsschwerpunkte noch Modellunschärfen gegeben sind.
So fällt auf, dass die deutsche Modellkette den stärksten Regen recht weit
südlich simuliert und dabei dem Schwarzwald eine ordentliche Dröhnung von z.T.
über 50 l/m² innert 12 h verpasst - ein Szenario, was von gestern auf heute
schon mal schiefging. Auf alle Fälle rechnen die externen Modelle das
Regenmaximum etwas weiter nördlich und zudem etwas schwächer, was die
Südweststaulagen von Odenwald, Hunsrück etc. anfällig für Dauerregen macht.
Übertrieben scheinen auch die von ICON-D2 in den Kaltfrontregen eingelagerten
Gewitter zu sein, die in der Form von keinem anderen Modell offeriert werden.

Weitaus spannender als das Geschehen um die schleifende/wellende Kaltfront ist
das, was postfrontal im Westen und Nordwesten passiert. Dort kommen einige
Sachen zusammen, die Vollwetterfans das Wasser im Mund zusammenlaufen lässt,
während es extremen Naturereignissen nicht so zugewandten Zeitgenossen eher
Sorgenfalten auf die Stirn treibt. Fakt ist, dass es nicht nur zu einer
Überlappung von Labilität, Feuchte und mordsmäßiger Scherung (DLS 25 bis 35 m/s,
LLS teils bis 20 m/s), sondern zudem auch noch Dynamik ins Spiel kommt. So
schiebt sich ein Jetstreak bis zur Mitte vor, was den Westen und Nordwesten
unter dessen linken Ausgangsbereich mit erhöhter Höhendivergenz bringt. Als ob
das nicht schon reichen würde kommen noch die Passage eines Bodentrogs dazu (=>
Richtungsscherung im unteren Troposphärenbereich => gekurvte Hodographen (sehr
gut ausgeprägt u.a. im Sauerland, wo noch orografische Einflüsse dazukommen))
sowie deutlich absinkende HKNs dazu. Kurzum, es entwickeln sich teils linien-,
evtl. sogar bogenförmige konvektive Elemente, bei denen Wind/Sturm (8-10 Bft)
ggf. auch mit Rotation (das "T-Wort") eine tragende Rolle spielen könnten, auch
wenn die numerischen Vorhersagen diesbezüglich noch sehr defensiv ausfallen. Es
gilt, die nächsten Vorhersagen zu monitoren, was eigentlich aber immer gilt.

Ansonsten gilt es noch zu konstatieren, dass der Gradient mit langsamer
Verlagerung des Tiefs gen Osten wieder anzieht und den südlichen bis
südwestlichen Wind auffrischen lässt. Vor allem im Westen und an der Nordsee
sowie in Teilen der Mitte muss mit Böen 7 Bft, vereinzelt 8 Bft, in höheren
Lagen je nach Exposition 8 bis 10 Bft gerechnet werden. Auf dem Brocken sowie
auf den Kuppen des Schwarzwalds sind sogar orkanartige Böen 11 Bft drin. Ganz im
Süden, wo vor der Kaltfront eine Portion Warmluft angezapft wird (T850 bis zu
17°C) und zudem etwas Einstrahlung wirksam ist, steigt die Temperatur auf bis zu
26 oder 27°C. In den meisten übrigen Regionen werden dagegen nur 18 bis 24°C
erreicht.

In der Nacht zum Donnerstag zieht das Tief via Nordsee gen Jütland, wobei es
sehr wahrscheinlich einen zweiten Kern hervorbringt. Auf alle Fälle beginnt es
sich allmählich aufzufüllen, was seiner Wirksamkeit aber keinen großen Abbruch
tut. So kommt es im gesamten Norden und Westen zu weiteren Schauern und
Gewittern, wenn auch mit allmählich nachlassender Intensität. Im Süden schleppt
sich die Kaltfront zu den Alpen, wobei gebietsweise 5 bis 10, lokal vielleicht
15 l/m² Regen zusammenkommen. Auf der Südflanke des Tiefs bleibt der Süd- bis
Südwestwind soweit in Fahrt, dass in der Mitte und im Süden Böen 7 Bft, in
höheren Lagen 8-9 Bft, exponiert (Brocken, Schwarzwald) 10 bis 12 Bft auftreten.


Donnerstag... greift der Höhentrog unter zunehmender Amplifizierung auf
Deutschland über, auch wenn die Hauptachse noch westlich von uns verbleibt. Tief
XAN erreicht mit rund 995 hPa im Kern den Süden Schwedens, wobei noch nicht ganz
klar ist, welcher der beiden Kerne überlebt. Auf alle schwenkt der zugehörige
Bodentrog genau über den Vorhersageraum ostwärts hinweg, wodurch der über
Südwest auf westliche Richtungen drehende Wind vielerorts stark bis stürmisch
auffrischt (Böen 6 bis 8 Bft). In exponierten Hochlagen stehen gar Sturm- bis
Orkanböen auf der Karte, wobei der Brocken mit einer glatten "12" den Vogel
abschießt.

Abseits des gradientbetriebenen Windes stellt sich in der Nordwesthälfte eine
rege konvektive Aktivität mit zahlreichen Schauern und kurzen Gewitter (markant
wegen Sturm) ein. Etwas Regen fällt im Schlepptau der scheidenden Kaltfront auch
noch an den Alpen. Nördlich davon etabliert sich ein vom Oberrhein bis etwa zur
polnischen Grenze reichender Korridor, in dem es weitgehend trocken bleibt und
mitunter die Sonne scheint.

In der erwärmten maritimen Polarluft (T850 um 9°C nur im äußersten Süden etwas
darüber) steigt die Temperatur auf 18 bis 24°C. Nur zwischen Dresden und
Frankfurt/Oder könnte es an dem einen oder anderen Ort für einen Sommertag
reichen (25°C + 0,X).

In der Nacht zum Freitag deutet sich über Südfrankreich eine Abtropfung des
Höhentrogs an. Derweil zieht das Bodentief in Richtung Bottnischer Meerbusen.
Wind und Konvektion lassen größtenteils nach, auch wenn an der Küste noch einige
Schauer auftreten. Später ist auch im Süden und Südwesten schauerartiger Regen
möglich (Annäherung des Trogresiduums).

Modellvergleich und -einschätzung
--------------------------------------------------------------
Im Großen und Ganzen simulieren die Modelle die Basisfelder ähnlich. Bei den
Auswirkungen (vor allem Niederschlag und Konvektion) fallen die Unterschiede
größer aus. Gespannt darf man am morgigen Donnerstag insbesondere auf das
postfrontale Geschehen im Westen und Nordwesten sein. Ob es im Schwarzwald für
Dauerregen reicht, steht mehr denn je in den Sternen.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann