DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

29-06-2023 08:01
SXEU31 DWAV 290800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Donnerstag, den 29.06.2023 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: Mischung aus Wa West antizyklonal), Wz (West zyklonal) und NWa (Nordwest
antizyklonal) mit Vorteilen für Wz

Heute bei nachlassendem Hochdruckeinfluss noch ruhig. Erste konvektive
Nadelstiche ab dem Spätnachmittag im Westen, kommende Nacht ausweitend.
Hauptaktion aber am morgigen Freitag in der Südosthälfte mit teils kräftigen
Gewittern. Hauptgefahr: Starkregen bis hin zu Unwettern.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 24 UTC
--------------------------------------------------------------
Donnerstag... weist die Höhenströmung ein stark wellendes Muster auf, bei dem
wir noch unter einem "Berg", sprich Rücken liegen. Das "Tal" liegt aber nicht
allzu weit entfernt über Westeuropa respektive dem nahen Atlantik, wo sich ein
Trog von Grönland bis hinunter zur Biskaya und sogar noch etwas darüber hinaus
erstreckt. Die Wellenlänge ist vergleichsweise kurz, was auch erklärt, warum das
gesamte System leicht progressiv ist. So kommt der Trog dem Vorhersageraum immer
näher, wenn auch nicht mit high speed. Ihm vorgeschaltet ist ein vollständig
ausgestattetes Frontensystem mit Okklusion, Kalt- und Warmfront, das uns der
Nikolaus bringt - also jetzt nicht DER Nikolaus, den wir so gemeinhin kennen,
der tritt erst wieder im Dezember an. Der jetzige NIKOLAUS ist ein veritables
Tief bei Island, das seinen Karrierehöhepunkt zwar schon überschritten hat, also
im Auffüllprozess begriffen ist. Trotzdem schafft es der Kollege, bei uns heute
und morgen eine halbwegs substanzielle Duftmarke zu setzen, wozu er sich der
Dienste des Frontensystems sowie des nachfolgenden Höhentrogs bedient.

Aktuell hat die Warmfront den Westen und Nordwesten des Landes bereits erreicht
bzw. Teile davon schon hinter sich gelassen. Sie wird weiter nach Osten
vorankommen, dabei aber immer mehr von ihrer leidlich vorhandenen Baroklinität
verlieren, so dass die Analysten (oder besser Analysatoren) des Tages es
zusehends schwer haben werden, sie auf der Wetterkarte zu finden. Das ist aber
kein wirkliches Problem. Viel wichtiger ist, dass die Front - lebend oder
sterbend - eine ordentliche Portion mehrschichtiger Bewölkung insbesondere in
die Nordwesthälfte unseres Landes schaufelt, aus der hier und da sogar ein paar
zarte Tröpfchen fallen können. Viel wird´s nicht sein, weil dazu einfach die
nötigen Hebungsprozesse fehlen (der Trog als Supporter ist noch zu weit weg) und
die Luft insgesamt noch zu trocken ist. Was aber passiert, oder besser nicht
passiert, ist dass durch die starke, überwiegend geschlossene Bewölkung im
Warmsektor kaum Einstrahlung gewährleistet wird und damit der Energiehahn
zugedreht ist. Mit anderen Worten, trotz merklicher Anfeuchtung - PPW steigt
z.T. auf über 35 mm, die Grenzschichtfeuchte auf um oder etwas über 10 g/kg -
wird kaum CAPE generiert. Erschwerend kommt hinzu, dass die Labilität der
Luftmasse sehr zu wünschen übriglässt. Da nutzt es auch wenig, dass sich am
Nachmittag vor Eintreffen der schleifenden Kaltfront ein Bodentrog in den Westen
und Nordwesten schiebt, in den einige kühne Zeitgenossen vielleicht sogar eine
"Gräte", sprich Konvergenz reinlegen würden. Es wird trotzdem nicht für die
große Ballerei reichen, auch wenn vereinzelte Gewitter nicht ausgeschlossen
sind. Meist wird es in der Fläche wenig ergiebiger schauerartiger Regen sein,
der da fällt, in dem vereinzelte Gewitter (vielleicht sogar gelb, ocker am
ehesten durch Starkregen) eingelagert sind.

Der äußerste Osten und der weite Süden bekommen von dem ganzen Tamtam zunächst
noch gar nichts, im Tagesverlauf dann nur partiell was mit. So scheint heute in
trockener Luft über weite Strecken noch mal die Sonne, bevor die Bewölkung ganz
langsam zunimmt. Das hindert die Temperatur aber nicht, auf 25 bis 29°C zu
klettern, während man sich im Nordwesten sowie in Küstennähe mit 21 bis 25°C
zufriedengeben muss/darf.

In der Nacht zum Freitag setzt die leichte Progression des gesamten Setups
weiter fort. Da bedeutet nix anderes, als dass der Rücken nach Osten abgeschoben
wird und wir auf die Vorderseite des Troges gelangen. Dessen Hauptachse
verbleibt zwar noch knapp westlich, gleichwohl werden mit der südwestlichen
Höhenströmung kurzwellige Anteile nordostwärts gesteuert, die den einen oder
anderen Hebungsimpuls auslösen. Hinzu kommt, dass nun die Kaltfront
bundesdeutsches Territorium betritt. Wie weit genau sie sich bis zum Morgen
vorwagt, steht noch nicht endgültig fest. Den Nordwesten wird sie aber sicher
hinter sich lassen und dort einen Luftmassenwechsel einleiten. In der
einströmenden subpolaren Meeresluft geht T850 von rund 11°C am Nachmittag auf 9
bis 5°C am Morgen zurück.

Ansonsten lässt sich konstatieren, dass sich schauerartige Regenfälle mit
eingelagerten Gewittern ostwärts verlagern, wobei ein Teil (der nach
Nordostdeutschland wandernde) dem präfrontalen Bodentrog, ein zweiter Teil der
nachfolgenden Kaltfront geschuldet ist. Die Front hängt übrigens nach Südwesten
hin soweit zurück, dass sie Südwestdeutschland erst am Morgen beginnt zu
traktieren. Das heißt aber nicht, dass im Süden und Südwesten vorher nichts
passiert. Ab den Abendstunden, vielleicht auch erst im Laufe der Nacht,
entwickeln sich aus den Alpen und der Schweiz heraus, evtl. auch vom Schwarzwald
her Schauer bzw. schauerartige Regenfälle und auch vereinzelte Gewitter, die
unter Teil-Verclusterung über Bayern ostwärts ziehen. Egal über welche Gewitter
wir reden, die größte Gefahr geht in der Nacht von lokalem Starkregen aus, auch
wenn die Hinweise seitens der Numerik (z.B. ICON-D2-EPS) alles andere als
auffällig sind. Modell ist Modell, Natur ist Natur. PPWs über 30 mm sind allemal
ausreichend, um regional eng begrenzt 15 bis 25 l/m² innert kurzer Zeit oder -
im Falle von Mehrfachtreffern - über 20 l/m² in wenigen Stunden auszuschütten.
Für mehr, also Unwetter, dürfte es allerdings nicht reichen. Hagel und Wind
spielen nicht die große Rolle, was vereinzelte kleine Körner sowie Böen 7-8 Bft
nicht gänzlich ausschließt.

Dann wäre nur noch festzuhalten, dass Vieles dafürspricht, dass von Franken und
der Oberpfalz bis nach Sachsen außer Wolkenaufzug noch nichts passiert.
Gleichzeitig beginnt es im Nordwesten abzutrocknen bzw. zu stabilisieren. Und
last but not least bleibt die Nacht mit 18 bis 12°C Minimum vergleichsweise
mild.

Freitag... machen die Kaltfront und der nachfolgende Trog Boden nach Osten hin
gut. Allerdings tropft der Trog über Frankreich ab, was dem Residuum bei uns die
Schärfe nimmt. Außerdem sorgt schwacher Druckfall südlich der Alpen für ein
leichtes Einbremsen der Front im Süden. Wie auch immer, die Zeichen für mehr
Bambule als in der Nacht (der Vergleich zu heute tagsüber verbietet sich
eigentlich, weil kaum was passiert) stehen um einiges besser, auch wenn die
präfrontale Warmluft im Süden und Osten aufgrund der schon zahlreich vorhandenen
dichten Wolken energetisch nicht so aufbereitet werden kann, wie das sonst
häufig vor Eintreffen von Kaltfronten der Fall ist. Gerade im Südosten könnten
trotzdem gebietsweise MU-CAPE von rund 1000 J/kg generiert werden, die für
konvektive Umlagerungen zur Verfügung stehen. Auslösende Impulse sind mit
Passage des Trogresiduums sowie mit Annäherung der Kaltfront ausreichend
vorhanden, um trotz Minderleistung auf dem Scherungssektor im Tagesverlauf
einigermaßen substanziell zu zündeln.

Folgendermaßen könnte sich die Geschichte morgen abspielen: Zunächst ziehen im
äußersten Osten und Südosten die präfrontalen Schauer- und Gewitterreste aus der
Nacht ostwärts ab. Von Westen folgen die nächsten schauerartigen Regenfälle und
Gewitter nach, die mit jedem Kilometer nach Osten, vor allem aber mit
zunehmender Tageslänge an Intensität gewinnen. Das betrifft nicht nur den
Parameter Starkregen, auch Wind und Hagel könnten gerade zum Nachmittag hin
etwas üppiger ausfallen, auch wenn wir von Monsterklöpsen und schwerem Sturm
bzw. Orkan aufgrund der Rahmenbedingungen weit entfernt sind. Vielleicht reicht
es an der einen oder anderen Stelle für größere Hagelansammlungen. Im Fokus
steht aber eindeutig der Starkregen, der insbesondere in Multizellensystemen,
aber auch bei Mehrfachtreffern in dem einen oder andern Fall Unwetterkriterien
genügen wird. Schon für den Vormittag liegen seitens ICON-D2-EPS ausreichend
Signale vor, dass es im Süden BaWüs und in bayerisch Schwaben stärker regnen
kann (teils sogar ungewittrig), bevor sich der Schwerpunkt unter Verstärkung
ostwärts verlagert. Der Schwerpunkt liegt dann südlich der Donau
(Wahrscheinlichkeiten bis 60% für WU), die Signale reichen in abgeschwächter
Form aber über Franken bis nach Sachsen und schwach auch noch bis nach BB.

Während also in der Südosthälfte ganz ordentlich was geboten wird, setzt im
Westen und Nordwesten alsbald Wetterberuhigung en. Die postfrontal einströmende
subpolare Luftmasse ist nicht nur kühler (T850 um 7°C) und stabiler, sondern
auch wesentlich trockener als die präfrontale Warmluft. Hinzu kommt
Druckanstieg, der sich in einem von Frankreich nach Nordosten gerichteten
Azorenhochkeil wiederspiegelt. Die Wolkendecke lockert zusehends auf, was der
Sonne einige Auftrittsmöglichkeiten eröffnet.

Während es an der Neiße sowie in Ostsachsen mit rund 26°C noch für einen
Sommertag reichen könnte, stehen sonst 21 bis knapp 25°C, an der Nordsee um 20°C
auf der Karte.

In der Nacht zum Samstag braucht es vor allem südlich der Donau etwas, bis
Gewitter und Starkregenfälle von der Bildfläche verschwinden. An den Alpen
könnte es sogar bis in die Frühstunden regnen, wenn auch mit abnehmender
Intensität. Grund für das vergleichsweise lahme Abebben ist die im Süden noch
längere Zeit schleifende Kaltfront, die einen klaren Luftmassenwechsel
verhindert.

Im großen Rest des Landes setzt sich in frischer Luftmasse Zwischenhocheinfluss
mit größeren Wolkenauflockerungen durch, der aber auch nicht von allzu langer
Dauer ist (trotzdem lokale Nebelfelder möglich). Der Grund heißt OTTO, seines
Zeichens das nächste Tief nach NIKLOLAUS, das die meteorologische Bühne betritt.
Aus einer flachen Welle heraus entwickelt sich OTTO zu einem abgeschlossenen
Tief, das gegen Mitternacht mit etwas unter 995 hPa Kerndruck bei den
Färöer-Inseln aufschlägt. Wie sein Vorgänger verfügt auch OTTO über ein
vollständiges okkludierendes Frontensystem, das zügig auf Deutschland zuzieht.
So nimmt die Bewölkung von Westen her rasch wieder zu und gegen Morgen könnten
zwischen den Ostfriesischen Inseln und dem Niederrhein erste zaghafte Tropfen
fallen. Zuvor kühlt die Luft deutschlandweit auf 16 bis 9°C, in einigen
Mittelgebirgstälern bei längerem Aufklaren bis zu 7°C ab.

Samstag... vertieft sich der flotte OTTO unweit der Färöers auf unter 990 hPa,
was den Süd-Südwestwind über und an der Deutschen Bucht vorübergehen merklich
auffrischen lässt (Böen 7-8 Bft). Bereits zum Nachmittag lässt er mit Durchgang
eines Bodentrogs und Drehung auf West aber schon wieder nach, bleibt aber
spürbar. Ansonsten schwenkt von Nordwesten her das immer weiter okkludierende
Frontensystem zu uns rein. Es bringt zeitweiligen stratiformen Regen, der bis
zum Abend ungefähr eine Linie Vorpommern/Uckermark-Pfalz erreicht. Die
Tagessummen liegen meist unter 5 l/qm, nur im Nordseeumfeld könnte es etwas mehr
sein, wozu auch ein paar postfrontale Schauer beitragen. Der Süden und weite
Teile des Ostens bleiben davon weitgehend unberührt. Sie profitieren vom
schmalen Azorenhochkeil, der für weitgehend trockene, wenn auch nicht wolkenlose
Bedingungen sorgt. Die Temperatur steigt auf 20 bis 25°C, in der Lausitz
vielleicht auf 26°C, an der Nordsee gerade mal auf 18°C.

In der Nacht zum Sonntag marschiert die weitgehend okkludierte Kaltfront nach
Südosten durch. Dabei kommt es zu weiteren, überwiegend leichten Regenfällen,
die aber auch nicht jeden treffen. Der neueste Lauf von IFS allerdings zeigt im
Norden eine gewisse Intensivierung des zunehmend schauerartig daherkommenden
Regens, was der Passage eines flachen Höhentrogs zuzuschreiben ist. ICON zeigt
dagegen nur wenige postfrontale Schauer, vornehmlich in Küstennähe. Hier heißt
es also noch etwas abwarten. Mit 17 bis 10°C Minimum steht uns eine thermisch
erträgliche Nacht bevor.

Modellvergleich und -einschätzung
--------------------------------------------------------------
Die Basisfelder werden modellübergreifend mit hoher Kongruenz gerechnet. Von
daher bestehen an der grundsätzlichen Entwicklung keine Zweifel. Trotzdem gibt
es schon noch ein paar Unbekannte im komplexen atmosphärischen Gleichungssystem.
Bei konvektiven Ereignissen trifft das grundsätzlich zu, das kennt man zur
Genüge. Aktuell gesellen sich zusätzlich noch Emissionsprodukte kanadischer
Waldbrände dazu, die inzwischen Europa erreicht haben. Welchen Einfluss die
Rauchpartikel schlussendlich auf das hiesige Wettergeschehen haben, ist schwer
zu beurteilen. Erfasst werden sie von den Globalmodellen, die folgenden
komplexen Wechselwirkungen ((Wolken-/Niederschlagsbildung, Strahlungshaushalt
etc.) sind aber nur limitiert darstellbar. Warten wir´s ab.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann