DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

21-06-2023 08:30
SXEU31 DWAV 210800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Mittwoch, den 21.06.2023 um 08 UTC


GWL und markante Wettererscheinungen:
GWL: SWz (Südwest zyklonal), Übergang zu HM (Hoch Mitteleuropa)

Zum heutigen Sommeranfang einzelne kräftige Überentwicklungen. Von
Donnerstagfrüh bis in die Nacht zum Freitag dann krönender Höhepunkt der
konvektiven Bambule mit allen Schikanen von extremen Starkregen über Großhagel
bis hin zu möglichen Tornados. Ab Freitag Wetterberuhigung und nicht mehr so
heiß/schwül.

Synoptische Entwicklung bis Freitag 24 UTC
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Mittwoch... beginnt der kalendarische Sommer und was soll man sagen - er tut es
standesgemäß. Schon seit Tagen hat sich bei uns eine sehr warme bis heiße und
potenziell instabile Subtropikluft breitgemacht, in der es immer wieder zu
Gewittern kommt. Gestern bzw. in der vergangenen Nacht wurde ein erster
Höhepunkt erreicht, doch die ganz große Oper steht noch bevor. Dabei kommt der
heutige Mittwoch vergleichsweise beschaulich rüber, wenn man mal von einigen
Ausnahmen absieht.

Zur Lage, die Deutschland unter einer südwestlichen Höhenströmung sowie im
Bereich einer flauen Druckverteilung sieht. Die Protagonisten sind ein nicht
überbordend amplifizierter, aus mehreren Teilen bestehender Höhentrog über dem
nahen Atlantik, dem nach wie vor ein veritabler Rücken knapp östlich
gegenübersteht. Dieser reicht vom zentralen Mittelmeer über das östliche
Mitteleuropa bis hoch zum Nordpolarmeer, was eine ordentliche Strecke ist.
Eingelagert in die südwestliche Höhenströmung sind immer wieder recht flache
Sekundärtröge, die die Musik spielen. Einer davon ist kurz davor, uns in
Richtung Ostsee zu verlassen, weshalb die Konvektion im Nordosten (die zudem
noch an eine Konvergenz gekoppelt ist) alsbald Geschichte ist. Noch nicht vorbei
sind hingegen die Gewitter und schauerartigen Regenfälle im Südwesten, die an
einen weiteren KW-Trog gekoppelt sind, welcher von Frankreich rübergeschwappt
ist. Regen und Gewitter ziehen in den nächsten Stunden unter Abschwächung
("vormittägliche Depression") über Teile Bayerns in Richtung Tschechien und
Erzgebirge, wobei aktuell kein Warnbedarf besteht. Aus der
französisch-schweizerischen Juraregion folgt noch ein weiterer Gewittercluster
nach, der Südbaden erreicht hat, um von dort ost-nordostwärts weiterzuziehen. In
diesem Fall könnte der Tagesgang eine größere Rolle spielen als beim Vorgänger,
was die Intensität erhöhen würde (Starkregen bis WU, größerer Hagel, (schwere)
Sturmböen 9-10 Bft). Allerdings gilt auch hier: Nowcast und Praxis stechen
theoretische Überlegungen.

Ansonsten ist für die heutige Entwicklung noch das kleine Randtief KAY von
Bedeutung, das heute Morgen dicht östlich an Schottland vorbei in Richtung
Norwegische See zieht. Der gute KAY verfügt über ein Frontensystem, dessen
Kaltfront heute weite Teile Nord- und Westdeutschlands bis zur Mitte überquert.
Dahinter strömt von der Nordsee her (westliche Winde) eine etwas weniger warme
bis heiße, vor allem aber trockenere und stabilere Luftmasse ein, in der bei
einer Mischung aus Sonne und einigen Wolken wettermäßig nicht allzu viel
passiert. Das gilt - abgesehen von den Geschichten im Süden - zunächst auch für
die übrigen Regionen. Erst im Tagesverlauf entwickeln sich in den mittleren
Landesteilen und dort vornehmlich aus dem Bergland heraus - synoptische Trigger
stehen unter der vorübergehend leicht antizyklonalen bis neutralen Höhenströmung
nicht zur Verfügung und auch die Kaltfront ist mangels Baroklinität nicht
wirklich eine Hilfe - einzelne Überentwicklungen. Da aber auch hier die
Labilität vorübergehend eingeschränkt ist (leichte Deckelung um 650 hPa herum),
wird es wohl nur für einzelne Schauer und maximal markante Gewitter reichen. Am
labilsten ist die Luftmasse im äußersten Süden, wo entsprechend auch das meiste
CAPE generiert wird (z.T. vierstellig). Hier besteht vor allem zum Abend hin die
Gefahr, dass aus den Alpen heraus ein paar kräftige Gewitter auf deutsches
Hoheitsgebiet übergreifen, die bei moderater Scherung durchaus unwetterartig
ausfallen können (heftiger Starkregen und größerer Hagel, aber kaum über 3 cm).


Die Temperatur steigt verbreitet auf 28 bis 32°C, nur Richtung Küste sowie im
Land zwischen den Meeren wird es nicht ganz so heiß. Die größte Wärmebelastung
ist im Süden und Südosten zu erwarten.

In der Nacht zum Donnerstag löst sich aus dem Höhentrog der südliche Teil, der
als scharf geschnittener Randtrog über die Biskaya und Nordspanien hinweg auf
Frankreich zuläuft. Dort wird Druckfall ausgelöst, der in ein flaches Tief
(LAMBERT) mündet (Kerndruck um oder sogar über 1015 hPa). Dieses Tief, dessen
Lage und geometrische Konfiguration noch leicht unterschiedlich simuliert
werden, zieht bis zum Morgen nord-nordostwärts, was vor allem den Westen und
Südwesten unseres Landes in seine Peripherie bringt. Die Kaltfront, die zuvor
bis zur Mitte vorangekommen ist, beginnt nun als Warmfront ganz allmählich
wieder nach Norden zu wandern. Zuvor hat sich in Frankreich schon ein größerer
Gewittercluster gebildet, dessen östlicher Part etwa in der zweiten Nachthälfte
auf Teile West- und Südwestdeutschlands übergreift. Meist handelt es sich um
gewittrigen Regen respektive abgehobene Konvektion, so dass vor allem Starkregen
ganz oben auf der Agenda steht. Gleichwohl sind auch Hagel und Böen bis Stärke 9
Bft - hängt alles vom Organisationsgrad der Gewitter bzw. des Systems ab - nicht
auszuschließen.

Im großen Rest des Landes verläuft die Nacht nach vergleichsweise raschem
Ableben der abendlichen Konvektion ruhig. Tiefstwerte 21 bis 15°C, im Norden
teils bis zu 10°C, dort also lüften!!

Donnerstag... schwenkt besagter KW-Trog über Frankreich hinweg ostwärts, was uns
zunehmend auf seine hebungsfördernde Vorderseite bringt. Fast noch wichtiger
scheint aber das Bodentief zu sein, das zunächst auf Südwestdeutschland
übergreift, um von dort weiter nord-nordostwärts zu ziehen. Noch unsicher ist,
ob föhnbedingt weiter östlich ein zweiter Kern entsteht, was angesichts der
Rahmenbedingungen nicht unlogisch wäre. Auf alle Fälle schiebt die Warmfront
immer weiter nach Norden und die postfrontale Subtropikluft wird energetisch
immer weiter aufgewertet. So sorgt besagter Föhn für eine erhebliche
Labilisierung im äußersten Süden (T850 bis zu 25°C), was bei PPWs von etwas über
30 mm CAPE-Werte von 2500 bis 3000 J/kg, teils sogar noch mehr zur Folge hat
(die numerischen Prognosen sind diesbezüglich immer mit Vorsicht zu genießen).
Noch mehr Wasserdampf (über 40 mm) befindet sich weiter nördlich in der
Luftmasse, quasi unmittelbar hinter der Warmfront. Das CAPE geht dort aber nicht
so hoch wie im Süden, da erstens weniger Labilität und zweitens weniger
Einstrahlung vorhanden. Dafür kommt eine ganz andere Komponente ins Spiel, die
Scherung. Gerade auf der Nordflanke des Tiefs steht LLS bis zu 15 m/s bei
hervorragend ausgestatteter bodennaher Richtungsscherung (stark gekrümmte
Hodographen) zur Verfügung, DLS liegt zwischen 20 und 30 m/s. Daraus ergibt sich
in Summe eine hochenergetische Gemengelage, die für Schwergewitter wie
geschaffen ist und wie wir sie schon lang nicht mehr gehabt haben.

Folgender Verlauf ist dabei auf Basis konzeptioneller Überlegungen und noch
immer divergierender Modellergebnisse vorstellbar: Die Gewitter und Regenfälle
aus der Nacht verlagern sich mit der Warmfront sehr langsam nordwärts und
erreichen den äußersten Norden bis zum Abend wahrscheinlich nicht. Auf der
"kalten" Seite tritt ungewittriger Regen auf, der erfreulich, aber nicht
überbordend ergiebig ist. Der Löwenanteil wird knapp dahinter teils durch die
nachfolgenden Gewitter geliefert, die wohl nicht als geschlossene Linie, sondern
durchbrochen auftreten. Es ist allerdings denkbar, dass ein Teil des Regens auch
ungewittrig erfolgt, die Labilität ist ja nicht besonders hoch. Auf alle Fälle
steht (extrem) heftiger Starkregen (instantan oder innerhalb weniger Stunden)
ganz oben auf der Agenda, was (schweren) Sturm und Hagel aber nicht ausschließt.
Akkumuliert über 24 Stunden sollen in einem von NRW bis nach Vorpommern
reichenden Korridor gebietsweise 40 bis 70, lokal bis zu 100 l/m²
zusammenkommen. Hinzu kommt vornehmlich in der Mitte und im Osten die Gefahr von
Tornados, zumal das HKN vorübergehend stark abgesenkt wird und eine hohe Menge
SRH zur Verfügung steht.

Der zweite Schwerpunkt liegt im Süden und Südwesten, tageszeitlich später,
sprich am Nachmittag und Abend, weil zunächst noch längere Zeit gedeckelt. Dort
nimmt die Wahrscheinlichkeit schwerer Gewitter in Form von Superzellen immer
weiter zu. Zum Teil handelt es sich dabei um Importware aus Frankreich und der
Schweiz, teils werden die Geräte aus den Bergen heraus geboren. So oder so,
neben größeren Hagel bis 5 cm (vereinzelt sind noch größere Kugeln denkbar)
stehen Sturm- und Orkanböen ganz oben auf der Karte. Starkregen ist quasi fast
immer dabei, spielt aber nicht die große Rolle wie bei den Gewittern weiter
nördlich.

Temperaturmäßig werden im Westen und Nordwesten keine 25°C mehr erreicht,
während im Südosten Bayerns mit bis zu 35, vielleicht bis zu 36°C der bisher
heißeste Tag des Jahres "gefeiert" werden kann.

In der Nacht zum Freitag zieht das Tief über den Osten hinweg nach Polen.
Nachfolgend steigt der Luftdruck und die zugehörige Kaltfront überquert uns
ost-südostwärts. Die Druckanstiegswelle sorgt für eine vorübergehende (nicht an
Konvektion gebundene) Windauffrischung (7-8 Bft), wobei der Wind auf West bis
Nord dreht. In der rückseitig einströmenden maritimen Luftmasse (T850 sinkt auf
unter 10°C) beruhigt sich das Wetter im Westen und Norden zusehends. Ansonsten
ziehen die gewittrigen, teils ungewittrigen Starkregenfälle über Niedersachsen,
Sachsen-Anhalt, das nördliche BB und MV langsam nach Osten, wobei gerade in der
ersten Nachthälfte noch mal erquickliche Summen zusammenkommen können
(gebietsweise 40 bis 70 l/m²). Auch sonst dauert die "Ballerei" noch bis weit in
die Nacht hinein an, Tendenz langsam ostwärts verlagernd.

Freitag... nur kurz und schmutzig: weiterer Druckanstieg (Gott zum Gruße
BERCESTE), von Westen Annäherung eines Höhenrückens => weitere Wetterberuhigung.
Abdrängen der Regenfälle und Gewitter unter Abschwächung nach Osten, nicht mehr
so heiß (20 bis 27°C mit den höchsten Werten im Westen und Südwesten). Mir
kann´s recht sein.

Modellvergleich und -einschätzung
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Die Modelle simulieren ähnlich, aber nicht gleich. Verlangt auch keiner, die
Lage ist schwierig genug. Die Ausführungen oben basieren auf der
Modellgesamtlage nebst konzeptioneller Überlegungen unter Berücksichtigung
dessen, was man alles mal so gelernt hat. Eine Garantie, dass es genauso
abläuft, gibt es nicht. Am Nachmittag wird jedenfalls eine Vorabinformation
Unwetter ausgegeben, die die verschiedenen Facetten berücksichtigt, auf der
anderen Seite aber auch noch einige Allgemeinplätze beinhaltet.

Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann