DWD Synoptische Übersicht Kurzfrist

18-06-2023 18:01
SXEU31 DWAV 181800

S Y N O P T I S C H E Ü B E R S I C H T K U R Z F R I S T
ausgegeben am Sonntag, den 18.06.2023 um 18 UTC


Markante Wettererscheinungen:
In den nächsten Tagen schwülwarm bis -heiß mit deutlich zunehmender
Gewitterwahrscheinlichkeit, teils bis in den Unwetterbereich. Dabei gilt:
Globalvorhersage ziemlich, Detailprognose alles andere als klar. Packen wir´s
an!

Synoptische Entwicklung bis Mittwoch 12 UTC
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Aktuell ... fällt der Luftdruck seit geraumer Zeit, wenn auch nicht
unermesslich, aber er fällt. Außerdem ziehen von Frankreich und Benelux her
immer mehr hohe und zunehmend auch mittelhohe Wolkenfelder in die westlichen
Landesteile. Kurzum, es tut sich was in der Atmosphäre. Deutlich wird das auch,
wenn man sich die Taupunkte anschaut, die abseits der Küsten (dort mit 14 bis
17°C die aktuell höchsten Werte) im Westen und Südwesten zulegen. Zwar erreichen
sie dort noch nicht die Zahlen wie in Frankreich und Belgien, wo heute
Nachmittag bis zu 20°C registriert wurden. Der Kurs ist aber unstrittig, in der
morgen beginnenden Woche gelangt sehr warme bis heiße und feuchte Subtropikluft
in weite Landesteile, die uns regionsweise einer starken Wärmebelastung aussetzt
und zunehmend noch über ausreichend Potenzial für Schwergewitter verfügt. Was
die Details wie Timing, genaue räumliche Verteilung und Intensität der Gewitter
und (Stark)Regenfälle angeht, ist allerdings noch viel Luft nach oben. Es ist
davon auszugehen, dass sogar die eine oder andere Fehlprognose auftreten wird,
insbesondere dann, wenn der lokale Maßstab als Referenz dient. Die Entwicklung
der nächsten Tage wird nämlich nicht nur von der Druck- und Potenzialverteilung
bestimmt, sondern hängt auch sehr stark von den Wechselwirkungen diversere
Gewitter respektive Gewittersysteme ab. Ein Cluster etwas größer oder kleiner
als geplant, ein MCS räumlich etwas verschoben, dazu noch diverse
Outflow-Boundarys - da geht so eine numerische Prognose schnell mal in die Hose
bzw. läuft der Realität trotz moderner Assimilationsverfahren (Stichwort "Latent
Heat Nudging") hinterher. Vor diesem Hintergrund sind auch die nun folgenden
Ausführungen zu sehen.

Zur Wetterlage, die uns zunehmend auf die Vorderseite eines hochreichenden Tiefs
mit Drehzentrum knapp westlich von Irland bringt (JUSTUS "der Gerechte"; mal
sehen, ob sich am Ende der Woche alle "gerecht" behandelt fühlen). Ausgehend vom
Tief erstreckt sich ein Höhentrog weit nach Süden, wobei die leicht positiv
geneigte Achse über das Seegebiet westlich Portugals hinausreicht. Dem Trog
vorgeschaltet ist ein bis weit nach Nordeuropa reichender Höhenrücken über
Mitteleuropa, der nur im Schneckentempo nach Osten vorrückt. Das erklärt, warum
Deutschland heute trotz Druckfalls einen weitgehend störungsfreien, im Süden und
Westen zudem heißen Sonntag erleben durfte (Waghäusel-Kirrlach/BaWü mit
imposanten 34,1°C am Spätnachmittag). Die Wolken und die gemäßigteren
Temperaturen im äußersten Osten und Nordosten resultierten übrigens aus dem
elliptisch konfigurierten Höhentief über der westlichen Ostsee bzw. Westpolen,
das in den letzten Tagen aber noch deutlich mehr Körner im Tank hatte. Das Tief
füllt sich mehr und mehr auf bzw. verlagert sich in Richtung Gotland (der
nördliche Kern) und Schwarzes Meer (der südliche Kern).

Im Laufe der Nacht zum Montag erreicht die Warmfront des Tiefs JUSTUS den
Vorhersagebereich, wobei weitere Wolken und vom Südwesten bis in die Mitte hier
und da sogar ein paar Tropfen Regen gereicht werden. Viel wird es allerdings
nicht sein, auch wenn von Ostfrankreich ein kleiner Sekundärtrog in den
Höhenrücken hineinläuft und gebietsweise etwas Hebung generiert. Die
Grundschicht ist einfach noch zu trocken, so dass etwaiger Niederschlag auf
seinem langen Weg nach unten zumindest teilweise verdunstet. Auch beim Thema
"Gewitter" sollten die Erwartungen (noch) nicht zu hoch sein, weil der Rücken
arg dämpfend wirkt und dabei auch den Sekundärtrog im Zaum hält. Hinzu kommt die
ungünstige Tageszeit sowie ein Quantum CIN, dass es zu überwinden gilt.
Trotzdem, ganz ausschließen lassen sich ein paar morgendliche Blitze im Westen
und Südwesten nicht.

Noch ein Satz zu den Temperaturen, die aufgrund der zunehmenden Feuchte und der
vermehrten Bewölkung nicht mehr so stark zurückgehen können wie in den Nächten
davor. Vor allem im Westen wird es vornehmlich in den Innenstädten vielfach
nicht mehr unter 20°C abkühlen, was per definitionem eine Tropennacht bedeutet.
Nach Osten und Südosten hin lohnt sich das Fensteröffnen aber nochmal, reicht es
doch abseits der großen Städte für Minima zwischen 15 und 10°C.

Montag ... kommt das beschriebene Strömungsmuster nur wenig nach Osten voran.
Das Höhentief westlich von Irland füllt sich auf und am Boden bildet sich ein
zweiter Kern, der um 12 UTC mit etwas unter 1005 hPa im Bereich der Hebriden
liegt. Das reicht, um das zugehörige Frontensystem bei uns vollständig zu
etablieren. So überquert die Warmfront, die schön in einer ausgeprägten
Windkonvergenz liegt (Südost vorderseitig vs. Südwest bis West rückseitig) bis
zum Abend ganz knapp die Elbe, währende die wellende Kaltfront (flache
Tiefentwicklung über der Biskaya) den äußersten Westen und Nordwesten erfasst.
Im Warmsektor wird ein erster Schwall sehr feuchter (PPW um oder gar über 35 mm,
spez. Grundschichtfeuchte bis zu 13 g/kg) und potenziell instabiler
Subtropikluft advehiert, in der je nach Einstrahlung 500 bis 1000, örtlich sogar
bis zu 1500 J/kg ML-CAPE aufgebaut werden können. Das ist eine Menge Holz, mit
der man den einen oder anderen konvektiven Brand entfachen könnte, wenn, ja wenn
es denn die erforderlichen "Streichhölzer" dazu gibt. Und genau darin liegt das
Problem, dass es nämlich an hebungsauslösenden Impulsen mangelt. Wir dürfen
nicht vergessen, dass der Rücken morgen immer noch eine dämpfende Wirkung
ausübt, auch wenn die Hauptachse langsam nach Osten vorankommt. Auch in der
Hauptkonvergenz, in der die Warmfront liegt, deutet sich kein Feuerwerk an, weil
es durch den Südostwind vorderseitig zum Entrainment trockener Luft kommt, die
nennenswerte Konvektion unterbindet oder mindestens mal erschwert.

Was bleibt, sind die langsam hereinschwenkende Kaltfront, schwache, nordostwärts
ziehende Sekundär- und Tertiärtröge auf der Rückseite des Rückens, die ewig
treue Orografie in Verbindung mit dem Tagesgang und schließlich lokale
Windkonvergenzen innerhalb des Warmsektors. Klingt nach einer ganzen Menge,
gleichwohl, in Summe halten sich die Modelle dezent zurück, heißt, die ganz
große Gewitterlage scheint nicht anzustehen. Aber nicht falsch verstehen,
natürlich kommt es im Tagesverlauf zu mehreren und teils auch kräftigen
Überentwicklungen, die vereinzelt sogar unwetterartige Ausmaße annehmen können.
Zwar sind Scherung und somit auch der Organisationsgrad gering, trotzdem sind
die in Teilen zu Multizellen zusammenwachsenden Einzelzellen in der Lage,
Starkregen von mehr als 25 l/m² innert kurzer Zeit sowie im gerade im
Anfangsstadium bis zu 2 oder 3 cm großen Hagel zu produzieren. Beim Wind sollte
es trotz zunächst noch vorhandener trockener Grundschicht (inverse V-Struktur)
nicht wesentlich über Stärke 7-8 Bft hinausreichen. Was die Regionalisierung
angeht, stehen etwa ab Mittag Teile des norddeutschen Tieflands (westlich der
Warmfront bzw. Windkonvergenz) bis hinunter in den westlichen und zentralen
Mittelgebirgsraum ganz oben auf der Agenda. Im Süden sind einzelne konvektive
Umlagerungen vornehmlich in und an den Alpen sowie über den Mittelgebirgen zu
erwarten. Dagegen dürfte im Osten Nordosten so gut wie nichts passieren, weil
die Luftmasse trotz vorhandener Labilität zu trocken ist. Vielleicht reicht´s
für ein paar vereinzelte Schauer. Und auch ganz im Westen und Nordwesten könnte
sich bereits die hinter Kaltfront von Westen einströmende stabilere und
trockenere Luftmasse bemerkbar machen.

