DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

22-07-2023 10:01
SXEU31 DWAV 220800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Samstag, den 22.07.2023 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
Wz

Heute im äußersten Norden und Süden geringes Gewitterrisiko. In Nordfriesland
geringe Wahrscheinlichkeit für Dauerregen (heute einsetzend und bis in den
morgigen Sonntag anhaltend).

Am morgigen Sonntag im Norden und in den Mittelgebirgen steife, lokal auch
stürmische Böen, auf dem Brocken schwere Sturmböen.

Am Montag sich andeutende Schwergewitterlage mit Unwettern insbesondere durch
Starkregen und lokal größeren Hagel.

Synoptische Entwicklung bis Montag 24 UTC
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Samstag... liegt Deutschland im Bereich eines Langwellentroges, der abgesehen
von Südosteuropa weite Teile unseres Kontinents überdeckt und dessen Drehzentrum
über Südnorwegen bzw. der nördlichen Nordsee zu erkennen ist. Während ein
kurzwelliger Anteil Deutschland aktuell schon nach Osten verlassen hat, liegt
ein weiterer derzeit über Westeuropa. Seine Konturen verwischen aber im Laufe
des Tages, so dass am Abend über West- und Mitteleuropa eine recht gleichmäßige
zyklonale Krümmung in 500 hPa auszumachen ist. Mit dem Langwellentrog
korrespondiert niedertroposphärisch ein Tiefdruckgebiet, welches sich von Irland
bis ins Seegebiet westlich Islands erstreckt. Im Tagesverlauf kommt es weiter
nach Osten voran, wobei sein Kern bis zum Abend auf den Norden Irlands
übergreift. Seine langgestreckte Form gibt es deshalb aber nicht auf, und
innerhalb des nach Westnordwest weisenden Anteils, den man auch getrost als
markanten Bodentrog bezeichnen kann, liegt eingebettet die zum Tief gehörende
Okklusion. Interessanter für uns sind aber die übrigen Anteile des
Frontensystems. Während die Kaltfront schleifend in Richtung Atlantik weist und
uns erst morgen behelligt, zieht die Warmfront um die Mittagszeit über England
hinweg nach Osten. Schon im Vorfeld lässt sich in den Advektionsfeldern massive
WLA erkennen, die schon zur Stunde Benelux und den äußersten Nordwesten
Deutschlands erreicht hat und bis zum Abend bis nach Mecklenburg vorankommt.
Diese sorgt im Tagesverlauf nördlich einer Linie Münster - Hannover für von West
nach Ost vorankommende stratiforme Bewölkung mit Regenfällen (Bewölkung bis nach
Vorpommern, Regen nur bis in den Nordwesten Mecklenburgs). Zumeist sind die
Regenfälle nicht sonderlich intensiv, allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass
ganz vereinzelt ein kurzes Gewitter eingelagert sein könnte, wenngleich sich die
Schichtung (Lapse-Rates um -0,55 K/100m) als recht stabil erweist. Südlich des
recht trüben Nordens stellt sich im weit überwiegenden Teil unseres Landes ein
zumeist trockener Mix aus Sonne und Wolken ein. Dabei frischt aber durch das
sich nähernde Tief und den damit etwas anziehenden Gradienten der Wind auf.
Eventuell reicht das aus, um in anfälligen Lagen des Westens (Kamm- und
Gipfellagen, aber auch Raum Aachen) mal eine steife Bö (Bft 7) zu produzieren.
Ob das allerdings für die Ausgabe einer Warnung reicht, sei dahingestellt.
Vorerst nur schwach bis mäßig mit einigen frischen Böen präsentiert sich der
Wind im Osten und Süden. Stichwort Süden: Der dort wetterwirksame Keil des
Azorenhochs wird mit Annäherung des Tiefs allmählich abgebaut. Auch die anfangs
meist glatte Höhenströmung bekommt zusehends einen leicht zyklonalen Touch. Da
dort die Labilität auch etwas höher ist (Lapse Rates unter -0,65 K/100m) und
sogar in homöopathischen Dosen CAPE generiert wird, reicht es inneralpin oder am
unmittelbaren Alpenrand vielleicht auch mal für ein Gewitter. Diese schaffen es,
erneut mit Fragenzeichen, vielleicht sogar mit ihren Regenmangen mal in den
Starkregenbereich vorzustoßen, auch kleinerer Hagel könnte mit von der Partie
sein. Das alles ist im Norden kein Problem, hier schafft es dafür eventuell mal
eine steife Bö bis nach ganz unten. Die Temperaturen bewegen sich dabei zwischen
17°C bei Regen im Nordwesten und bei bis zu 27°C im Südwesten.

In der Nacht zum Sonntag nimmt das Bodentief eine zunehmend elliptische, zonal
exponierte Form an. Sehr wahrscheinlich entsteht über der Nordsee bzw. an der
englischen Nordseeküste ein zweiter Kern, wobei das Ganze einer hantelförmigen
Rinne ähnelt. Dabei wächst der Druckgradient deutschlandweit kontinuierlich an,
was windtechnisch aufgrund der Entkopplung der Grundschicht (nächtliche
Abkühlung) zunächst aber keine nennenswerten Folgen hat. Nur an und auf der
Nordsee sowie in einigen Hochlagen zieht der Süd- bis Südwestwind spürbar an mit
Böen 7 bis 8 Bft, auf dem Brocken bis 9 Bft. Wettertechnisch verstärkt sich die
WLA im Norden und Nordwesten, was eine Intensivierung der sich noch etwas nach
Osten (Vorpommern) und auch marginal nach Süden ausweitenden stratiformen
Regenfälle zur Folge hat. Die 00-UTC-Läufe der deutschen Modellkette, aber auch
die von IFS (gestern 12 UTC) oder UK10 lassen in Nordfriesland 24stündig bis in
den Sonntag hinein lokal rund 30 l/m² runterkommen. Für dieses Szenario liefern
die Ensembles von ICON-EU Wahrscheinlichkeiten von bis zu 40%. In den übrigen
Regionen bleibt es dagegen trocken und im Süden gebietsweise sogar klar. Die
Luft kühlt landesweit auf 16 (Westen) bis 9°C (Südosten) ab.

Sonntag... schwenkt ein weiterer, vom Nordwestatlantik kommender langwelliger
Troganteil in Richtung Biskaya und zur Iberischen Halbinsel. Seine Trogachse
verläuft am Abend von der Irischen See nach Süden und sie hat dabei so gerade
eben noch nicht die Nordwestspitze Spaniens erreicht (kongruente Lösung z.B. von
ICON oder auch IFS). Die Austrogung sorgt über Mitteleuropa für eine zunehmend
südwestliche Höhenströmung. Im Bodendruckfällt teilt sich das Dipol-Tief bzw.
die Dipol-Rinne in zwei Teile auf, einer macht es sich über der Irischen See
gemütlich, der andere zieht bis zum Tagesende zur dänischen Nordseeküste, womit
wir, da die Warmfront zur Ostsee wandert, in den Warmsektor gelangen. Im Bereich
des Tiefs, oder, je nach Geschmack, im Bereich des mit dem Tief gekoppelten
Okklusionspunkts, kommt es zu den stärksten Regenfällen, was in Deutschland
natürlich ein Maximum in Nordfriesland erwarten lässt. Dies ist dann sozusagen
der Sonntagsanteil der oben schon beschriebenen (möglichen) Dauerregenlage. Als
Antrieb für die weiterhin zu erwartenden Regenfälle verliert die WLA an
Dominanz, nunmehr sind es im Norden zunehmend das Tief, im Westen dagegen
zunehmend die Kaltfront, die für die nötigen Hebungsimpulse sorgt. Zwar deuten
alle Modelle die oben schon angedeutete schleifende Lage der Kaltfront an,
allerdings wird die Verlagerung nach Südosten unterschiedlich schnell simuliert.
Als progressivster Vertreter entpuppt sich ICON. Nach diesem Modell sollen die
Regenfälle schon bis nach Unterfranken ausgreifen, wobei die Kaltfront selbst
zum Abend in einem weiten Bogen von Lübeck nach Köln verlaufen soll. Nach GFS
dagegen soll bis zum Abend ganz Hessen noch trocken bleiben. Die übrigen Modelle
bewegen sich dazwischen, sie alle eint aber die ausgeprägte Windlage, die sie
simulieren. Mit Ausnahme der südöstlichen Mittelgebirge soll es in mittleren und
höheren Lagen steife Böen Bft 7 geben, exponiert ist sicherlich auch die Bft 8
drin, der Brocken könnte sogar die Bft 10 knacken. Und selbst in den tiefen
Lagen muss mit der einen oder anderen steifen Bö gerechnet werden. Auch an der
Nordsee sind die Bft 7 und auch die Bft 8 ein Thema. Während die Bft 7 recht
verbreitet, auch im angrenzenden Binnenland, zu erwarten ist, bleibt die Bft 8
tendenziell eher den vorgelagerten Inseln und dem südwest-auflandigen
Nordfriesland vorbehalten. An der Nordseeküste im Randbereich des Tiefs sind
auch einzelne kurze Gewitter nicht ausgeschlossen. Allerdings reicht es nicht
für hoch reichenden Konvektion. Das gilt auch für den Südosten, wo noch etwas
CAPE (bis 200 J/kg) generiert wird und auch die Konfiguration der Lapse Rates
noch etwas gewitteraffiner scheint. Allerdings ist die Schichtung zwischen 650
und 400 hPa etwas stabiler, und so müht sich das CAPE mitunter nur knapp in den
Bereich unter -10°C, der für Ladungstrennung vonnöten ist. Letztendlich scheinen
die möglichen Gewitter auch dort keine große Sache zu werden, wenngleich hier
und da Starkregen und kleinerer Hagel nicht ausgeschlossen werden können. Das
Temperaturniveau bewegt sich dabei zwischen 20°C im Norden und 30°C bei längerer
Einstrahlung im Südosten.

