DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

30-06-2023 08:01
SXEU31 DWAV 300800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Freitag, den 30.06.2023 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Übergang zu lupenreiner Wz (West zyklonal) - ja gibt´s das noch?

Heute in der Südosthälfte meist unorganisierte (Stark)Regenfälle und Gewitter
mit Unwettergefahr. Zum Samstag Wetterberuhigung, am Sonntag dann im Norden
windig, an der See stürmisch.

Synoptische Entwicklung bis Sonntag 24 UTC
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Freitag... 30. Juni, Ausklang eines Monats, der mal wieder durchweg zu warm
endet, der beim Niederschlag sehr heterogen aufgestellt ist und beim
Sonnenschein mal so richtig durchgestartet ist. Heute allerdings kommt nicht
mehr allzu viel Einstrahlung dazu, wenn man mal einige Regionen ganz im Norden
sowie im Westen ausklammert. Dafür tut sich beim Regen noch so einiges,
insbesondere in der Südosthälfte. Doch der Reihe nach.

Die Ausgangslage ist geprägt von einem negativ geneigten Höhentrog, der sich von
Grönland bis zur Nordsee erstreckt, um dann weiter in Richtung Frankreich
abzubiegen. Dort kommt es genau jetzt in den Morgenstunden zu einer Abtropfung,
dessen Endprodukt, ein wunderhübsches Höhentief, im Tagesverlauf den Golf von
Genua ansteuert. Das nördlich davon verbleibende Residuum flacht relativ zügig
ab bei gleichzeitiger Verlagerung gen Osten. Dabei ist am Abend keine wirkliche
Trogachse auszumachen, die Strömung entsprechend stark zonal ausgerichtet. Zuvor
allerdings steht der Höhenwind noch für längere Zeit auf Südwest, was nicht ganz
unwichtig ist. Womit wir bei den bodennahen Systemen wären, die bei uns heute
den Ton angeben. Da wäre zunächst mal das inzwischen deutlich "in die Jahre"
gekommene Tief NIKOLAUS, das inzwischen Norwegen erreicht hat und mit einer
Kernisobare von 1005 hPa trotz Sommerzeit eher in der zweiten Liga
nordhemisphärischer Zyklonen beheimatet ist. Trotzdem sollten wir den guten
NIKOLAUS (genau genommen handelt es sich um NIKOLAUS II, quasi ein Teiltief des
Originals, das heute Mittag warme Geysire auf Island genießt) nicht
unterschätzen. Zwar produziert er nicht den großen Wind, das bleibt seinem
Nachfolger OTTO vorbehalten, auf den wir später zu sprechen kommen. Akzente
setzt der NIKOLAUS mit einer Kaltfront, die derzeit diagonal von Nordost nach
Südwest über Deutschland liegt und die westlichen bzw. nordwestlichen
Landesteile bereits hinter sich gelassen hat. Dort vollzieht sich mit
Winddrehung auf West bis Nordwest aktuell ein Luftmassenwechsel, indem dort
weniger warme, relativ trockene und stabile Meeresluft subpolaren Ursprungs
einzieht (Rückgang T850 auf 8 bis 6°C). Die Schauerneigung ist in dieser
Luftmasse stark gedämpft, dafür lockert die Wolkendecke zeitweise auf, was der
Sonne Möglichkeiten eröffnet, die ohnehin schon imposante Monatsbilanz noch ein
klein bisschen aufzupolieren.

Im großen Rest wird das wie schon erwähnt nicht mehr so richtig klappen, weil
bereits viel Gewölk vorhanden ist. Das liegt vor allem an der
Trog(residuum)vorderseite, die insbesondere im Norden und in der Mitte ein
überaus gut definiertes PVA-Maximum aufweist, das synoptisch-skalige Hebung
generiert. Hinzu kommt, dass die im Norden leidlich progressive Bodenfront im
Tagesverlauf immer besser mit dem PVA-Maximum interagiert, wobei die Front durch
die Lage zur Höhenströmung zusehends Anacharakter annimmt (unten Drehung auf
Nordwest, oben Südwest => klassische Scherungskonstellation). So wird sich der
leicht zerzauste Regenkuchen, der sich am frühen Morgen noch etwas uninspiriert
im Raum Ostwestfalen/Südniedersachsen/Nordhessen aufgehalten hat, unter
Intensivierung in den Osten verlagern. Dabei sollte man sich nicht wundern, wenn
es hier und da mal stärker regnet (um 20 l/m² innert 1 h oder um 30 l/m² innert
mehrere Stunden) und auch mal ein eingelagertes Gewitter auftritt. Grundsätzlich
muss man aber sagen, dass die Luftmasse zwar ausreichend feucht ist (PPWs um 35
mm), es mit der Labilität aber doch ganz schön hapert. Außerdem tragen die
starke Bewölkung und der schon weit nach Osten ausgreifende westliche Wind nicht
unbedingt dazu bei, den ganz großen konvektiven Kocher anzuschmeißen.