Temperaturmäßig geht´s rauf auf 26 bis 31°C, lediglich ganz weit oben sowie
direkt an der See wird es nicht ganz so warm.

In der Nacht zum Dienstag beginne die Vorhersagen bereits soweit zu divergieren,
dass wir uns hier nicht zu sehr in Details verlieren sollten. Die neueste Idee
von ICON-D2 (12 UTC) ist die, dass sich die Tagesgewitter am Abend über der
nördlichen Mitte (etwa Nordhessen/südliches NDS) zu einem größeren Cluster
vereinigen, der im weiteren Verlauf als gewittriger Starkregen gen Osten zieht,
gefolgt von weiteren Gewittern, die von Südwesten hereindriften. In den
Vorläufen war davon noch nichts zu sehen, im Gegenteil, die Tagesgewitter
sollten sich weitgehend auflösen. So schnell kann´s gehen (siehe auch die
einleitenden Worte). Klar, unmöglich ist dieses Szenario nicht, aber man sollte
noch etwas warten auf Bestätigung anderer Modelle und modellinterne Konsistenz,
bevor man die aktuelle Prognose ändert.

Die geht derzeit noch davon aus, dass sich die Gewitter vom Tage tatsächlich
zunächst abschwächen respektive auflösen. Im Laufe der Nacht soll dann in
Verbindung mit einem nordostwärts schwenkenden Randtrog ein größerer
Gewittercluster von Frankreich her auf Benelux sowie Teile Deutschland
übergreifen (Westen Südwesten, westliche Mitte). Ob es sich dabei "nur" um ein
Gewittercluster oder ein gewittriges Regengebiet handelt oder am Ende sogar ein
MCS auf der Matte steht, ist derzeit noch unsicher. Die meisten Modelle (selbst
das ICON-D2 von 12 UTC) bieten diese Variante an, die Streuung hinsichtlich
Zeit, Raum und Intensität ist aber noch sehr hoch. Fakt ist, dass die
Nachttemperatur in den meisten Regionen nicht unter 21 bis 15°C sinkt. Lediglich
im Norden und Osten könnte es bei längerem Aufklaren örtlich etwas kühler
werden.

Dienstag ... wandert der Höhenrücken noch ein kleines Stück nach Osten, so dass
ganz Deutschland bis zum Abend unter eine südwestliche Höhenströmung gelangt.
Diese gibt sich aber immer noch relativ antizyklonal und nach Abzug des
nächtlichen Randtroges sind zumindest nach derzeitigem Stand keine mit dem
bloßen Auge erkennbaren Nachfolger zu sehen. Trotzdem dürfen wir auf einen
interessanten Wettertag gespannt sein, wie immer er im Einzelnen auch genau
ablaufen mag.

Zunächst mal gilt es die o.e. nächtlichen Gewitter bzw. den gewittrigen
(Stark)Regen zu verabschieden, die am Morgen und am Vormittag unter Abschwächung
nord-nordostwärts abziehen sollen. Damit wird eine ruhigere Phase eingeleitet -
gerne wird der Begriff der "vormittäglichen Depression" herangezogen -, die
evtl. bis in den Nachmittag andauert. Mit Durchzug der Regenfälle und Gewitter
wird die weitgehend stehende Luftmasse ordentlich durchgefeuchtet. In der
Nordhälfte werden PPW-Werte von 35 bis etwa 45 mm angeboten, die spezifische
Feuchte konvergiert örtlich gen 15 mm, was hochgradig in Richtung tropische
Verhältnisse geht. Zwar ist die Labilität nur leidlich ausgeprägt (auf alle
Fälle weniger labil als im Süden), trotzdem recht die hochenergetische
Gemengelage aus, um eine Menge CAPE zu generieren. Ob es schlussendlich für die
gebietsweise apostrophierten 1500 bis 2000, teils sogar 2500 J/kg reichen wird,
hängt natürlich in starkem Maße von der Einstrahlung ab. Da steht noch nicht
ganz fest, wie viel nach Abzug der gewittrigen Regenfälle und der dazugehörigen
starken Bewölkung tatsächlich zur Verfügung steht.

Wie auch immer, selbst wenn die energetischen Werte nicht ganz so hoch ausfallen
wie derzeit gerechnet, schlecht sind die Rahmenbedingungen nicht für fette
Konvektion. Fehlt "nur" noch der Antrieb. Hier kommt ein flaches, eher
trogförmiges Tief in Frage, das im Tagesverlauf von Westfrankreich/Ärmelkanal in
Richtung Benelux und Nordsee zieht. Die rinnenartigen Ausläufer des Tiefs
greifen im Laufe des Nachmittags und Abends auf den Westen und Nordwesten über,
wo - wenn auch relativ spät ausgelöst - der Schwerpunkt der konvektiven
Aktivität liegen soll. Mit Hilfe von etwas Scherung (noch ist die Überlappung
der Zutaten nicht optimal) könnte es für organisierte Gewitter bis hin zu
Superzellen reichen, die neben Starkregen bis in den Unwetterbereich auch
größeren Hagel und (schwere) Sturmböen induzieren. Wie gesagt, alles noch im
Konjunktiv, aber irgendwas muss ja zu Papier gebracht werden.

Unabhängig davon können sich im Tageverlauf auch in den übrigen Gebieten
einzelne, teils kräftige Gewitter entwickeln (vornehmlich, aber nicht
ausschließlich aus dem Bergland heraus), der Schwerpunkt liegt aber (und da sind
sich die Modelle gar nicht mal so uneins) im Westen und Nordwesten. Dort wird es
auch nur 23 bis 29°C warm, während sonst Höchstwerte von 28 bis 33°C auf der
Karte stehen.

In der Nacht zum Mittwoch schwenkt der Bodentrog bzw. die Rinne langsam
nordwärts. Die Gewitter im Nordwesten verclustern mehr und mehr bzw. gehen in
gewittrigen Starkregen über, der über Norddeutschland und die Nordsee gen Norden
zieht. Ansonsten treten Gewitter die ganze Nacht über auf, vornehmlich im Süden
und Osten. Allerdings nehmen die Modellunterschiede gegenüber dem Tag wieder zu.


Mittwoch ... deutet sich mit Winddrehung auf West eine Stabilisierung in der
Nordwesthälfte an, was mit einer Abnahme der Schauer- und Gewitterbereitschaft
einhergeht. Von einer nachhaltigen Abkühlung kann zwischen Rheinland und Küste
angesichts erwarteter 25 bis 29°C (nur direkt an der Nordsee und auf den Inseln
weniger) allerdings nicht gesprochen werden. Das konvektive Geschehen zieht sich
jedenfalls in die Südosthälfte zurück, wo es weiterhin sehr schwül und heiß mit
Maxima bis zu 32°C zur Sache geht. Was die Details angeht, dazu in den
Folgeübersichten mehr.


Modellvergleich und -einschätzung
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Es ist alles gesagt, aber noch längst nicht alles klar. So setzt sich die fast
schon als radikal zu bezeichnende Inkonsistenz des ICON-D2 mit dem
allerneuesten, fast noch "warmen" Lauf von 15 UTC weiter fort. Zum einen sind
die ganzen Montagsgewitter im Norden weitgehend verschwunden, weil kein CAPE
mehr zur Verfügung gestellt wird (zu viel Bewölkung??, stärkere Inversion auf
800 hPa?). Und die (Schnaps)Idee mit der Verclusterung in der Mitte in der Nacht
zum Dienstag ist auch schon wieder Geschichte. Wie wir sehen, sehen wir nichts,
also auf zum Nowcasting. Man kennt´s...


Vorhersage- und Beratungszentrale Offenbach
Dipl. Met. Jens Hoffmann