In der Nacht zum Montag greift die Achse des Langwellentroges auf Westeuropa
über, wodurch die Höhenströmung noch weiter aufsteilt. Die Kaltfront kommt kaum
nach Süden voran, stattdessen beginnt sie über dem Westen zu wellen, wodurch es
insbesondere in NRW kräftiger zu regnen beginnt (ICON und GFS haben in der
zweiten Nachthälfte 6stündig um 10 l/m² im Programm. Noch auf die Nordseeküste
beschränkt bleiben in der Nacht die schauerartigen Niederschläge, die an die
herumgeholte Okklusion mit Kaltfrontcharakter gekoppelt sind. Diese greift über
der südlichen Nordsee nach Süden aus, kommt allerdings bis zum Morgen nicht ganz
bis auf das Festland voran. Trotzdem reicht es innerhalb des mit ihr in
Verbindung stehenden Bodentroges für Gewitter, die eventuell ausgangs der Nacht
Borkum und Umgebung treffen können (das wäre zumindest die ICON-Lösung). Die
Okklusion sowie die Kaltfront sind natürlich immer noch an das kleinräumige
Dänemark-Tief gekoppelt, das zum Montagmorgen in eine Rinne eingelagert ist, die
sich von der zentralen Ostsee über Dänemark hinweg bis zur südlichen Nordsee
zieht (wo dann die Okklusionskaltfront zu finden ist). Auf der Südflanke der
Rinne ist der Gradient etwas schärfer, so dass es eingangs der Nacht an der
Nordsee, die gesamte Nacht hindurch an der Ostsee einen lebhaften Wind gibt, der
exponiert auch für steife Böen Bft 7 reicht. Womit wir uns dann dem Süden
zuwenden und das dritte größere Niederschlagsgebiet in Augenschein nehmen. Denn
vorderseitig der Kaltfront und damit im früheren Warmsektor wird schon in der
Nacht aus der Schweiz und aus Ostfrankreich heraus eine Luftmasse mit größerer
Labilität und höherer Feuchte in den Südwesten gesteuert. Die diffluente
Trogvorderseite, aber auch der sich nähernde trog sorgen dort für Hebung, so
dass laut ICON oder GFS gewittrige Niederschläge in den Süden Baden-Württemberg
ziehen. Abzuwarten bleibt, wie weit die Schauer und Gewitter nach Osten
vorankommen. Nach jetzigem Stand könnte die Osthälfte durchaus noch trocken
bleiben.


Montag... und in der Nacht zum Dienstag kommt der Langwellentrog näher, ausgangs
der Nacht liegt seine Achse unmittelbar an der Westgrenze Deutschlands. Auf
seiner Vorderseite läuft tagsüber ein markanter kurzwelliger Troganteil über der
Mitte Deutschlands ab. Je nach Modell lassen sich die drei
Niederschlagsschwerpunkte auch am Tage noch erkennen (ICON, UK10) oder sie
verschwimmen zu einem Gewitterbrei (IFS). Verbreitet wird am Tage CAPE
aufgebaut, ICON-EU liefert lokal bis knapp 1000 J/kg, dazu kommen de thermische
Labilität, die dynamische Hebung und ein ordentliches Paket Feuchte - somit muss
mit Unwettergewittern mit Starkregen und größerem Hagel gerechnet werden,
letzterer ist auch der zu erwartenden guten Organisation durch hohe
Scherungswerte, insbesondere über der Südosthälfte, geschuldet. Dazu kommen bei
kräftigen Oberwinden bis zu 35 kt durchaus stürmische Böen oder Sturmböen, und
der scharfe Gradient sorgt dafür, dass auch abseits von Schauern und Gewitter
steife oder stürmische Böen möglich sind. In der Nacht zum Dienstag beruhigt
sich die Situation zögerlich, teilweise können die Gewitter bis in die zweite
Nachthälfte anhalten.

Modellvergleich und -einschätzung
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Grundsätzlich simulieren die Modelle ähnlich. Es zeigen sich aber schon am
Sonntag größere Unterschiede in der Windprognose, am Montag werden die
Niederschlagsschwerpunkte teils deutlich unterschiedlich gesetzt. Die
Unterschiede wurden auch im Text thematisiert.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Martin Jonas