Im Süden sieht die Sache so aus, dass die Kaltfront zurückhängt, der Trog
weniger konfiguriert und somit auch das PVA-Maximum schwächer ausgeprägt ist.
Die Luftmasseneigenschaften sind ähnlich wie weiter nördlich: feucht, nur
eingeschränkt labil, nicht überbordend viel CAPE, auch wenn die Luftmasse
zumindest gebietsweise durch von Franken sich zur östlichen Mitte ausweitende
Auflockerungen (bzw. nur dünne Schleierwolken) energetisch solide aufbereitet
wird. Das könnte reichen, um zwischen 500 und 1000 J/kg CAPE zu erzeugen.
Zunächst mal aber breiten sich die Regenfälle und Gewitter, die in der Nacht von
der Schweiz und Ostfrankreich sowie aus den Alpen heraus deutsches Territorium
erreicht haben, langsam nord-nordostwärts aus. Sie werden sich stetig verändern
und uns den ganzen Tag über beschäftigen. Neben den Gewittern, die zum
Nachmittag hin wieder mehr und auch kräftiger werden dürften, gesellt sich
gebietsweise ungewittriger Starkregen, der nicht nur in kurzer Zeit, sondern
auch mehrstündig auftreten und lokal unwetterartig ausfallen kann. Heute
Vormittag ist auf Basis von ICON-D2-EPS vor allem die Region von Südbaden bis
hinüber nach bayerisch Schwaben und hoch bis Mittelfranken starkregengefährdet
(natürlich nicht überall), wobei der neueste Lauf von 03 UTC die
Wahrscheinlichkeiten noch etwas hochgesetzt hat. Am Nachmittag verschiebt sich
die Zone potenziellen Starkregens (gewittrig oder ungewittrig) langsam weiter
nach Osten, wobei schwerpunktmäßig ein vom Bodensee und den Alpen über Mittel-
und Oberfranken, das Vogtland und Sachsen bis nach Südbrandenburg verlaufender
Korridor betroffen sein sollte. Lokal sind Mengen bis zu 40 l/m² einstündig und
bis zu 60 l/m² mehrstündig nicht ausgeschlossen. Hagel und Wind/Sturm spielen
bei diesen Bedingungen nur eine untergeordnete Rolle, was ein paar kleine Körner
bzw. Böen 7-8 Bft nicht gänzlich in das Reich der Fabel verbannt.

Die Temperatur erreicht landesweit Höchstwerte zwischen 20 und 25°C. Die für die
Oberlausitz von MOS apostrophierten 26°C scheinen angesichts der kompakten
Bewölkung etwas zu optimistisch. Andererseits ist der Startwert heute Morgen mit
20°C äußerst prominent. Eine Auflockerung oder Aufhellung, die ja weiter
südwestlich da ist, schon kommt das Quecksilber in Wallung - abwarten.

In der Nacht zum Samstag setzt sich die Zonalisierung der Höhenströmung fort. In
Skandinavien muss der gute NIKOLAUS schwer ums Überleben kämpfen, was man von
seiner Kaltfront nicht behaupten kann. Die lebt weiter, zieht sich aber mehr und
mehr an die Alpen zurück. Das gilt in gleichem Maße für die vor allem anfangs
noch gewittrigen Regenfälle, die sich erst in die Regionen südlich der Donau und
zuletzt an den Alpenrand zurückziehen. Starkregengefahr ist in der ersten
Nachthälfte vor allem noch zwischen Alpen und Niederbayern gegeben, nimmt danach
aber immer weiter ab.

