DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

21-06-2023 17:01
SXEU31 DWAV 211800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Mittwoch, den 21.06.2023 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
Schwergewitterlage am Donnerstag. Bis in die Nacht zum Freitag anhaltend.

Synoptische Entwicklung bis Samstag 12 UTC
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Aktuell ... liegen wir zunächst unter einer leicht antizyklonal gekrümmten
westlichen bis südwestlichen Höhenströmung am Rand eines Höhenrückens, der vom
westlichen Mittelmeer über das östliche Mitteleuropa und Skandinavien bis ins
Nordmeer reicht. Ein kurzwelliger Trog läuft an seinem Rand über die Nordsee
Richtung Südskandinavien, ein Weiterer über die Biskaya und Nordspanien nach
Westfrankreich.
Dort wird Druckfall ausgelöst, der in ein flaches Tief mit etwas unter 1015 hPa
über Frankreich mündet. Dieses Tief weitet sich zum Morgen in den Westen und
Südwesten Deutschland aus. Dabei breitet sich die schwülwarme, sehr feuchte (PPW
bis 40 mm) und instabile Subtropikluft, die schon über der Mitte und dem Süden
Deutschlands liegt wieder etwas nach Norden aus. Deren Vordergrenze wird von
einer Warmfront markiert, die morgens etwas über dem nördlichen
Mittelgebirgsraum liegen dürfte.

Über Frankreich bilden sich schon aktuell teils starke Gewitter, die sich
nordostwärts ausbreiten und wahrscheinlich ab der zweiten Nachthälfte auf Teile
West- und Südwestdeutschlands (vor allem NRW, RLP, Hessen), eventuell in Form
eines Gewitterclusters (MU Cape auch morgen um 500 j/kg) übergreifen. Meist
handelt es dann aber um teils gewittrigen Regen, dessen abgehobene Konvektion
vor allem Starkregen als markante Begleiterscheinung liefert.

Hagel und Sturmböen sind aber je nach Organisationsgrad des konvektiven Systems
nicht ganz auszuschließen.

Im großen Rest des Landes verläuft die Nacht weitgehend ruhig. Die vereinzelten
abendlichen Schauer und Gewitter (Mitte, Alpenrand) fallen bald in sich
zusammen. Die Temperatur geht in der subtropischen Luftmasse auf 21 bis 16°C
zurück, in der gemäßigt warmen Luft über dem Norden sind stellenweise bis 10°C
möglich.

Donnerstag ... wird der Boden für eine dynamische Schwergewitterlage bereit, die
aus der Interaktion des Troges, des Bodentiefs und der hochenergetischen
Luftmasse resultiert. Der erwähnte Kurzwellentrog zieht über Frankreich
ostwärts, was uns auf seine Vorderseite in den Bereich dynamischer Hebung
bringt. Das Bodentief zieht über Benelux in den Westen, bzw. Nordwesten
Deutschlands, von wo aus sich eine Rinne nach Südosten erstreckt, in der über SE
Bayern im Tagesverlauf föhnig gestützt ein weiterer Tiefkern entsteht.
Die Warmfront schiebt sich noch etwas nach Norden, während die Kaltfront an der
Südflanke des Tiefs nachmittags von Benelux und Frankreich her auf den Südwesten
und Westen übergreift und der Folge den Süden ostwärts überquert.

Durch kräftige Einstrahlung wird die schwülheiße Luft ordentlich Energie
gepumpt, zudem sorgt die föhnige Überströmung der Alpen für eine erhebliche
Labilisierung im äußersten Süden (T850 bis zu 25°C), was bei PPWs von etwas über
30 mm immense CAPE-Werte von 2500 bis 3000 J/kg zur Folge hat.
Noch mehr Wasserdampf (über 40 mm) befindet sich nahe dem frontalen Bereich über
der Landesmitte in der Luft; CAPE geht dort aber nicht so hoch, da weniger
Labilität und Einstrahlung vorhanden sind. Dafür steht ausgehend vom Tief in
einem breiten Korridor über die Mitte in den Osten und Nordosten reichen viel
LLS bis zu 15 m/s bei hervorragend ausgestatteter bodennaher Richtungsscherung
(stark gekrümmte Hodographen) zur Verfügung, DLS liegt dort, aber auch teilweise
im Süden zwischen 20 und 30 m/s.
Daraus ergeben sich die Gründe für das schon erwähnte ungewöhnliche hohe
Potential dieser Schwergewitterlage.

Die Regenfälle und eingelagerten Gewitter vom Morgen breiten sich etwa entlang
der Warmfront etwas nach Norden, vor allem aber nach Osten bis Nordosten aus und
erreichen abends das östliche Niedersachsen, eventuell Sachsen-Anhalt und
Mecklenburg. Auf der kühleren/stabilen Seite tritt ungewittriger Regen auf. Den
weitaus größeren Regenanteil liefern die Gewitter, die sich rasch südlich daran
anschließen.
Dabei ist vor allem mit Starkregen, teils extrem heftigem Starkregen zu rechnen,
der vereinzelt um 50 l/qm in kurzer Zeit oder 60 bis 70 l/qm in wenigen Stunden
bringen kann.
Akkumuliert über 24 Stunden bis Freitag früh (06 UTC) sind in einem von NRW nach
Vorpommern (hier kommen Regen und Gewitter Freitag früh an) reichenden Streifen
gebietsweise 40 bis 80, lokal mehr 100 l/m² möglich.
Hinzu kommt vornehmlich in der Mitte und im Osten die Gefahr vereinzelter
Tornados, auch weil das HKN vorübergehend stark sinkt und SRH über 300 m²/s² zur
Verfügung steht.
Hinsichtlich des Timings und der Verteilung der Niederschläge bestehen
erhebliche Unsicherheiten.
Der neue ICON Lauf von 12 UTC verschiebt den Regen zeitlich nach hinten (das
Maximum nördlich des Tiefs liegt nun in der Nacht zum Freitag, örtlich um 100
l/qm in 12h) und lässt ihn weiter nach Norden ausgreifen, sodass auch die Region
um Hamburg von Starkregen erfasst werden könnte.
Ein zweiter Gewitterschwerpunkt liegt im Süden, wo vor allem am Nachmittag und
Abend die Wahrscheinlichkeit schwerer Gewitter, teils in Form von Superzellen
von Westen her immer weiter zunimmt. Die Schichtung ist hier zunächst gedeckelt,
bevor mit Annäherung des Troges und der Kaltfront der Deckel mehr und mehr
gelockert wird. Neben größeren Hagel (teils >5cm) stehen Sturm- und Orkanböen im
Focus. Starkregen ist auch mit dabei, teils auch extrem heftig, das größte
Schadenspotential dürften aber die möglichen Orkanböen und der große Hagel
haben.

Im Westen und Nordwesten keine 25°C mehr erreicht, während über Bayern mit bis
zu 35°C der bisher heißeste Tag des Jahres ansteht.

In der Nacht zum Freitag zieht das Tief über die Mitte und den Nordosten nach
Westpolen. An der Nord- und Westflanke des Tiefs (NRW bis Vorpommern) kommt es
zu weiteren teils heftigen Starkregenfällen mit einzelnen eingelagerten
Gewittern, sodass die Unwettergefahr weiter besteht. Auch östlich und südlich
des Tiefs, von Bayern bis nach Mecklenburg-Vorpommern, muss mit teils schweren
Gewittern gerechnet werden, die erst im Verlauf der Nacht von Westen etwas
nachlassen.
Es besteht auch in diesem Zusammenhang weiter große Unwettergefahr, wobei die
Wahrscheinlichkeit von Orkanböen und Hagel nur langsam nachlässt. Der teils
extreme, auch mehrstündige Starkregen bleibt ohnehin als Begleitung dabei.
Auf der Rückseite des Tiefs und bei Passage der Kaltfront sorgt eine markante
Druckwelle für eine nichtkonvektive Windauffrischung (7-8 Bft, ICON D2 Sturmböen
Bft 9!), wobei der Wind auf West bis Nord dreht. In der rückseitig einströmenden
maritimen Luftmasse (T850 sinkt auf unter 10°C) beruhigt sich das Wetter im
Westen und Norden zusehends.

Freitag ... kommt der Trog bis in den Osten voran, während das Bodentief sich
über Polen entfernt. Von Nordwesten breitet sich die weniger warme und stabilere
Luft auf ganz Deutschland aus.
Vor allem nach Osten und Nordosten hin bringen der Trog und die Reste der
herumgeholten Warmluft aber noch starke Bewölkung mit schauerartigen Regenfällen
und anfangs eingelagerten Gewittern. Zunächst besteht noch Starkregengefahr.
Von Westen her breiten sich Auflockerungen bis in die Mitte aus, nach Westen und
Nordwesten scheint unter sich verstärkendem Hochdruckeinfluss (Rücken über
Westeuropa und Bodenhoch nahe dem Ärmelkanal) auch längere Zeit die Sonne.
Rückseitig des Tiefs sorgt der markante Druckgradient für steife bis stürmische
Böen vor allem im Osten und Südosten, wobei auch hier im Tagesverlauf ein
deutlicher Trend zur Abnahme besteht.

Im Osten macht sich die fehlende Einstrahlung mit kaum mehr als 20°C bemerkbar,
im Westen stehen bei deutlich freundlicheren Verhältnissen bis 28°C an.

In der Nacht zum Samstag führt WLA, die den Rücken über Westeuropa umläuft im
Norden für Bewölkung, aus der aber kaum Regen fällt. Ansonsten verstärkt sich
der Hochdruckeinfluss auch nach Osten hin und es steht eine ruhige Nacht an.
Anfangs sind an der Ostsee und auf einigen Berggipfeln im Osten und in den Alpen
ein paar stärkere Böen möglich.

Samstag ... liegt der Höhenrücken weiter über Westeuropa und das Bodenhoch mit
Schwerpunkt über dem Ärmelkanal. Sein Einfluss reicht bis zu uns, was uns
ruhiges und im Südwesten sonniges Wetter beschert.

Etwas getrübt wird das Ganze von dichteren Wolken, die aus Warmluftadvektion
resultieren, und über den Norden und die Mitte hinwegziehen. Regen fällt daraus
kaum, auch wenn bei den Europäern so etwas angedeutet wird.

Die Temperaturen steigen meist auf 26 bis 30°C, im Norden unter den Wolken wird
es wohl etwas weniger warm.


Modellvergleich und -einschätzung
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Die Verteilung der Gewitter und Niederschläge insgesamt bereit den Modellen nach
wie vor Schwierigkeiten, sodass hier größere Unsicherheiten verblieben. Auch die
Zugbahn und Timing des kleinen Tiefs ist noch nicht trockenen Tüchern, da auch
sie von der Konvektion mit beeinflusst wird.

Der aktuelle ICON Lauf verschiebt die Regenfälle etwas nach hinten (zeitlich)
und (räumlich) etwas nach Norden. Die Mengen bleiben teilweise exorbitant hoch;
über 100 l/qm in der Nacht zum Freitag in 12h. Falls sich die anderen Modelle
dieser Lesart anschließen, kann überlegt werden, die Vorabinformation zeitlich
und räumlich anzupassen. Die Wetterberuhigung kommt dann am Freitag ...


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Bernd Zeuschner