Im Rest des Landes setzt sich leichter Zwischenhocheinfluss durch, der sich in
Form eines von Frankreich nach Nordosten gerichteten Azorenhochkeils
wiederspiegelt und die Wolkendecke aufreißen lässt. Der Keil hat aber - das muss
man so deutlich sagen - nicht viel drauf bzw. wagt es nicht, sich mit dem
flotten OTTO anzulegen. Dieser hat sich aus einer flachen Welle kommend
inzwischen zu einem kleinen, aber feinen Tief aufgeschaukelt, das um Mitternacht
mit nahe 995 hPa im Kern knapp nördlich von Schottland aufschlägt und dabei sein
Potenzial noch nicht ausgeschöpft hat. Das Tief verfügt über einen kompletten
Frontensatz, der vom nahen Atlantik respektive UK/Irland Kurs auf Mitteleuropa
nimmt. Weit nach Osten ausgreifende WLA lässt alsbald mehrschichtige Bewölkung
aufziehen, die den wolkenarmen Streifen bei uns immer schmaler werden lässt. Das
Ende vom Lied ist in den frühen Morgenstunden im Nordwesten einsetzender
leichter Regen skaliger (sagen eher die Numeriker) oder stratiformer (sagen eher
die Praktiker) Natur. Zudem frischt der Süd-Südwestwind über der Deutschen Bucht
auf, was vor allem den Nordseeinseln (Helgoland und den Nordfriesen eher als den
Ostfriesen) erste Böen 7 Bft bringt.

Dort, wo es mal für einige Stunden aufklart und Mittelgebirge stehen, kühlt die
frische Luftmasse auf unter 10°C ab. Ansonsten stehen je nach Bewölkung 16 bis
10°C auf dem Zettel.

Samstag... trogt die westliche Höhenströmung über Deutschland wieder ganz leicht
aus bzw. nimmt eine etwas zyklonalere Kontur an. Dabei überlappen sich WLA mit
schwacher PVA, die quasi mit dem Frontensystem von Nordwesten her auf den
Vorhersageraum übergreifen. Für einige Stunden lässt sich durchaus ein
Warmsektor ausmachen, der aber mit Verlagerung in den Osten und zunehmender
Tageslänge immer schmaler wird, um bis zum Datumswechsel gänzlich zu
verschwinden. Derweil arbeitet OTTO weiter an seiner Karriere, indem er sich auf
unter 990 hPa vertieft und dabei den Südrand der Norwegischen See ansteuert.
Dabei hält er den Wind über der Deutschen Bucht leidlich am Köcheln, bevor
dieser mit postfrontaler Drehung auf Südwest bis West am Nachmittag allmählich
schwächer wird. Etwas Wind gibt es nebenbei auch in den Hochlagen einiger
Mittelgebirge, wobei der Brocken mit Böen bis zu 9 Bft einmal mehr den Vogel
abschießt und - endlich, nach langer Abstinenz - mal wieder eine Warnung
abbekommt.

Ansonsten darf morgen getrost von einer Zweiteilung des Wetters in Deutschland
gesprochen werden. In der Nordwesthälfte breiten sich Bewölkung und Regen
langsam südostwärts aus, wobei über den Tag meist weniger als 5 l/m²
zusammenkommen. Lediglich in den westlichen Mittelgebirgen sowie im Harz könnten
ein paar Millimeter mehr sein. Und auch im äußersten Norden könnte es etwas mehr
werden, je nach dem wo genau der Okklusionspunkt verläuft. Etwa ab Mittag hört
es im Nordwesten auf zu regnen, nachfolgende Schauer treten nur limitiert oder
gar nicht auf.
Nach Südosten hin startet der Tag vielerorts mit geringer Bewölkung und
Sonnenschein, wenn man die nächtliche Restbewölkung an den Alpen sowie in Teilen
Oberbayerns, wo es sogar noch etwas regnen kann, einmal abzieht. Im Tagesverlauf
nimmt zwar die Bewölkung von Nordwesten her sukzessive zu, von der schweizer
Grenze und den Alpen bis hoch zur Lausitz bleibt es aber bis zum Abend
weitgehend trocken.

Die Temperatur erreicht in der nicht wirklich kühlen subpolaren Meeresluft
Höchstwerte von 20 bis 25, im Osten vielleicht sogar bis 26°C. Einzig an der
Nordsee sowie teilweise auch in SH reicht es nur für 18 oder 19°C.

In der Nacht zum Sonntag schwenkt die teilokkludierte Kaltfront nebst Regen
südostwärts. Allzu viel fällt nicht, die 12-stündigen Mengen bleiben meist unter
der 5-l/m²-Schwelle (etwas mehr vielleicht im Weststau des Allgäus). Derweil
erreicht OTTO die norwegische Westküste, wobei es sich bei genauem Hinsehen gar
nicht um das Original, sondern um Nachwuchs in Form eines Teiltiefs handelt. Auf
alle Fälle nimmt das Tief eine dipolartige Konfiguration an und erzeugt auf
seiner Südflanke einen zunehmenden Gradienten, der den Südwest- bis Westwind
entlang der gesamten Küste anziehen lässt mit Böen 7 Bft, an der Nordsee vor
allem auf der schleswig-holsteinischen Seite teils 8 Bft. Die Temperatur sinkt
auf 16 bis 10°C.

Sonntag... wird´s leicht frühherbstlich in Norddeutschland, obwohl wir erst den
2. Juli schreiben. Nach wie vor ist es OTTO, der für die Geschicke
verantwortlich zeichnet, wobei der östliche, über Südskandinavien befindliche
Kern auf Kosten des westlichen Drehzentrums (also des Originals) die
Regentschaft übernimmt. Ein Kerndruck von 990 hPa reicht aus, um gemeinsam mit
einem nach Südwesteuropa gerichteten Azorenhochkeil (1015 bis 1020 hPa) einen
satten Druckgradienten zu erzeugen, welcher uns einen vergleichsweise windigen
Sonntag beschert. Der Schwerpunkt liegt dabei eindeutig im Norden, wo bis weit
ins Binnenland rein eine im wahrsten Sinne des Wortes steife Brise um West weht
(Böen 7 Bft). Die Küste kommt gar in den Genuss eines kleinen Sommersturms mit
Böen 8 Bft, exponiert 9 Bft. Dazu entwickeln sich in der sich ausbreitenden
subpolaren Luftmasse (T850 um 5°C im äußerten NW) einige Schauer, insbesondere
in Küstennähe. Thermisch läuft es je nach Lage auf 18 bis 23°C hinaus.

Weiter zur Mitte hin und im Süden beschränkt sich nennenswerter Wind vornehmlich
auf höhere Lagen, wo es für Böen 7 Bft, in exponierten Kamm- und Gipfellagen 8
bis 9 Bft reicht. Im Süden gilt es zunächst die frontale Restbewölkung aus der
Nacht zu verabschieden, aus der anfangs sogar noch ein paar Tropfen fallen
können. Später lockert die Wolkendecke auf und es stellt sich allgemein ein
wechselnd wolkiger Wettercharakter mit einer geringen Schauerneigung ein. Dabei
erwärmt sich die Luft auf 22 bis 26°C.

Kurz noch der Ausblick auf die Nacht zum Montag, in der sich an der
Großwetterlage nicht großartig verändert. Zwar lässt der Wind im norddeutschen
Binnenland nach, an der See bleibt es aber windig bis stürmisch mit einigen
Schauern. Der große Rest des Landes bekommt unterschiedliche
Bewölkungsverhältnisse und weitgehend trockene Bedingungen bei 15 bis 8°C
präsentiert.

Modellvergleich und -einschätzung
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Die großräumige Entwicklung ist unstrittig, auch wenn es kleinere Differenzen
z.B. hinsichtlich der genauen Positionierung des doppelten OTTOs am Sonntag
gibt. Die größte Herausforderung dürfte das heutige Warnmanagement sein, wenn es
darum geht, vor unorganisierten und launischen Gewittern zu warnen. Auch die
Ausgabe von z.T. mehrstündigen Starkregenwarnungen ist in der Regel kein
Vergnügen, weil man hinsichtlich der Details doch häufig im Dunkeln tapst bzw.
der Entwicklung hinterherhinkt. Deswegen im Zweifel "in dubio pro reo", also
ruhig mal eine Warnung raushauen, auch auf die Gefahr einer erhöhten FAR (false
alarm ratio) hin.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann